Protocol of the Session on November 13, 2002

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, meine sehr geehrten Damen, meine sehr geehrten Herren! Bei Ihrer Rede, Frau Kollegin Gräßle, habe ich mich phasenweise schon gefragt, ob ich wirklich die Rede einer Kollegin aus einer Regierungsfraktion höre.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Genau! – Abg. Döpper CDU: Jetzt gehts schon los!)

Aber lassen Sie mich zum eigentlichen Anlass zurückkehren. Dass der Landtag heute erstmals diesen Frauenplenartag durchführt, ist ein wichtiges frauenpolitisches Signal. Wir haben bei der gestrigen Anhörung oft gehört, wie wichtig der politische Wille zu mehr Frauenpolitik und zu mehr Gleichstellungspolitik ist und dass der politische Wille den Schlüssel zum Erfolg darstellt. Insofern sehe ich es als ein positives Zeichen an, dass alle Fraktionen dieses Hauses heute den politischen Willen zu mehr Frauenpolitik, zu mehr Gleichstellungspolitik bekunden.

Allerdings, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ist die Erwartung der SPD und ganz sicher die Erwartung der Frauen im Land, dass es nicht nur bei der politischen Willensbekundung bleibt.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Der Lackmustest für den heutigen Frauenplenartag wird sein, ob den politischen Willensbekundungen in absehbarer Zeit auch politische Taten folgen.

(Beifall der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Ich möchte mich an dieser Stelle insbesondere bei den Frauenverbänden im Land und beim Landesfrauenrat für das außerordentliche frauenpolitische Engagement bedanken, das sie in den letzten Jahren erbracht haben. Ohne dieses Engagement wären ganz viele frauenpolitische, gleichstellungspolitische Vorhaben in diesem Land überhaupt nicht denkbar gewesen. Herzlichen Dank!

(Beifall bei der SPD und den Grünen und des Abg. Alfred Haas CDU – Abg. Bebber SPD: Sehr richtig!)

Betrachtet man die frauenpolitische Bilanz der 50 Jahre seit der Landesgründung, dann gibt es Licht und Schatten.

Positiv ist in dieser Bilanz sicher zu bewerten, dass es gelungen ist, Frauen und Männer rechtlich weitgehend gleichzustellen. Das war vor 50 Jahren noch keineswegs Realität. 1952, also im Jahr der Landesgründung, hatte der Mann noch das Alleinentscheidungsrecht in der Ehe. Ehefrauen

hatten nicht das Recht, ihren Wohnsitz selbst zu bestimmen, und konnten ihr in die Ehe eingebrachtes Vermögen nicht selbst verwalten. Diese heute archaisch anmutenden Regelungen wurden erst 1957 durch das Gleichberechtigungsgesetz abgeschafft.

Doch es gibt auch Schattenseiten. Wir haben zwar die rechtliche Gleichstellung erreicht; von der gleichen Teilhabe in allen Bereichen der Gesellschaft sind Frauen jedoch immer noch weit entfernt. Immer noch sind Erwerbs- und Erziehungsarbeit extrem ungleich verteilt. Beim Aufstieg in Führungspositionen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft stoßen Frauen immer noch an so etwas wie eine „gläserne Decke“ – gläsern deshalb, weil die Gründe dafür nicht auf den ersten Blick sichtbar sind.

So ist trotz gleicher oder höherer Qualifikation vielen Frauen noch immer der berufliche Aufstieg verwehrt. Nur jede achte Frau, aber jeder vierte Mann im Alter zwischen 30 und 45 Jahren ist in höherer Position tätig. Die am besten qualifizierte Frauengeneration, die wir je hatten, wird nach wie vor ausgebremst. Wir können uns aber eine solche Verschwendung von Humankapital schlichtweg nicht leisten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir sollten angesichts dieser und vieler anderer nach wie vor bestehender Benachteiligungen die heutigen Beratungen als Chance nutzen und diesen Frauenplenartag eben nicht nur als frauenpolitische Pflichtübung verstehen, nach der wir dann wieder zur Tagesordnung übergehen. Von diesem Frauenplenartag muss aus Sicht der SPD ein Signal für einen neuen Aufbruch in der Frauenpolitik im Land ausgehen,

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

ein Aufbruch, der deutlich macht, wie wir den Grundgesetzauftrag tatsächlich und konkret mit Leben erfüllen wollen. Warum brauchen wir einen solchen neuen Aufbruch in der Frauenpolitik? Wir brauchen ihn, weil wir im Land von einer tatsächlichen Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen immer noch weit entfernt sind.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Jawohl!)

In dieser Einschätzung besteht ganz offenkundig fraktionsübergreifend Übereinstimmung. Dieses durchaus selbstkritisch zu wertende Resümee über den Stand der Gleichberechtigung stammt nämlich nicht von mir, sondern von der für Frauenpolitik in der Landesregierung zuständigen Staatssekretärin. Sie können das in der „Südwest Presse“ nachlesen.

(Zuruf von der CDU: Sehr gute Frau!)

Wir brauchen diesen neuen Aufbruch vor allem aber auch deshalb, weil die Landesfrauenpolitik in den letzten Jahren eben nicht von Innovation und Fortschritt, sondern weil sie leider von Stillstand gekennzeichnet war.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der SPD: So ist es!)

Der einzige wirkliche frauenpolitische Fortschritt fand unmittelbar vor diesem Frauenplenartag statt: Der Frauenanteil

im Landeskabinett wird sich verdoppeln. Statt einer Ministerin gibt es künftig zwei Ministerinnen.

(Heiterkeit bei der SPD – Beifall des Abg. Theurer FDP/DVP)

Ich sehe schon, das ist der Beitrag der FDP/DVP zum Frauenplenartag.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und den Grünen – Minister Dr. Döring: Das ist aber ein guter Bei- trag! – Abg. Theurer FDP/DVP: Der Frauenanteil der FDP/DVP-Minister beträgt 50 %)

Zwar ist der Frauenanteil – das wissen Sie – im Bundesländervergleich damit immer noch verschwindend gering, aber wir erkennen diese Erhöhung um immerhin 100 % als Fortschritt an.

Wir wünschen uns jedoch auch, liebe Kolleginnen und vor allem liebe Kollegen von den Regierungsfraktionen, dass diesem Fortschritt nun auch in der Sache gewichtige Fortschritte folgen, zum Beispiel bei der Novellierung des Landesgleichberechtigungsgesetzes oder bei der Reform der Gemeinde- und der Landkreisordnung mit dem Ziel, hauptamtliche kommunale Frauenbeauftragte festzuschreiben. Wir brauchen diese frauenpolitischen Reformschritte. Das Land und der gesamte öffentliche Dienst in Baden-Württemberg müssen bei der Gleichstellung von Frauen endlich eine Vorreiterrolle übernehmen. Nur dann können wir von der Wirtschaft wirklich glaubwürdig effektive Maßnahmen zur tatsächlichen Gleichberechtigung von Frauen und Männern einfordern.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Baden-Württemberg – das wissen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, und haben es trotzdem nicht geändert – ist das einzige Bundesland, in dem es in der Gemeinde- und der Landkreisordnung keine Verpflichtung zur Bestellung einer hauptamtlichen Frauenbeauftragten gibt.

(Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU)

Wir sollten endlich dafür sorgen, dass dieser traurige Zustand, dass das Land die frauenpolitische Schlusslichtposition einnimmt, beendet wird.

(Beifall bei der SPD)

Seit Jahren wird die Novellierung des Landesgleichberechtigungsgesetzes gefordert. Im Jahr 2001 hat sogar ein CDULandesparteitag diese Novellierung gefordert. Die Defizite, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, sind offenkundig. Weil Frauenvertreterinnen zu wenig Rechte haben und weil Frauenförderpläne zu unverbindlich sind, fehlt diesem Gesetz der notwendige Biss, um den Anteil von Frauen in Führungspositionen deutlich zu erhöhen.

Lassen Sie es mich an einem einzigen Beispiel deutlich machen: Seit Inkrafttreten des Landesgleichberechtigungsgesetzes – so sagt es uns der Zwischenbericht, den Frau Staatssekretärin Lichy vorgelegt hat –, also innerhalb von vier Jahren, hat sich der Anteil von Frauen in der Besoldungsgruppe A 16 um ganze 1,8 Prozentpunkte erhöht auf nun magere knapp 7 %. Wenn wir in diesem Tempo weiter

machen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und alle vier Jahre diesen Anteil um 1,8 Prozentpunkte erhöhen, dann erreichen wir in 57 Jahren, dass ein Drittel der Frauen in diesen Führungspositionen angelangt ist. Das kann es ja wohl wirklich nicht sein.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Deshalb brauchen wir verbindliche Regelungen im Landesgleichberechtigungsgesetz.

Handlungsbedarf gibt es aber auch bei der praktischen Umsetzung des Grundsatzes, bei allen Gesetzen, bei allen Programmen und bei allen Projekten, die die Landesregierung in die Wege leitet, bereits in der Planungs- und Entscheidungsphase die geschlechterspezifischen Auswirkungen zu überprüfen. Gestern fand zu dem so genannten GenderMainstreaming-Prinzip eine hochinteressante Anhörung statt, die uns viele Anregungen vom Gender Budgeting bis zu Gleichstellungsverträglichkeitsprüfungen gegeben hat.

Die Landesregierung hat sich das Gender-MainstreamingPrinzip zwar auf die Fahnen geschrieben; bei der praktischen Umsetzung hapert es allerdings noch gewaltig. Ich möchte Ihnen dies abschließend auch an einem Beispiel belegen.

Es ist beispielsweise mit dem Gender-Mainstreaming-Prinzip nicht vereinbar, dass das Sozialministerium – in der Landesregierung federführend für das Gender-Mainstreaming-Prinzip – in diesem Jahr Eckpunkte zur Umwandlung der neun Zentren für Psychiatrie in eine privatrechtlich verfasste Holding erstellt hat und sich überhaupt erst aufgrund unserer Parlamentsinitiativen mit der Frage befasst hat, was es bedeutet, dass mit einer solchen Regelung Tausende von weiblichen Beschäftigten aus dem Geltungsbereich des Landesgleichberechtigungsgesetzes herausgekegelt werden.

Die SPD hat, damit sich so etwas nicht wiederholt, für die heutigen Beratungen in einem Antrag konkrete Maßnahmen erarbeitet, mit denen die Berücksichtigung des GenderMainstreaming-Prinzips im Regierungshandeln durch verbindliche Regelungen gewährleistet wird. Denn Verbindlichkeit tut der Frauenpolitik in diesem Land Not.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich weiß, dass Frauenpolitik nicht immer ein Modethema ist. Es sind nicht nur Männer, die ihrer gelegentlich überdrüssig sind; es sind manchmal auch junge Frauen, die nicht ganz nachvollziehen können, warum sich wie am heutigen Tag Frauen und – Gott sei Dank! – auch Männer so vehement für frauen- und gleichstellungspolitische Themen verkämpfen.

Ich möchte meine Ausführungen deshalb mit einem Zitat der französischen Autorin Benoite Groult schließen: „Die jungen Mädchen glauben, den Feminismus brauche man nicht mehr, die Zeit der Diskriminierung sei vorbei. Das glauben sie so lange, bis sie anfangen zu arbeiten.“

(Lebhafter Beifall bei der SPD und den Grünen)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Berroth.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Vorab: Wir haben den Antrag „Ärztinnen im Beruf“ mit dem ganz praktischen Beispiel, wie Frauen in unserer Gesellschaft verankert sind, aber auch behindert werden, ganz bewusst auf die heutige Tagesordnung setzen lassen. Zu ihm wird in der zweiten Runde Herr Dr. Noll sprechen.

Ich komme zunächst zu dem Thema, wie die Gleichberechtigung, die in der Verfassung steht, tatsächlich durchgesetzt wird. Da muss man ja ganz klar sagen: Legal, das heißt in den Gesetzen, ist alles in bester Ordnung. Aber in der realen Umsetzung gibt es gewaltige Defizite; das haben wir schon reichlich gehört.