Protocol of the Session on May 15, 2002

(Beifall bei der CDU und der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Bei anderer Gelegenheit hat der Ministerpräsident dafür ich glaube, zu Recht ein Beispiel genannt. Muss der Naturschutz ich rede nicht vom Umweltschutz generell; die Luftreinhaltung Europas wird zunehmend eine Aufgabe, die der Europäischen Union zukommen muss , muss der flächenhafte, kleinräumige Naturschutz wirklich in der Kompetenz der Europäischen Union sein? Haben wir nicht mit der EU-Richtlinie Flora-Fauna-Habitat etwas sehr Bürokratisches erlebt? Traut man denn den Ländern und Kommunen, den Grundstückseigentümern, den Bürgern vor Ort nicht den Schutz ihrer nachbarlichen Umwelt und der Natur zu? Ich plädiere dafür, dass entlang solcher Beispiele konkret die Rückübertragung von Kompetenzen aus der Europäischen Union in die Regionen von uns eingefordert werden muss.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Machen wir uns aber nichts vor, wenn oftmals die EU kritisiert wird: Viele Impulse gingen von Nationalstaaten aus. Die Harmonisierung in dem offenen Markt hat oftmals damit zu tun, dass in Deutschland bei etwas anderem mehr gemacht wird als in der Europäischen Union. Ich nenne den aktuellen Bereich Verbraucherschutz. Uns muss die Gesundheit jedes Bürgers in Europa, in der Union als Verbraucher gleich viel wert sein. Es macht keinen Sinn, dass Birnen aus Südtirol bei uns veräußert werden können, aber

die Produktion in Deutschland, in Baden-Württemberg und in Bayern nicht zu den gleichen Bedingungen wie in Südtirol möglich ist.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Das heißt, Harmonisierung in dem gemeinsamen Binnenmarkt ist nicht nur eine Aufgabe, die in Brüssel und Straßburg wahrgenommen werden kann, sondern ist eine Aufgabe, bei der die Regeln, die Prinzipien, die Grundlagen und die Vorschriften nationalstaatlich harmonisiert werden müssen, sodass der offene Markt nicht national pervertiert und korrigiert wird.

Dasselbe gilt im Übrigen beim Tariftreuegesetz. Es macht doch keinen Sinn, den offenen Markt zu wollen und sein Auto von Skoda zu kaufen, das in Tschechien zu anderen Löhnen hergestellt wird als in Baden-Württemberg ein Auto von Mercedes-Benz und Porsche, aber gleichzeitig zu behaupten, das Haus, das Gebäude, das in Baden-Württemberg und in Deutschland gebaut werde, dürfe nur zu Löhnen gebaut werden, die unseren Tarifen unterlägen. Ich glaube, dass man sich im offenen europäischen Markt dem Wettbewerb vollinhaltlich stellen muss und dass Schutzzäune, gerade auch nationale Schutzzäune, nicht dauerhaft und nicht zeitgemäß sind.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Damit bin ich beim zentralen Bereich. Ich glaube, dass sich die entscheidende Frage, der entscheidende Streitpunkt aus dem Thema Binnenmarkt ergeben wird. Die Europäische Union ist für die Wirtschaftskompetenz, für die Wettbewerbskompetenz und für die Aufgaben im Bereich des Binnenmarkts zuständig. Dort ist im Grunde genommen auch die Gründung der Europäischen Wirtschaftsunion angelegt. Dies hat mit dem Montanbereich begonnen.

Heute nimmt die Europäische Union über Richtlinien eine sehr weit reichende Zuständigkeit für den Binnenmarkt in Anspruch und regelt damit sehr viel, was mit unseren Zuständigkeiten kollidiert und konkurriert.

Ich nehme einmal die Erklärung im Amsterdamer Protokoll. Damals wurde die Kollision verschoben, als es um Sparkassen und Landesbanken und um öffentlich-rechtlichen Rundfunk ging. Wir sagten, dass Finanzwirtschaft, öffentlich-rechtliches Bankenwesen und Daseinsvorsorge öffentliche Aufgaben seien. Die EU-Kommission sagt: Nein Markt, Markt, Markt. Wir sagen, dass Rundfunk Kultur sei. Die Europäische Union sagt: Nein Markt, Markt, Markt; Medienwirtschaft, nicht mehr.

(Abg. Birzele SPD: Das sagt sie überhaupt nicht!)

Kollege Birzele, ganz ruhig bleiben!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Das heißt: Wir haben in den letzten Jahren erlebt, dass sich bei wichtigen Aufgaben, die in Baden-Württemberg und Deutschland traditionell kommunale und staatliche Aufgaben gewesen sind und dies zum Teil noch sind, durch

Marktöffnung, durch Deregulierung und durch Liberalisierung eine Veränderung ergeben hat, auf die wir nicht immer rechtzeitig vorbereitet gewesen sind.

Ich nehme den Bereich der Telefonie. Die Post war eine öffentlich-rechtliche Anstalt. Heute ist Telekommunikation generell Markt. Ich nehme Strom und Gas. Das Postwesen und die Finanzwirtschaft kommen hinzu. Die Gewährträgerhaftung für die öffentlich-rechtlichen Landesbanken läuft in drei Jahren aus. Meine Prognose ist damit blicke ich in die Zukunft : Bei Wasser, bei Abwasser, beim öffentlichen Personennahverkehr, im Gesundheitswesen und auch im Rundfunk kommt die gleiche Kollision: Ist es Binnenmarkt, ist es Wirtschafts- und Wettbewerbszuständigkeit, geht es um Beihilfe, oder ist es eine Strukturaufgabe, die sich aus der Daseinsvorsorge vor Ort ergeben kann? Da kommt dieselbe Kollision mit der Europäischen Union auf uns zu.

(Abg. Beate Fauser FDP/DVP: Genau!)

Ich glaube, Herr Ministerpräsident, dass hier eine klarstellende, eine katalogisierende Ordnung in Europa im Vertrag stehen muss.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Dabei will ich durchaus zugestehen: Längst nicht alles, was in den letzten Jahren in den Markt gegeben worden ist, war falsch. Für den Verbraucher hat sich manches im liberalen Wettbewerb als kostengünstig erwiesen. Manches war richtig. Aber ich plädiere dafür nachdem Telefonie, Kommunikation, Strom und Gas sowie die Finanzwirtschaft und wohl ebenfalls das Postwesen abgehakt sind , dass in den Bereichen Wasser, Abwasser, öffentlicher Nahverkehr, im Gesundheitswesen, im Notarwesen und im Rundfunkwesen zwischen Europa und den Ländern, den nationalen Mitgliedsstaaten, klargestellt wird: Wo ist unsere Tätigkeit noch erlaubt, und wo ist der Markt nach Richtlinien der Europäischen Union die Perspektive, auf die man sich einstellen muss?

Aktuell nenne ich das Thema Notarwesen: Im März hat der Europäische Gerichtshof durch Beschluss unsere Notargebühren in Baden-Württemberg in einem wichtigen Teil als rechtswidrig bezeichnet, indem er sagte: Wenn Gebühren für eine Beurkundung bei Körperschaften, einer AG, einer GmbH, mehr Einnahmen bedeuten, als beim Staat im Notarwesen an Kosten entstehen, wenn sich also eine indirekte Haushaltseinnahme, eine Art Steuer daraus entwickelt hat, dann ist dies rechtswidrig. Ich möchte prophezeien, dass dies nicht der erste Einschuss, nicht der erste Anschlag, nicht das erste und letzte Problem im Bereich des baden-württembergischen und des deutschen Notarwesens bleibt. Ich meine, dass zum Beispiel bei Wasser und Abwasser durchaus über Liberalisierungen nachgedacht werden kann, wenn die Qualitätssicherung gelingt. Aber das Notarwesen ist doch als eine klassische Verwaltungsaufgabe, als eine Aufgabe der Rechtssetzung vor Ort nie und nimmer ein Markt, wo die EU mit Wettbewerbskriterien, mit Liberalisierung und mit solchen Urteilen in Zukunft ihre Kompetenz behaupten soll.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Ich will den Katalog abschließen. Meine Prognose ist: Das deutsche Kammerwesen, die Handwerksrolle sowie die angestammten freien Berufe mit ihren Kammern, ihrer Berufszulassung und Berufsausübung, all diese Bereiche geraten zunehmend in das Prüffeld der Europäischen Union. Ich behaupte, dass diese Berufe, diese Branchen und diese Bereiche nicht blanke Marktwirtschaft, sondern neben dem Markt auch Ordnung und zum Teil Kultur, zum Teil innere Ordnung, zum Teil Strukturpolitik darstellen und jedenfalls auch in Zukunft und mehr als bisher abgestimmt Länderaufgabe und Kommunalaufgabe sind.

(Beifall bei der CDU)

Wenn dann die Kompetenzordnung steht, geht es um die Frage, wie sie eingehalten wird. Auch dies ist ein wichtiger Punkt: Wie kann man absichern, dass die Kompetenzordnung von niemandem verletzt wird oder, konkreter gesagt, dass die europäische Ebene sich nicht Aufgaben greift, die gemäß der Kompetenzordnung nach unserer Überzeugung Ländersache sind? Ich schlage vor, dass ein Klageweg vor dem Europäischen Gerichtshof geschaffen wird und dass im Europäischen Gerichtshof eine Kammer für Kompetenzfragen diese Konflikte klären soll. Vor dem Inkrafttreten einer Richtlinie bevor das, was die Europäische Union behauptet, Rechtskraft erlangt muss das Klagerecht bestehen und eine Klageentscheidung kommen.

Im Gegensatz zu einer Stellungnahme, die am Freitag im Europäischen Parlament beraten wird, will ich ausdrücklich dafür plädieren, dass das Klagerecht nicht nur einer Minderheit von Mitgliedsstaaten, sondern jedem Mitgliedsstaat und innerhalb der Föderalstaaten auch den zur Gesetzgebung befugten Ländern, die Staatlichkeit haben den Bundesländern in Deutschland , zustehen muss, dass ihnen der Klageweg offen sein und für sie ein Klagerecht bestehen muss.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Satz zum Thema, wie sich die Europäische Union finanziert. Auf europäischer Ebene wird zunehmend ein Steuerfindungs- und Steuererhebungsrecht reklamiert, also eine Möglichkeit, selbst zu entscheiden, auf was man Steuern erhebt, und selbst die Einnahmen zu bestimmen. Damit kommt indirekt eine weitere Staatsquote, eine europäische Staatsquote auf den Verbraucher und Steuerzahler zu.

Ich meine, dass die Europäische Union Aufgaben erfüllt, die ihr zugewiesen werden, und dass sie eine volle Finanzierung zugesichert bekommen muss. Aber ich glaube, dass die Mittelzuweisungen der Mitgliedsstaaten das heißt, Gelder aus den nationalen Haushalten in den EUHaushalt auch in Zukunft die richtige Finanzierungsform sind. Deswegen lehnen wir ein Steuerfindungs- und Steuererhebungsrecht der europäischen Ebene auch in der künftigen neuen Verfassungsordnung entschieden ab.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Die Europäische Union hat für Baden-Württemberg einen besonderen Stellenwert. Ich erwähne dies, weil die Europäische Union auch in Zukunft zuallererst auf der Verantwortung und Partnerschaft Deutschlands und Frankreichs aufgebaut bleibt und in Deutschland die längste Außengrenze und heute die längste Partnergrenze, die längste Partnerbeziehung zwischen Baden-Württemberg und Frankreich besteht. Ich sage dies ganz bewusst hier in Karlsruhe; denn die Perspektive von Karlsruhe und der badischen Rheinschiene hängt im besonderen Maße von einer offenen, partnerschaftlichen, friedlichen und wirtschaftlich erfolgreichen Entwicklung Europas ab.

Die Debatte um die europäische Verfassung, um den Verfassungsvertrag, die Debatte im Konvent der Europäischen Union hat für Baden-Württemberg und für die Landespolitik einen besonders hohen Stellenwert. Ich wünsche unserem Vertreter, dem Ministerpräsidenten, für die Durchsetzung wesentlicher Positionen, die aus dem Beschluss der Regierung ersichtlich sind, schon jetzt Erfolg und sage ihm unsere Unterstützung, die Unterstützung der CDU-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg, mit allem Nachdruck zu.

(Anhaltender Beifall bei der CDU und Abgeordne- ten der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Maurer.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Ich finde es schön, dass wir gerade heute in Karlsruhe eine Europadebatte führen, in einer Stadt und in einem Raum im Zentrum dieses werdenden Europas, in einer Stadt und in einem Raum, die große Zukunftschancen haben werden, besonders große Zukunftschancen, wenn uns diese Vision von Europa gelingt.

Ich finde es übrigens auch schön das will ich gleich sagen , dass der Kollege Oettinger den Kollegen Salomon und Kretschmann gratuliert hat. Das ist eine der wenigen Passagen, lieber Kollege Oettinger, wo Sie mich vollständig überzeugt haben.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Wir schließen uns diesen Glückwünschen mit Tiefe und Aufrichtigkeit an.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es ist entscheidend, wie wir den Menschen in Europa den Gedanken der Europäischen Union nahe bringen. Da kommt es wirklich sehr auf den Ton an, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es kommt darauf an, ob es uns gelingt das ist überreif, lieber Kollege Blenke , die Chancen, die in dieser Europäischen Union, in dieser großen Vision liegen, den Menschen auch mit Begeisterung nahe zu bringen, sodass sie spüren, dass wir selber auch mit unserem Herzen daran hängen. Deswegen müssen wir damit beginnen, uns zu vergegenwärtigen, dass Europa zuerst eine Wertegemeinschaft ist. Europa ist das Erbe der Antike. Europa sind die Gedanken der Renaissance. Europa sind die Ideale der Französischen Revolution. Wir müssen zuerst einmal anfangen, wieder über solche Dinge zu reden, bevor wir in irgendwelche krämeri

schen Debatten „mir gebet nix“, „mir gebet was anderes“ geraten.

(Beifall bei der SPD)

Die Politik trägt ein erhebliches Maß an Mitschuld daran, dass es uns bisher nicht gelungen ist, ein genügendes Maß an berechtigter Begeisterung für die Idee der europäischen Einigung zu wecken. Was lesen denn die Leute in den Zeitungen? Sie lesen: „Streit über Subventionen“, „Wir kriegen nicht genug“, „Wir wollen noch mehr“. Sie lesen: „Streit über Kompetenzen“, sie lesen von Nachtsitzungen über Zusammenhänge, deren Kleingeistigkeit sie überhaupt nicht nachvollziehen können. Wenn das der ausschließliche Eindruck von Europa ist, dann muss man sich über niedrige Wahlbeteiligungen nicht wundern.

Wir müssen unseren Menschen sagen: Gerade in dieser Welt, die nach einer schlechten alten Ordnung erst noch eine neue Ordnung finden muss, in dieser Welt, in der der Kampf der Kulturen wirklich eine Gefahr ist, in dieser Welt, in der es auch eine Überforderung der Vereinigten Staaten bedeutet, wenn man sie zum Weltpolizisten erklärt und zur einzigen Ordnung dieser Welt, in dieser Welt der wachsenden Unsicherheit ist die Europäischen Union, sind die „Vereinigten Staaten von Europa“ so haben wir das einmal im Jahr 1925 formuliert eine ganz große Chance, Sicherheit, soziale Sicherheit, außenpolitische Sicherheit, innere Stabilität zu gewinnen. Das muss in den Mittelpunkt unserer Aussagen und Debatten gerückt werden.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Wir stehen da in der Tat vor zwei entscheidenden Jahren. Die Gegentendenzen sind ja sehr wohl spürbar, auch in den europäischen Ländern.

(Abg. Oettinger CDU: Schröder!)

Das war ein schwerer Fehler von Ihnen, lieber Kollege Oettinger. Ich werde darauf noch zurückkommen.

Entweder es gelingt uns, diese Vision des europäischen Bundesstaats in diesem Verfassungsprozess ein ganzes Stück weit durchzusetzen, oder es gewinnen die Kräfte in Europa, die in nationalstaatliche Vorstellungen mit rassistischen Untertönen zurückfallen, die Oberhand. Es gibt keine schrecklichere Vorstellung, als in dieser Welt der Unsicherheit, in der wir derzeit leben mit fundamentalistischen Gefahren, mit Bedrohungen, mit einer großen Zahl an Kriegen und Bürgerkriegen , in die Kleinstaaterei in Europa, in den Nationalstaat, in die Unfähigkeit, auf die Geschicke der Welt Einfluss zu nehmen, in das dumpfe Brüten in diesen Vorstellungen zurückzufallen.