Protocol of the Session on March 7, 2002

Hierzulande klopft man sich wegen unserer Spitzenposition in Technologie und Wissenschaft und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft ja gern auf die Schulter. Untrennbar dazu gehört aber auch ein weltoffenes Klima ohne Wenn und Aber.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU und der SPD Abg. Wieser CDU: Sehr gut!)

Der Weg zur Einwanderungsgesellschaft muss deshalb von der Politik unterstützt und begleitet werden. Versäumte Integrationspolitik der vergangenen Jahrzehnte besonders im Hinblick auf Bildung wirft Folgeprobleme auf, die mit der Zeit umso schwerer zu bewältigen sind. Die Ergebnisse der PISA-Studie müssen auch in diesem Licht bewertet werden.

(Zuruf des Abg. Wieser CDU)

Dass dies als eine gemeinsam zu bewältigende Herausforderung zu begreifen ist, habe ich der heutigen Regierungserklärung entnommen. Ich halte das für einen guten Schritt nach vorn.

Ich freue mich zum Beispiel darüber, dass Sie über Ausländer und Aussiedler in Baden-Württemberg nicht mehr in fein säuberlich voneinander getrennten unterschiedlichen Kategorien sprechen, sondern unabhängig von einem vorliegenden Pass den Handlungsbedarf dort definieren, wo Integrationsprobleme auftreten. Wenn sich diese Haltung auch in einer entsprechenden Angleichung der finanziellen Anstrengungen niederschlägt, wird es noch besser.

Es ist wichtig, Ausländer nicht nur als Zumutung und Quelle von Problemen anzusehen, sondern ihren Beitrag zur kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung des Landes wahrzunehmen. Besondere Verantwortung kommt der

Politik in diesem Zusammenhang zu, nicht die einfachen Weltbilder und Emotionen zu bedienen.

Aus diesem Grund begrüße ich es, dass Sie heute die „Islamische Charta“ des Zentralrats der Muslime in Deutschland eine Grundsatzerklärung vom 20. Februar dieses Jahres über die Beziehung der Muslime zur Gesellschaft und zum Staat angesprochen haben. Sie beinhaltet auch als Folge des 11. September das Bekenntnis zum Grundgesetz und zu den Menschenrechten.

(Abg. Wieser CDU: Sehr gut!)

Sie fordert die hiesige muslimische Bevölkerung auf, Deutschland nicht nur als Lebensmittelpunkt, sondern auch als Mittelpunkt ihres Interesses und ihrer Aktivität zu begreifen. Sie setzt sich für die Integration der muslimischen Bevölkerung in die Gesellschaft ein unter Bewahrung ihrer islamischen Identität , und sie unterstützt alle Bemühungen, die in Richtung Sprachförderung und Einbürgerung gehen.

Dies hat ohne Zweifel Signalwirkung in die muslimischen Gemeinschaften und in die bundesdeutsche Öffentlichkeit hinein. Das sollte umgekehrt aber auch uns ermutigen, die Einführung von islamischem Religionsunterricht in deutscher Sprache an unseren Schulen nicht länger auf die lange Bank zu schieben.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Wir schlagen außerdem vor, einen Lehrstuhl für islamische Theologie an einer baden-württembergischen Universität auszuschreiben, um die Herausbildung einer eigenen muslimischen Identität in Europa zu unterstützen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Das Bekenntnis der Landesregierung, Integrationspolitik als ressortübergreifende Aufgabe zu begreifen, wurde heute mit der Aufzählung von vielen, vielen Einzelmaßnahmen untermauert. Diese Projekte und Aktivitäten wurden aus dem Sozialministerium, dem Innenministerium, dem Wirtschaftsministerium, dem Kultusministerium und vom Ausländerbeauftragten zusammengetragen.

Die Unübersichtlichkeit dieser Einzelmaßnahmen ist ein nachdrücklicher Beleg dafür, dass es höchste Zeit ist, Integrationspolitik aus einem Guss zu konzipieren und systematisch weiterzuentwickeln. Sie wollen hierfür eine Koordinierungsrunde der mit Integrationsmaßnahmen befassten Ressorts etablieren, und Sie haben einen Landesarbeitskreis Integration angekündigt, um die kommunale Seite sowie Institutionen und Verbände einzubeziehen. Schön! Jetzt fehlt nur noch, dass Sie auch das Parlament einbeziehen. Wir Grüne fordern deshalb einen regelmäßigen Integrationsbericht der Landesregierung, der mehr ist als eine lange Liste von Aktivitäten. Spannend wird es doch erst dann, wenn die systematische Fortschreibung sichergestellt ist, wenn integrationspolitische Ziele definiert werden und geeignete Maßnahmen zu deren Umsetzung gesucht werden.

(Abg. Wieser CDU: Und sich die Bundesregierung daran hält!)

Außerdem empfehlen wir dringend, Migranten und deren Organisationen an der Weiterentwicklung der Arbeit direkt zu beteiligen. Denn dort sind sehr viel Erfahrung und Engagement abzuholen. Die Teilhabe am sozialen, politischen und kulturellen Leben sollte nicht nur proklamiert werden. Hier haben Sie einen konkreten Ansatzpunkt dazu.

Die Liste der heute vorgestellten Maßnahmen ist im Einzelnen allerdings enttäuschend. Sie sind fast ausnahmslos altbekannt und Fortschreibungen früherer Aktivitäten. Ausnahmen bilden lediglich die Integrationskurse und das Modellprojekt „Eingliederungslotse und Eingliederungsvereinbarung für Spätaussiedler“. Es gibt vier dieser Projekte im Land, und zwar nur für Spätaussiedler. Warum eigentlich nicht auch für die anderen?

(Abg. Inge Utzt SPD: Genau!)

Der finanzielle Aufwand mit 11 Millionen € im Jahr 2001 bleibt angesichts der Größe der Herausforderung eher ein Nasenwasser. Im neuen Doppelhaushalt haben Sie die Mittel für integrationspolitische Maßnahmen nicht ausgeweitet, sondern gekürzt. Besonders zu erwähnen sind die sachlich nicht zu begründenden Kürzungen für die Ausländersozialberatung um 20 %. Die bescheidenen Mittelzuwächse, die existieren, gehen sämtlich auf das Konto der Landesstiftung. Das bedeutet aber, dass die Fortführung der Maßnahmen und ihre Überführung in eine Daueraufgabe der Landespolitik keineswegs gesichert sind. Gerade die Integrationskurse, die ja bei weitem noch nicht flächendeckend angeboten werden, müssen als Daueraufgabe begriffen werden, wenn sie denn Wirkung entfalten sollen.

Wenn Sie es damit ernst meinen, Integrationskurse verpflichtend und flächendeckend einzuführen, kann ich nur raten, Ihre Blockadehaltung gegen das Zuwanderungsgesetz aufzugeben und im Bundesrat dem vorgeschlagenen Kompromiss zuzustimmen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Nur so wird der Weg frei gemacht für einen gesetzlichen Anspruch auf Integration, und das heißt auch für einen finanziellen Einstieg des Bundes in die allgemeine Sprachförderung.

Ehrliche Integrationspolitik darf sich nicht darauf beschränken, vordergründig zu präsentieren: Schaut her, was wir schon alles gemacht haben. Sie muss sich auch etwas vornehmen, und sie braucht auch den Mut, Schwächen ins Auge zu sehen und daran zu arbeiten. Hierzu will ich zwei Stichworte nennen.

Zum einen: PISA. Unabhängig von der noch ausstehenden bundeslandspezifischen Auswertung steht ein Ergebnis schon fest, und dieses ist sehr bedenklich: Der Anteil der Schüler mit Leistungen unterhalb der untersten Kompetenzstufe ist in Deutschland besonders groß. Offensichtlich gelingt es uns in Deutschland besonders schlecht, Schüler mit schlechten sozialen Voraussetzungen gut zu fördern, und wir wissen alle, dass Migranten in dieser Gruppe einen großen Anteil ausmachen. PISA hat auch gezeigt, dass das nicht der zwangsläufige Preis ist, den ein Einwanderungsland zahlen muss; denn gerade klassische Einwanderungsländer wie Kanada oder Australien, aber auch neue Ein

wanderungsländer wie England, Frankreich oder Österreich haben bessere Ergebnisse vorzuzeigen.

Deshalb brauchen wir größeres Engagement bei der frühen Sprachförderung schon im Kindergarten und am besten unter Einbeziehung der Mütter. Ihr Engagement an dieser Stelle hat, wenn man den finanziellen Aufwand anschaut, eher die Funktion einer Beruhigungspille oder ist der Versuch, homöopathische Dosierungen auf politische Programme anzuwenden.

(Beifall bei den Grünen)

Zur Erinnerung: Im Doppelhaushalt haben die Grünen einen Antrag zur Förderung von Sprachkursen im vorschulischen Bereich und zur Integration von Müttern eingebracht, der hier keine Mehrheit fand.

Es zeigt sich auch, dass es für die Sprachentwicklung von Migrantenkindern wichtig ist, sich einen großen Teil des Tages in einem Raum zu bewegen, in dem sie Anregungen in deutscher Sprache erhalten und selbst deutsch sprechen können, wie etwa in einer echten Halbtagsschule, in der nicht nur unterrichtet wird, sondern auch Zeit für soziale Kontakte und Sprechsituationen bleibt. Dies ist gerade für Migrantenkinder unverzichtbar. Deshalb sind Ganztagsangebote auch unter dem Gesichtspunkt der Sprachförderung so wichtig.

(Abg. Wieser CDU: Die Ganztagsschule ist das Allheilmittel für alles!)

Ein zweiter Aspekt: Ausbildungsqualität. Der Landeshandwerkspräsident Klaus Hackert, den Sie sicher kennen, trat kürzlich vor die Presse und warnte vor einem weiteren Rückgang der Quote ausländischer Auszubildender in Baden-Württemberg. Seit 1994, als die Quote noch bei fast 20 % lag, ist sie inzwischen auf 14,7 % gefallen, und das bei einer erheblichen Zahl offener Lehrstellen. Als Grund nannte er neben Informationsmängeln auch Bildungsdefizite und warb für mehr Engagement in Sachen Sprachförderung.

Die Politik steht am Anfang, ihre betont passive Haltung in Sachen Integrationspolitik aufzugeben. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass erst einmal eine entsprechende Infrastruktur aufgebaut wird, die die geforderte Verbindlichkeit ermöglicht. Sie haben alle eingeladen, den Weg der Integrationspolitik mitzugehen. Wir sind dabei, wenn es ein ehrlich gemeintes Angebot ist, wenn die Politik ehrlich gemacht wird und leistungsorientiert ist, das heißt, wenn sie sich am tatsächlichen Erfolg ihrer Maßnahmen orientiert und nicht am Verkaufswert in Wahlkämpfen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Heinz.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Integration, Qualifizierung und Weiterbildung der hier lebenden Menschen hat Vorrang vor einer Zuwanderung aus wirtschaftlichen Gründen.

(Beifall bei der CDU)

So steht es in der Begründung des Antrags der SPD-Fraktion, Drucksache 13/432, vom 8. November 2001.

(Lachen bei der CDU Abg. Wieser CDU: Die klatschen noch nicht einmal beim eigenen Antrag! Schade!)

Da hätten Sie klatschen sollen; Sie wissen das. Dieser Aussage kann ich für die CDU-Fraktion uneingeschränkt zustimmen. Baden-Württemberg hat auch in der Vergangenheit zahlreiche Integrationshilfen angeboten, die es vielen Ausländern und Spätaussiedlern erleichtert haben, sich in unserer Gesellschaft zurechtzufinden. Auch die Kommunen, die Wohlfahrtsorganisationen und auch Private leisten hier wichtige Beiträge.

Der Minister hat es angesprochen: Wir haben als erstes Bundesland im Jahr 2000 im Bundesrat ein Integrationsgesetz eingebracht, in dem allerdings klar zum Ausdruck kam, dass Ausländer, die berechtigterweise einreisen und auch einen Daueraufenthalt erlangen, grundsätzlich verpflichtet werden, an einem Integrationskurs teilzunehmen, ganz nach der Maxime „Fördern und fordern“. Leider hat dieser Gesetzentwurf im Bundesrat keine Mehrheit erhalten.

(Zuruf von der SPD: Zu Recht!)

Die CDU-Fraktion unterstützt die Landesregierung in ihrem Bemühen, die Integration von bleibeberechtigten Ausländern und die Eingliederung von Aussiedlern weiter zu verbessern. Wir begrüßen die Einrichtung eines Landesarbeitskreises Integration. Wir erfüllen damit auch einen Wunsch der Verbände der freien Wohlfahrtspflege. Ich finde, es ist richtig, dass wir die Fachkompetenz der einzelnen zuständigen Ministerien, den Landesbeauftragten für Spätaussiedler, den Ausländerbeauftragten, die kommunale Seite und die Verbände der Wohlfahrtspflege bündeln mit dem Ziel, innovative Lösungen zur Integration voranzubringen.

Auf die Leitlinien, die der Minister angesprochen hat, will ich nicht näher eingehen. Eines ist jedoch klar: Integration braucht Sprache. Die Beherrschung der deutschen Sprache ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Integration, nicht nur für die alltägliche Kommunikation denken Sie auch an die Schul- und Berufsausbildung, den Erfolg am Arbeitsplatz und letztendlich an die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Die katastrophalen Folgen unzureichender Deutschkenntnisse wurden durch die PISA-Studie eindrucksvoll dargestellt.

(Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)

Man hat fast den Eindruck, dass ohne angemessene Deutschkenntnisse nicht nur die Integration der Migranten zu scheitern droht, sondern dass in der Generationenfolge das Niveau der Deutschkenntnisse aller Schulabgänger sinkt, was uns sehr nachdenklich stimmen muss.

Klar ist auch, dass die Maßnahmen viel Geld kosten. Aus dem Etat des Landes kommen dafür 11,6 Millionen und aus dem des Kultusministeriums noch einmal rund 31 Millionen. Ich nenne auch die neuen Projekte, die vom Innenministerium angedacht worden sind und die sogar Sie, Frau