Protocol of the Session on November 14, 2001

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 12. Sitzung des 13. Landtags von Baden-Württemberg und begrüße Sie. Ich darf Sie bitten, die Plätze einzunehmen und die Türen zu schließen.

Krank gemeldet ist heute Herr Staatssekretär Mappus.

Meine Damen und Herren, eine Zusammenstellung der E i n g ä n g e liegt vervielfältigt auf Ihren Tischen. Sie nehmen davon Kenntnis und stimmen den Überweisungsvorschlägen zu. – Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Im Eingang befinden sich:

1. Mitteilung der Rechnungshofs und des Innenministeriums vom 30. Oktober 2001 – Untersuchung der Steuerungs- und Unterstützungsleistungen bei den Ministerien des Landes – Drucksache 13/386

Überweisung an den Innenausschuss und federführend an den Finanzausschuss

2. Mitteilung des Wirtschaftsministeriums vom 31. Oktober 2001 – Wohnungsbau 2002 – Bericht und Leitlinien zur Wohnraumförderung – Drucksache 13/433

Überweisung an den Wirtschaftsausschuss und federführend an den Finanzausschuss

3. Mitteilung der Landesregierung vom 2. November 2001 – Wege zur Osterweiterung der Europäischen Union – Beschluss der Landesregierung zur EU-Osterweiterung vom 25. September 2001 – Drucksache 13/385

Überweisung an den Ständigen Ausschuss

Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Konsequenzen aus der aktuellen Konjunktur- und Arbeitsmarktentwicklung für die Wirtschaftspolitik in Bund und Land – beantragt von der Fraktion der FDP/DVP

Die Gesamtdauer der Aktuellen Debatte beträgt 40 Minuten ohne Anrechnung der Redezeit der Regierung. Für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und für die Sprecher der zweiten Runde gilt jeweils eine Redezeit von fünf Minuten.

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Hofer.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir von der FDP/DVP-Fraktion haben diese Debatte beantragt, weil wir tief besorgt sind über die zunehmende Verschlechterung der Konjunkturlage – eine Sorge, die von den Verantwortlichen in der Wirtschaft, von den Wirtschaftsinstituten, von den Wirtschaftsverbänden geteilt wird – und weil wir den Eindruck haben, dass die Bundesregierung nicht gewillt ist, das volle Ausmaß der Situation wahrzunehmen, und ihr deshalb auch nicht entgegensteuert.

Die so genannte Politik der ruhigen – sprich der eingeschlafenen – Hand

(Abg. Wieser CDU: Sehr gut!)

erweist sich als nichts anderes als die Politik des Aussitzens.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Wir wollen mit dieser Debatte dazu beitragen, dass der Druck auf die Bundesregierung erhöht wird, endlich entsprechend tätig zu werden. Die Faktenlage, meine Damen und Herren, ist evident. Sämtliche relevanten Konjunkturdaten gehen zurück. Die Arbeitslosigkeit sinkt nicht, sie wird sogar höher sein, als sie der Bundeskanzler bei seinem Amtsantritt vorgefunden hat, und am Abbau der Arbeitslosigkeit wollte er sich ja ursprünglich einmal messen lassen.

Auch bei den Lohnzusatzkosten ist es ähnlich. Sie alle kennen das gegenwärtige Drama bei den Rentenbeiträgen. Von wegen, dass die Ökosteuer hier irgendetwas reduzierte – die Tendenz geht nach oben. Der Arbeitsminister plündert die Reserve und riskiert eine Rente auf Pump,

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

die Gesundheitsreform wird ausgeklinkt bis nach den Wahlen, und das Wachstum geht immer weiter zurück. Jetzt sind wir bei noch 0,6 %. Heute wird dem Bundeskanzler das Gutachten der „Fünf Weisen“ vorgelegt: von wegen Aufschwung im nächsten Jahr, es soll bei 0,7 % bleiben. Die Blütenträume der Bundesregierung sind aber nach wie vor doppelt und dreimal so hoch.

Ich frage mich, was die Bundesregierung zum Gegensteuern tut. Die Antwort lautet: nichts – und dies, obwohl die Bundesregierung genau weiß, dass Deutschland in Sachen Wachstum im EU-Raum an letzter Stelle liegt. Es ist auch

völlig klar, dass die Diskussion, ob wir uns in einer Rezession befinden oder nicht, müßig ist. Die Daten sind jedenfalls so schlecht wie seit 1993 nicht mehr.

Natürlich wird nicht verkannt, dass wir eine weltweite Wirtschaftsflaute haben, und die Tragödie des 11. September hat dazu beigetragen, dass die Auftragseingänge insbesondere im Industriebereich rückläufig sind. In den USA gibt es schon seit Monaten kein Wachstum mehr. Aber vieles ist eben, meine Damen und Herren, hausgemacht. Schon im dritten Quartal des letzten Jahres waren die Zahlen bei der Konsumnachfrage und bei der Investitionsnachfrage rückläufig. Wir haben vor der Sommerpause auf diese Sachlage hingewiesen. Damals haben Sie von der Opposition noch von Schwarzmalerei gesprochen und gesagt, alles werde viel besser werden. Aber es ist alles noch viel schlimmer geworden, meine Damen und Herren. Das besonders Schlimme an der Situation ist, dass die Bundesregierung nicht nur nichts tut, sondern dass das, was sie mit ihrer Mehrheit im Bundestag hinbringt, auch noch kontraproduktiv ist.

(Abg. Fleischer CDU: So ist es!)

Ich muss es einfach wiederholen: Verschärfung des Kündigungsschutzes, Ausbau der Lohnfortzahlung, Neuregelung der 630-DM-Jobs, Scheinselbstständigkeit, Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit, Erschwerung befristeter Arbeitsverträge, Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes.

(Abg. Bebber SPD: Sie sind ja ein richtiger Jam- merlappen!)

Bei Lichte betrachtet hat das alles außer Kosten und Bürokratie niemandem etwas gebracht.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Es ist aber eine kräftige Dosis Gift

(Zuruf des Abg. Drautz FDP/DVP)

für diejenigen, die investieren und neue Arbeitsplätze schaffen wollen.

Auch das neue Job-AQTIV-Gesetz wird keine Trendwende bringen. Im Gegenteil, die dort vorgesehene Förderung des zweiten Arbeitsmarkts bei Infrastrukturmaßnahmen ist eine schallende Ohrfeige für den Mittelstand, der dies mit dem ersten Arbeitsmarkt zu erledigen hat. Das ist kontraproduktiv.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Auch wir wollen keine steuerfinanzierten Konjunkturprogramme, wie sie die Gewerkschaften wollen. Wir wollen keine weitere Erhöhung der Neu- und der Gesamtverschuldung, sondern wir wollen, dass man dort, wo eine Gesamtfinanzierung vorhanden ist, Investitionen vorzieht oder austauscht. Wir können uns auch gezielte und begrenzte Abschreibungsmöglichkeiten für gewerbliche Investitionen vorstellen. Deren Schaffung liegt auf Halde. Sie müsste man angehen.

Auf jeden Fall – damit komme ich in der ersten Runde zum Schluss – sind neue Steuern, meine Damen und Herren,

Gift, ob es die Tabaksteuer ist oder die Versicherungsteuer. Ceterum censeo: Die Ökosteuer gehört weg.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Jedenfalls gehört die nächste Stufe nicht realisiert. Schon die wieder aufgeflammte Diskussion um eine neue Vermögensteuer ist fatal, wie sie fataler gar nicht sein könnte. Wir vermissen die klare Absage durch die Bundesregierung.

Noch ein Wort: Wir wollen und brauchen eine grundlegende Reform des Arbeitsmarkts, damit endlich mehr Flexibilität eintritt.

(Abg. Capezzuto SPD: So, wie ihr es in den Sech- zigerjahren gemacht habt!)

Die Subventionierung brauchen wir bei Niedriglöhnen, zum Beispiel über Kombilöhne. Wir brauchen eine konsequente Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen, so, wie das bei uns in Baden-Württemberg vorbildlich und mit Erfolg gemacht wird, und eben nicht die Bevorzugung der Kapitalunternehmen gegenüber den Personengesellschaften.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Drautz FDP/DVP: Genau, das ist der Punkt!)

Letzter Satz: Ohne solche Reformschritte bleibt es in Deutschland bei einer stagnativen Tendenz und werden wir in die Gefahr geraten, tatsächlich in eine Rezession hineinzuschlittern, sogar mit der Möglichkeit einer Depression, und dieses gilt es zu verhindern. Wenn das die Bundesregierung nicht will oder nicht kann, wäre das ein weiterer Grund, sie abzulösen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Birk.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Hofer hat es bereits angesprochen: Die Wachstumsprognosen der Bundesregierung zerplatzen wie Seifenblasen. Im Frühjahr 2001 noch eine Prognose von 2,75 %, für 2002 2,25 %. Was ist daraus geworden? Die jüngste Prognose des Sachverständigenrats, erst heute in der Zeitung zu lesen: 0,7 % für dieses Jahr und 0,7 % für nächstes Jahr.

Diese Entwicklung kommt nicht überraschend, sondern hat sich bereits seit längerem angekündigt. Seit Anfang 2000 erleben wir einen Rückgang des Wirtschaftswachstums von Quartal zu Quartal, und im dritten Quartal haben wir den Stillstand erreicht. Deutschland ist seit zwei Jahren Schlusslicht beim Wirtschaftswachstum in Europa, weit abgeschlagen hinter anderen Ländern wie Frankreich, Spanien, selbst wie Belgien. Im Durchschnitt der Euroländer beträgt das Wirtschaftswachstum im nächsten Jahr über 1 %, bei uns bleibt es unterhalb 1 %.

Die eigentlichen Ursachen sind in vielen Bereichen hausgemacht.