Protocol of the Session on October 25, 2001

(Beifall bei den Grünen)

Zweitens: Zunächst ist es Aufgabe der Betreiber, die bestehende Sicherheitslücke zu schließen. Daher soll die Landesregierung von den Betreibern ein Konzept einfordern, wie diese diese Sicherheitslücke schließen wollen. Meine Fraktion ist dabei wie auch das Umweltministerium der Meinung, dass eine Nachrüstung der Kraftwerke kaum möglich ist, sondern dass Sicherheit vorrangig durch Maßnahmen im Flugverkehr erreicht werden kann. Die Stichworte lauten: Flugsheriffs, Sicherheitsverriegelung zum Cockpit und was es derlei mehr gibt.

Solange diese Maßnahmen aber nicht umgesetzt sind, besteht die Sicherheitslücke fort, und die vom Atomgesetz geforderte Vorsorge ist nicht gewährleistet.

Drittens: Bis neue Sicherheitskonzepte greifen, fordern wir die vorübergehende Stilllegung der Atomkraftwerke in Baden-Württemberg auf der Basis von § 19 Abs. 3 des Atomgesetzes. Wir sind uns dabei im Klaren, dass auch abgeschaltete Atomkraftwerke nicht risikolos sind, solange sich das gefährliche radioaktive Inventar nach wie vor im Reaktor befindet, aber – darauf weist auch die Reaktorsicherheitskommission hin – die Beherrschung eines Störfalls wird leichter. Ich darf aus der Stellungnahme der Reaktorsicherheitskommission vom 11. Oktober zitieren. Dort heißt es:

Als kurzfristig realisierbare Möglichkeit ist im Bedrohungsfall das Abfahren der Anlagen in den kalten, unterkritischen Zustand durchführbar.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Im Bedrohungsfall!)

Durch die nach der Abschaltung verminderte Nachzerfallsleistung und die bereits kalten, drucklosen Systeme stehen längere Karenzzeiten für Notfallmaßnahmen zur Verfügung. Offen bleibt die Frage, welche Maßnahmen nach einem derartigen Ereignis aufgrund der zu erwartenden Beschädigung der Anlage noch möglich sind.

Die Landesregierung bezieht sich in ihrer Stellungnahme zu dieser Forderung auf ein Schreiben des Bundesumweltministeriums, in dem mitgeteilt wird, dass ein terroristischer Anschlag auf ein Atomkraftwerk derzeit eher als un

wahrscheinlich anzusehen ist. Abgesehen davon, dass die Formulierung „eher als unwahrscheinlich“ sehr schwammig ist, verdeckt diese Antwort, in der die Landesregierung auf die Bundesregierung verweist, die Tatsache, dass für die Atomaufsicht zunächst einmal das Land zuständig ist. Das Land muss das Atomgesetz umsetzen, und der Landesumweltminister muss zusammen mit seinem Kollegen Innenminister entscheiden, ob eine Stilllegung erforderlich ist oder nicht. Das heißt, hier ist konkret das Land gefordert.

(Beifall bei den Grünen)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss noch eine Bemerkung zum Antrag der SPD-Fraktion machen. Die Sicherheitslücke, von der ich eben sprach, besteht bei allen Atomkraftwerken. Daher beschränken wir uns in unserem Antrag nicht nur auf die älteren Atomkraftwerke, wie es die SPD fordert, sondern wir beziehen alle Atomkraftwerke ein.

(Abg. Drexler SPD: Ganz Deutschland abschal- ten!)

Liebe Kollegen von der SPD, für mich ist auch nicht nachvollziehbar, dass von der SPD gefordert wird, hier im Ländle nur die älteren Atomkraftwerke abzuschalten, dass Kollege Puchta aber gleichzeitig sagt, am Hochrhein, auf der Schweizer Seite sollten alle AKWs – ohne Rücksicht auf ihr Alter – ausnahmslos stillgelegt werden.

(Abg. Drexler SPD: Das hat er doch nicht gesagt! – Abg. Schmiedel SPD: Da ist eine Einflugschnei- se!)

Das passt doch nicht zusammen.

(Abg. Drexler SPD: Alle abschalten! Ganz Deutschland! Die ganze Welt!)

Meine Damen und Herren, ich will die Lage nicht dramatisieren, aber die Terroranschläge vom 11. September erfordern, Herr Drexler, neue Sicherheitskonzepte. Angesichts des fast unendlich hohen Schadens an Leben, Gesundheit und Sachgütern, den eine fliegende Bombe bei einer Kollision mit einem AKW zur Folge hätte, müssen wir handeln, auch wenn die Wahrscheinlichkeit für einen solchen Anschlag derzeit nur sehr gering ist. Aber wir müssen handeln. In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei den Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Dr. Caroli.

(Abg. Teßmer SPD: Walter, zeigs ihnen!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

(Abg. Bebber SPD: Mach das Pult runter, sonst gucken nur die Ohren raus!)

Zu den Risiken der Atomenergienutzung – zum Beispiel die ungeklärte Entsorgungsfrage, der Transport nuklearen

Abfalls und die Sicherheitsmängel in Atomkraftwerken – ist ein neues, gravierendes Risiko hinzugekommen: Die Gefahr durch bewusst herbeigeführte Terroranschläge auf atomare Anlagen.

Nach den schrecklichen Ereignissen des 11. September interessiert zuallererst die Frage, welche Auswirkungen terroristische Angriffe mit Flugzeugen auf Atomanlagen in Deutschland, in Baden-Württemberg oder in Grenznähe zu Deutschland hätten.

Die Lektüre der ersten, noch vorläufigen Stellungnahme der Reaktorsicherheitskommission hat mich betroffen gemacht. Ihr zufolge gibt es zwar einen gewissen Grundschutz für die baulichen Anlagen von Kernkraftwerken, dies allerdings nur bei neueren Auslegungen und unter der Voraussetzung bestimmter Szenarien – ich nenne den postulierten, zufallsbedingten Absturz einer schnell fliegenden Militärmaschine bei einer Aufprallgeschwindigkeit von ca. 774 km Kilometer in der Stunde. Bei Anlagen, die vor 1973 eine Teilerrichtungsgenehmigung erhalten haben, ist dieser Grundschutz nicht gewährleistet. Wir müssen uns ehrlich eingestehen, dass ein gezielter Angriff mit einem voll getankten großen Verkehrsflugzeug bisher nicht unterstellt worden ist und somit hierfür keine Untersuchungsergebnisse vorliegen. Bisherige Untersuchungen haben auch Kerosinmengen von allenfalls 5 Tonnen unterstellt – dabei müssten wir von 100 Tonnen ausgehen – und gingen von niedrigeren Aufprallgeschwindigkeiten aus, als sie im Falle von Terroranschlägen zu erwarten wären. Was das Kerosin anbelangt, haben wir ja Untersuchungsergebnisse von der internationalen Länderkommission Kerntechnik zu erwarten, die einen entsprechenden Untersuchungsauftrag von den Ländern Baden-Württemberg, Bayern und Hessen bekommen hat.

Wenn die Risiken auch differenziert gesehen werden müssen, lässt sich der Kenntnisstand so zusammenfassen:

Erstens: Die deutschen Atomkraftwerke sind gegen terroristische Anschläge von Selbstmordkommandos mit vollbetankten Flugzeugen nicht gesichert.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Nicht nur die deutschen!)

Da gebe ich Ihnen Recht, Frau Berroth. Aber wir reden jetzt im Augenblick über deutsche und insbesondere über baden-württembergische Anlagen.

Zweitens: Kurzfristige Möglichkeiten, das Schadensausmaß zu verringern, bestehen nicht.

Drittens: Über technische Nachrüstungsmaßnahmen besteht weitgehend Unklarheit.

Viertens: Über die Folgen etwaiger Angriffe auf Zwischenlager gibt es noch keine ausgearbeiteten Szenarien.

Fünftens: Das Abfahren des Atomkraftwerks im Gefahrenfall in den so genannten kalten und unkritischen Zustand verbessert zwar die Ausgangssituation für Notfallmaßnahmen. Durch das Abfahren wird aber das radioaktive Inventar nicht entscheidend reduziert.

Nun, Herr Kollege Witzel, müssen Sie einmal erklären, was es dann für einen Sinn haben soll, wenn Sie auf der ganzen Welt sämtliche Atomkraftwerke abschalten wollen, aber nach wie vor das radioaktive Material als tickende Zeitbombe in den abgeschalteten Kraftwerken zur Verfügung steht. Ich frage Sie, inwieweit das jetzt für unseren Zusammenhang von Bedeutung ist. Deswegen müsste man etwas differenzierter, glaube ich, an diese Fragestellung herangehen.

Meine Damen und Herren, angesichts der jetzt vorgetragenen Erkenntnisse – jetzt richte ich mich an die Damen und Herren von CDU und FDP/DVP –

(Abg. Dr. Carmina Brenner CDU: Wir haben sehr genau zugehört!)

sollten Sie doch endlich Ihre atomfreundliche Haltung überdenken.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Anstatt jetzt schon über die Einführung von Flugverbotszonen und über den Schutz der Anlagen mit Flugabwehrgeschützen und Raketen zu spekulieren, sollten Sie sich darüber klar werden, dass nur eines langfristig tatsächlich hilft:

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Abschalten!)

Meine Damen und Herren, der sicherste Schutz ist der geordnete Ausstieg aus der Kernenergie.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Wie- ser CDU: Wer sich scheiden lässt, hat keinen Är- ger mit der Frau! – Heiterkeit bei der CDU)

Bitte gestatten Sie mir, dass ich jetzt auf witzige Bemerkungen bei diesem Sachverhalt überhaupt nicht eingehe.

Nun weiß ich natürlich auch, dass sich der im Atomkonsens vereinbarte Ausstieg über Jahrzehnte hinzieht. Deswegen fordern wir eine Neubewertung der Sicherheit der Atomanlagen in unserem Land inklusive der atomaren Zwischenlager. Wenn die Untersuchungen ergeben, dass in Atomkraftwerken unzureichende bauliche Auslegungen und mangelhafte Notfallsysteme bestehen, sind diese Atomkraftwerke bei einer Verschärfung der Sicherheitslage abzuschalten. Wenn sicherheitstechnisch nicht nachgerüstet werden kann – dabei muss man wissen: eine solche Nachrüstung dauert Jahre und kostet mehrere hundert Millionen Mark pro Kraftwerk –, sollte auch unabhängig von konkreten Sicherheitslagen abgeschaltet werden.

Der Atomkonsens und die Atomgesetznovelle haben die Möglichkeit geschaffen, Strommengen zu übertragen, Herr Witzel. Sie teilen doch diesen Atomkonsens, wie Sie vorhin geäußert haben. Dann hätten Sie sich eigentlich in dieser Frage ähnlich äußern können.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Der war aber vor dem 11. September!)

Zu dem von uns verlangten Schutzkonzept, das von den Betreibern einzufordern ist, gehören vorbeugende Siche

rungsmaßnahmen auf den Flughäfen, technische investive Maßnahmen in Atomanlagen und organisatorisch-politische Maßnahmen der Atomaufsicht. Dabei sind grenznahe Anlagen in die Szenarien einzubauen. Das ist ein Punkt, den ich für besonders wichtig halte. Wir reden immer nur von baden-württembergischen oder deutschen AKWs, dabei gibt es in Grenznähe Richtung Schweiz oder Frankreich – AKW Fessenheim – durchaus auch Anlagen, die sehr wohl in die Szenarien einzubauen sind.

Es gibt uns natürlich allen zu denken, dass es die Reaktorsicherheitskommission als wirksamste Maßnahme ansieht, die Eintrittswahrscheinlichkeit von Terroranschlägen so gering wie möglich zu halten. In der Tat, meine Damen und Herren, wir haben die schwierige Aufgabe zu lösen, die fliegende Bombe nicht zuzulassen. Eine abschließende Lösung bringt aber, wie bereits gesagt, nur der Ausstieg aus der Atomenergie. Deshalb appelliere ich noch einmal an die bisher so atomfreundliche Mehrheit dieses Hauses: Befreien Sie sich von der Illusion, die Risiken der Atomkraft seien vom Menschen zu bewältigen. Schaffen Sie in Ihrem Denken endlich Raum für eine Energiewende mit ihren bedeutenden energiewirtschaftlichen, ökologischen und technologischen Möglichkeiten.

Vielen Dank.