Protocol of the Session on February 2, 2006

Der Petitionsausschuss kann ohne formale Hindernisse gezielt eingreifen und die Probleme rasch zu lindern versuchen. Dies ist im Gegensatz zum Rechtsschutzverfahren auch noch nach der Rechtskraft von Entscheidungen möglich, wenn der Petitionsausschuss Missstände oder Unbilligkeiten erkennt.

Der Bürger kann also auch dann noch auf die Hilfe des Petitionsausschusses hoffen, wenn sonst nichts mehr geht. Die Türen der Behörden, die manchmal schon verschlossen sind, können so wieder geöffnet werden. Sollten sich Fakten herausstellen, die zu einer günstigeren Entscheidung geführt hätten, kann der Bürger mit einer Korrektur durch den Petitionsausschuss rechnen.

Darüber hinaus geben Petitionen dem Landtag die Möglichkeit, gesetzliche Regelungen, die sich als nicht sinnvoll erweisen, zu überdenken und zu ändern.

Auch in dieser Legislaturperiode haben die Bürger von ihrem Petitionsrecht regen Gebrauch gemacht. Im Zeitraum von Juni 2001 bis heute sind dem Ausschuss 6 247 Petitionen zugegangen. Wir müssen allerdings feststellen, dass trotz des starken Zuspruchs die Zahl der Petitionen gegenüber der vergangenen Legislaturperiode, in der rund 8 000 Petitionen eingereicht wurden, abgenommen hat: beispielsweise im Ausländerrecht minus 53 %, im Bereich der Sozialversicherung minus 30 % und bei Steuersachen minus 12 %. Entgegen diesem Trend hat die Zahl der Petitionen in anderen Bereichen zugenommen: im Schulwesen plus 34 %, bei Beschwerden über Richter und Gerichtsentscheidungen plus 10 % und in Gnadensachen plus 11 %.

Die Ursachen für diese Verschiebungen sind sehr vielschichtig und lassen sich nicht immer konkret belegen. Ich bin aber der Überzeugung, dass die jahrelange erfolgreiche Arbeit dieses Ausschusses mit dazu beigetragen hat, dass die Behörden den Bürger stärker in den Blickpunkt ihrer Entscheidungen stellen. Auch der Umgang mit den Menschen ist wesentlich bürgerfreundlicher geworden. Die Erkenntnis, dass die Verwaltung für die Bürger da ist und nicht umgekehrt, sollte noch selbstverständlicher werden.

Durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit bringen wir dem Bürger das Petitionsrecht näher. Gerade jüngere Mitbürger möchten wissen, wie das Petitionsrecht in unserem Rechtssystem einzuordnen ist, wie es funktioniert, wie der Petitionsausschuss arbeitet und wie seine Entscheidungen umgesetzt werden. So findet das Petitionsrecht bei Führungen von Schüler- und Erwachsenengruppen im Landtag großen Anklang. Regelmäßig werden Seminare über das Petitionsrecht für Lehrer und andere Berufsgruppen abgehalten.

Mehrere Schüler und Studenten haben in dieser Legislaturperiode in unserem Petitionsbüro mehrwöchige Praktika absolviert. Den Gesprächen und den Abschlussarbeiten ist anzumerken, dass die jungen Mitbürger mit großem Interesse bei der Sache waren und sich auch kritisch äußern.

Vor kurzem war ich bei einer Podiumsdiskussion vor Studenten der Fachhochschule für Verwaltung in Ludwigsburg,

bei der ich zusammen mit Ombudsleuten aus Belgien und Ungarn über Fragen des Petitionsrechts diskutiert habe. Vorträge vor verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen tragen zu einer umfassenden Öffentlichkeitsarbeit bei.

Bei Vor-Ort-Terminen der Kommissionen des Petitionsausschusses, die grundsätzlich immer öffentlich sind, werden das Petitionsrecht und die Arbeit des Petitionsausschusses ebenfalls hervorragend vermittelt und herausgestellt.

Auch in der Wissenschaft wird die Arbeit des Petitionsausschusses gewürdigt. Die Dissertation von Gunnar Horst Daum „Die Petition im Strafvollzug. Dargestellt an Entscheidungen des Landtages von Baden-Württemberg“ ist sehr lesenswert. Jetzt kommt ein Werbeblock.

(Der Redner hält die erwähnte Dissertation in die Höhe.)

Ich empfehle diese Dissertation allen Kolleginnen und Kollegen zur Lektüre.

(Abg. Sakellariou SPD: Sollte man zentral anschaf- fen für die Mitglieder!)

Ein Schwerpunkt in der täglichen Arbeit liegt im Ausländerbereich. Hier ist die Zahl der Petitionen gegenüber der letzten Legislaturperiode um mehr als die Hälfte gesunken. Dieser Rückgang ist darauf zurückzuführen, dass die meisten Bürgerkriegsflüchtlinge inzwischen wieder in ihre Heimat zurückgekehrt sind.

Der Petitionsausschuss steht bei seinen Entscheidungen oft im Spannungsfeld zwischen Menschlichkeit und dem Gesetz, insbesondere dann, wenn sich Familien bereits über einen langen Zeitraum hier aufhalten. Meist sind sie integriert. Kinder sind bei uns geboren und gehen hier zur Schule. Es kann diesen Menschen nur schwer vermittelt werden, dass sie nach der Befriedung in ihrem Heimatland auch dort wieder gebraucht werden.

Der Petitionsausschuss sieht deshalb seine Aufgabe auch darin, die ausreisepflichtigen Ausländer zu einer freiwilligen Rückkehr in die Heimat zu bewegen. Grundsätzlich war aber auch klar, dass ein Aufenthalt in Deutschland nur auf Zeit möglich ist und war.

Die Berichterstatter kämpfen im wahrsten Sinne des Wortes im Petitionsausschuss mit den Vertretern des Innenministeriums um jeden einzelnen Problemfall. In 154 von 1 084 Petitionen konnte mit der Regierung auch eine einvernehmliche Lösung für die Betroffenen erreicht werden. Drei Fälle darf ich kurz darstellen.

Der Ausschuss hat durchgesetzt, dass einer bosnischen Familie, einer Witwe, die sich seit 1992 bei uns aufhält, und ihren beiden hier geborenen Kindern, ein Bleiberecht gewährt wurde. Wir haben die besondere Härte darin gesehen, dass der Ehemann im Jahr 2000 bei einem Arbeitsunfall ums Leben kam.

Im Falle eines kurdischen Jungen, der mit knapp zwölf Jahren alleine nach Deutschland eingereist war und dessen Eltern in der Türkei umkamen, hielt es der Petitionsausschuss für unmenschlich, ihn nach der Volljährigkeit wieder zu

rückzuführen. Hinzu kam, dass der Junge hier die Schule besuchte, eine Lehre abschloss und sein Lehrmeister ihn behalten wollte. Dem Berücksichtigungsersuchen des Petitionsausschusses hat die Regierung entsprochen.

Auch bei einem seit Geburt sehr stark behinderten türkischen Mädchen, das keine Eltern hat und von der in Deutschland lebenden Familie des Bruders versorgt wird, hat die Regierung dem Berücksichtigungsbeschluss des Ausschusses entsprochen und aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt. Die Verwandten mussten sich allerdings verpflichten, für den Lebensunterhalt aufzukommen.

Ein Wort zu den aktuellen Fällen in Freiburg, Rheinfelden, Wendlingen usw. Hier handelt es sich überwiegend um Familien, die als Asylbewerber nach Deutschland gekommen sind. Mehrere Asylanträge und Asylfolgeanträge führten nicht zur Anerkennung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Entsprechende Gerichtsverfahren vor den Verwaltungsgerichten blieben ebenfalls erfolglos. Für die notwendige Rückführung dieser Menschen in ihr Heimatland ist aber unser Land zuständig. Nach der Sach- und Rechtslage ist ein Bleiberecht ausgeschlossen.

Für unsere negativen Entscheidungen finden wir bei den Unterstützerkreisen leider kein Verständnis. Wäre es aber gerecht, dass Menschen, für die sich sehr viele andere einsetzen, hier bleiben dürfen und andere Familien, die diese Unterstützung nicht erfahren haben, schon seit Jahren wieder in ihrer Heimat sind, sei es durch freiwillige Ausreise oder Abschiebung?

Ein weiterer Schwerpunkt der Ausschussarbeit waren Petitionen bei Errichtung von Windkraftanlagen. Schade, dass der Herr Kollege Kretschmann und der Herr Kollege Drexler jetzt nicht da sind.

(Abg. Fischer SPD: Die sind beim König! – Abg. Sakellariou SPD: Zimmermann ist auch nicht da!)

Wenn man die Presseberichte der vergangenen Wochen und Monate verfolgt hat, bestätigt sich die Auffassung des Petitionsausschusses, dass die Windkraftanlagen nur dort errichtet werden sollen, wo sie auch naturverträglich hinpassen,

(Abg. Sakellariou SPD: Also nirgends, Herr Zim- mermann!)

den Vogelzug nicht beeinträchtigen und wo auch der Wind bläst.

(Abg. Behringer CDU: Fledermäuse!)

Ich möchte an dieser Stelle deutlich sagen, dass der Petitionsausschuss kein Windkraftverhinderer ist,

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Aha! – Abg. Sakel- lariou SPD: In Teilen!)

aber dort das Wort erhebt, wo der Eingriff in die Natur kritische Bereiche tangiert.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Jede Anlage bedarf einer sehr sorgfältigen Prüfung.

Ich habe zur Kenntnis genommen, dass das Verwaltungsgericht Freiburg die Auffassung des Petitionsausschusses zu den geplanten Windkraftanlagen am Kohlwasen in Furtwangen bestätigt hat. Der Ausschuss war in diesem Fall aufgrund der Erkenntnisse bei einem Vor-Ort-Termin und nach eingehender Abwägung zu dem Ergebnis gekommen, dass diese Windkraftanlagen das Landschaftsbild verunstalten und deshalb die bereits erteilte Baugenehmigung zurückgenommen werden soll. Die Regierung hat dieser Empfehlung entsprochen. Die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht jetzt abgewiesen.

(Abg. Alfred Haas CDU: Wer war denn da Bericht- erstatter?)

Ich war vor Ort. Herr Kollege Haas, Sie waren auch dabei. Sie waren anderer Auffassung, sind das aber heute auch nicht mehr.

Wir stehen im Petitionsausschuss vor einer weiteren schweren Entscheidung über eine große Windkraftanlage auf den Gemarkungen Simmersfeld, Altensteig und Seewald im Kreis Calw. Eine Bürgerinitiative wendet sich gegen eine massive Anhäufung extrem hoher Windkraftanlagen in einem Windpark. Es sollen 14 Anlagen bis zu 170 Meter Höhe auf einem fast unberührten Schwarzwaldhöhenzug gebaut werden –

(Abg. Gaßmann SPD: An einer Bundesstraße!)

höher als das Ulmer Münster.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Das geht nicht! – Heiter- keit und Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP)

Herr Kollege Oelmayer, ich danke Ihnen ausdrücklich für diesen Zwischenruf.

(Abg. Dr. Scheffold CDU: Das werden wir proto- kollarisch vermerken! – Abg. Blenke CDU: Jetzt hast du Herrn Oelmayer überzeugt!)

Hier hat der Petitionsausschuss die Maßnahme gestoppt und am 20. Januar 2006 einen Ortstermin durchgeführt. Wir warten jetzt auf die Stellungnahme der Regierung zu Fragen, die sich nach diesem Vor-Ort-Termin und einer weiteren Sitzung des Petitionsausschusses ergaben.

(Abg. Kübler CDU: Ablehnen!)

Am 15. Februar 2006 wird die Petition im Ausschuss weiterbehandelt.

(Abg. Blenke CDU: Oelmayer haben wir jetzt auf unserer Seite!)

In mehreren Petitionen fordern Waldorf-, Wald- bzw. Naturkindergärten für Kinder, die ihren Wohnsitz in Nachbargemeinden haben, eine gesetzliche Regelung.

(Zuruf des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Sie wollen, dass sie als Kindertageseinrichtungen mit gemeindeübergreifendem Einzugsgebiet finanziell genauso gefördert werden wie örtliche Einrichtungen,