Protocol of the Session on February 2, 2006

Herr Kollege Birzele, Sie haben die Einlassungen von Städtetag und Gemeindetag im Ständigen Ausschuss für nicht nachvollziehbar erklärt. Wir halten aus den von mir genannten rechtlichen und politischen Gründen ein generelles Verbot ohne Erlaubnisvorbehalt für richtig und bitten um Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Heiderose Ber- roth FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Birzele.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Bei der ersten Lesung unseres Gesetzentwurfs Drucksache 13/4803 habe ich ausführlich begründet, dass wir uns insbesondere bei Abwägung der positiven und der negativen Religionsfreiheit, also der positiven Religionsfreiheit der Erziehungspersonen und der negativen Religionsfreiheit der Kinder und Eltern, dafür ent

schieden haben, in den öffentlichen Einrichtungen ein klares Neutralitätsgebot vorzusehen. So wie in der Schule soll auch im Kindergarten dieses Neutralitätsgebot bestehen. Ich verweise in diesem Zusammenhang noch einmal darauf, dass von den über 600 000 Muslimen, die in Baden-Württemberg leben, die Mehrheit – jedenfalls für sich selbst – das Tragen eines Kopftuchs ablehnt.

Nun haben wir bei der Debatte zwei Punkte, die kontrovers sind. Ich will deshalb nichts mehr zu dem allgemeinen Prinzip sagen. Einen Punkt hat Herr Kollege Schebesta gerade angesprochen, einen anderen nicht. Letzteren will ich zunächst behandeln.

Es geht darum, ob der Satz 3, den wir vorschlagen und den auch die CDU-Fraktion vorsieht – diese Regelung, wonach christliche Werte in der Schule entsprechend der Landesverfassung zu vermitteln sind –, ein Privileg des Christentums darstellt oder ob dies eine Regelung ist, die mit der Verfassung vereinbar ist. Es kommt darauf an, wie man es auslegt.

Muslime haben darin einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot, eine Benachteiligung des muslimischen Glaubens gesehen. Deshalb will ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass diese Frage schon 1975 vom Bundesverfassungsgericht entschieden worden ist. Damals hat das Bundesverfassungsgericht zu den Bestimmungen der Landesverfassung von Baden-Württemberg – es ging um einen Streit eines Bürgers des Landes gegen das Land Baden-Württemberg und die Landesverfassung; ein Nichtchrist war gegen diese christliche Festlegung – ausdrücklich ausgeführt – ich zitiere –:

Das gemeinsame christliche Leitbild, welches das Schulleben bestimmt, ist geprägt durch die Anerkennung der Glaubensverschiedenheiten der beiden christlichen Konfessionen und die Offenheit sowie Toleranz gegenüber nicht christlichen Religionen und Weltanschauungen.

Etwas später wird zum Toleranzgebot ausgeführt:

Es verhindert ein Absolutsetzen christlicher Glaubensinhalte außerhalb des Religionsunterrichts, ebenso wie es eine angemessene Mitberücksichtigung anderer religiöser und weltanschaulicher Auffassungen gewährleistet, für welche die Schule offen zu bleiben hat.

Noch etwas später heißt es:

„Christlich“ bezeichnet hier nicht einen auf die christliche Glaubenslehre ausgerichteten Unterricht in den Profanfächern. Nach dem Lehrverständnis der christlichen Kirchen lassen sich ohnehin die christlichen Konfessionen nicht zu einer gemeinsamen Lehre vereinigen.

Es ist also festzuhalten, dass das Bundesverfassungsgericht genau definiert hat, wie die sowohl in Ihrem Gesetzentwurf als auch in unserem Gesetzentwurf zitierten Bestimmungen der Landesverfassung zu verstehen sind. Es geht also nicht um eine Privilegierung des Christentums. Dies hat auch das Bundesverwaltungsgericht eindeutig festgelegt. Ich sehe jetzt leider nicht den Kollegen Mack, der da beim Schulgesetz eine falsche Meinung vertreten hat.

(Abg. Wieser CDU: A wa!)

Denn bei dem zweiten Verfahren Ludin vor dem Bundesverwaltungsgericht hat das Bundesverwaltungsgericht ganz eindeutig gegen den Prozessvertreter des Landes, Professor Kirchhof, Stellung genommen. Ich zitiere diesen Satz:

Ausnahmen für bestimmte Formen religiös motivierter Kleidung in bestimmten Regionen, wie sie der Prozessbevollmächtigte des Beklagten

also des Landes, Professor Kirchhof –

in der mündlichen Verhandlung in Erwägung gezogen hat, kommen daher nicht in Betracht. Für sie bieten weder der Wortlaut des Gesetzes noch der Schutzzweck der Regelung eine Handhabe. Auch materielles Verfassungsrecht stünde dem entgegen (Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes in der Ausprägung des Maßstabs der Systemgerechtigkeit und das Gebot der strikten Gleichbehandlung der Religionsgesellschaften und Glaubensgemeinschaften).

Es gilt also festzuhalten: Wir haben kein christliches Privileg. Durch diese Regelung wird keine Religion diskriminiert.

Nun komme ich zum zweiten Punkt. Ich habe gesagt: Wir haben uns für ein generelles Verbot ausgesprochen, aber mit einem Erlaubnisvorbehalt, um den örtlichen Trägern vor Ort zu ermöglichen, auf die Besonderheiten einzugehen.

(Zuruf des Abg. Zimmermann CDU)

Hier hat Herr Kollege Schebesta zitiert, dass Professor Kirchhof der Meinung ist, dies sei unrichtig.

(Abg. Schebesta CDU: Verfassungswidrig, um es genau zu sagen!)

Es sei verfassungswidrig. – Wir wollten deshalb, Herr Kollege Schebesta, den Ständigen Ausschuss mit dieser Rechtsfrage befassen. Wir wollten alle Gutachter, die zum Schulgesetz angehört worden waren, auch im Ständigen Ausschuss hören. Aber offensichtlich wollten weder CDU noch FDP/DVP in ihrer rechtlich falschen Auffassung belehrt werden.

(Zuruf des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

Sie wollten ihren falschen Weg weiter einschlagen, ohne sich durch andere belehren zu lassen. Wir haben deshalb schriftliche Stellungnahmen eingeholt. Diese haben Sie zur Kenntnis bekommen. Sie können das werten.

(Abg. Schebesta CDU: Ich bin darauf eingegan- gen!)

Sie sind darauf eingegangen, aber Sie haben die Schlussfolgerung unterlassen. Ich meine die Schlussfolgerung, dass die Auffassung von Professor Kirchhof eindeutig falsch ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Sche- besta CDU: Das ist dann auch unterschiedlich be- gründet!)

Ich will Ihnen einmal ein Argument von Herrn Jestaedt zitieren. Es geht um ein Argument ad absurdum. Er schreibt:

Da derartige Grundrechtskollisionen indes nicht die seltene Ausnahme, sondern gerade umgekehrt die Regel markieren, läge es in der Konsequenz der Allesoder-Nichts-Deutung,

gemeint: Professor Kirchhof –

dass dem Gesetzgeber weithin nichts anderes übrig bliebe, als mit Alles-oder-Nichts-Regelungen, das heißt pauschalen Verboten, Geboten oder Erlaubnissen zu regieren. Eine groteske Vorstellung!

(Abg. Schebesta CDU: Aber nur in diesem Fall!)

Herr Professor Jestaedt hat hier eindeutig Recht. Nennen Sie mir einmal ein Beispiel, wo das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, es gehe nur, entweder alles zuzulassen oder alles zu verbieten;

(Abg. Schebesta CDU: In diesem Fall können Sie halt die Leitlinien nicht festsetzen!)

es gäbe nicht die Möglichkeit eines Erlaubnisvorbehalts bei Verboten oder umgekehrt bei Erlaubnissen einen Verbotsvorbehalt.

(Glocke der Präsidentin)

Das ist eine abwegige Rechtsauffassung.

Herr Abg. Birzele, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Wieser?

Bitte schön.

Bitte sehr, Herr Wieser.

Der Städtetag und der Gemeindetag Baden-Württemberg wünschen wegen der Rechtssicherheit eine klare Aussage des Gesetzgebers. Ist das richtig?

Herr Kollege Wieser, Sie haben etwas vorgegriffen. Aber ich komme gleich noch zum Städtetag und zum Gemeindetag.

(Abg. Schebesta CDU: Ich greife nicht vor! Ich ha- be auch eine Frage! – Unruhe – Glocke der Präsi- dentin)

Herr Abg. Birzele, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Ich will also festhalten: Unser Gesetzentwurf ist rechtlich zulässig, und alle drei Gutachter sagen sogar, dass er rechtlich geboten ist,

(Abg. Hillebrand CDU: Was? – Zuruf des Abg. Reichardt CDU)

und zwar aus unterschiedlichen Gründen. In diesem Zusammenhang will ich auf die Argumentation von Professor Böckenförde hinweisen, der zu Recht ausführt, dass unter kom