Protocol of the Session on February 1, 2006

erlaubt den Einbürgerungsbeamten natürlich auch, auf die Vorbildung, auf die Persönlichkeit, auf das intellektuelle Niveau dessen einzugehen, der vor ihnen steht. Ich könnte mir manchen vorstellen, der nur mit ganz einfachen Fragen konfrontiert wird.

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Halten Sie diese Be- amten für so unfähig, dass sie das nicht selbst for- mulieren können? – Abg. Fleischer CDU: Bei vie- len ist die Kleidung Ausdruck der inneren Einstel- lung! Das ist doch ganz normal!)

Deswegen, meine Damen und Herren: Unser Ansatzpunkt entspricht auch der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg. Der VGH hat in einer Entscheidung vom 16. Dezember 2005 ausgeführt,

dass ein rein verbales Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zur Erfüllung der Einbürgerungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 nicht ausreicht.

Auf dieser Grundlage des Staatsangehörigkeitsgesetzes haben wir den Gesprächsleitfaden entwickelt. Anhand ausgewählter Fragen aus diesem Leitfaden sollen die Behörden in Zweifelsfällen klären, ob der Einbürgerungsbewerber tatsächlich die Werteordnung unseres Grundgesetzes akzep

(Minister Rech)

tiert, wie er also zur Menschenwürde, zur Gleichberechtigung von Mann und Frau, zum Gewaltmonopol des Staates, zu Toleranz – das steckt hinter der Frage zur Homosexualität –, zur Selbstbestimmung oder zur Religionsfreiheit steht. Ich möchte noch einmal betonen, dass es sich hierbei um ein Hilfsmittel handelt, das, sofern Zweifel bestehen, herangezogen wird, um zu prüfen, ob der Bewerber unsere Verfassungsordnung wirklich anerkennt.

Methodisch setzen wir dabei am Zweifel an, und dies ist ein gut kartesianischer Ansatz. Denn – um den Vater der modernen Philosophie und Wegbereiter der Aufklärung, René Descartes, zu zitieren –: „Zweifel ist der Erkenntnis Anfang.“

(Abg. Göschel SPD: Nur, die CDU zweifelt nicht am Leitfaden! – Abg. Kretschmann GRÜNE: Da hat er aber den Selbstzweifel gemeint, der Descartes!)

Aber keine Sorge! Wir gehen nicht so weit wie Descartes, dass wir den Zweifel zur generellen Methode erheben. Ich darf darauf hinweisen, meine Damen und Herren, dass Descartes übrigens seine Einsicht gewonnen hat, als er sich in einer Winternacht des Jahres 1619 – die Frau Kollegin Dr. Stolz sitzt gerade in meiner Blickrichtung – an einem Ofen in der Freien Reichsstadt Ulm wärmte.

Ich gehe allerdings nicht davon aus, dass dies der Grund dafür ist, dass unser Leitfaden vom Ulmer Oberbürgermeister und Präsidenten des Städtetags, Ivo Gönner, unterstützt wird. Ich will aber nicht verschweigen, dass ich seine Äußerungen ebenso wie auch die des Oberbürgermeisters und früheren Kollegen Salomon mit Genugtuung zur Kenntnis genommen habe. Oberbürgermeister Salomon hat erklärt, er werde den Gesprächsleitfaden in der vom Innenministerium vorgesehenen Weise immer dann heranziehen lassen, wenn Zweifel am Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers bestünden.

(Zurufe der Abg. Ursula Haußmann SPD und The- resia Bauer GRÜNE – Zuruf von der CDU: Der hat dazugelernt!)

Oberbürgermeister Salomon hat ausdrücklich klargestellt, dass er sich dem Heidelberger Vorbild nicht anschließen wolle – Zitat –, „weil dies rechtswidrig wäre“. Da hat er Recht.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Nein, da hat er nicht Recht! – Abg. Christine Rudolf SPD: Schon mal was von Zivilcourage gehört? – Abg. Kretschmann GRÜNE: Pressemitteilung! – Zuruf von der CDU: Er hat extra ein Gutachten anfertigen lassen!)

„Schwarzwälder Bote“ vom 26. Januar, Seite 20.

Meine Damen und Herren, an alle übrigen Kritiker des Leitfadens appelliere ich: Kommen Sie hinter dem Ofen hervor und suchen Sie nicht immer nach dem Haar in der Suppe, sondern machen Sie doch einmal selbst konstruktive Vorschläge!

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Das ist kein Haar, das ist ein Balken, Herr Minister!)

Ich wiederhole: Machen Sie konstruktive Vorschläge, die unserem Grundanliegen Rechnung tragen.

Meine Damen und Herren, auch bei Bewerbern aus islamischen Ländern soll der Leitfaden keineswegs ausnahmslos auf alle Bewerber angewendet werden. Das ist jetzt wiederholt gesagt worden, aber ich will es auch noch einmal von dieser Stelle aus betonen. Wenn die Behörde annehmen darf – dies wird in vielen Fällen so sein, sei es aufgrund der Aktenlage oder sonstiger Erkenntnisse –, dass der Bewerber sich zu unserer Verfassung bekennt, wäre ein Gespräch anhand des Leitfadens überflüssig.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: So! Jetzt nehmt das ein- mal zur Kenntnis! – Glocke des Präsidenten)

Herr Innenminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Birzele?

Ja, Herr Kollege Birzele.

Heißt das, Herr Innenminister, dass die Pressemitteilung des Innenministeriums, die ich vorhin zitiert habe, falsch ist?

Nein. Das heißt es nicht.

(Abg. Birzele SPD: Ja, was gilt dann? – Zurufe von der SPD)

Wenn Zweifel bestehen, soll der Leitfaden herangezogen werden.

(Abg. Birzele SPD: Da steht nicht „wenn Zweifel bestehen“! – Abg. Ursula Haußmann SPD: Machen Sie doch mal eine klare Aussage!)

Herr Kollege Birzele, es ist doch klar, worauf Sie abzielen. Es ist ja auch nicht zu leugnen, dass sich die Einbürgerungsbewerber mit muslimischem Hintergrund bei solchen Gesprächen quantitativ in der Mehrzahl befinden. Das liegt aber nicht daran, dass da etwa ein Generalverdacht bestünde, sondern daran, dass von rund 16 000 Eingebürgerten im Jahr 2004 rund 9 500 oder 9 400 aus den 57 Mitgliedsstaaten der Organisation der Islamischen Konferenz stammten. Das waren aus den 57 islamischen Staaten über 9 000 Eingebürgerte. Daraus erklärt sich, dass sie quantitativ natürlich eher im Fokus stehen als die anderen.

(Abg. Schmid SPD: Nein, nein! So haben Sie das vorhin nicht formuliert! – Abg. Birzele SPD: Aber Sie sagten doch vorhin, er habe seine Meinung ge- ändert! In der Pressemitteilung steht das anders! – Abg. Christine Rudolf SPD: Eigentor! – Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Generell aber heißt es: Es soll mit allen ein Gespräch geführt werden, bei denen Zweifel bestehen.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Im Übrigen bitte ich, wenigstens einmal den Halbsatz zu beachten, der da lautet – damit Sie auch den Geist unserer Einbürgerungsbehörden und der sachbearbeitenden Beamten erkennen –: „um diese Zweifel auszuräumen“.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Innenminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abg. Utzt?

Zum Schluss, Frau Kollegin Utzt. Ich schaue, dass ich bald zu Ihnen komme.

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Kommen Sie bald zum Schluss, es wird nicht besser!)

Nochmals: Es geht nicht um Religion, sondern es geht um unsere Verfassung. Ich sage nochmals aus tiefer persönlicher Überzeugung, was ich auch vor dem Deutschen Bundestag gesagt habe: Die überwiegende Mehrzahl der bei uns lebenden Muslime sind gesetzes- und verfassungstreu. Sie werden in Baden-Württemberg wie anderswo problemlos eingebürgert, wenn die rechtlichen Voraussetzungen vorliegen. Ich bin mir sicher, dass sich daran in Zukunft nichts ändern wird.

Angehörige islamischer Staaten werden auch in Zukunft die Mehrheit unter den Eingebürgerten in Deutschland stellen. Ich habe Ihnen gerade eben gesagt, dass diese mit 60 % aller Eingebürgerten die Mehrheit ausmachen. Wir können und dürfen nicht leugnen, dass es bei Angehörigen islamischer Staaten Strömungen gibt, die in ihrer Haltung mit den Werten des Grundgesetzes und unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht in Einklang stehen.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Das bestreitet doch niemand!)

Hier muss es möglich sein, nachzufragen.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Das bestreitet doch niemand! – Abg. Fischer SPD: Das sagen wir doch gar nicht!)

Wer dies ausblendet und nicht wahrhaben will, der verkennt die Realitäten.

Zum Schluss noch eines, damit Sie da ganz klar sehen und nicht frieren:

(Abg. Christine Rudolf SPD: Das ist schwierig!)

Wir haben den Leitfaden nicht am grünen Tisch ausgearbeitet. Wir haben vielmehr vielfältigen fachlichen Rat eingeholt. Dieser Leitfaden wurde in seinem Entwurf mit allen 44 Einbürgerungsbehörden in ganztägigen Dienstbesprechungen ausführlich diskutiert, was uns auch viel Lob eingebracht hat – übrigens gerade von Frau Oberbürgermeisterin Weber –, weil Verwaltungsvorschriften normalerweise nicht zuvor mit den Behörden in Dienstbesprechungen abgestimmt werden.

Ich sage nochmals: Natürlich kann man über einzelne Fragen reden. In der Verwaltungsvorschrift vom 13. September 2005 haben wir ja selbst eine Überprüfung des Verfahrens nach einem Jahr vorgesehen.

Aber eines ist und bleibt für mich zentral: Das Anliegen des Leitfadens steht für mich und für das gesamte Innenministerium nicht zur Disposition. Man hat uns vorgeworfen, gerade eben auch mit dem Erlass vom 17. Januar eine Kurskorrektur vorgenommen zu haben. Dies ist nicht der Fall.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Was jetzt? – Abg. Birzele SPD: Was gilt jetzt? Herr Noll sprach von einer Kurskorrektur! – Gegenruf des Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Nein, das habe ich nicht gesagt!)

Ich sage Ihnen den Hintergrund: Aufgrund von Anfragen der Einbürgerungsbehörden haben wir die Erlasslage lediglich erläutert und klargestellt, dass es auch bei den Antragstellern aus den 57 islamischen – –

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Was ist denn der Charakter dieses Erlasses? Das wissen wir immer noch nicht! – Gegenruf des Abg. Seimetz CDU: Manche begreifen es nie!)

Es ist eine Handreichung für unsere Einbürgerungsbehörden, um von dem Verfahren wegzukommen, das bislang auf die Stellung ausschließlicher Wissensfragen gerichtet war, deren Beantwortung überhaupt nichts zum Kernanliegen des von Rot-Grün beschlossenen Staatsangehörigkeitsgesetzes aussagt, das da lautet: Die innere Hinwendung des Bewerbers zu diesem Staat muss dokumentiert werden – und nicht, ob er weiß, wie sein Bürgermeister heißt oder wie viele Einwohner seine Gemeinde hat. Denn das hat mit der inneren Hinwendung überhaupt nichts zu tun.