Protocol of the Session on December 1, 2005

(Zuruf des Ministers Hauk – Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren, die persönliche Erklärung ist abgegeben.

Wir kommen zu Punkt 2 der Tagesordnung:

Aktuelle Debatte – Klares Nein zur aktiven Sterbehilfe – Ausbau von Hospizdiensten und Palliativmedizin in Baden-Württemberg – beantragt von der Fraktion der CDU

Es gelten die üblichen Redezeiten.

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Lasotta.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben die Aktuelle Debatte „Klares Nein zur aktiven Sterbehilfe“ beantragt, da dieses Thema in der letzten Zeit wieder verstärkt in der Öffentlichkeit diskutiert wurde und weil sich auch durch die Äußerungen des CDU-Justizsenators in Hamburg und den Ableger des Schweizer Vereins Dignitas, der sich in Hannover niedergelassen hat und Beratungsleistungen anbietet, eine gewisse Aktualität entwickelt hat.

Wenn Sie die Leserbriefspalten in den Zeitungen betrachten und die Ängste der Menschen bei der Frage, wie man mit diesem Thema umgehen soll, wahrnehmen, wird klar, dass wir in der Politik klare Grundsätze definieren und vor allem Antworten auf die Ängste geben müssen. Ich möchte Ihnen zwei Fälle schildern, die ich auch persönlich in meiner beruflichen Tätigkeit begleitet habe:

Der erste Fall betrifft einen 36-jährigen jungen Mann, der nach viereinhalb Jahren Kampf gegen den Hautkrebs wusste, dass er sterben muss. Seine klar zum Ausdruck gebrachten Ziele waren: Er will zu Hause sterben, er will keine Schmerzen haben, und er will bei seinem Sterben nicht er

sticken. Es war möglich, es hinzubekommen, ihm mit Unterstützung unserer schmerzkonsiliarischen Dienste eine Schmerzpumpe zu Hause anzubieten, bei der eine Grunddosierung mit Morphin läuft und mit der er sich selbst Schmerzmittel geben konnte. Er ist im Kreise seiner Familie, seiner Eltern und des Bruders, gestorben. Das war ein würdiges Sterben.

Ein zweiter Fall betrifft eine 75-jährige ältere Dame, die ebenfalls eine fortgeschrittene Krebserkrankung hatte. Sie hatte für sich klar definiert, was sie wollte. Sie hatte eine Patientenverfügung gemacht und eine Vorsorgevollmacht ausgefüllt. Sie wurde dann mithilfe der ambulanten und stationären Hospizdienste betreut – solange es ging, zu Hause, und als es nicht mehr ging, in einem stationären Hospiz. Das wurde dankenswerterweise von vielen ehrenamtlichen Kräften unterstützt. Sie ist in einer Nacht gestorben. Da war eine ehrenamtliche Nachtwache bei ihr: eine junge Frau, 25 Jahre alt, die viele Stunden in diesem Hospiz ableistet. Wenn man mit diesen ehrenamtlichen Kräften spricht, berichten sie einem, wie wertvoll dieser Dienst auch für die Einstellung zu ihrem eigenen Leben ist.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: So ist es!)

Die Ängste in der Bevölkerung sind vorhanden. Jeder, der weiß, dass er sterben muss, stellt sich die Fragen: Wie geht es jetzt weiter? Was machen die Ärzte mit mir? Verlängern sie Leiden? Wie wird mit den Schmerzen umgegangen? Können sie erträglich gestaltet werden? Wie nehmen meine Angehörigen das auf? Falle ich denen zur Last? Wo bekomme ich professionelle Unterstützung, Hilfe und Betreuung? Diese vielen Ängste und Urängste sind bei jedem vorhanden. Jeder, der sich ehrlich mit diesen Fragen auseinander setzt, hat diese Ängste und wird sich diese Fragen stellen und dabei keine immer einfachen und klaren Antworten finden.

Wir als CDU in Baden-Württemberg und als CDU-Landtagsfraktion sprechen uns klar gegen jegliche Liberalisierung der aktiven Sterbehilfe aus.

(Beifall des Abg. Wieser CDU)

Wir wollen ein würdiges Sterben und wollen den Menschen mit unseren Strukturen Hilfe geben. Wir wollen ihnen Hilfe geben mit den ambulanten und stationären Hospizen, mit der Palliativmedizin, mit dem, was an schmerzkonsiliarischen Diensten, an zusätzlicher Ausbildung für Hausärzte und Spezialisten gemacht wird. Wir wollen kein Tabu brechen. Wir wollen diese klare Grundhaltung unseres Staates, die auf einer christlichen und humanistischen Wertevorstellung basiert, nicht aufweichen, weil wir glauben, dass damit ein Tabu gebrochen würde und wir darüber hinaus ganz schwierige Fälle der Abgrenzung hätten.

Wir glauben, dass wir den Menschen deutlich machen müssen – gerade auch hier bei uns in Baden-Württemberg –, dass man beim Sterben nicht alleine gelassen wird, dass es Hilfeleistungen, Hilfestellungen gibt und dass wir versuchen, diese weiterhin zu optimieren.

Ich glaube, dass wir auch eine klare Diskussion darüber führen sollten, wie wir mit solchen Organisationen wie Dignitas umgehen. Die Kirche hat ja gefordert, professionelle

Beihilfe zum Suizid unter Strafbewehrung zu stellen. Ich halte das für einen nachdenkenswerten Vorschlag. Wir sollten auch darüber eine Debatte führen.

Wir müssen bei diesem schwierigen Thema klar sagen, dass das Sterben ein Teil des Lebens ist und dass wir die Menschlichkeit unserer Gesellschaft dadurch zum Ausdruck bringen, dass wir Kranken, zu Pflegenden und Sterbenden unsere Wertschätzung und unsere Unterstützung geben. Was wir da in Baden-Württemberg mit unseren Einrichtungen alles machen und wohin die Entwicklung weitergehen soll, dazu würde ich gerne im zweiten Teil etwas sagen.

(Abg. Wieser CDU: Wunderbar! – Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der SPD und der Grü- nen)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Altpeter.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Unwürdig sterben zu müssen ist laut vielen Umfrageergebnissen eine der großen Ängste in unserer Gesellschaft. Die Angst richtet sich zum einen darauf, dass es möglicherweise am Ende des Lebens zu einer unerwünschten technisch-medizinischen Überversorgung kommen könnte, dass Leben unnötig verlängert werden könnte. Sie richtet sich aber angesichts zunehmender Ressourcenknappheit auch darauf, dass eine angemessene Versorgung am Ende des Lebens nicht mehr gewährleistet sein könnte.

Nun ist die Frage, welche Antwort wir aus dem politischen Bereich auf diese Ängste zu geben haben. Ich sage Ihnen: Die Antwort kann nicht die Forderung nach einer aktiven Sterbehilfe sein, wie sie vom Hamburger Justizsenator erhoben wurde. Die Antwort kann auch nicht sein, solche Vereine wie den von Herrn Dr. Lasotta erwähnten Verein Dignitas, dessen Geschäftsgebaren ja unlängst auch im Fernsehen zu sehen war, zu fördern. Vielmehr muss die Antwort darauf von unserer Seite sein, ein Sterben in Würde zu ermöglichen.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der CDU, der FDP/DVP und der Grünen)

Ein Sterben in Würde zu ermöglichen bedeutet, Rahmenbedingungen für Menschen zu schaffen, die am Ende ihres Lebens allein sind, die der Hilfe bedürfen, die auch in ihrer Not der Unterstützung und entsprechenden Pflege bedürfen.

Insofern ist es durchaus ein wichtiges Thema, dass wir hier im Land die Zahl der Palliativbetten und auch der Hospizbetten ausbauen müssen. Wir haben in Baden-Württemberg gerade einmal 4,1 Palliativbetten und 9,7 Hospizbetten pro einer Million Einwohner, während es beispielsweise in Bremen 25,6 und in Mecklenburg-Vorpommern 13,9 sind.

Es ist wohl richtig, dass wir in Baden-Württemberg auch aufgrund der vormaligen großen Koalition sehr gut funktionierende ambulante Dienste haben. Wir haben auch das System der Brückenpflege, das allerdings noch weiter ausgebaut werden muss. Aber wir haben einen erheblichen Nachholbedarf im Bereich der stationären Palliativmedizin und der stationären Hospizbetten, denn nicht jede und jeder kann am Ende ihres oder seines Lebens in der häuslichen Umgebung versorgt werden.

Auch im Bereich der Weiterbildung ist ein sehr großer Bedarf festzustellen. Dies gilt sowohl für die Weiterbildung der Pflegekräfte als auch für die ärztlichen Weiterbildungen, denn im Bereich der Palliativmedizin stehen wir noch weit hinten. Da haben wir noch viel zu tun. Wenn wir uns überlegen, dass es in der Bundesrepublik ganze drei Lehrstühle für Palliativmedizin gibt – übrigens keinen davon in Baden-Württemberg –, dann sehen wir, wohin wir gehen müssen, wenn wir auch in Zukunft die Menschen beim Sterben würdevoll unterstützen wollen.

Insofern muss ich sagen, Herr Minister, dass es mich angesichts der Debatte, die wir heute hier führen und bei der es, wie ich glaube, auch große Einigkeit gibt, schon gewundert hat, dass Sie am Montag bei einer Veranstaltung angekündigt haben, dass es im Bereich der familienentlastenden Dienste Kürzungen geben wird, wovon auch die ambulanten Hospizdienste betroffen sind.

Ich denke, wenn wir hier sagen, dass wir ein würdevolles Sterben ermöglichen wollen und dass wir keine Zustimmung zu irgendeiner Form der aktiven Sterbehilfe geben wollen, dann ist es ein fataler Fehler, ausgerechnet in diesem Bereich Kürzungen vorzunehmen. Im Gegenteil, wir müssten in diesem Bereich Gelder in die Hand nehmen, um den Menschen Rahmenbedingungen für ein würdevolles Sterben zu schaffen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Noll.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin den Kollegen von der CDUFraktion sehr dankbar, dass wir auch und gerade hier im Landtag von Baden-Württemberg ein Tabuthema ansprechen, ohne Tabus wirklich zu brechen. Der erste Teil dieser Debatte ergab ein klares Nein zur aktiven Sterbehilfe. Auch die FDP/DVP-Fraktion steht zu diesem klaren Nein.

Ich denke, wir sind in der ganzen Diskussion gut beraten – insbesondere diejenigen, die, wie der ärztliche Kollege Lasotta ja gesagt hat, praktische Erfahrung haben und die bei einer Gesetzesänderung sozusagen fast gezwungen wären, aktive Tötung auf Verlangen vorzunehmen –, wenn wir uns sehr streng an das halten, was ich nach wie vor für die beste Grundlage der rechtlichen Diskussion zu diesem Thema halte, nämlich an die Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung in der Neufassung vom Mai 2004, die meiner Meinung nach die absolut richtigen Regeln formulieren. Ich darf mit Erlaubnis des Präsidenten zitieren:

Aktive Sterbehilfe ist unzulässig und mit Strafe bedroht,

und so soll es bleiben –

auch wenn sie auf Verlangen des Patienten geschieht. Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung widerspricht dem ärztlichen Ethos und kann strafbar sein.

Dies als klare Vorgabe. Wir wollen hier keinen Dammbruch.

Trotzdem müssen wir, wie ich denke, ein Tabu brechen. Viele Menschen schieben das Thema nämlich auch für sich ganz persönlich weit von sich. Es wäre gut, wenn diese Debatte dazu beitragen könnte, dass wir zunächst einmal alles fördern, was die Eigenverantwortung desjenigen, der dem Tod sozusagen ins Auge blickt, stärkt, damit er auch Verantwortung für die Seinen, für seine Angehörigen mit übernimmt. Denn es gibt nichts Schlimmeres als den Fall, dass Angehörige dann, wenn der Patient selbst nicht mehr einwilligungsfähig ist, über solche Fragen mitentscheiden müssen, wobei sie häufig auch emotional schlicht und einfach überfordert sind.

Ich komme nun zu dem zweiten Thema. Wir alle – und da gibt es in diesem Haus, glaube ich, wirklich eine übergroße Koalition – sind uns darüber im Klaren: Wenn wir den Wunsch nach Tötung überhaupt vermeiden wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass Ängste vor übergroßen Schmerzen und einem unwürdigen Tod nicht nur verbal, sondern auch durch das zur Zurverfügungstellen von Strukturen im medizinischen, aber auch im gesellschaftlichen Sektor genommen werden und dass ein Klima entsteht, in dem klar ist: Ich werde nicht allein gelassen.

Damit deutlich wird, dass das jetzt nicht einfach aus den Fingern gesogen ist, erinnere ich einmal daran – das muss man einfach sagen –: Es war mitunter Realität – so furchtbar lange ist das noch gar nicht her –, dass Sterbende schlicht und einfach in die Abstellkammer geschoben worden sind, wenn keine Angehörigen da waren.

Ich glaube, es hat ein Umdenken in der Medizin eingesetzt. Für einen Mediziner war eigentlich lange Zeit jeder Tod eine Niederlage. Wir müssen aber begreifen: Tod gehört zum Leben und muss integraler Bestandteil auch der medizinischen Versorgung sein. Da hat sich inzwischen auch in der Aus- und Weiterbildung vieles bewegt.

Lassen Sie mich bei diesem Thema auch einmal den Wert bürgerschaftlichen Engagements gerade hier in BadenWürttemberg herausstellen. Denn viele bürgerschaftlich, ehrenamtlich engagierte Menschen haben genau dieses Thema zu ihrem Thema gemacht. Wir wissen, was hier an Hospizdiensten, und zwar stationärer und ambulanter Art – die selbstverständlich eine medizinische Versorgung mit einschließen müssen –, entstanden ist.

Die geäußerte Kritik will ich so nicht ganz stehen lassen. Wir haben an vielen Stellen, wo Kürzungen gedroht hatten – zum Beispiel bei den AKLs, den Arbeitskreisen Leben –, selbstverständlich versucht, diese Kürzungen nicht eintreten zu lassen, um genau dieses bürgerschaftliche Engagement zu stützen. Wir können das bürgerschaftliche Engagement aber auch da nicht als alleinige Lösung sehen, sondern müssen vielmehr gemeinsam mit den Kostenträgern, nämlich den Krankenkassen, die ja originär zuständig sind, Wege finden, wie wir in unserem Land Baden-Württemberg den stationären Bereich sowie die Verzahnung zwischen ambulanten und stationären Strukturen noch stärker ausbauen können.

Lassen Sie mich in der ersten Runde abschließend sagen: Auch die Grundsätze der Bundesärztekammer zur Sterbebegleitung tragen als ganz klares Bekenntnis dazu bei, dass

der Verdacht, den manche Patienten oder auch ihre Angehörigen haben könnten, manchmal fänden, auch aus wirtschaftlichen Gründen, lebensverlängernde Maßnahmen mit hohem Aufwand statt – weil an jeder Therapiemaßnahme ja noch einmal verdient werden kann –, manchmal jedoch werde umgekehrt auch gesagt, eine bestimmte Maßnahme wolle man aus wirtschaftlichen Gründen nicht haben, entkräftet wird. In diesem Zusammenhang braucht man nur in Nachbarländer zu schauen, in denen solche Diskussionen einsetzen. Dazu sollte es in unserem Land nicht kommen.

Für mich ist ganz klar, dass wir bezogen auf den jeweiligen Einzelfall entscheiden müssen, dass wir den mutmaßlichen Willen des Patienten respektieren müssen und dass schmerzlindernde Maßnahmen selbstverständlich auch dann, wenn sie tendenziell lebens- und leidensverkürzend wirken, nicht unter Strafe gestellt werden. Auch das ist ganz klar noch einmal festzustellen. Ich glaube, wir sind hier offensichtlich im Konsens auf einem guten Weg damit, dass wir ein Stück weit Ängste nehmen und insoweit ein Tabu positiv brechen, als wir sagen: Lieber Patient, nimm die Verantwortung wahr, regle auch diese Dinge, die am Ende des Lebens zu regeln sind.

In einer zweiten Runde werden wir möglicherweise noch dazu kommen, über das Thema Patientenverfügung zu sprechen, welches in diesem Zusammenhang eine ganz zentrale Rolle spielt. Die rechtlichen Möglichkeiten müssen in diesem Bereich besser gestaltet werden, als es derzeit der Fall ist.

Auch in diesem Zusammenhang darf ich auf die ehrenamtliche Arbeit zum Beispiel in Seniorenräten hinweisen, die mir in großer Zahl bekannt sind und die die Menschen einfach auch darüber informieren, was überhaupt möglich und machbar ist, und damit die Grundlage dafür schaffen, dass jeder für sich und seine Angehörigen rechtzeitig Verantwortung übernehmen kann.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie der Abg. Gall SPD und Kretschmann GRÜNE)