Protocol of the Session on October 24, 2001

(Unterbrechung der Sitzung: 12:13 Uhr)

(Wiederaufnahme der Sitzung: 14:02 Uhr)

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, Platz zu nehmen. Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

a) Aktuelle Debatte – Aufgabenerfüllung der Atomaufsicht in Baden-Württemberg – beantragt von der Fraktion der SPD

b) Antrag der Fraktion der CDU – Kernkraftwerk Philippsburg II – Drucksache 13/283

c) Antrag der Fraktion GRÜNE – Umgang mit schwierigen sicherheitsrelevanten Vorkommnissen im Atomkraftwerk Philippsburg II – Drucksache 13/287

d) Antrag der Fraktion GRÜNE – Ungereimtheiten und Widersprüchlichkeiten im Zusammenhang mit der Aufarbeitung des Störfalls im Atomkraftwerk Philippsburg II (KKP II) – Drucksache 13/314

e) Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD – Entlassung des Ministers für Umwelt und Verkehr – Drucksache 13/328

Zu den Anträgen unter den Tagesordnungspunkten 2 b bis 2 d liegen inzwischen die Stellungnahmen der Ministeriums für Umwelt und Verkehr vor.

Zum Antrag Drucksache 13/314 liegt der Änderungsantrag der Fraktion GRÜNE, Drucksache 13/350, vor.

Meine Damen und Herren, für die Aktuelle Debatte und die Aussprache über die Anträge wird eine Gesamtredezeit von zehn Minuten je Fraktion vorgeschlagen – dies entspricht einer Absprache zwischen den Fraktionen –, wobei gestaffelte Redezeiten gelten.

Bei Aktuellen Debatten gilt üblicherweise für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen jeweils eine Redezeit von fünf Minuten. Da wir gestaffelte Redezeiten haben, schlage ich vor, dass wir nicht wie bei Aktuellen Debatten verfahren, sondern jeder Fraktion freigestellt wird, wie sie ihre Redezeit in Anspruch nehmen will. – Sie stimmen dem zu.

Das Wort erhält Herr Abg. Drexler.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute Morgen haben wir über die Sicherheit von Kernkraftwerken diskutiert und dabei festgestellt, dass wir

mehr Streifen brauchen, dass wir mehr Überwachung brauchen. Dies alles nützt aber nichts, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn im Innern des Kernkraftwerks alles schief läuft, unter anderem auch die Atomaufsicht.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Wenn es im Innern nicht funktioniert, brauchen wir nicht mehr Streifen, müssen wir auch keine Flugzeuge „drüber schicken“.

Ich spreche jetzt nicht ausschließlich über die EnBW. Die EnBW hat gravierende Fehler gemacht. Auch der TÜV hat gravierende Fehler gemacht. Heute vergleicht eine Zeitung den TÜV, die EnBW und das Umweltministerium mit den drei Affen, von denen sich einer den Mund, einer die Ohren und einer die Augen zuhält.

(Minister Dr. Döring: Das sah aber gut aus!)

(Minister Dr. Döring: Das sah gut aus!)

Das sah gut aus, ja.

(Glocke des Präsidenten)

Das ist unparlamentarisch! Herr Minister, bitte keine Zwischenrufe von der Regierungsbank.

Das kann man auch so erklären: Die EnBW ist derjenige gewesen, der den Mund gehalten hat, der TÜV war derjenige, der nichts gehört hat, und die Atomaufsicht war derjenige, der nichts gesehen hat.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt wollen wir doch einfach einmal erklären, wie das war: Am 12. August 2001 wird der Reaktor wieder angefahren, ohne Messung der Flutbehälter – ohne Messung der Flutbehälter! Am 25. August, also fast 14 Tage später, wird gemessen und festgestellt, dass in einem Flutbehälter eine zu niedrige Borsäurekonzentration vorhanden ist. Danach geht der zuständige Mitarbeiter natürlich – weil Samstag war – in den Urlaub, und am Montag, dem 27. August, finden weitere Messungen statt – Ergebnis: ebenfalls zu niedrige Werte –, am 28. August wird das Umweltministerium telefonisch davon informiert, und es wird auch ein Gesprächsangebot gemacht, das aber offensichtlich abgelehnt wird.

Nun sage ich einmal: Es könnte ja sein, das derjenige vom Umweltministerium, der das Gespräch angenommen hat, nicht richtig zugehört hat. Aber am 31. August kam ein Fax, und darin stand, dass in drei von vier Flutbehältern eine zu niedrige Borsäurekonzentration vorhanden war, und am Mittwoch, dem 5. September, kam eine schriftliche Meldung per Post im Umweltministerium an, in der genau das Gleiche noch einmal schriftlich dargestellt wurde.

Jetzt muss ich schon sagen: Dass Beamte des Umweltministeriums nicht feststellen können, dass das Notsystem, wenn in drei von vier Flutbehältern die Borkonzentration zu niedrig ist, nicht sicher ist und dass der Reaktor damit gar nicht hätte angefahren werden dürfen, das wundert

mich bei der Atomaufsicht, Herr Minister. Das wundert mich bei der Atomaufsicht!

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Aus diesem Schreiben – es wird noch viel einfacher – geht hervor – auch aus dem Fax; man muss es natürlich von vorn bis hinten durchlesen –, und das hätte jeder Beamte mit einer durchschnittlichen Intelligenz feststellen können, dass beim Anfahren des Reaktors überhaupt nicht gemessen wurde, sondern der Reaktor 14 Tage betrieben wurde, ohne dass in den drei Flutbehältern gemessen wurde, also im Blindflug betrieben wurde. Schon da hätte man sagen müssen: Kein Vertrauen mehr in jemanden, der einen Atomreaktor so betreibt! Abschalten!

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Uns ist völlig unerklärlich, wieso die Beamten, die sich damit beschäftigt haben, das nicht festgestellt haben. Man kann sogar auf diesem Fax feststellen, wann die Messungen stattgefunden haben.

Dann geht die Pannenserie weiter: Am 5. September erfolgte die schriftliche Meldung, am 10. – fünf Tage später – hat man sie dann weitergeleitet, und am 26. September ging die schriftliche Stellungnahme des TÜV mit der groben Fehleinschätzung ein.

Aber auch aus der Stellungnahme des TÜV, Herr Minister, hätte man feststellen können – aus der Zusammenfassung oben –, dass drei der vier Flutbehälter nicht die richtige Borsäurekonzentration hatten. Da müssen doch bei jedem in der Abteilung die Lampen glühen, und da muss man sich sagen: „Da muss ich mal nachfragen, welche Konzentration man überhaupt braucht, und wenn die nicht vorhanden ist, dann ist dieser Reaktor nicht betriebsfähig.“ Nichts gemacht worden!

(Der Redner hält ein TÜV-Gutachten hoch.)

alles steht drin. Die EnBW hat im Übrigen nicht falsch informiert. Sie hat den ganzen Sachverhalt mitgeteilt. Er wurde bloß nicht richtig subsumiert in dieser Abteilung – das ist der eigentliche Vorwurf –,

(Abg. Dr. Salomon GRÜNE: So ist es!)

und da kann man nicht am Schluss sagen: „Ich bin nicht informiert worden, weil die Einstufung des Betreibers falsch war.“ So darf man Atomaufsicht nicht betreiben!

Am 28. September, Herr Minister, haben Sie von der hochkritischen Bewertung durch das Bundesumweltministerium erfahren. Selbst dann, wenn Sie sagen: „Ich übernehme doch nicht die politische Verantwortung für meine Leute“, sind Sie doch persönlich dafür verantwortlich, dass vom 28. September bis zum Tag der Stilllegung, bis zum 8. Oktober, keine Entscheidung gefällt wurde. Sie persönlich, nicht Ihre Beamten! Sie hätten doch am 28. September, nachdem Sie das erfahren haben, Ihre Truppe zusammenrufen und feststellen können: Es gibt eine andere Bewertung. Stattdessen haben Sie erst langwierige Gespräche mit den Betreibern angeordnet.

Wenn ich von der Reaktorsicherheitskommission darüber informiert werde, dass es eine kritische Situation gibt, muss ich in der Position als Umweltminister doch sagen: „Schluss, aus, fertig, innerhalb von zwei Stunden müssen die Betreiber herkommen. Wenn dies nicht genügt, habe ich kein Vertrauen mehr, und der Reaktor wird abgeschaltet.“ Das ist Ihre Aufgabe.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Sie wurden von Herrn Trittin nach Berlin bestellt, und selbst an diesem Tag haben Sie der Presse noch erzählt, Sie verstünden die ganze Aufregung nicht: „Was soll diese Hektik des grünen Umweltministers?“ In Berlin hat die Reaktorsicherheitskommission Sie darüber aufgeklärt, dass Ihre bisherige Sichtweise nicht zutreffend ist. Danach wurde Herr Müller plötzlich zum „Rambo“, schlagartig:

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

„Der Betreiber ist schuld, jetzt muss er schließen!“ Dann hatte man es „geschnallt“. Sie haben im Grunde genommen 57 Tage lang, seit dem Wiederanfahren des Reaktors, falsch gehandelt, nicht gehandelt und nicht richtig gelesen. Sie haben keinerlei Aktionsfähigkeit bewiesen. Deswegen sagen wir, Herr Minister: Sie sind nicht an der richtigen Stelle.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Schon nach dem Diebstahl des Plutonium-Reagenzgläschens aus der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe ist uns aufgefallen, dass Sie vor der Presse gesagt haben, Sie hätten sich nicht vorstellen können, dass im Kernkraftwerk kriminelle Energie vorherrscht und dass so etwas überhaupt stattfinden könnte. Gestern Abend haben Sie im Fernsehen gesagt, Sie könnten sich nicht vorstellen, dass sich der Betreiber so verhalte. Wir müssen doch bei Ihnen keine Aufklärungsarithmetik betreiben, was ein Betreiber alles machen kann!

(Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Was er sich vorstel- len kann!)