Erstens: das Jugendleiter-Sonderurlaubsgesetz. Wir sind uns einig, dass die jungen Leute besser sind als ihr Ruf, dass sie sich einbringen, engagieren, Verantwortung über
nehmen wollen. Ich bin sicher, wir alle, die wir hier sitzen, werden nicht müde, diese Bereitschaft und dieses Engagement zu loben, zu würdigen, und dies völlig zu Recht. Doch die jungen Leute wollen nicht nur Lob hören, sie wollen Taten sehen, völlig zu Recht, und sie weisen eindringlich darauf hin, dass sie ihr bürgerschaftliches, ihr ehrenamtliches, ihr freiwilliges Engagement verantwortlich ausüben wollen. Dazu ist Fortbildung notwendig, und zwar nicht zu knapp.
Sie können doch nicht, werte Kollegin, in vielen Reden die nachlassende Erziehungskraft vieler Familien beklagen, daraus die Überforderung der Schulen ableiten und dann so tun, als könnten 16-Jährige die Verantwortung übernehmen als Gruppenleiter, als Mitarbeiter in Projekten, als Mitarbeiter in Freizeiten und locker ohne ein Minimum an Ausund Fortbildung auskommen.
Das Jugendleiter-Sonderurlaubsgesetz für Jugendliche ab 16 Jahre muss her. Helga Solinger hat in der letzten Legislaturperiode bereits einen Entwurf vorgelegt. Da waren Sie leider noch nicht so weit. Sie haben das in der Enquete erkannt. Aber jetzt, anderthalb Jahre nach dieser Enquete, erklärt die Landesregierung lapidar: „Die Meinungsbildung ist noch nicht abgeschlossen.“
Seit mehr als einem halben Jahrzehnt ist dies Thema, und die Landesregierung hat sich noch keine Meinung gebildet. Man sollte es nicht glauben!
Zweitens: Jugendsozialarbeit an Schulen. Es war Konsens in der Enquete, dass die Jugendsozialarbeit an Schulen gefördert und ausgebaut werden soll. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben viele Jahre dafür gekämpft. Heute gibt es ein breites Bündnis für diese Arbeit. Ob Sie den Landeselternbeirat fragen, Ausbildungsleiter in den Betrieben, Kommunalpolitiker, Jugendsachbearbeiter der Polizei, alle sind sich einig: Dieser Ausbau muss kommen, er muss rasch kommen und unter dauerhafter Beteiligung des Landes. Wir haben beschlossen, dass eine künftige Finanzierung im Einvernehmen mit den Landkreisen, Städten und Gemeinden erfolgen soll. Einvernehmen ist nicht herzustellen, wenn einer der Partner sagt: Mir gebet nix! Das heißt, das Land ist hier dauerhaft in der Pflicht, muss dauerhaft mit dabei sein.
Inwieweit dies dann aber für Sie gilt, da habe ich meine Zweifel. Denn wie sonst ist zu erklären, dass Sie nun erst einmal Erfahrungen sammeln wollen, diese auswerten wollen, um dann endlich in den Haushaltsberatungen 2002/ 2003 – da ist die Wahl vorbei – zu entscheiden? Als wenn es nicht schon genug Erfahrungen mit der Jugendsozialarbeit an Schulen über viele Jahre hinweg gäbe! Und wie sonst ist es zu erklären, dass Sie in den Verhandlungen über die künftige Regelfinanzierung die Beteiligung der Kommunen und Jugendhilfeträger festschreiben wollen, aber von einer Beteiligung des Landes keine Rede mehr ist? Ganz davon abgesehen, dass die derzeitige Förderung genau 269 Anträge erfasst und nur 91 Schulen zum Zug kommen. Das reicht hinten und vorne nicht.
Drittens: verlässliche Öffnungszeiten an Schulen und der Ausbau von Ganztagsangeboten. Sie verweisen stolz auf eine Steigerung um 8 % bei den Hortgruppen innerhalb eines Jahres, und Sie verschweigen, dass wir im Vergleich unter den westlichen Bundesländern unter „ferner liefen“ laufen. 3,5 Hortplätze auf 100 Kinder sind es im Durchschnitt der westlichen Bundesländer, 1,8, also etwa die Hälfte, in Baden-Württemberg. Das sind die Relationen, wenn es um die Betreuung unserer Kinder geht und um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Bei den Grundschulen verweigern Sie den Kindern den Unterricht, den die anderen Bundesländer ihren Kindern bieten, und führen Schulgeld durch die Hintertür ein.
Wenn Sie schreiben, dass die Handlungsempfehlung der Enquete, ein flexibles, bedarfsorientiertes Konzept zu entwickeln, mit der Einführung der verlässlichen Grundschule erfüllt ist, dann spricht dies den Empfehlungen der Enquete Hohn.
Die Realität an unseren Schulen sieht anders aus. Die Klagen der Eltern, der Schüler und der Lehrer belegen dies täglich eindrücklich.
(Abg. Wacker CDU: Wir hören keine Klagen darü- ber! – Abg. Haas CDU: Bringen Sie doch mal die Klagen bei!)
Viertens: Integration von jugendlichen Migrantinnen und Migranten. Meine Damen und Herren, was haben Sie in der letzten Zeit nicht alles über Integration gesagt, wie wichtig es ist, dass diejenigen, die dauerhaft bei uns leben wollen, auch Deutsch lernen müssen. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Diese Forderung teilen wir, denn wer sich integrieren will, muss sich mit den Menschen, mit denen er lebt, auch verständigen können, ein Beitrag, der von Migrantinnen und Migranten zu leisten ist.
Aber wo ist der Beitrag der Landesregierung? Integration ist ein zweiseitiger Prozess. 1990 erhielten noch 30 % der ausländischen Jugendlichen bei uns Sprachförderung, im vergangenen Jahr waren es nur noch 12 %. Das nenne ich „Sprachförderung light“, ein Beitrag zu der von Ihnen propagierten Leitkultur. Was will man im Grunde auch anderes erwarten von einem, der 100 Millionen DM ausgibt, nur um nicht Hochdeutsch lernen zu müssen.
Fünftens: die Förderung von Benachteiligten. Dazu hatten wir einvernehmlich empfohlen, dass sich das Land verstärkt für die Schaffung von Ausbildungsverbünden einsetzen soll, dass es modulare Ausbildungsgänge erproben und die Vergaberichtlinien ändern soll. Darauf hatten wir uns geeinigt – alle Fraktionen, die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer, die Jugendhilfe und die Kommunen. Es ist eine große Chance für benachteiligte Jugendliche, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, und eine Hilfe für die Betriebe, die sagen: Wir lassen den Jungen oder das Mädel nicht im Stich.
Was ist geschehen? Nichts. Sie verweisen auf das JUMPProgramm der Bundesregierung, zweifelsohne ein sehr erfolgreiches Programm, da haben Sie Recht. Aber das ist doch kein Grund, sich zurückzulehnen angesichts von 30 000 arbeitslosen Jugendlichen in Baden-Württemberg. Zum Zurücklehnen sind Sie nicht gewählt. Sie können doch nicht nur darauf warten, dass andere Ihnen die Arbeit abnehmen.
Ich meine, das machen wir ja gern. Aber das geht halt erst ab 2001, da sind wir realistisch. Bis dahin sollten Sie schon noch etwas tun.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich spreche zunächst zum Landesjugendbericht. Meine Kollegin Rastätter wird sich später mit der Jugendenquete und der gemeinsamen Initiative der Jugendsprecher befassen.
Wir haben erstmals einen solchen Landesjugendbericht auf dem Tisch liegen, so wie es das Kinder- und Jugendhilfegesetz des Landes vorsieht. Ich möchte daran erinnern, was dort in § 10 Abs. 2 steht:
Die Landesregierung unterrichtet den Landtag mindestens einmal in jeder Legislaturperiode anhand der vorliegenden Jugendhilfeplanungen der örtlichen und der überörtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe über... in Baden-Württemberg sowie die Folgerungen für die Jugendhilfe im Lande, die sie für erforderlich hält (Landesjugendbericht).
Folgerungen – davon ist die Rede. Was haben wir jetzt in der Hand? Wir haben 1 500 Seiten Papier, und die Landesregierung sagt, das sei ein Gesamtgefüge – ich könnte jetzt lästern und sagen: wohl ein Gesamtkunstwerk.
Nicht nur wir im Sozialausschuss haben uns damit beschäftigt, sondern das haben inzwischen auch andere Fachleute getan. Der Bericht war Gegenstand der Besprechung im Landesjugendhilfeausschuss des Landeswohlfahrtsverbands Württemberg-Hohenzollern am 12. Oktober. Was man dort als Würdigung beschlossen hat, lohnt sich auch vorzulesen:
Die Erstellung des ersten Jugendhilfeberichtes war ein anspruchsvolles und mit manchen Schwierigkeiten behaftetes Pilotprojekt, das aus den gegebenen Rahmenbedingungen das Beste gemacht hat und eine Fülle von Informationen, statistischen Daten, Überblicken und Denkanstößen für Politik, Praxis und Forschung liefert.
Meine Damen und Herren, niederschmetternder kann man es eigentlich kaum ausdrücken. Denn wenn eine Landesregierung aus etwas „das Beste gemacht“ hat, dann ist das so, wie wenn man einer Arbeitnehmerin ins Zeugnis schreibt: „Sie hat sich bemüht“, und das ist bekanntlich ein vernichtendes Urteil.
Uns reicht es nicht, dass sich die Landesregierung bemüht hat. Ich kann wiederum nur diesem Jugendhilfeausschuss zustimmen, der zu dem Fazit kommt:
Völlig unbefriedigend bleibt die Tatsache, dass das Land keinerlei Aussagen über konkrete Konsequenzen macht.
Das heißt, hier ist schlicht und ergreifend der gesetzlichen Vorschrift nicht Genüge getan worden. Man kann auch sagen: Jugendpolitik – Fehlanzeige. Wir haben hier eher so etwas wie einen Bericht des Statistischen Landesamts, und selbst dafür sind die Zahlen nicht aktuell genug, denn sie stammen zum Teil aus dem Jahr 1994.
Schauen wir uns einige Beispiele an. Da ist zum einen die Jugendhilfeplanung. Der Bericht – ich erinnere an die Formulierung im Gesetz – soll anhand der vorliegenden Jugendhilfeplanungen erstellt werden.
Das war nicht möglich. Das ist zunächst einmal ein Defizit der Kommunen; denn wir stellen fest, dass von 49 Jugendämtern gerade mal sieben Gesamtpläne für die Jugendhilfe erstellt haben, dass sieben Jugendämter noch gar nichts getan haben und bei den anderen nur Teilplanungen existieren.
Nun verweist der Landesjugendbericht auf die Hoffnung, dass von dem Bericht ein starker Impuls zur Jugendhilfeplanung ausgeht. Meine Damen und Herren, auf Hoffnung kann man in der Politik nicht setzen. Gewiss ist hier das Land nicht par ordre du mufti in der Lage, die Kommunen anzuweisen. Denn die Jugendhilfeplanung fällt in deren Zuständigkeit. Aber wir haben ja die Landesjugendämter, die auch dazu da sind, die Jugendämter zu begleiten. Man könnte hier doch ein Projekt starten, wonach mit finanzieller Unterstützung eine solche Begleitung bei einer integrierten Jugendhilfeplanung in Szene gesetzt wird. Ich denke, das wäre ein richtiger Schritt.
Es gäbe viele andere Beispiele zu nennen, bei denen das Land aus den vorgestellten Zahlen keine Konsequenzen zieht. Denken Sie an die Tagesbetreuung für Kinder, insbesondere für die unter Dreijährigen. Heute können Sie in Bezug auf die Situation in Stuttgart wieder in der Zeitung lesen, welches Defizit da herrscht.
Die Landesregierung ist sich nicht einmal darüber klar, welche Zahlen sie eigentlich hat. In diesem Jugendbericht stehen andere als in der Stellungnahme zu einem Antrag von uns. Beide berufen sich aber auf dieselbe Quelle. Da geht es schon einigermaßen drunter und drüber.
Immerhin sind ja mehrere Ministerien zuständig. Das Kultusministerium fördert zusammen mit den beiden Landesjugendämtern ein Qualitätsentwicklungsprojekt des Landesjugendrings und der AGJF. Das Sozialministerium wiederum hat unseren Antrag, sich an der Qualitätsentwicklung nach dem entsprechenden Bundesprogramm zu beteiligen – das hätte „lumpige“ 100 000 DM gekostet –, abgelehnt. Also auch hier Fehlanzeige, weil man glaubt: Wenn etwas aus Berlin kommt, taugt es ohnehin nichts. Ich kann nur sagen: Hätten Sie da einmal mitgemacht.
Zum Thema Schulsozialarbeit: Die Landeswohlfahrtsverbände, insbesondere der Landeswohlfahrtsverband Württemberg-Hohenzollern, haben das einmal angestoßen und 11 Millionen DM investiert. Als Folge der Jugendenquete gab es nun eine Förderung von 6,2 Millionen DM. Aber es gibt nach wie vor keine verlässliche Finanzierung, keinen verlässlichen Anteil des Landes. Wir meinen, meine Damen und Herren: Es wird höchste Zeit, dass das Land endlich zusagt: „Wir zahlen hier ein Drittel.“ Dann können sich die Kommunen auch darauf verlassen.
Damit ich meiner Kollegin Rastätter noch genügend Redezeit übrig lasse, will ich zum Abschluss nur sagen: Wir haben auch eine Anregung für die zukünftige Erstellung des Landesjugendberichts: Ähnlich wie im Bund sollte man auch einmal im Land Experten anhören und Expertisen vergeben, also nicht nur auf Zahlen der familienwissenschaftlichen Forschungsstelle zurückgreifen. Dann könnte man auch problem- und lösungsorientierter vorgehen.
Im Ganzen gesehen – damit es auch einmal zur Umsetzung im Bereich der Jugendpolitik kommt –, halten wir die Bündelung der Zuständigkeiten in einem Ministerium für sinnvoll.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der uns vorliegende Landesjugendbericht ist der erste, der nach dem neuen Kinder- und Jugendhilfegesetz zu erstellen war. Lassen Sie, Frau Bender, in dieser Sache deshalb etwas Gnade walten.