Konkret: In der Gemeindeordnung ist gegenwärtig dieser unglückselige Positivkatalog enthalten. Danach können nur wichtige Gemeindeangelegenheiten Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden unterworfen werden. Ich ziehe daraus den Umkehrschluss: Der Gemeinderat, da er ja über alles entscheidet, entscheidet somit auch über „unwichtige“ Angelegenheiten. Überlassen Sie der Bürgerbeteiligung, der direkten Demokratie, dieselben Rechte wie dem Gemeinderat. Auch hier liegt in Ihren Aussagen Unstimmigkeit vor. Wir halten es für richtig, dass alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden unterworfen werden können, und zwar mit einem Negativkatalog, nämlich ausgenommen die Fälle, in denen eine Frage aus rechtlichen oder organisatorischen Gründen oder wegen der Komplexität des Themas nicht mit Ja oder Nein beantwortet werden kann. Wenn wir so verfahren, gibt es keine Abgrenzungsprobleme.
Volksbegehren haben richtige und wichtige Ansätze wie zum Beispiel die Einführung eines Bürgerbegehrens und -entscheids auf Landkreisebene oder das Auskunftsrecht und die Gleichstellung bei der Information der Öffentlichkeit. Dies alles sind grundvernünftige und liberale Forderungen.
So der Parteivorsitzende der FDP/DVP, Herr Döring. Ich bin gespannt, was Sie gegen Herrn Döring zu sagen haben.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bei den vorliegenden Gesetzentwürfen geht es darum, in welcher Form sich Bürgerinnen und Bürger, die nicht in kommunalen Gremien mit ihren Sachzwängen eingebunden sind, demokratisch in unserer Gesellschaft beteiligen können. Es geht darum, wie sie sich mehr in unserer Demokratie einbringen können, wie die Möglichkeiten dafür verbessert oder überhaupt erst geschaffen werden. Denn nur derjenige, der über Sachthemen mitdiskutieren und -entscheiden kann und nicht nur auf folgenlose Unterschriften angewiesen ist, wird sich ernsthafter mit den Themen auseinander setzen.
Die Bürgerinnen und Bürger werden sich dann mehr als heute als Teil dieser Gesellschaft und ihrer Politik sehen. So könnte eine Mitmachdemokratie entstehen. Der Wettbewerb um die bessere Idee, um das bessere Argument könnte unserer Demokratie nur gut tun. Freilich müssen dann manche Politiker und manche Politikerinnen mehr auf die Kraft ihrer Argumente setzen als auf ihre Seilschaften. Vielleicht ist es das, was ihnen das Umdenken so schwer macht.
Die Blockadehaltung der CDU gegen Volksentscheide im Bund und in Baden-Württemberg kann ich nicht verstehen. Warum traut diese angebliche Volkspartei den Bürgerinnen und Bürgern nicht zu, nach einer öffentlichen Debatte fundiert zu entscheiden?
Das steht im Ausschussprotokoll. – Mit diesem Standpunkt oder, besser gesagt, mit diesem Nicht-Standpunkt soll fortschrittliche und bürgerfreundliche Politik präsentiert werden. Ich sehe nur Stillstand
oder auch Rückschritt. – Bürgerinnen und Bürger wollen sich beteiligen. Sie wollen Möglichkeiten haben, sich zu gegebener Zeit an Einzelprojekten zu beteiligen.
Sie wollen ihren Sachverstand einbringen und auch die persönliche Betroffenheit zum Ausdruck bringen können. Bürgerinnen und Bürger wollen nicht nur alle vier oder fünf Jahre bei Wahlen über ihre Zukunft entscheiden; sie wollen auch zwischen den Wahlen die Politiker und Politikerinnen auf den Prüfstand nehmen können.
Den vorliegenden Gesetzentwurf zur Erleichterung bzw. Ermöglichung von Bürgerentscheiden in Gemeinden und Landkreisen halten wir nach wie vor für einen überfälligen Schritt in der Demokratieentwicklung in unserem Land. Politikverdrossenheit ist kein beliebiges Schlagwort, sondern eine reale Gefahr, eine Zeitbombe für unser Gemeinwesen. Dies kommt in steigenden Wahlenthaltungen und im verstärkten Auftreten antidemokratischer Kräfte deutlich zum Ausdruck. Direkte Demokratie ist kein Allheilmittel, aber eine sehr viel versprechende Therapie.
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dies ist das dritte Mal, dass wir uns in dieser Legislaturperiode über dieses Thema unterhalten. Dabei ist eigentlich nicht viel Neues herausgekommen. Herr Redling, auch Ihre Partei hat ja Erfahrungen mit der unmittelbaren Demokratie. Ich denke daran, dass Sie einmal per Mitgliederbefragung Ihren Kanzlerkandidaten gewählt haben, der dann in einer Nacht-und-Nebel-Aktion von demjenigen, der jetzt im Saarland im Abseits sitzt, kurzerhand abgelöst wurde. Daran sehen Sie, welchen Wert solche Volksabstimmungen oder Mitgliederbefragungen haben.
Jetzt ein paar Sätze zum Grundsätzlichen. Die Gemeindeordnung in Baden-Württemberg hat sich in ihren Grundzügen in den vergangenen Jahrzehnten bewährt: Sie hat zu hervorragenden Ergebnissen geführt. Sie hat sogar dazu geführt, dass fast alle anderen Bundesländer,
die andere Kommunalverfassungen hatten, die baden-württembergische Kommunalverfassung, das Grundgesetz der Kommunen, übernommen haben.
Nun ist einfach festzuhalten, dass Sie, sowohl Rot als auch Grün, ein anderes Verständnis von Kommunalverfassung und kommunaler Selbstverwaltung haben.
Wir sind der Meinung, dass der von der Bevölkerung gewählte Gemeinderat in der Gesamtverantwortung steht, die Aufgaben der Gemeinde vernetzt zu betrachten, die Probleme vernetzt anzugehen und nicht Partikularinteressen zum Durchbruch kommen zu lassen.
(Abg. Birzele SPD: Sie machen doch die Unter- schriftenaktion! Sie wollen die Bürger mobilisie- ren, aber nicht entscheiden lassen!)
Dies in die Debatte zu bringen ist völlig verfehlt. Wir sprechen über Ihren Gesetzentwurf, nicht über die Mobilisierung der Bürger.
Der Gemeinderat hat eben die Zusammenschau der gesamten Kommunalentwicklung, der finanziellen Zusammenhänge und auch stadtgeschichtlicher oder gemeindegeschichtlicher Aspekte. Aufgrund dieser Gesamtzusammenschau ist er auch dazu berufen, Entscheidungen zu treffen, nicht aber dazu da, individuelle Sonderinteressen vor das Gemeinwohl zu stellen.
Sie wollen eine weitere Quotenabsenkung. Wir halten das für falsch. Wenn ein Thema die Bürgerschaft wirklich interessiert und umtreibt und es ihr am Herzen liegt, über etwas zu entscheiden, ist auch das Quorum zu erreichen, wie das übrigens in der Praxis bewiesen wurde.
Das Zweite ist: Sie wollen den Positivkatalog aufheben. Man kann darüber diskutieren, ob ein Positivkatalog oder ein Negativkatalog das Richtige ist. Aber Sie wollen fast alles für den Bürgerentscheid öffnen. Ich nehme nur einmal den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Die würde die Bürger auch über den Haushalt und über Steuern und Gebühren abstimmen lassen. Bei der SPD geht es nicht ganz so weit, aber auch sie will Grundstückssachen, Bebauungspläne grundsätzlich für den Bürgerentscheid öffnen. Wer einige Erfahrung aus der kommunalen Praxis hat, der weiß, zu welchen Ergebnissen das führen würde: zu Nachteilen, gelegentlich auch zu erheblichem Schaden.
Ich führe wieder das Beispiel an, auf das ich schon einmal hingewiesen habe: Wenn sich ein Unternehmen in einer
Gemeinde ansiedeln möchte und Sie sagen, dass die Gefahr bestehe, dass ein Bürgerbegehren stattfinde und es dann zu einem Bürgerentscheid komme, brauchen Sie mit dem Unternehmer gar nicht mehr weiter zu verhandeln; denn der sagt, er brauche in zwei, drei oder vier Wochen eine Entscheidung und nicht in einem Dreivierteljahr, und verabschiedet sich. Deswegen ist das völlig untauglich, genauso wie die Sperrwirkung, die Sie für den Fall wollen, dass Gemeinderatsbeschlüsse gefasst sind und ein Bürgerbegehren anläuft. Das führt zu einer Lähmung der Kommunalverwaltung und nicht zu einer Verbesserung.
Ich denke, dass das Thema „Einführung des Bürgerentscheids auf der Landkreisebene“ nicht weiter diskutiert zu werden braucht. Es ist bei den Themen, die die Landkreise zu entscheiden haben, untauglich.