Protocol of the Session on November 22, 2000

Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Was will die Landesregierung bei Messe und Flughafen wirklich? – beantragt von der Fraktion der SPD

Ich weise noch einmal darauf hin, dass auch die Regierung gebeten wird, die Redezeiten einzuhalten, die dem Parlament vorgegeben sind.

Ich erteile Herrn Abg. Brechtken das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg ist geprägt durch eine ausgesprochene Stärke in der Produktion. Andererseits brauchen wir eine Dynamik in der Entwicklung von Dienstleistungen. Wenn dies so ist, brauchen wir für beides endlich die notwendige Infrastruktur. Die notwendige Infrastruktur – das war bisher die Position der Landesregierung – ist erstens ein Flughafen, der in Arbeitsteilung mit anderen Flughäfen in der Bundesrepublik – was darüber hinaus den Charterverkehr angeht, bahnen sich ja auch landesinterne Kooperationen an – vor allem landseitig verbessert werden muss, zweitens eine Messe, die modernsten Gesichtspunkten entspricht und verkehrlich optimal eingebunden ist – denn das wäre der Standortvorteil dieser Messe –, und drittens ein Projekt Stuttgart 21 einschließlich der Einbindung in den europäischen Fernverkehr mit der Anbindung von Messe und Flughafen im jetzigen Bereich. Dies sind die drei Punkte, über die bisher Konsens bestand.

Wenn man dies will, braucht man in diesen Fragen Verlässlichkeit. Es darf nicht sein, dass man seine Positionen permanent ändert und sie infrage stellt und so zu Spekulationen Anlass gibt. Wir haben diese Debatte deshalb beantragt, um heute in diesem Parlament Klarheit zu bekommen. Meiner Ansicht nach geht es nicht an, dass in diesen Fragen permanent Verunsicherungen entstehen.

Was war die erste Verunsicherung? Der Flughafenchef hat in einem Interview mit einer Zeitung plötzlich erhebliche Umbaupläne für den Flughafen sozusagen in die Öffentlichkeit gebracht – gegen den bisherigen Konsens in der Politik und gegen die bisher vorhandene gemeinsame Meinung, den Flughafen Stuttgart im Rahmen dieser Arbeitsteilung der Flughäfen zu betrachten.

(Abg. Kretschmann Bündnis 90/Die Grünen: Wir sind im Konsens nicht drin, das möchte ich beto- nen! – Gegenruf des Abg. Maurer SPD: Wir bauen die Messe in Sigmaringen für dich!)

Die zweite Verunsicherung war ein Brief des Herrn Wirtschaftsministers vom 12. September 2000, mit dem er sich an 50 Unternehmen wendet. In diesem Brief heißt es wörtlich – ich darf zitieren –:

Man muss aber ganz selbstverständlich getroffene Entscheidungen immer wieder einmal hinterfragen und an den Realitäten messen, zumal wenn sich diese geändert haben.

Dies ist der Satz des Herrn Döring. Dies ist nicht ein Hinterfragen nach dem Motto „Liebe Wirtschaft, unterstützt uns stärker“. Dies ist ein Hinterfragen der bisherigen Position der Landesregierung. Dazu brauchen wir jetzt klare Auskünfte: Steht die Landesregierung zu ihrer bisherigen Politik, oder steht sie nicht zu ihrer Politik?

(Beifall bei der SPD)

Herr Ministerpräsident, was muss die Bevölkerung im Filderraum glauben, die bisher von einer bestimmten Position, etwa beim Ausbau des Flughafens, ausging, wenn jetzt plötzlich andere Überlegungen einerseits durch den Flughafendirektor und andererseits durch den Wirtschaftsminister dieses Landes kommen, der in seinem Brief von einem „internationalen Flughafen“ spricht?

Was muss eine Bevölkerung glauben, der man sagt, dies seien zusätzliche Belastungen? Es sind erhebliche Einschränkungen dort oben. Damit hat es aber sozusagen mit der Gesamtplanung sein Ende. Die Bevölkerung glaubt uns doch nichts mehr. Damit ist das Entscheidende, was wir auch brauchen, nämlich ein Mindestkonsens im dortigen Raum, gefährdet. Herr Noll und andere haben darauf zu Recht hingewiesen.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Noll FDP/ DVP)

Wenn dieser Konsens gefährdet wird, ist die Infrastruktur gefährdet, und damit sind wesentliche Punkte für den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg gefährdet.

Sie haben darüber hinaus noch rechtliche Probleme aufgeworfen. Sie haben hier ein Messegesetz beschlossen, in

dem steht, dass der Bedarf für die Messe sozusagen gesetzlich vorgegeben wird, und gleichzeitig sagt der Wirtschaftsminister in seinem von mir bereits zitierten Brief, dass er das mittlerweile möglicherweise überdenken will, dass sich die Frage stellt, ob der Bedarf überhaupt noch gegeben ist. Wie kann ein Minister dieser Regierung, die zuvor gesagt hat, sie brauche das Gesetz, solche Briefe formulieren, die dem Gesetz den entscheidenden Hebel entziehen? Ich halte dies für unverantwortlich.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb, Herr Ministerpräsident, brauchen wir heute Klarheit. Der Herr Wirtschaftsminister zieht es ja vor, eine Auslandsreise zu machen.

(Unruhe und Zurufe, u. a. Abg. Drautz FDP/DVP: Das ist billig! – Abg. Dr. Glück FDP/DVP: Das ist unter Ihrem Niveau!)

Moment. Nein, nein, dazu sage ich Ihnen gleich etwas, liebe Kollegen von der FDP/DVP. Ich war ja in der letzten Legislaturperiode in der Situation, in der heute Herr Mehrländer ist. Nur kann ich mich erinnern: Mein Minister hat in der gleichen Situation eine Auslandsreise abgesagt und mich die Auslandsreise machen lassen, damit er hier im Parlament Rede und Antwort stehen konnte, weil er die Sache für wichtig gehalten hat. Dies ist der Unterschied, auch im Ansatz der Politik.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Glück FDP/DVP)

Deshalb erwarte ich heute nicht nur eine Antwort des zuständigen Staatssekretärs, sondern auch eine Antwort des Ministerpräsidenten, damit endlich wieder Klarheit in diese Diskussion kommt.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erhält Herr Abg. Oettinger.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen, meine Herren Kollegen! Lieber Herr Kollege Brechtken, die Frage mag ja berechtigt sein. Wir weichen ihr nicht aus; da ist unsere Position klar. Die Antwort wird so gegeben werden, wie sie vor einigen Tagen schon in den Medien nachzulesen war. Aber die Schärfe war nicht angebracht. Ihre Tonlage war unpassend wie auch der Vorwurf, der Wirtschaftsminister hätte die Reise absagen sollen, obwohl es um wichtige Außenhandelsgeschäfte und eine lang vorbereitete Maßnahme in Korea geht.

Ich glaube, dass es ausreichend und angemessen ist, wenn uns der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium und gegebenenfalls die Regierung hier Rede und Antwort stehen. Ich hätte auch Ihnen früher als Staatssekretär genügend Gewicht zugetraut und nichts dagegen einzuwenden gehabt, wenn in einem solchen Fall Dr. Spöri die Reise unternommen hätte.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zurufe: Sehr gut!)

In meinen Augen ist ein Staatssekretär eine ernst zu nehmende Persönlichkeit.

(Zuruf des Abg. Dr. Reinhart CDU)

Wie ist die Position der Landesregierung und der sie tragenden Regierungsfraktionen? Für die CDU-Fraktion kann ich sagen: Unsere Position war klar, ist klar und bleibt klar.

(Abg. Kretschmann Bündnis 90/Die Grünen: Nichts ist klar!)

Wir wollen die Messe, weil wir glauben, dass Baden-Württemberg ein Schaufenster braucht. Wir glauben, dass Baden-Württemberg für seine exportorientierte Wirtschaft, für den Maschinenbau, die Elektrotechnik, die Chemie, den Tourismus, die Nahrungsmittelindustrie ein Schaufenster benötigt, das auf dem Killesberg nicht mehr gewährleistet werden kann und nicht mehr haltbar ist und das bei allem Respekt vor Friedrichshafen, Karlsruhe, Offenburg, Villingen-Schwenningen, Freiburg, Mannheim und Ulm nur in Stuttgart in der Dimension und dort am besten auf den Fildern mit ihrer Infrastruktur realisiert werden kann. Deswegen unterstützen wir die Geschäftsleitung, den Aufsichtsrat und die Landesregierung beim Erwerb von Grundstücken und beim bevorstehenden Planfeststellungsverfahren und treten auch politisch dafür ein, dass die Messe für BadenWürttemberg im Interesse unserer Wirtschaft und im Interesse der Arbeitsplätze auf den Fildern als Infrastrukturbeitrag geplant, realisiert und eröffnet werden kann.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Bei diesem Punkt ist die Position der CDU Baden-Württembergs über alle Ebenen hinweg klar: die der LandesCDU, die der CDU in der Landtagsarbeit, die der CDU in der Regierungsarbeit, aber auch regional und lokal.

Gestatten Sie mir noch diesen kleinen Schlenker: Ich glaube, dass die SPD regional und lokal beim Thema Messe mehr nachzuarbeiten hat.

(Zuruf der Abg. Birgit Kipfer SPD – Abg. Maurer SPD: Regional gar nichts!)

Was hier ein Sturm im Wasserglas war, ist bei Ihnen eine ernst zu nehmende Opposition vor Ort. Diese auszuräumen wäre ein Beitrag dazu, dass die Messe früher und mit mehr Autorität in der politischen Debatte auch durchgesetzt werden kann.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Nicht der Brief von Dr. Döring, sondern Ihre Regionalversammlungsfraktion, Ihre Gemeinderatsfraktion und der Ihrer Partei angehörende Oberbürgermeister sind in Wahrheit Hürden dagegen.

(Abg. Kretschmann Bündnis 90/Die Grünen: Auch die CDU-Gemeinderäte in Ostfildern, Gott sei Dank! – Zuruf des Abg. Bebber SPD)

Das heißt, meine Bitte wäre: Ein größerer Beitrag als die Aktuelle Debatte wäre es, innerparteilich Überzeugungsarbeit dafür zu leisten, dass Ihre Position auch die Position der SPD vor Ort auf den Fildern wird.

Nun zum Flughafen. Da wird in der Tat im Brief des Wirtschaftsministers ein Stichwort gebraucht, das wir nicht akzeptieren und nicht teilen können. Er spricht vom „Interkontinentalflughafen“ und stellt einen Vergleich zu Zürich und Frankfurt her. Genau dies war der Flughafen Stuttgart nie und wird es nie sein. Stuttgart hat einen leistungsfähigen Flughafen für wichtige Teile Baden-Württembergs, einen Kontinentalflughafen, aber Direktflüge in die USA und in andere Regionen der Welt werden immer die Ausnahme sein. Wer anstrebt, dass der Flughafen Stuttgart gleichwertig zu Zürich und Frankfurt wird, der unterschätzt, wie eng die Region bebaut ist, der will im Grunde genommen eine Dimension, die dem Standort auf den Fildern nie und nimmer gerecht werden kann.

(Beifall des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

Wir haben derzeit zum Thema Flugwesenkonzept in Baden-Württemberg Folgendes auf der Tagesordnung, das es abzuarbeiten gilt:

Erstens: Bewerbung um den Baden-Airport und den Baden-Airpark, damit in gewissem Umfang Synergieeffekte zwischen Karlsruhe, Baden-Baden und Stuttgart möglich werden.

Zweitens: Entwicklungschance zu Cargo- und Frachtflügen in Lahr.

Drittens: Friedrichshafen.

Ich glaube, dass im Augenblick die Addition der vier Standorte mit dem Zentralstandort Stuttgart, nicht aber eine zweite Start- und Landebahn und nicht ein Ausbau auf der Tagesordnung stehen. Daran zu arbeiten ist aktuell. Alles andere ist, glaube ich, unnötig und trägt zu Irritationen bei.

(Beifall bei der CDU)