Protocol of the Session on October 26, 2000

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Das ist ein schwieriges Problem, welches dringend bearbeitet gehört, und deswegen kann ich die Auswahl der Kommission nachvollziehen. Denn hierfür wäre durchaus auch fächerübergreifender Unterricht angemessen. Das kann und sollte man nicht nur in der Literatur, sondern auch in anderen Bereichen behandeln.

Erst in der letzten Schulausschusssitzung haben wir das Thema bearbeitet, wie man denn damit umgeht, dass eine Umfrage ergeben hat, dass unsere Schülerschaft mit dem Thema Holocaust nicht viel anfangen kann. Wir haben gesagt: Wir müssen dieses Thema anders in unsere Bildungspläne einarbeiten. Insofern war der Zeitpunkt der Rücknahme äußerst unglücklich.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Ich gehe jedoch davon aus, dass dieses Buch durch die unfreiwillige Werbung in sehr vielen Schulen freiwillig behandelt wird und dass man dann das angemessene Maß findet, wie man damit umgeht.

Ein anderes: Ob die Kommission jetzt zurückgetreten ist oder nicht, das werden wohl die nächsten Tage vollends erweisen. Für mich ergibt sich aber der Hinweis aus der ganzen Sache – das habe ich in den letzten Jahren sehr wohl beobachtet, und das will ich positiv anmerken –, dass sich Umgang und Stil im Kultusministerium positiv verändert haben.

Jetzt gab es wohl einen gewissen Rückfall, aber ich habe durchaus die Hoffnung, dass nach diesem Vorgang ein weiterer Schritt nach vorn folgt.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Schlierer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Diskrepanz zwischen dem Anlass und der öffentlichen Aufgeregtheit ist sicherlich nur damit zu erklären, dass es in der Tat nicht um die Frage geht, warum eine Kommission zurückgetreten ist oder nicht, und dass es sicherlich auch nicht darum geht, dieses Buch in seinen Aussagen konkret zu bewerten. Hier wird ein Anlass gesucht, und hier wird der Versuch unternommen, eine ganz bestimmte politische Diskussion zu inszenieren.

(Abg. Deuschle REP: Sehr richtig!)

Frau Berroth, Ihnen möchte ich noch einen Tipp geben: Das Buch wird antiquarisch wie sauer Bier angeboten. Es ist also kein Problem, es zu bekommen. So ein toller Kassenschlager war es nie und wird es auch nie sein, auch nicht dadurch, dass das Buch ja erst dadurch überhaupt in die Diskussion gekommen ist, dass es im Jahr 1978 Thema einer politischen Debatte war und nur durch diese überhaupt bekannt geworden ist.

(Abg. Kiesswetter FDP/DVP: 46 000 Exemplare!)

Ich habe den Eindruck, dass jeder Angriff auf den Autor Hochhuth mit dem Vorwurf belegt wird, dem Rechtsradikalismus Vorschub zu leisten. Er selber hat das in einem Interview in der „Jungen Freiheit“ ja auch sehr offen so dargestellt. Übrigens ist das insofern interessant, als Herr Hochhuth in demselben Interview dann wieder Positionen vertritt, zu denen ich dann ganz gern mal die Bewertungen von links außen wüsste.

(Abg. Deuschle REP: Eben!)

Das sind nämlich Positionen, die in der Regel wir hier in diesem hohen Haus vertreten – zu verschiedenen politischen Bereichen.

(Abg. Deuschle REP: Zuwanderung zum Bei- spiel!)

Deswegen müsste man sich dann auch mal die Frage stellen: Wie halten Sie es denn nun wirklich mit Herrn Hochhuth?

Im Fall Hochhuth kann ich nur eines festhalten: Die Zerrissenheit und die Widersprüchlichkeit dieses Autors und seine Maßlosigkeit in Bewertungen machen es schwer, ihn wirklich ernst zu nehmen.

(Beifall bei den Republikanern – Abg. Deuschle REP: Sehr richtig!)

Das ist das eigentliche Problem. Die Egomanie, die in diesen Stellungnahmen zum Ausdruck kommt, dieses Sichgleichsetzen mit einer höheren moralischen Aufgabe, müsste eigentlich einmal zu einer kritischen Betrachtung Anlass sein.

Wenn man dann in einer Diskussion erlebt, dass jede Kritik sogleich unter einen politischen Gesinnungsverdacht gestellt wird, kommt man wieder auf das zurück, was ich schon vorhin gesagt habe: Hier geht es – Herr Maurer hat das selbst ja vorhin in seiner Offenherzigkeit dargelegt – um die Signalwirkung einer politischen Entscheidung. Worum geht es der SPD? Es ist hier deutlich angesprochen: Es geht darum, eine bestimmte linke Leitkultur in der Politik zu etablieren, und zwar eine politische Leitkultur mit einem vorgeformten gesellschaftlichen Diskurs, in dem bestimmte Bereiche sofort unter einen Gesinnungsverdacht gestellt, bestimmte Positionen denunziert und diffamiert werden, womit der gesamte Diskurs sozusagen eingeschränkt werden soll.

(Abg. Deuschle REP: Sehr richtig!)

Dagegen müssen wir uns hier in einem Parlament zur Wehr setzen.

(Beifall bei den Republikanern)

Wenn wir das nämlich zulassen, meine Damen und Herren, dann geraten wir auf eine schiefe Bahn, sodass nachher womöglich noch darüber debattiert wird, was debattiert werden darf.

Übrigens zum Begriff der Leitkultur auch noch eine Anmerkung, weil vorhin dazu ja auch wieder von links außen Zwischenrufe kamen: Wir haben hier in einer Debatte 1997 – damals war es mein Fraktionskollege König – schon vom Thema Leitkultur gesprochen. Damals hat sich kein Mensch darüber aufgeregt. Wir haben damals diesen Begriff einer Veröffentlichung der Bundeszentrale für politische Bildung vom Dezember 1996 – das war ein Aufsatz von Bassam Tibi – entnommen. Ich verstehe auch heute nicht diese ständige Aufgeregtheit, mit der dieser Begriff, der einen Terminus technicus in einem bestimmten Sachzusammenhang darstellt, politisch überfrachtet wird. Hier geht es um eine aufgebauschte Debatte, um nichts anderes.

Herr Kretschmann, das jetzt daran festzumachen, ob eine Kommission – was offensichtlich noch gar nicht feststeht – zurückgetreten ist oder nicht, wirft doch wiederum die Frage auf, worum es eigentlich geht. Wegen so etwas hier eine Parlamentsdebatte, eine Aktuelle Debatte zu führen, ist unangemessen.

(Beifall bei den Republikanern – Abg. Zeller SPD: Aus Ihrer Sicht!)

Ich will zum Schluss noch einmal Folgendes in Erinnerung rufen: Herr Oberstleutnant a. D. Bohnsack, von dem Sie so wenig hören wollen, hat in einem Interview im März dieses Jahres Folgendes gesagt – ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten; Herr Bohnsack war, dies noch einmal zu Ihrer Information, ein Abteilungsleiter der Stasi –:

Manches ist mir heute unangenehm. Filbinger und Löwenthal – gegen beide sind wir damals vorgegangen – habe ich inzwischen aufgesucht, und ich habe ihnen erzählt, was alles von unserer Seite gegen sie inszeniert wurde.

Ich frage mich: Was wollen Sie eigentlich hier noch alles inszenieren, meine Herren von links außen?

(Lebhafter Beifall bei den Republikanern – Abg. Brechtken SPD: Diese Sprache ist so verräterisch, widerlich! „Links außen“! Diese alten Nazis! Klas- sische Nazidiktion! – Gegenruf des Abg. Deuschle REP: Ihr seid Stasifreunde! – Abg. Krisch REP: Nazi-Brechtken! – Gegenruf des Abg. Brechtken SPD: So haben das die Nazis auch gemacht! Ge- nau so! – Unruhe)

Das Wort erteile ich der Ministerin für Kultus, Jugend und Sport, Frau Dr. Schavan.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In der zweiten Runde sind noch Fragen gestellt worden. Ich will deshalb noch einmal auf einige Punkte eingehen.

Ich stelle vorweg: Man kann, je länger die Debatte dauert, die, wie ich finde, durchaus auch akzeptable Passagen gehabt hat,

(Abg. Haas CDU: Bis auf Maurer! – Abg. Dr. Sa- lomon Bündnis 90/Die Grünen: Das ist Sekundärli- teratur, was Sie gerade fabrizieren!)

feststellen, was aus einem Vorgang wird, von dem Herr Abg. Kretschmann sagt, hier gehe es in der Abwägung und in der Situation der Entscheidung um formale Gesichtspunkte, was aus einer solchen Debatte wird, wenn man sie vom eigentlichen Thema wegführt und sie in der Weise instrumentalisiert, wie Sie es getan haben. Also, Herr Maurer, für die These, dass ich meinem Amt nicht gewachsen sei, hätten Sie sich auch andere Themen nehmen können.

(Beifall bei der SPD – Abg. Maurer SPD: Das stimmt!)

Das sagen Sie ja nahezu täglich, und das wird mit der Zahl der wiederholten Sätze in den nächsten Monaten auch nahezu täglich zunehmen. Das weiß ich. Aber diesen Vorgang zu instrumentalisieren in der Weise, wie das hier geschieht, macht doch noch einmal deutlich – deutlicher hätte es überhaupt nicht werden können wie im Verlauf dieser Debatte –, wie wenig sich manche auf die Arbeit in unseren Schulen einlassen und stattdessen jede Gelegenheit nutzen, mit Verdächtigungen zu arbeiten.

Wir reden über Schule. Wir reden nicht über ein Buch, das abgesetzt ist, wir reden über ein Buch, das gelesen wird. Keiner hat übrigens über Ingeborg Drewitz geredet – das ist auch interessant –, die Vizepräsidentin des PEN-Clubs, die mit ihrem Buch „Gestern war heute“ ein außergewöhnlich eindrucksvolles Zeugnis genau im Blick auf diese Epoche der Geschichte vorgelegt hat. Aber vielleicht haben es noch nicht so viele gelesen wie das Buch von Hochhuth. Das kann schon sein.

Es ist doch absurd, wie hier ein Vorgang instrumentalisiert wird. Sie haben genau bestätigt, was ich gemeint habe – das haben Sie mir natürlich auch umgedreht –, als ich von

(Ministerin Dr. Annette Schavan)

der politischen Debatte gesprochen habe. Sie haben genau bestätigt, dass bei einem solchen Vorgang die Versuchung einiger groß ist, darüber so lange so zu reden, bis sie daraus das gemacht haben, was es nicht ist.

(Abg. Zeller SPD: Wer hat denn dieses behauptet? – Zuruf der Abg. Carla Bregenzer SPD – Abg. Ur- sula Haußmann SPD: Wer „wir“?)

Und noch einmal: Die Kommission, die sich mit Abiturthemen beschäftigt, macht weder im einen noch im anderen Fall politisch motivierte Vorschläge. Das Haus entscheidet im einen wie im anderen Fall nicht aus politischer Motivation. Das darf es auch nicht – das erkläre ich hier ausdrücklich –, denn dann wäre das Buch aus der Liste geflogen – übrigens auch noch ein paar andere Bücher.

Die Vorstellung, dass diese Lektüreliste – ich biete sie Ihnen noch einmal an – von CDU-Politikern aus politischer Motivation heraus zusammengestellt ist, ist abwegig, wird Schule nicht gerecht und ist in der Sache nicht zutreffend. Deshalb sage ich noch einmal: Ich lasse diese Instrumentalisierung eines Vorgangs nicht zu.

(Beifall bei der CDU)

Damit zu der Frage, die Herr Abg. Kretschmann im Blick auf die Kommission gestellt hat. Ich habe sehr wohl ausführlich zur Kommission Stellung genommen.

Erstens: Die Kommission hat gesagt: Es gab Phasen, in denen wir das Gefühl hatten, ihr wolltet die Verantwortung auf uns schieben. Diesen Vorwurf muss ich so annehmen und sagen: Das ist falsch, die Verantwortung tragen wir und nicht die Kommission.

Zweitens: Es ist keine Beamtenregelung. Wenn es so wäre, dass diese Kommission den Eindruck hätte, hier werde im Ministerium politisch motiviert gearbeitet und nicht so, wie wir es nach unseren formalen Kriterien für wichtig halten, dann gäbe es nicht die ausdrückliche Bereitschaft und auch nicht den Wunsch, weiter zusammenzuarbeiten und weiter über Literaturunterricht im Gymnasium – ob getrennt oder zusammengelegt – zu entscheiden.