Protocol of the Session on October 25, 2000

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren, darf ich darum bitten, Gespräche, die unbedingt geführt werden müssen, nach draußen zu verlegen. Der Geräuschpegel nimmt laufend zu.

(Beifall des Abg. Dr. Caroli SPD)

Insbesondere dann, wenn originär Länderzuständigkeiten berührt werden, zum Beispiel im Kulturbereich, sollten wir alle miteinander unisono sagen: Das darf nicht durch Mehrheitsentscheidung zu regeln sein; hier wollen wir die Mitbestimmung der Länder gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes garantiert sehen.

(Beifall des Abg. Rech CDU)

Allerdings kommt auch hier etwas Wasser in den Wein. Wo beginnt der Kulturbereich, und wo endet er? Was ist in der Zeit moderner elektronischer Medien tatsächlich noch in Länderkompetenz zu regeln, und was ist sozusagen naturgemäß, weil der Satellit vor Ländergrenzen nicht Halt macht? Was muss, insbesondere bei der Datenübertragung, in eine europäische Rechtsordnung mit einfließen?

Meine Damen und Herren, man kann davon ausgehen, dass dieser Gipfel noch schwere Tage vor sich hat. Was unangenehm und übel ist – das sagen wir, die wir als Länder an der Regierungskonferenz mit beteiligt sind – und was auch die Länderbeteiligung zur Farce werden lässt, ist, wenn die schwierigsten Fragen im Grunde in den letzten Nächten zwischen den Regierungschefs unter Ausschluss der Öffentlichkeit entschieden werden.

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Das ist wahr!)

Am anderen Tag werden die Entscheidungen im Bundesrat vorgelegt: „Das ist das Ergebnis – friss oder stirb, lieber Vogel. Bist du für oder gegen Europa?“ Man kann die deutsche Bundesregierung nur davor warnen, dass es letztlich nach diesem Strickmuster abläuft.

(Beifall bei der CDU – Abg. Hans-Michael Bender CDU: Richtig! – Zuruf des Abg. Dr. Caroli SPD)

Eines können wir mit Fug und Recht behaupten: Die deutschen Bundesländer haben die Diskussion im Zusammenhang mit der Regierungskonferenz nachhaltig bestimmt. Verschiedene Vorredner haben es angesprochen. Die Frage der Daseinsvorsorge wäre nicht Gegenstand der Diskussion oder gar Kommissionsmitteilung geworden, hätten nicht am 5. Februar 2000 alle Länder miteinander gesagt: Entweder wird dies Gegenstand oder die Bundesregierung muss damit rechnen, dass wir die Vertragsänderung im Dezember in Bausch und Bogen ablehnen werden. Denn es kann nicht so weit kommen, dass uns die Wettbewerbsrechtler auf europäischer Ebene sagen, wie soziale Einrichtungen oder wie der Rundfunk und anderes mehr zu gestalten sind. Wir können nun zwar mit der Mitteilung zufrieden sein, aber sie ist noch nicht Vertragsrecht. Es ist eine Mitteilung der Kommission und nicht – was Helmut Kohl immer wieder einmal erreicht hat – zumindest eine Protokollerklärung. Sie ist erst recht noch nicht Vertragsrecht. Dass es nun eine Mitteilung geworden ist, ist zumindest ein Teilerfolg, aber immerhin ein Erfolg, auf den wir nicht ohne weiteres verzichten sollten.

Einen Satz will ich allerdings kritisch anfügen: Bei diesem Testat darf jetzt natürlich keiner glauben, er hätte Narrenfreiheit. Rundfunk- und Fernsehgeschehnisse werden weiter internationalisiert. Sie werden deswegen im weiteren internationalen Wettbewerb zugrunde gelegt werden müssen. Sowohl beim Rundfunk als auch bei Banken und Sparkas

(Staatssekretär Stächele)

sen, die international tätig sind, wird immer wieder einmal ein Grenzposten erreicht, und die europäischen Wettbewerbsrechtler werden mit gutem Grund und unter Berufung auf die EU-Artikel sagen werden: Wir müssen bei all dem Geschehen auch einmal reflektieren, was die Wettbewerbsordnung in Europa ausmacht.

Mir geht es darum: Es ist ein Erfolg. Unsere Sparkassenund Bankenstruktur soll erhalten bleiben. Sie sollen uns nicht in den Rundfunk hineinreden. Auf der anderen Seite bleibt die Mahnung, nicht zu überziehen. Es gibt keine Narrenfreiheit, in jedweder Richtung. Es wird weitere Internationalisierungen geben, und die Wettbewerber werden mitreden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Pfister FDP/DVP)

Ich möchte eine Angst nehmen, die schon verschiedentlich in der veröffentlichten Meinung geäußert wurde. Die Besorgnis, insbesondere auch unserer Freunde von der CSU, dass Artikel 36 der Charta gerade das Gegenteil produzieren würde, nämlich dass man tatsächlich die Daseinsvorsorge wieder in die Willkür der Wettbewerber geben würde, kann man, glaube ich, zerstreuen. Allerdings sollten wir Sorge tragen, dass unsere Regierung feststellt, dass tatsächlich dieser Artikel so auszulegen ist und damit nicht quasi über die Hintertür wieder in Strukturen eingegriffen wird, die uns heilig sind.

Meine Damen und Herren, ich denke, bei alldem, was jetzt ansteht, ist es wichtig, dass unsere Bundesregierung zusammen mit Paris wieder die Führungsrolle übernimmt.

(Abg. Dr. Vetter CDU: Sehr wahr!)

Daran fehlt es in der Tat. Ich bin nicht einer, der das jetzt nur so dahersagt, sondern das ist auch in dem Interview von Schmidt nachzulesen, der sagt, es wäre allerhöchste Zeit, dass ein französischer Staatspräsident und ein deutscher Bundeskanzler wieder wüssten, dass sie die Führungsrolle in dem europäischen Integrationsprozess zu übernehmen haben.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Pfister FDP/ DVP)

Dass in Europa ungemein viel passieren kann und auch qualitative Sprünge möglich sind, zeigt uns ja die Grundrechtecharta. Seien wir doch ehrlich: Wer hätte geglaubt, dass es gelingen kann, aus 15 nationalen Verfassungsordnungen eine solche Charta zu erarbeiten? Verfassungsverständnis und Verfassungsansätze sind ja so unterschiedlich. Manche sind schon entsetzt, wenn sie überhaupt den Begriff hören. Ich muss sagen: ein großes Kompliment an Roman Herzog, der mit unserem Land in besonderer Weise verbunden ist, für das, was da entstanden ist.

Um gleich die Angst zu nehmen, man hätte da zu wenig die sozialen Grundrechte verankert: Meine Damen und Herren, das, was jetzt in der Charta steht, entspricht dem, was die CDU will. Wir machen nicht irgendwelche Staatszielbestimmungen, die nichts anderes sind als leere Versprechungen, sondern das, was drinsteht, sind soziale Rechte, auch Abwehrrechte.

(Zuruf des Abg. Dr. Hildebrandt Bündnis 90/Die Grünen)

Aber was wir abgewehrt haben, war der Warenhauskatalog, wie er eben in eine Verfassung nicht hineingehört.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Sie haben doch die Beden- ken in Ihrem Europabericht geäußert!)

Ich will ein Zweites sagen, meine Damen und Herren: Diese Charta und die Art ihrer Entstehung können uns ein Beispiel geben; denn Nizza ist ja im Grunde nur ein vorläufiger Abschluss. Die eigentliche große Konferenz, die nächste Regierungskonferenz, wo es um das geht, was Kollege Hauk zu Recht angesprochen hat, den Kompetenzkatalog, die Frage der Subsidiarität, die Frage, wie die kommunale Selbstverwaltung gesichert wird, die eigentlichen zentralen Themen, die im Grunde eine Verfassungsdebatte in Europa bestimmen, steht an, und sie wird, soweit derzeit absehbar, mit einem Konvent in der ersten Runde vorbereitet werden.

Jetzt ist in der Tat die Frage: Wie können wir uns da richtig einschalten? Ich halte die nächsten drei, vier Jahre für elementar für das, was dann an Friedensordnung in Europa entstehen kann. Warum – irgendjemand hat es gesagt – dauert es bis 2004? Warum braucht der Kanzler so viel Zeit? Warum drängt er nicht stärker? Wir wollen doch die Kompetenzordnung.

Ich habe mich auch eines Besseren belehren lassen müssen, lieber Kollege Hauk.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Aha! – Abg. Capezzuto SPD: Jetzt Hauk, zuhören!)

Zunächst einmal kommt eine skandinavische Präsidentschaft; da geht nicht viel. Dann kommt eine belgische Präsidentschaft; da kann etwas bewegt werden. Aber dann kommen im Jahr 2002 etwa acht nationale Wahlen; das heißt, im Grunde ist das Jahr 2002 verloren. Wenn man dann die Größenordnung des Projekts vor sich sieht und weiß, wie umfangreich und breit eine solche Debatte angelegt werden muss, dann habe ich tatsächlich – das fällt mir auch nicht immer leicht – Verständnis für den deutschen Kanzler, wenn er sagt: 2004 ist ein realistisches Datum für den Abschluss der nächsten Regierungskonferenz mit dieser umfangreichen Tagesordnung.

Jetzt kommt eine zweite Überlegung, die ich gern einbringen möchte, obwohl ich weiß, dass das kontrovers diskutiert wird. Ich halte von Volksabstimmungen à la Verheugen überhaupt nichts.

(Zuruf des Abg. Redling SPD)

Wir würden uns damit aus der parlamentarischen Verantwortung stehlen.

(Beifall des Abg. Rech CDU)

Aber ich bin für eine parlamentarische Begleitung dieses Prozesses. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass wir uns für die nächste Legislaturperiode überlegen, ob wir nicht mit einem Europaausschuss diesen wirklich so wichtigen Akt europäischer Integration vom Landtag aus noch intensiver begleiten.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

(Staatssekretär Stächele)

Denn nur wenn wir die Entwicklung parlamentarisch begleiten, wenn wir über den Mandatsträger die Bevölkerung einbeziehen, wird es uns gelingen, am Ende ein Ergebnis zu schaffen, dem auch alle zustimmen können. Ich bitte darüber einmal in aller Sachlichkeit und Ruhe nachzudenken. Das gilt für die nächste Legislaturperiode, für eine ganz entscheidende Phase europäischer Integration.

Meine Damen und Herren, ich will Ihnen zum Schluss sagen, dass ich einiges von den Rednern notiert habe. Ich bin gern bereit, das eine oder andere aufzunehmen.

Lieber Herr Dr. Caroli, Sie sprachen umfangreiche Informationen an. Manche Parlamentarier stöhnen, dass ihnen oft zu viel an Papier zugehe. Ich will an dieser Stelle einmal dankbar vermerken, wie die Zusammenarbeit mit den europapolitischen Sprechern funktioniert. Ich muss sagen, dass das eine gute Geschichte ist. Das sollten wir fortsetzen.

Lieber Herr Hildebrandt, ich will nicht im Einzelnen auf Ihre Ausführungen eingehen. Sie haben einen Vorwurf an die Mehrheitsfraktionen gerichtet und damit möglicherweise an die Regierung. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie in diesen Unfug gerade auch die Regierung einbeziehen. Demagogie in Sachen Europa ist Quatsch.

Ich glaube, schlimmeren Schaden haben die angerichtet, die damals diese Österreich-Entwicklung veranlasst haben. Sie glauben gar nicht, welch abgrundtiefer Argwohn dadurch bei den kleinen Staaten entstanden ist.

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Dänemark!)

Das dänische Nein war nichts anderes als Reaktion. Wir werden jetzt auch in dieser Konferenz und in der Nachfolgekonferenz Schwierigkeiten mit kleineren Staaten haben, die sagen: Wenn die so mit kleinen Staaten umgehen, muss man Vorsicht walten lassen. Dann wird man zu manchen Zugeständnissen bereit sein müssen. Ich denke, das hat mehr Schaden angerichtet.

Im Übrigen möchte ich sagen: Dankbar vermerke ich mit der berühmten und bekannten Ausnahme zur ganz Rechten, dass hier ein Grundkonsens besteht, der da heißt: Europa ist unsere Zukunft, und wir, der Landtag, wollen unseren Teil dazu beitragen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der SPD und der FDP/DVP – Abg. Capezzuto SPD: Bravo! Schöner Abschluss!)

Das Wort hat Herr Abg. Krisch.

(Abg. Brechtken SPD: Muss das sein?)

Herr Staatssekretär, der Konsens mit Ausnahme der Rechten: Sie sollten sich korrigieren. Wir sind die Einzigen, die bis jetzt kritisch, aber sachlich zu diesem Bericht diskutieren.