Protocol of the Session on July 20, 2000

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Dr. Salomon, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Dr. Reinhart?

Aber Herr Reinhart, Sie haben vorhin schon eine komische Frage gestellt, auf die Sie eine gute Antwort bekommen haben. Dann stellen Sie doch noch mal eine.

Bitte schön, Herr Abg. Dr. Reinhart.

Herr Kollege Salomon, fällt Ihnen auf, dass Sie bei Ihren Ausführungen kein Wort zur Auswirkung der Position der Grünen, nämlich Abschaffung der Wehrpflicht, auf Standorte wie Lauda, Tauberbischofsheim, Külsheim, Niederstetten, Hardheim-Walldürn sagen, dass Sie bisher auch keinen Satz dazu sagen, dass Sie den Haushalt um 20 Milliarden DM kürzen? Wäre es Ihnen möglich, dass Sie uns zur Position der Grünen und der Auswirkung auf die Standorte etwas wissen lassen?

(Beifall bei der CDU)

Erstens: Welcher Haushalt wird hier um 20 Milliarden DM gekürzt? Der Wehretat ist in den letzten Jahren stabil gehalten worden, aber nicht um 20 Milliarden DM gekürzt worden. Ich weiß gar nicht, welche Zahlen Sie da haben.

Zweitens: Stichwort Wehrpflicht. Es ist gut, dass Sie mich da fragen. Da kann man ja etwas ausholen. Ich wollte darauf sowieso noch eingehen.

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Antwort!)

Ja, ich antworte Ihnen. Aber in dieser Runde habe ich den Vorteil, dass ich so lange antworten kann, wie ich will. Jetzt möchte ich Sie bitten, mir einfach zuzuhören.

Zum Stichwort Wehrpflicht will ich Ihnen noch Folgendes sagen, weil es geheißen hat, die Grünen seien die bösen Buben und Mädels, die die Wehrpflicht abschaffen wollen. Ist die NATO mehrheitlich von Grünen bestimmt? Offensichtlich. 11 von 19 Staaten haben die allgemeine Wehrpflicht bereits abgeschafft oder sind dabei, sie abzuschaffen: 1961 Großbritannien, 1969 die USA, Mitte der Neunzigerjahre Belgien und die Niederlande. Die Franzosen sind bis 2003 so weit. In Spanien wird ebenfalls darüber nachgedacht und in Portugal und Italien auch.

Warum tun die das? Weil dort überall Grüne an der Regierung sind? Das wäre mir neu. Nein, es geht darum, dass natürlich – das habe ich vorhin schon erwähnt – die neue Situation der NATO nicht mehr diese stehenden großen Landesheere, die noch die Ideologie aus dem Kalten Krieg und die Bedrohungssituation aus dem Kalten Krieg zur Grundlage haben, widerspiegeln kann. Das ist doch völlig klar.

Deshalb ist die Frage, die hier in Deutschland immer diskutiert wird, ideologisch überhöht: Bürger in Uniform, Wehrpflicht ist ohne Alternative. Von linker Seite wird dann auch noch immer argumentiert: Die Bundeswehr war auch in der Weimarer Republik ein Staat im Staate. Da kann ich nur sagen: Die Bundeswehr ist eine demokratische Armee, Gott sei Dank. Die Bundeswehr hat sich in den letzten Jahrzehnten bewährt. Die Gefahr, dass eine nicht durch allgemeine Wehrpflicht herausgehobene Bundeswehr zur Gefahr für die Demokratie wird, sehe ich nicht. Die sieht man auch in anderen Ländern nicht. Es gibt natürlich auch bei einer Freiwilligenarmee das Problem des Nachwuchses, das Problem der Rekrutierung. Es gibt auch andere Probleme, aber insgesamt sind die Länder, die auf eine Freiwilligenarmee umgestellt haben, damit gut gefahren. Ich weiß nicht, warum man sich in Deutschland dieser Erkenntnis aus den anderen Bündnisländern so verweigert. Es gibt natürlich noch eine große Mehrheit von CDU, SPD und FDP, die für die Wehrpflicht sind.

Aber ich will auch hier wieder auf die Weizsäcker-Kommission verweisen, weil sich auch die Weizsäcker-Kommission letztendlich, obwohl das umstritten war – zwölf waren für den Erhalt der Wehrpflicht, sechs waren dagegen; es gibt für und wider natürlich gute Argumente –, für den Erhalt der Wehrpflicht ausgesprochen hat. Was die Weizsäcker-Kommission aber gesagt hat, dass man auf nur noch 30 000 Wehrpflichtige heruntergehen soll, das führt dazu, dass das Thema Wehrgerechtigkeit, welches heute schon ein großes Problem ist, letztendlich völlig außer

Acht gelassen wird und niemand mehr sagen kann, warum man den einen einzieht und den anderen nicht. Ich finde, da sind wir überhaupt noch nicht am Ende der Debatte. Wir wissen jetzt, wie es bis 2002 weitergeht, aber dann werden die Karten neu gemischt.

Danke schön.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Nach § 82 Abs. 4 erteile ich Herrn Fraktionsvorsitzendem Dr. Schlierer das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir eine Vorbemerkung. Inzwischen ist mir natürlich klar geworden, dass die von der CDU beantragte Aktuelle Debatte im Wesentlichen die Vorlage für den Herrn Ministerpräsidenten war, damit heute eine Regierungserklärung zum Thema Bundeswehr verlesen werden konnte.

(Beifall bei den Republikanern)

Warum so umständlich? Da hätte man doch eigentlich, Herr Ministerpräsident, gleich ganz offen zu diesem Thema eine Regierungserklärung ankündigen können.

(Beifall bei Abgeordneten der Republikaner)

Ich will jetzt zu den Debattenbeiträgen kommen und möchte mit dem Kollegen Salomon beginnen.

Herr Salomon, Sie haben vorhin einen schönen Versprecher gebracht, anschließend gleich noch einen. Sie haben vorhin den Begriff Feinausplanung verwendet. Bei der Bundeswehr kennen wir – Sie würden das wissen, wenn Sie gedient hätten – den Begriff der Ausplanung. Ich kann Ihnen sagen: Sie haben sich heute selbst thematisch ausgeplant, weil Sie von Tuten und Blasen keine Ahnung haben.

(Beifall bei den Republikanern)

Das ist nicht Ihr Thema; das verstehe ich. Wenn ich für Ihren Beitrag eine Überschrift zu wählen gehabt hätte, hätte sie gelautet: Über das Allgemeine und Spezielle im Besonderen – bloß nicht zur Bundeswehr. Ich verstehe das: Sie haben darüber zu wenig Sachkenntnis. Sie sprachen vorhin von Ahnungslosigkeit. Auch das wäre eine Überschrift für Ihre Beiträge.

(Beifall bei den Republikanern)

Ein Wort zu Herrn Maurer: Herr Maurer, Sie sind wieder einmal flüchtig. Er geht aus dem Saal, weil er sich wahrscheinlich vor den Argumenten fürchtet.

(Lachen des Abg. Brechtken SPD)

Herr Maurer war ja am 24. Juni als Fraktionsvorsitzender der SPD bei der besagten Tagung gar nicht anwesend. Wenn er anwesend gewesen wäre,

(Zuruf von der CDU: Es wird interessant!)

hätte er mitbekommen, dass Staatssekretär Kolbow sehr wohl eines deutlich gemacht hat – das gilt auch für Sie, Herr Salomon –: Da gab es eine klare Aussage seitens der

SPD, dass man das Ziel der Landesverteidigung nach wie vor als den Schwerpunkt der Aufgaben der Bundeswehr sieht. Das ist der elementare Unterschied zu Ihnen. Sie haben dieses Ziel längst aufgegeben.

Im Übrigen ist natürlich falsch, was da von Ihnen an pseudoideologischen Verdächtigungen in die Welt gesetzt wird. Wir Republikaner wissen ganz genau, dass unsere Streitkräfte innerhalb Europas in Bündnisstrukturen eingebunden sind. Wir wissen sehr genau, dass es das Anliegen der Europäer sein muss, ihre eigene Position in der Kooperation mit dem transatlantischen Partner zu stärken, um in Zukunft in der Lage zu sein, auch selber europäisches Krisenmanagement zu betreiben.

(Beifall bei den Republikanern)

Das ändert aber an einem nichts, meine Damen und Herren, und das will ich heute in dieser Debatte ganz bewusst festhalten: Es gibt eben den Artikel 87 a des Grundgesetzes. Da können Sie sich nicht hinstellen und sagen: Das gilt für uns gar nicht mehr. Wie gehen Sie eigentlich mit der Verfassung um? Wenn Sie etwas ändern wollen, Herr Salomon, dann müssen Sie sich hinstellen und sagen: Gut, dann ändern wir das, dann streichen wir die Bestimmung in Artikel 87 a oder formulieren sie völlig um. Das tun Sie aber nicht. Sie stellen sich hin und sagen: „Das hat für uns alles keine Bedeutung mehr“, und sind ideologisch ganz woanders. Ich stehe, wenn Sie so wollen, wehrpolitisch-ideologisch auf dem Boden des Grundgesetzes. Das ist für mich der Maßstab. Daran hätten auch Sie sich zu orientieren.

(Beifall bei den Republikanern)

Nun zum Thema selber. Meine Damen und Herren, die Ausgangslage ist Ihr Kabinettsbeschluss vom 21. Juni dieses Jahres und das Eckpfeilerpapier, aber noch etwas anderes, Herr Ministerpräsident – diesem Aspekt sollten wir uns jetzt in dieser Debatte auch noch zuwenden –, nämlich der Rahmenvertrag vom 15. Dezember 1999, den die Bundesregierung mit der Industrie geschlossen hat. Das ist der Vertrag mit der Überschrift „Innovation, Investition und Wirtschaftlichkeit in der Bundeswehr“. Ich gehe davon aus, dass dieser Vertrag, der ja auch Teil der Wehrstrukturreform ist, ebenfalls erhebliche Auswirkungen nicht nur für die Bundeswehr selbst, sondern für uns alle im Land haben wird.

Entscheidend ist, dass sich die Bundeswehr mit diesem Rahmenvertrag auf bestimmte Bereiche oder, wenn man es genauer nimmt, auf ihre militärischen Kernfähigkeiten beschränken will und einen nicht unerheblichen Teil, den man der Dienstleistung zuordnen kann, in Zukunft an private Auftragnehmer delegieren will. Dies geht mit einer Privatisierung einher. Das Interessante an dieser Diskussion ist ja, dass bis heute nicht feststeht – da hat sich ja der Bundesverteidigungsminister mit dem Bundesfinanzminister noch nicht einigen können –, wohin eigentlich die Privatisierungserlöse fließen werden.

Es gibt jetzt eine Zahl; danach sollen 80 % der erlösten Mittel dem Verteidigungshaushalt zufließen, aber sicher ist das noch nicht. Herr Eichel hätte natürlich gerne mehr von diesen Privatisierungserlösen. Diese Frage ist deswegen

nicht akademischer Natur, weil sie anschließend das Verhalten der Bundeswehr maßgeblich beeinflussen wird. Wird nämlich der Anteil der Privatisierungserlöse, der an die Bundeswehr zurückfließt, relativ hoch sein, dann wird dies dazu führen, dass sich der Bundesminister der Verteidigung beim Verkauf beispielsweise von Liegenschaften sicherlich darum bemühen wird, jene Immobilien zu verkaufen, die etwas bringen. Das wird nicht das Gelände an einem Einödstandort sein, sondern das werden beispielsweise städtische Liegenschaften sein.

Ich gehe also davon aus, Herr Ministerpräsident, dass bei den Überlegungen, welche Einrichtungen – nicht nur Standorte; es geht ja auch um zivile Verwaltungseinrichtungen, um die Wehrersatzverwaltung, um den BFD und andere Dinge – davon betroffen sein werden, auch die Frage eine Rolle spielen wird, was dabei herauskommt. Das heißt, wir werden darauf achten müssen, inwieweit beispielsweise bei Fragen wie der Zusammenlegung von WBV und WBK im Hintergrund auch die Überlegung steht – ich denke beispielsweise daran, dass man in der Stadt Stuttgart bestimmte Kasernenareale verkaufen kann –, ob sich das für den Verkäufer lohnt. Das kann man dem Bundesminister der Verteidigung nicht übel nehmen. Die Frage ist nur, ob die Privatisierung nicht letzten Endes ausschließlich aus finanzpolitischer Sicht und nicht vor dem Hintergrund der militärischen Strukturnotwendigkeiten und der Interessen unseres Landes vollzogen wird.

Ich sage das auch deshalb, weil eines in der Diskussion – ich habe mich vorhin bei den Ausführungen des Herrn Maurer schon darüber gewundert – nicht gesagt wurde: Tatsache ist, dass der Einzelplan 14 im Bundeshaushalt seit Jahren der Steinbruch war, aus dem man sich die Milliarden geholt hat, die man noch brauchte. Deswegen ist auch unter den CDU-Verteidigungsministern natürlich der Wehrhaushalt peu à peu zurückgefahren worden, obwohl jeder genau wusste, dass dies langfristig nicht funktionieren kann. Es kann deswegen nicht funktionieren, weil der investive Anteil im Verteidigungshaushalt immer weiter zurückgefahren wurde.

Die Folgen davon sehen wir heute auch an den badenwürttembergischen Standorten. Das ist das, was man als „Kannibalismus“ bezeichnet. Herr Maurer spricht von „verrotten“; das ist seine Diktion. Es ist eine Tatsache, dass die Bundeswehr nicht den Materialersatz bekommen hat, den sie bräuchte – übrigens besonders bräuchte vor dem Hintergrund ihrer internationalen Einsätze. Das bedeutet in der Folge, dass wir jetzt einen ganz erheblich größeren Beschaffungs- oder Ersatzbedarf haben, als das bei einer kontinuierlichen Materialbewirtschaftung der Fall wäre.

Warum sage ich das? Weil das ja für unser Land auch Folgen haben kann und vielleicht haben wird. Denn, Herr Ministerpräsident, wir müssen jetzt auch darauf achten, dass im Bereich solcher Privatisierungen Aufträge möglichst hier im Land bei uns an die Wirtschaft gehen, damit unsere Industrie, unser Handwerk davon profitieren. Insofern liegen darin auch einige Chancen für die Standorte. In dieser Hinsicht muss man bei der Standortstruktur darauf achten, dass die Aufträge im Interesse unserer einheimischen Wirtschaft bei uns im Land bleiben. Auch deshalb haben wir

ein Interesse daran, möglichst viele Standorte im Land zu haben, die in ihrem Umland etwas zur wirtschaftlichen Belebung beitragen.

Nun noch ein Wort zur Verwaltungsstruktur.

Meine Damen und Herren, wir haben seit 1992 bei der Bundeswehr 6 000 zivile Arbeitsplätze weniger. Der Bundesminister der Verteidigung plant insgesamt für die Bundeswehr einen Abbau von 130 000 auf 90 000 zivile Dienstposten. Wir müssen unser Augenmerk darauf richten, dass es hierbei ja nicht nur um die Standorte, um die Einheiten und um die Soldaten geht, sondern wahrscheinlich in der Tat ein erheblicher Aderlass im Bereich der zivilen Arbeitsplätze erfolgen wird.

Es ist angekündigt, die Zersplitterung vieler einzelner Behörden und Verwaltungen aufzuheben und sie zusammenzulegen. Auch dabei sollte man darauf einzuwirken versuchen, dass die Auswirkungen solcher Zusammenlegungen oder auch Auflösungen von Einrichtungen die jeweiligen Kommunen nicht zu hart treffen.

Zur Strukturreform selbst – das ist zwar kein Landesthema, aber es wurde heute angesprochen – will ich aus Sicht der Republikaner auch noch etwas sagen: Eines ist schon interessant. Ich kann jedem nur raten, einmal zur Truppe hinauszugehen und sich dort umzuhören. Die letzte Strukturreform ist noch nicht einmal vollständig umgesetzt, und schon kommt die nächste Strukturreform. Der Anlass ist nicht – wie man zunächst bei der SPD glauben macht –, dass dies aus bündnispolitischen Gründen oder wegen neuer Aufgabenbereiche notwendig wäre, sondern der Anlass ist einzig und allein das finanzpolitische Desaster, in das die Bundeswehr hineingeraten ist.

Im Übrigen kann ich für mich einen kompetenten Zeugen anführen. Herr Maurer, bei der Tagung am 24. Juni, an der Sie nicht teilnahmen, hat der Kommandeur der 10. Panzerdivision in diesem Raum genau diese Kritik vorgetragen. Das Problem ist, dass die ganze Diskussion inzwischen nur noch finanzpolitisch läuft, aber nicht mehr unter dem Aspekt der Militärpolitik. Die ist aber für die Streitkräftestruktur nach wie vor maßgeblich.