Protocol of the Session on June 28, 2000

Dann haben Sie den Konflikt doch nur verlagert. Ich weiß gar nicht, warum Sie sich an Obrigheim so aufhängen. Obrigheim ist für Sie ein ideologisches Symbol,

(Zuruf von den Republikanern: Eher für Sie!)

aber ich weiß nicht, wofür. Sie kämpfen um die 350 Arbeitsplätze in Obrigheim und vergessen völlig, dass im letzten, im vorletzten Jahr in Philippsburg, das ja nicht weit weg ist, aufgrund der Liberalisierung des Strommarkts und der Tatsache, dass die zum ersten Mal ein Kostendenken haben, 500 Arbeitsplätze abgebaut wurden. Und jetzt kämpfen Sie um die 350 Arbeitsplätze in Obrigheim nach dem Motto: Das böse Rot-Grün nimmt uns die 350 Arbeitsplätze weg, obwohl wir für die 350 Arbeitsplätze kämpfen. Und damit wollen Sie dann die Landtagswahl gewinnen.

Meine Damen und Herren, wie soll das funktionieren? Denken Sie sich einmal die rot-grüne Bundesregierung einfach weg.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Unruhe und Zurufe, u. a. Abg. Dr. Schlie- rer REP: Ein vernünftiger Vorschlag!)

Dann ist noch nicht alles gut für Sie; dann haben Sie das gleiche Problem.

(Unruhe)

Obrigheim ist 32 Jahre alt. Obrigheim ist auf eine Betriebszeit von 40 Jahren ausgelegt. Demzufolge hätte Obrigheim noch eine Laufzeit von acht Jahren. Folglich müssten Sie sich heute – und das werfe ich Ihnen, Herr Pfister, vor – –

(Zuruf des Abg. Pfister FDP/DVP)

Ich werfe Ihnen etwas vor, Herr Pfister; hören Sie einmal zu.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Entschuldigung!)

Wenn Sie schon die große Verantwortung für die 350 Arbeitsplätze in Obrigheim spüren, müssten Sie sich als Lan

desregierung schon lange Gedanken gemacht haben, was Sie, wenn Sie den Kraftwerksstandort Obrigheim erhalten wollen, anschließend machen. Sie haben aber nichts gemacht. Gar nichts haben Sie gemacht. Sie sagen immer nur, Obrigheim laufe ewig. Sie haben eine Ewigkeitsgarantie im Kopf,

(Zuruf des Abg. Pfister FDP/DVP)

das heißt, Sie vertuschen damit Ihr Nichtstun in den letzten Jahrzehnten. Das ist das Thema Obrigheim.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das nächste Argument, das der Herr Ministerpräsident bringt, ist, es sei völlig irrsinnig. Die Atomtechnologie sei die Zukunftstechnologie, die Hightech-Technologie.

Dazu muss ich sagen: Eine Technologie, die Müll produziert, der auf Zehntausende von Jahren nicht beseitigt werden kann, ist nicht sicher. Eine Technologie, die vom Primärenergieeinsatz nur 30 % übrig lässt und vom Wirkungsgrad her völlig ineffizient ist, ist keine HightechTechnologie, sondern eine Technologie aus dem letzten Jahrhundert.

(Abg. Drexler SPD: So ist es!)

Sie sagen, eine Technologie, die weltweit führend sei, werde in einem liberalisierten Markt durch einen nationalen Alleingang in völlig irrsinniger Weise konterkariert, wir würden überhaupt nicht kapieren, was ein liberalisierter Markt sei usw.

Ich kann Ihnen sagen, was Deutschland ist. Deutschland ist zwar das größte Land in der EU, aber Deutschland ist nicht das erste Land, das aus der Atomenergie aussteigt, sondern das sechste oder siebte Land, das aussteigt. Die Belgier haben den Ausstieg in 40 Jahren vereinbart, haben also längere Fristen als wir. Die Italiener – Herr Kollege Maurer hat es erwähnt – sind gar nicht erst richtig eingestiegen. Die Schweden haben vor 20 Jahren einen Ausstiegsbeschluss gefasst

(Abg. Hauk CDU: Wiederausstieg aus dem Aus- stieg!)

und mussten hohe Entschädigungszahlungen leisten. Nach 20 Jahren, jetzt im Jahr 2000, wird das erste Kernkraftwerk abgeschaltet. Die anderen laufen noch. Die Österreicher sind ausgestiegen. Immer mehr Länder werden aussteigen. Wenn das mit Abstand größte Land der Europäischen Union, die Bundesrepublik Deutschland mit 80 oder 85 Millionen Einwohnern, sagt: „Wir steigen aus“, ist das kein nationaler Alleingang, sondern hat das einfach Folgewirkungen auf die ganze Energiepolitik in Europa. So wird es auch betrachtet, und zwar aus mehreren Gründen. Die Wiederaufbereitungsanlagen in La Hague und Sellafield sind ohne den Müll, ohne die abgebrannten Kernbrennstäbe aus deutschen Kernkraftwerken überhaupt nicht wirtschaftlich zu führen. Das wissen sie auch. Das heißt, die Franzosen, bei denen weder ein Kernkraftwerk im Bau ist noch eines genehmigt wird – übrigens auch in ganz Europa nicht –, werden sich natürlich langfristig auch überlegen, auszusteigen.

Ein Punkt ist bisher ja überhaupt noch nicht benannt worden. Die Franzosen haben mit der EdF einen Riesenstaatskonzern. Herr Rexrodt hat die Energieliberalisierung durchgesetzt. Das mag ich gar nicht kritisieren. Ich frage mich eigentlich nur: Warum sind die Deutschen die Musterknaben und führen die Liberalisierung durch,

(Abg. Pfister FDP/DVP: Da müssen Sie die Fran- zosen fragen!)

und die Franzosen scheren sich einen Dreck darum und führen ihre Staatsbetriebe weiter, und zwar hoch subventioniert?

(Abg. Pfister FDP/DVP: Das wird sich ändern, keine Sorge!)

Das werden die Franzosen nicht durchhalten. Die werden die EdF auch privatisieren müssen.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Das wird sich sehr schnell ändern, keine Sorge!)

Es ist einfach klar, dass sich die Atomkraft ohne staatliche Subvention überhaupt nicht rechnen wird. Dann wird man sehen, was in 20 Jahren ist.

Jetzt kommt eine große Frage. Da muss ich eigentlich nur noch kichern. Herr Teufel stellt sich hier als der oberste Umweltschützer hin und sagt: Die Maßgabe von Kioto kann nicht erreicht werden. Da kann ich nur sagen: Es ist erst gut eineinhalb Jahre her, als CDU/CSU und FDP noch in Bonn regiert haben. Sie waren meilenweit davon entfernt, auch nur im Entferntesten das umzusetzen, was sie in Rio 1992 für das Jahr 2005 versprochen haben.

(Abg. Drexler SPD: So ist es!)

Wieso haben Sie eigentlich die Chuzpe, sich hier hinzustellen und uns vorzuwerfen, wir würden die Ziele von Kioto nicht erreichen? Das ist doch geradezu absurd.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Zu den regenerativen Energien. Sie, Herr Ministerpräsident, machen sich hier stark und zählen auf, was Sie im Land alles für die Forschung getan haben, und zitieren auch noch Herrn Kuhn. Was Herr Kuhn über die Jahre gesagt hat, ist völlig richtig. Ihre Zahlen stammen übrigens aus dem Jahr 1997. Herr Kuhn hat gesagt: Wir sind hier führend in der Forschung; warum läuft nichts in der Umsetzung, in der Markteinführung, in der Anwendung? Warum läuft da eigentlich nichts? Es war tatsächlich im Jahr 1986 noch so, dass die Dinge erst erforscht werden mussten. Dafür gab es in Baden-Württemberg Geld. Jetzt, wo es darum geht, Jobs zu schaffen, versagt dieses Land ganz unerträglich. Sie sind eigentlich ein Standortrisiko für Arbeitsplätze in Baden-Württemberg.

(Lachen bei der CDU)

Eigentlich kann man sagen: Wenn im Bereich der Windenergie heutzutage mehr Arbeitsplätze existieren

(Unruhe und Zurufe, u. a. Abg. Pfister FDP/DVP: Langsam! – Abg. Keitel CDU: Mit hohen Subven- tionen! – Zuruf des Abg. Mappus CDU)

Herr Mappus, ich kann es auch fünfmal wiederholen, bis Sie ruhig sind –, wenn sich bundesweit in den letzten fünf Jahren die Zahl der Kilowattstunden, die durch Windenergie produziert wurden, verzehnfacht hat, wie können Sie dann eine so statische Betrachtungsweise anstellen und sagen?:

(Abg. Pfister FDP/DVP: Das ist doch nicht die Antwort auf die zentrale Frage! Ich habe Ihnen heute hundert Fragen gestellt, und Sie beantworten gar keine!)

Wir sind zu 60 % vom Atomstrom abhängig; wenn Sie jetzt alle Kernkraftwerke abschalten... Sie wissen ja, dass wir nicht alle gleich abschalten, sondern sie erst im Lauf von 20 Jahren abschalten. Wenn Sie in 20 Jahren hier das letzte Kernkraftwerk abschalten, haben Sie 20 Jahre Zeit, übrigens bei riesigen Überkapazitäten, eine alternative Energiewirtschaft auszubauen. Das wird ein Mix sein – das habe ich vorhin schon angedeutet –

(Abg. Hauk CDU: Kommen die dann überhaupt bei Überkapazitäten? Wer baut, wenn Überkapazi- täten da sind?)

aus neuen, hochmodernen, hocheffizienten GuD-Kraftwerken, die übrigens noch mit fossilen und nicht mit regenerativen Energieträgern arbeiten, aber sehr viel flexibler einsetzbar sind. Da würde ich mich einmal in Obrigheim hinstellen und mit der dortigen Belegschaft diskutieren – die Erdgaspipeline aus dem Osten läuft nicht weit weg von Obrigheim vorbei –, ob man sich dort nicht mit den Kraftwerksbetreibern etwas Neues überlegen kann. Das wäre eigentlich die Aufgabe, wenn Sie zukünftige Energiepolitik machen: etwas Neues, zusammen mit regenerativen Energien, die die Bundesregierung – da sagen Sie immer, da geschehe nichts – in vielfältiger Weise durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz und durch die Kraft-Wärme-Kopplungsquote, die jetzt kommen wird, fördert.

Im Jahr 2050 – wir müssen hier von langen Fristen reden; dazu hat die Shell ein Gutachten in Auftrag gegeben; Shell ist ja auch kein Kernkraftgegner, sondern Shell will Geld verdienen – werden 50 % der Primärenergie – ich wiederhole: der Primärenergie und nicht nur der Stromproduktion – regenerativ erzeugt werden, wenn man das denn will. Das ist überhaupt keine Frage. Herr Nitsch vom DLR, der auch beim LVI war, sagt übrigens das Gleiche. Er kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Dazu muss man aber die Markteinführung fördern.

(Abg. Mappus CDU: Es gibt auch einen Markt- preis! – Zurufe der Abg. Beate Fauser FDP/DVP und Keitel CDU)

Jetzt will ich noch etwas zum Thema Arbeitsplätze sagen. Wenn man sich überlegt, wie viel Kapital über die Jahrzehnte in der Atomenergie gebunden wurde, und wenn man sich ansieht, wie lächerlich wenige Arbeitsplätze das sind,

(Abg. Keitel CDU: Lächerlich!)

dann ist das vom Thema Arbeitsplätze her sowieso das Irrsinnigste, was man eigentlich tun kann. Die Atomkraft ist eigentlich eine Kapitalvernichtungsmaschine, wenn man

sich die ganzen Subventionen mit anschaut. Das ist ja fast noch irrsinniger als die Kohlesubventionen, die schon irrsinnig genug sind. Wenn Sie regenerative, dezentrale Energiestrukturen fördern, dann ist das ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Handwerk, Mittelstand, Technologie, Ingenieure sowie Maschinen- und Anlagenbauer, wie Sie überhaupt kein größeres haben können. Da frage ich: Warum tun Sie da nichts? Warum passiert in Nordrhein-Westfalen, in Hessen und in Bayern etwas, nur bei uns nicht? Bei uns wird geforscht, und die anderen schaffen die Arbeitsplätze.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei Ab- geordneten der SPD)

Das ist völlig hirnrissig.