Protocol of the Session on May 18, 2000

Es sei zwar anstrengend gewesen, aber er werde jetzt der Greencard zustimmen. Dann habe ich aber gehört, das sei doch noch nicht so, man müsse ihn noch ein ganzes Wochenende lang in der Villa Reitzenstein belagern. Das hat dann offensichtlich auch stattgefunden. Wir haben dann alle mit Spannung gewartet, was denn der kreißende Berg gebiert.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Eine Hasenmaus!)

Aber ich muss sagen: Ich bin nach wie vor völlig im Unklaren über die Haltung dieses Ministerpräsidenten; denn was ich da lese, ist der klassische Formelkompromiss, ab

geschlossen mit jemandem, der seine alten, seine falschen Positionen nicht räumen will, aber unter dem Druck mancher zurückweichen muss, aber dann doch nicht so richtig nachgeben will. Dafür spricht dieses Papier, das uns vorgelegt worden ist, Bände, nämlich zu der Frage, ob die Regierung von Baden-Württemberg jetzt der Greencard-Initiative der Bundesregierung zustimmt. Diese Frage kann man mit Ja oder Nein beantworten.

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Eben nicht! Eben so nicht! Eben so einfach nicht!)

Diese Frage wird aber nicht beantwortet. – Sie bestätigen mich da ausdrücklich.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen – Zuruf des Abg. Hans-Michael Bender CDU)

Damit bleibt die Antwort auf die Frage unklar, ob Sie in einer zentralen, wichtigen ökonomischen Frage weiter die Blockierer sein wollen oder sich der gesamten ökonomischen Vernunft auch der deutschen Wirtschaft anzuschließen gedenken. Das ist Ihr Problem. Parteitaktisch könnten wir uns darüber freuen. Das ist aber zum Schaden dieses Landes und des Wirtschaftsstandorts.

Es ist auch schlimm genug, dass Sie zu der zweiten Frage wirklich etwas Unsägliches formuliert haben. Herr Kollege Oettinger hat in den letzten Wochen eine Debatte darüber eröffnet, dass wir noch eine Menge anderer Leute nach Deutschland holen müssten, nicht nur IT-Spezialisten, sondern, wenn ich es richtig verstanden habe, auch jede Menge Ingenieure, und er hat auch gesagt: für den Pflegebereich, die Landwirtschaft und für was weiß ich. Ich habe schon gedacht, da finde jetzt die größte Zuwanderung aller Zeiten statt, organisiert durch die CDU.

(Zuruf des Abg. Schonath REP)

Aber gleichzeitig sagt der Herr Innenminister: Wenn noch ein Mensch aus dem Kosovo oder aus Bosnien hier ist, der hoch qualifiziert ist und den sein Handwerksmeister unbedingt behalten will, können wir das aus ideologischen Gründen nicht zulassen.

Ich sage: Es ist ein Irrsinn, eine Debatte über zusätzliche Einwanderung zu eröffnen und gleichzeitig hoch qualifizierte, fleißige und integrierte Leute abzuschieben. Das ist ein absoluter Irrsinn.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grü- nen: Die einen sollen raus, die anderen rein!)

Dann habe ich also gedacht, bei diesen Belagerungen werde jetzt Klarheit darüber geschaffen. Und nun lese ich hier: Bei der Rückführung wird, wie auch bisher, differenziert vorgegangen. Donnerwetter, kann ich da nur sagen. Die fantastische Mitteilung ist also: Es wird wie bisher vorgegangen. Die nähere Erläuterung besteht darin: So ein Mensch hat dann die Chance, auf das Ende der Abschiebeliste gesetzt zu werden. Das ist ja eine tolle Perspektive für den Betrieb und vor allem für den Menschen. Also auch da: Im Kreißen lag ein Berg und stöhnte, und er gebar eine Maus.

Deswegen sage ich Ihnen: Sie müssen sich bewegen. Sie dürfen nicht ausweichen – ich kann Sie da nur warnen – und Ihr Heil in einer ideologiebefrachteten Asyldebatte suchen. Das hätten Sie wohl gern, aber da werden wir Ihnen nicht auf den Leim gehen. Wir sind für europäische Regelungen, aber für europäische Regelungen, die den humanen Grundsätzen unserer rechtsstaatlichen Tradition in der Bundesrepublik Deutschland entsprechen. Dafür sind wir.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Renate Thon Bündnis 90/Die Grünen)

Aber Sie können sich nicht, indem Sie in den ideologischen Wolkendunst ausweichen, vor Entscheidungen drücken. Wie sagt der Herr Ministerpräsident so schön? „Die Wirklichkeit ist konkret.“ Sie ist konkret, Herr Teufel. Sie müssen also jetzt erklären: Stimmen Sie der Greencard-Initiative zu, ja oder nein? Und sind Sie bereit, endlich einen gesicherten Rechtsstatus für Betriebe und Menschen, die sich hier integriert haben und die dringend benötigt werden, zu schaffen und darauf zu verzichten, sie aus ideologischen Gründen wegzudrücken? Sie können – das ist das Kernproblem; das müssen Sie in der CDU beantworten – nicht gleichzeitig die Bedürfnisse unserer Wirtschaft, die in einem dramatischen Wettbewerb in der globalisierten Welt steht und die dafür hoch qualifizierte Menschen braucht – andere tun das ganz selbstverständlich –, bedienen und gleichzeitig mit Fremdenangst und Fremdenfeindlichkeit und Ressentiments hausieren.

(Zuruf des Abg. Deuschle REP)

Das können Sie nicht. Sie müssen sich entscheiden, ob Sie entweder den rechten Rand bedienen wollen oder ob Sie eine moderne Wirtschaftspolitik machen wollen.

(Zuruf des Abg. Deuschle REP)

Diese Entscheidung haben Sie wieder vertagt.

(Lebhafter Beifall bei der SPD – Beifall bei Abge- ordneten des Bündnisses 90/Die Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Oettinger.

(Zuruf des Abg. Deuschle REP)

Herr Präsident, meine verehrten Kolleginnen, meine sehr geehrten Herren Kollegen! Es gehe nicht darum, wolkige Asyldebatten vom Zaune zu brechen, sagt der Kollege Maurer. Genau dies haben führende Repräsentanten Ihrer Partei getan.

(Abg. Haas CDU: So ist es!)

Sie versuchen, den Eindruck zu erwecken, als gäbe es bei diesem Thema Streit im bürgerlichen Lager.

(Lachen des Abg. Maurer SPD)

Keine Sorge! Die CDU Baden-Württemberg hat ein stimmiges Gesamtkonzept,

(Zuruf des Abg. Birzele SPD)

bei dem Arbeitsmarkt und Wirtschaftsstandort sehr wohl mit dem Thema „Integration, Zuwanderung und Auslän

derpolitik“ vereinbar sind. Gern stellen wir Ihnen jeden Punkt einzeln vor. Aber seit der Rede des Bundespräsidenten ist doch bei Ihnen die Welt nicht mehr in Ordnung.

(Lachen des Abg. Brechtken SPD)

Seitdem geht es bei den Sozialdemokraten drunter und drüber.

(Widerspruch bei der SPD – Abg. Dr. Caroli SPD: Im Gegenteil!)

Deswegen stellen wir die Frage, wie Sie es mit dem Thema „Begrenzung und Steuerung von Zuwanderung“ halten. Struck bei Christiansen am Sonntag: Ein Einwanderungsgesetz komme vermutlich noch in dieser Legislaturperiode des Deutschen Bundestags.

(Abg. Haas CDU: So! Ah ja!)

Schröder warnte gestern in der Bundestagsfraktion davor. Schily sagte im Oktober des Jahres 1999: „Das Asylrecht lässt sich nicht halten.“ Und er sagte wörtlich etwas, was ich nicht so formuliert hätte: „Die Grenzen der Belastbarkeit durch Zuwanderung sind überschritten.“

(Abg. Haas CDU: Jawohl!)

Heller Aufschrei in Ihrer Partei. Der erste Ausländerpolitiker, der Bundesinnenminister, hat hier in einem Maße Wahrheit verdeutlicht, wie es Ihnen nur unbequem sein kann. Deswegen ist die entscheidende Frage, verehrter Herr Kollege Maurer: Sind Sie im Grundsatz zu einer Debatte über die Steuerung von Zuwanderung im Rahmen dessen, was an Integration leistbar ist, bereit, oder blenden Sie dies alles aus und sagen immer nur „Greencard, Greencard“, obwohl die Greencard nur ein ganz kleiner Ausschnitt einer viel größeren Gesamtschau ist, die die Sache verdient hat?

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Zuruf des Abg. Dr. Puchta SPD)

Wir stellen uns der Gesamtschau, und Sie blenden diese unbequemen Fragen aus.

Wenn die Wirtschaft 10 000 oder 20 000 neue Fachleute durch eine Änderung des Aufenthalts- und Arbeitsstättenrechts haben möchte, dann hat dies eine nüchterne und ergebnisoffene Betrachtung verdient. Sie wird in der Union in den nächsten Wochen geführt; aber noch liegt der Verordnungsentwurf nicht vor. Sie haben die Hausaufgabe zu machen, den Verordnungsentwurf vorzulegen. Der muss erst einmal ins Bundeskabinett, und dann kommt er im Juni oder Juli in den Bundesrat. Warten Sie es ab.

Zweitens: Wer 20 000 Fachleute und ihre Familien holen will, muss die Frage beantworten, ob diese 20 000, 30 000 oder 40 000 Personen zusätzlich gemeint sind oder ob die Zahl derer, die zu uns kommen, dann neu gesteuert werden muss. Wir glauben, wer neue Fachkräfte holen will, muss sich dem unbequemen Thema stellen, die Integrationsleistung der deutschen Bevölkerung nicht zu überfordern und die Zahl deswegen stärker als bisher zu begrenzen und dort zu steuern, wo bisher Missbrauchsmöglichkeiten bestehen.

(Beifall bei der CDU)

Zum Beispiel im Asylbereich: Schily sagt, nur 4 oder 5 % aller Asylanträge würden im Ergebnis anerkannt. Wenn dem so ist, dann darf doch die Frage einer Änderung des Asylrechts bis hin zu einer Anpassung des Grundrechts nicht ausgeblendet werden. Es geht doch nicht um wolkige Asyldebatten, sondern um die ganz konkrete Frage: Sind Sie zu einer Weiterentwicklung des Asylrechts bereit, ja oder nein? Hat Schily Recht, oder was gilt denn nun bei der SPD?

(Beifall bei der CDU – Zuruf der Abg. Christine Rudolf SPD)

Dann, verehrter Kollege Maurer, bieten Sie dem Nachbarland Türkei Mitgliedschaftsverhandlungen für die Europäische Union an.

(Abg. Deuschle REP: Ein Nachbarland von Deutschland?)

Ich glaube, dass die Türkei ein Nachbar Europas, ein Partner, ein Handelspartner ist. Aber ich halte das Mitgliedschaftsangebot an die Türkei für falsch. Die Union lehnt die volle Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union ab.

(Abg. Deuschle REP: Ja, wie lange?)