Protocol of the Session on April 13, 2000

Bei Ihnen ist ja Hopfen und Malz verloren.

17 000 Jugendliche sind im vorigen Jahr – diese gehören zu denjenigen, von denen die Zukunftskommission spricht –

(Abg. Scheuermann CDU: Da kann ich nur mit Adenauer antworten: Die Lage war noch nie so ernst!)

in berufsvorbereitenden Maßnahmen und im BVJ gewesen. Wofür ist das Berufsvorbereitungsjahr gedacht? Vorzubereiten auf einen Einstieg in eine Berufsausbildung im dualen System. Meine Damen und Herren, die Landesregie

rung musste uns auf einen Antrag mitteilen, dass nur 10 % derjenigen, die ein Berufsvorbereitungsjahr besuchten, Jahr für Jahr diesen Weg in die duale Ausbildung fanden. 90 % dieser 11 000 bis 12 000 Jugendlichen, die jedes Jahr das BVJ besuchen, bleiben auf der Strecke. Da muss man sich doch etwas anderes einfallen lassen! Da kann ich mich doch nicht bloß den anderen Schularten im allgemein bildenden Bereich zuwenden. Da kann ich doch nicht die Eliteförderung als Nummer 1 der Bildungspolitik herausstreichen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wir haben als Folge und als Ergebnis all dessen zusätzlich einen dramatischen Nachwuchsmangel an den beruflichen Schulen. Verbände und Gewerkschaften haben seit Jahren darauf hingewiesen. Die Verbände sagen: Das ist die Folge einer Personal- und Einstellungspolitik des Landes, die zu sehr auf die allgemein bildenden Schulen ausgerichtet war und die die besondere Situation der beruflichen Schulen nicht ausreichend berücksichtigt hat.

Meine Damen und Herren, der Beweis ist gegeben. Die beruflichen Schulen haben allein im vorigen Jahr 845 Schüler mehr zu bewältigen gehabt. Trotzdem sind 30 Klassen in den beruflichen Schulen gestrichen worden. Gleichzeitig hat man am Gymnasium aber 22 G-8-Klassen aufgemacht. Da sieht man die Gewichtung, die hier vorgegeben ist.

Die Ministerin wird wohl anschließend darauf hinweisen, dass man ja in diesem Jahr 200 neue Stellen für die beruflichen Schulen bereitstellt. Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen bereits gesagt, wie es aussieht mit den 1 000 fehlenden Deputaten im Pflichtbereich. Aber noch eines in diesem Zusammenhang zum Schluss:

Die Zahl der Berufsschüler hat zwischen 1995 und 2000 um 22 000 zugenommen. In dieser Zeit hat die Landesregierung ganze 70 Stellen geschaffen, mit denen dieser Zuwachs von 22 000 Schülern bewältigt werden sollte. Wenn es so ist, dass, wie die neuesten Zahlen des Statistischen Landesamts zeigen, bis zum Schuljahr 2008/2009 noch einmal 49 000 Schüler hinzukommen werden, meine Damen und Herren, dann brauchen wir nicht 200 zusätzliche Lehrerstellen in diesem Jahr, sondern ein Notprogramm, welches jährlich 200 Stellen hinzukommen lässt, um diesen Bedarf in den beruflichen Schulen zu decken.

(Beifall bei der SPD)

Ich bin sehr gespannt, wie die Landesregierung hier reagieren wird, wie ein Notprogramm aussehen soll, das diesen Ansprüchen dann gerecht werden wird.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Renate Rastätter Bündnis 90/Die Grünen)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Kuri.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Herr Kollege Wintruff, wenn man Sie hört, könnte man davon ausgehen, dass in der Bildungspolitik in Baden-Württemberg im Augenblick Land unter ist.

(Demonstrativer Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Birzele SPD: Sehr richtig!)

Das Gegenteil ist absolut der Fall. Bildungspolitik nimmt in unserem regulären Haushalt den größten Platz ein. Hier gibt es die umfassendsten Ausgaben.

(Abg. Birgit Kipfer SPD: Das ist nichts Neues!)

Außerdem haben wir in der Zukunftsoffensive Junge Generation noch eine weitere Million für den Bildungsbereich bereitgestellt, die zum großen Teil bereits für diese Felder investiert ist oder noch in den nächsten Monaten ausgegeben wird. Dass diese Anstrengungen notwendig sind, ist in der Tat richtig, denn wir haben das große Glück, in unserem Land sehr viele Kinder zu haben – 17 % mehr Kinder in unseren Schulen. Das wirkt sich natürlich aus. Aber, Herr Wintruff, wenn Sie sagen, wir müssten die Schwachen fördern, dann sage ich, dass wir auch die Elite fördern müssen. Das eine geht nicht ohne das andere. Ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen.

(Beifall bei der CDU – Abg. Wintruff SPD: Das eine tun und das andere nicht lassen! – Abg. Birgit Kipfer SPD: Was tun Sie denn für die anderen?)

Unsere beruflichen Schulen werden in ihrer großen Vielfalt mit breit gefächertem Angebot von etwa 80 % aller Schüler und Schülerinnen dieses Landes besucht. Im Schuljahr 1998/1999 wurden rund 331 000 Schüler an den 340 beruflichen Schulstandorten des Landes unterrichtet. Die Schülerinnen und Schüler werden in Vollzeit- und Teilzeitklassen unterrichtet, in Vollzeitklassen etwa 137 000, in Teilzeitklassen 194 000.

In Baden-Württemberg ist in diesem Zusammenhang auch die große Durchlässigkeit und die Aufbaumöglichkeit von einem Abschluss zu einem weiteren zu nennen. Das ist eine Weiterqualifikation, die für die Absolventen von ganz, ganz großer Bedeutung ist.

Unsere beruflichen Schulen bilden in den klassischen Bereichen aus, müssen sich aber auch dauernd auf neue Herausforderungen einstellen, und dies sogar oft in jährlichem Zyklus. Ich will in diesem Zusammenhang nur die IT-Berufe nennen, aber es gibt noch viele andere mehr.

Kernstück der beruflichen Ausbildung in unseren Schulen sind die Berufsschulen mit ihrer dualen Ausbildung – im Ausbildungsbereich, im Betrieb mit der Kammerprüfung und in der Schule mit der schulischen Prüfung. Das Land ist bereit, für die schulische Ausbildung die nötigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Allerdings sind in diesem Feld auch die Wirtschaft und das Handwerk gefordert, die nötigen Ausbildungsplätze anzubieten.

Gerade in den neuen Berufsfeldern sind große Zuwachsraten festzustellen. 1997 gab es im IT-Bereich noch 567 abgeschlossene Ausbildungsverträge. 1999 waren es bereits 1 633. Ähnliches gilt für die Mediengestalter für digitale und Printmedien mit etwa 1 400 Auszubildenden. Der Bedarf in der Wirtschaft steigt ständig. So erwarten wir für das kommende Schuljahr zusätzlich etwa 1 000 weitere Ausbildungsverträge. Dies ist eine gewaltige Herausforderung für die Unterrichtsversorgung.

(Abg. Birgit Kipfer SPD: Na und?)

Nach dem Organisationserlass sind 12 Wochenstunden je Klasse anzustreben. Grundsätzlich sind 10 Wochenstunden zu erteilen, auch bei Lehrermangel.

Der Anteil der Klassen mit weniger als 10 Stunden liegt bei etwa 6 %, und da – das muss ich ganz deutlich dazusagen – liegt es im Ermessen der Schulleitung, auch nach bestimmten Kriterien zu gewichten. Dies wird im Einzelfall sehr genau zu belegen sein. Das liegt zum Teil an den fehlenden Fachlehrern in ausgesprochenen Spezialfeldern, in denen wir uns sehr bemühen, die nötigen Lehrer bereitzustellen. Es liegt auch an den Umschülern, die nicht mehr alle Fächer besuchen müssen, oder es liegt auch daran, dass der Baubereich im ersten Lehrjahr mit 13 Unterrichtsstunden und mehr versorgt wird, dafür natürlich dann in den Folgejahren weniger Unterricht hat. Außerdem wurde im Hotelund Gaststättengewerbe nur die erste Stufe umgesetzt, weil die Ausbildungsbetriebe dringend gefordert haben, dass ihre Lehrlinge mehr Präsenz in den Ausbildungsbetrieben zeigen.

(Abg. Wintruff SPD: Dafür sind sie gut genug!)

Deshalb sind die Statistiken an dieser Stelle auch zu hinterfragen.

(Lachen des Abg. Wintruff SPD)

Obwohl wir von 1994 bis 1999 328 Lehrerneueinstellungen vorgenommen, frei gewordene Stellen wieder besetzt und auch das Stundenmaß für die wissenschaftlichen Lehrer erhöht haben, konnte im Teilzeitbereich noch nicht jeder Engpass beseitigt werden,

(Abg. Birgit Kipfer SPD: Ja, was machen Sie denn dagegen?)

weil – und jetzt hören Sie bitte genau zu, warum – wir eben auch sehr viele Vollzeitklassen, vor allem BVJ-Klassen, zusätzlich eingerichtet haben.

(Zuruf der Abg. Christine Rudolf SPD)

Die Anstrengungen sind notwendig,

(Abg. Birgit Kipfer SPD: Welche Anstrengungen? Wo strengen Sie sich denn an?)

damit möglichst viele Jugendliche eine Chance auf Ausbildung bekommen.

(Zurufe der Abg. Birgit Kipfer und Wintruff SPD)

Vollzeitklassen haben einen hohen Ressourcenbedarf; dennoch wurden auch in diesem Bereich die Berufsausbildungen weiterentwickelt. Ich darf an das einjährige Berufskolleg für Technik und Medien, an das Berufskolleg Technische Kommunikation – dort haben wir allein im Augenblick 60 Klassen mit etwa 1 500 Schülern – und an das Berufskolleg Informatik an der Akademie für Datenverarbeitung in Böblingen mit jährlich 180 Schülern erinnern.

(Abg. Wintruff SPD: Viel zu wenig!)

Sie können ja immer sagen, es sei alles zu wenig. Aber tun Sie es mal so!

(Abg. Wintruff SPD: Die Schüler sind doch da! – Abg. Rau CDU: Der Wintruff ist doch ein alter Jammerer! – Gegenruf des Abg. König REP: Herr Zeller noch mehr!)

An den beruflichen Gymnasien wurden im Blick auf die neuen Berufe Unterrichtseinheiten in den Lehrplänen verändert, und zwar zugunsten von Informatik, Datenverarbeitung und anderem. Wir bemühen uns, die Schulen mit ihren Inhalten für unsere Schüler ständig an die neuen Bedürfnisse anzugleichen, und dies nicht erst seit heute.

(Zuruf der Abg. Birgit Kipfer SPD)

Schülerinnen und Schüler verlassen unser Schulsystem mit sehr guten Kenntnissen und treten so wohl vorbereitet in Berufsfeld und Studium ein. Übrigens ist das eine Größenordnung von etwa 20 000 Schülern jährlich. Die Absolventen der Technischen Gymnasien finden wir dann an den Hochschulen wieder in den Fachbereichen Ingenieurwissenschaften, Informatik, Mikrosystemtechnik und anderen, also genau in den Feldern, die so dringend gebraucht werden.

(Zuruf der Abg. Marianne Erdrich-Sommer Bünd- nis 90/Die Grünen)

Baden-Württemberg hat schon sehr frühzeitig diese Weichen richtig gestellt, anders als in Niedersachsen, wo in der Zeit, in der wir ausgebaut haben, abgebaut wurde. Auch in der Ausstattung der Schulen mit Computern haben wir wichtige Wege beschritten und in der Zukunftsoffensive unsere Schulen weiter mit Computern ausgestattet. Wir haben also wirklich große Anstrengungen unternommen, die auch ihre Wirkung zeigen. Wir werden auch alles tun, um den Unterricht zu gewährleisten.

(Abg. Birgit Kipfer SPD: Was werden Sie tun?)

Geben wir der Jugend in Baden-Württemberg eine Chance. Sie wird sie nutzen. Wir haben den Schwerpunkt in den Bereich Bildungspolitik gelegt, und zwar auch und gerade an den beruflichen Schulen. Wir brauchen kein Notprogramm.

(Beifall bei der CDU)