Protocol of the Session on April 12, 2000

Es liegt ein Brief vom IHK-Geschäftsführer Richter von der IHK Stuttgart vor, der diese Greencard-Initiative unterstützt, weil er sagt, die Wirtschaft komme ohne diese nicht aus. Er sagt gleichzeitig, dass diese feine Gliederung in Branchen, in die IT-Branche usw., in der Praxis überhaupt nicht funktioniere, sondern dass wir die Greencard auch in anderen Bereichen brauchten.

(Abg. Fleischer CDU: Sie machen doch freie Men- schen zu Heloten!)

Das ist doch offensichtlich.

Deshalb ist es meines Erachtens klar, dass man zwei Wege nicht gehen darf. Der eine Weg ist der der CDU. Er erledigt sich von selber, weil er einfach in der Praxis nicht durchzuhalten ist. Da kann man nur sagen: Just forget it.

Der zweite Weg ist eigentlich der gefährlichere, und der droht tatsächlich, nämlich die reale Gefahr, dass sich die neoliberale Denkfigur des grenzenlos flexiblen, unabhängigen und individuellen einzelnen Menschen durchsetzt. Dieser Mensch bietet rund um die Uhr und rund um den Globus seine Arbeitskraft und seine Fähigkeiten an. Doch dieser Mensch, das wissen wir alle, ist ein Mensch ohne Eigenschaften,

(Abg. Deuschle REP: Eben!)

ohne Herkunft, ohne Tradition, ohne Bindungen, das heißt ohne Lebenspartner, ohne Familie, ohne Kinder, ohne soziale Bezüge, ohne Vereine, ohne Heimat, ohne eigene Kultur. Kurz, dieser Mensch wäre ein Zombie, eben eine Maschine und kein Mensch. Solche Menschen gibt es in der Realität nicht. Er wäre ein Söldner in den Diensten des globalisierten Arbeitsmarkts.

Deshalb, meine Damen und Herren, wäre es fatal, den Fehler zu wiederholen, der vor 40 Jahren gemacht wurde, als die so genannten Gastarbeiter geholt wurden – Männer alleine –, die scheinbar diese Bindungen alle nicht hatten. Sie sollten ja nur arbeiten. Der Millionste von ihnen hat dann ein Moped geschenkt bekommen. „Danke schön!“ So kann und darf das nicht wieder laufen. Deshalb sollte insbesondere eine christliche Partei, die sich als soziale Partei und als Wertepartei versteht, dies nicht noch einmal mitmachen.

Freier globalisierter Markt funktioniert aber auch nicht ohne Regeln. Ohne Regeln funktionieren weder die Finanznoch die Güter-, noch die Dienstleistungsmärkte und schon gar nicht der Arbeitsmarkt. „Grenzen dicht“ ist deshalb genauso absurd wie „Grenzen einfach auf“. Es geht folglich um Freiheit, um Spielregeln, um Regulierungen. Das heißt, es geht um die Frage, ob Politik vor der Globalisierung kapituliert oder ob sie diesen Prozess gestalten will. Es geht um die Frage, ob Politik als in Normen, Regeln und Gesetze geronnene Werte einer Gesellschaft gewünscht und möglich ist. Wir denken, genau das ist die Aufgabe von Politik.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Aktuelle De- batte! Freie Rede!)

Hier fängt natürlich der zweite Punkt an: die Bildungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Bundeskanzler Schröder in Niedersachsen und Hildesheim oder Karlsruhe: Ob da jetzt Studienplätze abgebaut worden sind oder nicht,

(Abg. Pfister FDP/DVP: Sind da keine abgebaut worden?)

meine Damen und Herren, das ist überhaupt nicht die Debatte. Das ist Unfug. Wir sind als Bundesrepublik Deutschland in diesem Bereich hintendran und sollten uns überlegen, was das mit der Art der Bildung und Ausbildung in diesem Land zu tun hat.

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Aber nicht in Baden-Württemberg! – Zuruf des Abg. Fleischer CDU – Weitere Zurufe von der CDU)

Da sollten wir alle Asche auf unser Haupt streuen, insbesondere Sie, Herr Bender, weil Sie noch gar nicht kapiert haben, was eigentlich das Problem ist.

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Aber nicht in Baden-Württemberg! Da bin ich nicht bereit, Asche auf mein Haupt zu streuen!)

Vor fünf Jahren, als wir hier im Landtag die MultimediaEnquete hatten, waren wir uns in der Enquete einig, dass die Internetrevolution kommt. Ergebnis: null, null Komma null.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Das ist doch nicht wahr! Das ist maßlos übertrieben! – Zurufe von der CDU – Abg. Deuschle REP: Wie viel Redezeit haben Sie eigentlich noch?)

Das heißt, Sie haben jetzt fünf Jahre Zeit gehabt – jetzt sagen Sie „Schweinezyklus“ –, darauf zu reagieren.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Nein! Null, das ist ein- fach maßlos übertrieben! – Gegenruf des Abg. Kuhn Bündnis 90/Die Grünen: Also sagen wir null Komma fünf!)

Der entscheidende Punkt ist nicht, wie viele Ausbildungsplätze es in Informatik gibt. Das ist auch ein Punkt, aber das ist nicht der entscheidende. Der entscheidende Punkt ist doch, ob Sie die Ausstattung an den Schulen hinkriegen,

(Abg. Pfister FDP/DVP: Das ist richtig! Das ma- chen wir!)

ob Sie Lehrer haben, die wissen, was Internet ist, und die damit umgehen können.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Das wissen wir!)

Die haben wir nicht.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Stimmt doch nicht! Informieren Sie sich!)

Es geht darum, ob Sie Lehrpläne für dieses Thema haben. Die haben wir nicht. Es geht darum, ob Sie Fortbildung für Lehrer machen. Das machen wir nicht ausreichend. Es geht darum, ob Sie kapieren, dass das eigentliche Thema „lebenslanges Lernen, Weiterbildung“ heißt. Das haben wir nicht. Wo bleibt die „Stiftung für Weiterbildung“, Frau Schavan? Auf diese Stiftung warten wir dringend. Nehmen Sie die „Erwin-3“-Millionen, und machen Sie damit etwas in dieser Richtung. Das wäre der entscheidende Punkt. Darüber müssen wir diskutieren.

Letztlich komme ich dazu, dass sich alle wundern, dass man auf einmal Inder holt, die sich mit der Software auskennen. Indien ist ein Land, in dem Mathematik Volkssport ist. In Brasilien wird gut Fußball gespielt. Das weiß Herr Mayer-Vorfelder gut. Das ist aber nicht so, weil man in Brasilien Fußball an der Universität lernt, wie das mittlerweile in Deutschland gemacht wird, sondern weil man Fußball in Brasilien am Strand und auf der Straße spielt. So

läuft die Software-Entwicklung zum Teil in Indien. Da kann unser Ausbildungssystem überhaupt nicht konkurrieren. Dieser Frage und dieser Debatte müssten wir uns eigentlich stellen; dann wäre uns weitergeholfen. Dazu habe ich heute und hier wenig gehört.

Danke schön.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei Ab- geordneten der SPD – Zurufe von der CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Deuschle.

(Abg. Nagel SPD: Oh Jesses, nein! Deuschle am Morgen bringt Kummer und Sorgen!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben hier auf Antrag meiner Fraktion, der Fraktion Die Republikaner, vor drei Wochen die Debatte über die Greencard geführt. Ich frage mich: Was hat sich denn in diesen drei Wochen grundsätzlich geändert? Wirtschaftlich, sachlich hat sich nichts geändert. Politisch hat sich etwas geändert, meine Damen und Herren, nämlich dass die CDU hier in wesentlichen Punkten umgefallen ist. Das muss man heute auch politisch sagen können.

(Beifall bei Abgeordneten der Republikaner)

Frau Merkel, Frau Schavan, Herr Oettinger lassen ihre Wahlkämpfer in Nordrhein-Westfalen, Herrn Rüttgers, aber auch Herrn Ministerpräsidenten Teufel hier völlig im Stich und kapitulieren vor Einzelforderungen der Wirtschaft und auch vor den Medien und natürlich vor RotGrün. Ich frage mich, warum Sie nicht bereit sind, wie in Hessen damals mit Koch eine Kampagne durchzuziehen und dann vielleicht sogar die Wahl zu gewinnen, anstatt hier jetzt aufzugeben und Ihren Leuten in den Rücken zu fallen. Das hat sich gegenüber der Diskussion vor drei Wochen geändert.

Wenn Frau Merkel am 9. April gesagt hat, ihre Partei habe keine grundsätzlichen Einwände gegen die von Bundeskanzler Gerhard Schröder initiierte Aktion, und wenn Herr Oettinger am Montag im „Focus“ gesagt hat, man könne die Greencard ja auf andere Branchen ausweiten, aufs Handwerk, dann zeigt das, dass bei der CDU ein totales Durcheinander herrscht und dass der Ministerpräsident hier im Landtag fast allein steht. Nur die Fraktion Die Republikaner hat hier eine klare Linie, die sie schon vor drei Wochen überzeugend dargelegt hat.

(Beifall bei Abgeordneten der Republikaner – Zu- rufe von der SPD, u. a. Abg. Wintruff: Sehr gut! Das freut uns auch! – Abg. Pfister FDP/DVP: Da wird er aber eine Freude haben!)

Es freut mich, dass ich von links auch einmal Beifall bekomme.

Für den Landtag von Baden-Württemberg stelle ich fest: Die CDU wird immer weniger wählbar für konservative Wähler, für nationalbewusste Wähler, die nicht wollen, dass Deutschland ein Einwanderungsland wird. Mindestens 30 bis 40 % der Bevölkerung wollen nicht, dass Deutschland ein Einwanderungsland wird. Die CDU ist nicht mehr

bereit, diese Position zu besetzen. Wenn ich an die Landtagswahl in Baden-Württemberg im kommenden Jahr denke, dann kämpfen wir Republikaner nicht um 5 oder um 10 %, sondern um 20 %.

(Beifall bei den Republikanern)

Ich frage aber auch: Wie ist denn die Position der Landesregierung in dieser Frage? Wo ist eigentlich der Ministerpräsident? Döring sagt das eine, Schäuble das andere, Schavan wieder etwas anderes im Deutschlandfunk. Da weiß man gar nicht, was sie sagt, weil man merkt, dass sie wackelt. Man merkt, der Dame ist es peinlich, zu Herrn Rüttgers zu stehen – das haben Sie gestern Morgen im Interview um 7:20 Uhr gesagt.

Deswegen sage ich: Sie als CDU müssen sich klar werden, wo Sie stehen, ob Sie mit den Linken, mit Rot-Grün heulen wollen oder ob Sie eine Alternative zu Rot-Grün sind. Das müssen Sie den Bürgerinnen und Bürgern glaubhaft machen. Sonst ist eine andere Kraft, sonst sind wir da, die das übernehmen, und dann werden wir das auch konsequent tun, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Republikanern – Lachen des Abg. Rau CDU)

Wer ist nun schuld an dieser Malaise? These 1: Die Wirtschaft und der Staat haben zu spät reagiert. Bis Mitte der Neunzigerjahre gab es Meldungen über arbeitslose Ingenieure, und die Ausbildungskapazitäten wurden abgebaut. Das werfe ich Ihnen, Frau Schavan, auch konkret vor. Sie haben nicht dafür gesorgt, dass die technische Ausstattung und dass Lehrer, die das Fach interessant vermitteln können, zur Verfügung stehen. Professor Klaeren von der Universität Tübingen hat gesagt, hier liege das Versäumnis auch der Landesregierung in den letzten Jahren. Frau Schavan, hier haben Sie die Entwicklung leider verschlafen.

Auch an den Hochschulen sind Fehler gemacht worden. Professor Schmid von der Universität Karlsruhe sagt zu Recht: „Wir haben zu viele Juristen und zu wenig Informatiker ausgebildet.“ Dass sich das jetzt langsam bessert, sehe ich auch. Dass wir heute die Kapazitäten zum Teil mit 120 % ausgelastet haben, das ist in Ordnung. Deshalb sagen wir Republikaner auch: Dieses Problem ist in zwei bis vier Jahren lösbar, und dazu brauchen wir keine Zuwanderer, keine Inder und Osteuropäer, das schaffen wir selber. Die Leute müssen länger arbeiten und mehr studieren, da muss man einmal auf die Semesterferien verzichten. Mit einer gemeinsamen Anstrengung können wir das schaffen. Wenn wir uns gemeinsam anstrengen, dann schaffen wir das auch, meine Damen und Herren.

(Beifall des Abg. Käs REP)

Wenn wir dafür Leute aus Indien hereinholen, aus einem armen Land übrigens, wo bleibt da denn die rot-grüne Diskussion? Sie verraten ja Ihre eigenen Ideale.

(Abg. Wieser CDU: Die haben keine Ideale mehr!)

Wo sind denn die 68er? Ist es richtig, diesen armen Ländern die besten Leute wegzunehmen? Sie wissen ja – vielleicht wissen Sie es auch nicht –, dass die Ausbildung eines Ingenieurs in Indien 200 000 DM kostet. Wollen Sie ein so