Protocol of the Session on March 23, 2000

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 84. Sitzung des 12. Landtags von Baden-Württemberg und begrüße Sie.

Krank gemeldet ist Herr Abg. Goll.

Dienstlich verhindert ist Herr Staatssekretär Rückert.

Meine Damen und Herren, der Landtag hat zu Beginn der Wahlperiode Mitglieder des Oberrheinrates für die Dauer von zwei Jahren gewählt. Es ist daher notwendig, diese heute für den Rest der Legislaturperiode neu zu wählen bzw. in ihrem Amt zu bestätigen. Eine gemeinsame Vorschlagsliste aller Fraktionen liegt Ihnen vor. (Anlage)

Ich darf ohne förmliche Abstimmung Ihre Zustimmung zu dieser Auflistung feststellen.

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Neuregelung der internationalen Eigenkapitalregeln – Einschränkung der Kreditfähigkeit mittelständischer Unternehmen in Baden-Württemberg – beantragt von der Fraktion der CDU

Das Präsidium hat für die Aktuelle Debatte die üblichen Zeiten festgelegt: 50 Minuten Gesamtdauer ohne Anrechnung der Redezeit der Regierung, fünf Minuten für die Redner in der ersten Runde und fünf Minuten für die Redner in der zweiten Runde. Die Mitglieder der Landesregierung sind gebeten, sich ebenfalls an diese Redezeit zu halten.

Im Übrigen darf ich auf § 60 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung hinweisen, wonach die Aussprache in freier Rede zu führen ist.

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Haasis.

Herr Präsident, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir haben für unsere heutige Aktuelle Debatte ein Thema, das sich wenig für den politischen Schlagabtausch eignet,

(Zuruf des Abg. Deuschle REP)

wie er sonst bei Aktuellen Debatten üblich ist, ein sehr komplexes Thema, das aber trotz allem große Auswirkungen nicht nur auf die Politik, sondern insbesondere auf die Wirtschaft und damit auch auf die sozialen Verhältnisse haben wird, vor allem auf die gesellschaftlichen Strukturen in unserem Staat, je nachdem, wie die Regelungen sind.

Worum geht es? Seit 1988 gibt es den so genannten Baseler Akkord. Darin haben sich die größten international tätigen Kreditinstitute auf Eigenkapitalunterlegungen von Krediten geeinigt, auf Maßnahmen, die sie unter sich abgesprochen haben und die nicht automatisch für die gesamte Kreditwirtschaft auf der Welt gelten. Aber es hat sich eingespielt, dass sowohl die EU wie auch Nationalstaaten, auch wir hier in der Bundesrepublik, im Wesentlichen das übernommen haben, was in der Baseler Übereinkunft festgelegt ist. Dies hat dazu geführt, dass in vielen Fällen, gerade auch für mittelständische Kreditinstitute, die es in Deutschland in besonders hoher Zahl gibt, für die Genossenschaftsbanken und Sparkassen Richtlinien erlassen worden sind, die eher für das große internationale Geschäft gedacht waren als für das, worum es oftmals geht, nämlich die Kreditfähigkeit und die Kreditmöglichkeiten der mittelständischen Industrie.

Ganz besonders gilt das für einen neuen Entwurf, der im Juni letzten Jahres vorgelegt worden ist. Er hat zuerst die Sparkassen und Genossenschaftsbanken bei uns in der Bundesrepublik mobilisiert und mit Verspätung auch die Privatbanken. Schließlich gab es dann eine gemeinsame Stellungnahme des Zentralen Kreditausschusses, das heißt der ganzen deutschen Kreditwirtschaft, und jetzt auch des Handwerks, des Handels und der Industrie in Deutschland, weil alle gemeinsam unsere Kreditmöglichkeiten, wie sie für den Mittelstand gegeben sind, gefährdet sehen.

Es geht darum, dass im Kernstück dieser neuen Richtlinien vorgesehen ist, die Kreditnehmer künftig nach der so genannten tatsächlichen Bonität zu bewerten. Das klingt ganz gut und erweckt auch den Eindruck, als ob es ein Vorteil wäre. Tatsächlich wird das aber für unseren Mittelstand ein Nachteil sein,

(Zuruf des Abg. Göbel CDU)

weil die Kreditnehmer in einem so genannten Ratingverfahren bewertet werden und danach die Kreditunterlegung zwischen 20 und 150 % läuft. Diejenigen, die nicht extern geratet sind – und das wird die Großzahl der Betriebe des größeren Mittelstands sein –, würden dann eine große Verteuerung ihres Kredits erfahren, weil sie anders zu bewerten und mit mehr Eigenkapital zu unterlegen sind.

Dagegen wehrt man sich zu Recht, vor allem gegen das so genannte externe Ratingverfahren. Es wurde über lange Zeit in der Wirtschaft und auch in der Öffentlichkeit beinahe als Glaubensfrage dargestellt: Alles, was extern geratet ist, ist gut. Es gibt ja die großen internationalen Gesellschaften, die Banken wie auch Unternehmen geratet haben.

Das beste Beispiel ist das Rating der asiatischen Staaten gewesen. Bis kurz vor dem Zusammenbruch der fünf Tigerstaaten haben die internationalen Ratingagenturen diesen Staaten das Best Rating gegeben, was Investoren dazu veranlasst hat, erst recht in diesen Ländern bis kurz vor dem Crash zu investieren. Nebenbei gesagt: Auch die geplante Flowtex-Anleihe, die eine große deutsche Bank noch begeben wollte, war mit einem Rating von Standard & Poor’s, also dem besten Rating, das es überhaupt gibt, versehen.

Seither wird Gott sei Dank etwas kritischer über das nachgedacht, was es mit dem externen Rating auf sich hat. Die Kreditinstitute und wir von der Politik, auch die CDU in Baden-Württemberg – die Regierung hat sich dem angeschlossen –, verlangen, dass nicht nur so genannte externe Ratings gelten, sondern dass die Kreditwirtschaft auch mit internen Ratings arbeiten kann. Unsere Kreditinstitute müssen ja ihre Kunden schon jetzt einschätzen, und dafür gelten andere Maßstäbe als beim externen Rating, nämlich nicht nur objektive Tatbestände des Unternehmens, sondern auch die Kreditwürdigkeit des Unternehmers: Wie führt er sein Unternehmen? Wie sind die Produkte? Sind sie zukunftsfähig? Was traut man dem Unternehmer zu? Wie ist die Einschätzung des gesamten Unternehmens, gerade auf die Einzelperson abgestellt?

Wenn dies wegfällt, wird es zu einer erheblichen Verteuerung der Kredite kommen, und es wird gerade für den Mittelstand sehr viel schlechtere Kreditkonditionen geben. Es wird den Drang nicht nur zur Größe, sondern auch zur Internationalisierung, zum Anschluss an große Gruppen geben. Gefragt ist nicht mehr der Einzelunternehmer, der persönlich ein Risiko eingeht und seine Grundstücke beleiht; denn auch dort ist der Kredit bisher günstiger. Er müsste teurer werden, egal, ob die Grundstücke beliehen werden oder nicht. Auf die persönliche Leistungsfähigkeit des Unternehmers in seinem Unternehmen wird nicht mehr abgestellt.

Dies muss geändert werden, und deshalb verlangen die Kreditinstitute bei uns zu Recht, dass es auch so genannte Retail-Portfolios gibt. Das heißt, dass eine Menge von Kleinkrediten, die es gerade bei Volksbanken und bei Sparkassen gibt, zusammengefasst werden, weil das Risiko, dass sie ausfallen, relativ gering ist. Wenn ein Kredit auf 200 Handwerksbetriebe à 500 000 DM gestreut ist, ist das Risiko gering, dass davon 20, 50 oder gar 100 Millionen DM ausfallen.

Nach den jetzigen Richtlinien von Basel wäre es aber so, dass für jeden Kredit ein Unternehmen mit einem Rating versehen werden müsste. Das ist in der Menge der kleinen Unternehmen teurer, als wenn ein Großunternehmen einen Kredit von 10, 20, 50, 100 oder 150 Millionen DM bekommt. Dies kann nicht sein. Es besteht die Gefahr, dass Richtlinien in europäisches und nationales Recht umgesetzt werden, die den Mittelstand lähmen werden, die die Kreditmöglichkeiten des Mittelstands erschweren und die vor allem mittelständische Kreditinstitute ein Stück weit vom Geschäft wegdrängen.

Es kommt automatisch eher zu einem Übergang zu amerikanischen Verhältnissen, weil wir eine andere Wirtschaftsstruktur und eine andere Struktur der Kreditinstitute haben.

Wir haben in Deutschland insbesondere keine externen Ratings; bei uns sind bis jetzt wenige Firmen geratet.

Um nur eine Zahl zu nennen: Selbst für einen mittelständischen Betrieb würden eine einmalige Ratinggebühr von 100 000 DM und eine jährliche Gebühr von etwa 40 000 bis 60 000 DM anfallen,

(Abg. Dr. Birk CDU: Skandalös!)

wenn das externe Rating wiederholt werden müsste. Es geht also brutal um Geschäftsmöglichkeiten der Gesellschaften auf der Welt, die schon groß sind.

(Abg. Deuschle REP: Eben! Globalisierung, Herr Kollege! So ist es halt!)

Leider wird auch nicht gesehen, welche Zusammenballung es bei den großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften gegeben hat. Eine große international tätige Versicherung in Deutschland oder eine große international tätige Bank hat eigentlich nur noch die Auswahl zwischen zwei, maximal drei Prüfungsgesellschaften in der Bundesrepublik, von denen sie sich prüfen lassen kann. In den letzten Jahren hat es hier einen schleichenden Zusammenschluss zu großen Unternehmen gegeben, zu einer Macht, die wenig kontrollierbar ist und die wenig einsehbar ist, was sich nicht in allem sehr positiv ausgewirkt hat.

Ich will nicht wiederholen, wie – so stand es kürzlich in einer Zeitung – die Abkürzung KPMG in vielen Bankenkreisen gedeutet wird. Ich würde nie wagen, das zu sagen; aber dort stand, KPMG, die bei großen Gesellschaften prüft, sei die Abkürzung für „Keiner prüft mehr genau“.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU – Abg. Brechtken SPD: Diesen Eindruck hat man gele- gentlich auch!)

Dazu darf und soll es nicht kommen. Deshalb die Aufforderung an die Politik, an die Landes- und die Bundesregierung, das Anliegen zu unterstützen, dass das, was in Basel von den großen Internationalen geplant ist, auf deutsche Mittelstandsverhältnisse abgestellt und nicht unbesehen übernommen wird. In Basel wird jetzt Gott sei Dank Druck gemacht, und wir haben die Chance, dass sich noch etwas verändert.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Puchta.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Haasis, in der Tat habe ich mich auch gewundert, dass Sie dieses doch etwas komplizierte Thema

(Abg. Deuschle REP: Eben!)

für eine Aktuelle Debatte ausgesucht haben. Das ist ein Thema, das sich eigentlich hervorragend für eine Behandlung im Ausschuss eignen würde.

(Abg. Deuschle REP: Sehr gut! Sehr richtig! – Abg. Veronika Netzhammer CDU: Das ist ja damit nicht ausgeschlossen! – Abg. Haasis CDU: Es muss auch öffentlich gemacht werden!)

Wir stimmen darin überein, dass die Kapitaladäquanz ein wichtiges weltwirtschaftliches und finanzwirtschaftliches Thema ist. Das heißt, die Sicherheit und die Solidität des Finanzwesens müssen durch eine angemessene Erfassung der Risiken im Bankgeschäft verbessert werden.

Es ist sicherlich richtig, dass die großen Finanzkrisen in den Neunzigerjahren, insbesondere in Japan und in den USA – in den USA im Bereich der Bodenkreditbanken –, uns allen diese Notwendigkeit noch einmal vor Augen geführt haben. Es ist auch richtig, dass diese Neubewertung vor dem Hintergrund der großen Bankenfusionen besonders wichtig ist. Es ist auch richtig, dass die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich und im Gefolge davon die EU-Kommission die Regulierungslücke schließt, die es bei den Asset Backed Securities gibt, also, vereinfacht ausgedrückt, bei den Möglichkeiten, sich über eine Art Fonds Geld zu beschaffen, sodass dort Neubewertungen vorgenommen werden müssen. Und es ist auch richtig, dass bei den OTC-Derivaten die Bewertung von bisher 50 % bei der Anrechnung von Risikoaktiva in Zukunft auf 100 % erhöht werden muss. Insofern ist klar, dass hier Handlungsnotwendigkeiten gegeben sind.

Die Eigenkapitalanforderung an Banken hängt von der Bonität der Unternehmen ab, an die Kredite vergeben werden. Das soll in Zukunft verstärkt in den Mittelpunkt rücken. Zum Zweiten sind damit dann auch die Finanzierungskonditionen der Banken stärker von der Bonität der einzelnen Unternehmen abhängig. Um genau diese Bonitätsüberprüfung geht es. Das hat Herr Haasis ausgeführt. Nach dem Vorschlag der Bank für internationalen Zahlungsausgleich soll dieses Rating in Zukunft vermehrt durch externe, teure Ratingagenturen vorgenommen werden.

In diesem Zusammenhang befürchten die Industrie- und Handelskammern nun dreierlei: Erstens belasten die Kosten für diese bankexternen Ratings die Unternehmen. Zweitens werden sich die Finanzierungsbedingungen für viele mittelständische Unternehmen verschlechtern. Drittens könnte sich der Wettbewerb im Bankensektor zuungunsten der Sparkassen und der Genossenschaftsbanken verschlechtern.

Vor diesem Hintergrund beklagt nun die CDU in ihrer Begründung zur heutigen Aktuellen Debatte den verschlechterten Zugang zum Kapitalmarkt. Da muss ich Ihnen allerdings sagen: Da sind Sie wohl nicht ganz auf dem Laufenden. Viele Jahre lang war dies in der Tat ein großes Problem für viele Unternehmen, aber mit der neuen Regierung in Berlin ist in Deutschland auch eine neue Börsenkultur eingezogen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Dr. Birk CDU: So ein Zufall! – Abg. Haasis CDU: Da bleibt mir ja die Luft weg! – Abg. Dr. Gisela Meister-Scheu- felen CDU: Das hat aber der Mittelstand noch nicht gemerkt! – Unruhe)

Meine Damen und Herren, Sie können die Fakten nicht widerlegen. Schauen Sie sich täglich den Neuen Markt an. Schauen Sie sich die Entwicklung an.

(Abg. Haasis CDU: Fasching ist aber vorbei!)

Dort können Sie erkennen, dass in Deutschland nicht nur eine neue Börsenkultur eingezogen ist,

(Abg. Haasis CDU: Sondern wir auch eine neue Regierung haben!)