Protocol of the Session on March 22, 2000

Das Wort hat Herr Abg. Birzele.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Fraktion stellt schon seit vielen Legislaturperioden in jeder Legislaturperiode Gesetzesanträge zur Verbesserung der unmittelbaren Demokratie.

(Abg. Haasis CDU: Vergeblich! – Gegenruf des Abg. Redling SPD)

Darauf ist hingewiesen worden. Es ist auch zu Recht darauf hingewiesen worden, dass wir in dieser Legislaturperiode einen erneuten Gesetzesantrag eingebracht haben, über den sehr ausführlich debattiert worden ist. Wir hätten deshalb in dieser Legislaturperiode keinen neuen Gesetzesantrag zu diesem Komplex eingebracht. Wir haben es trotzdem getan, weil wir damit demonstrieren wollten, dass wir mit der allgemeinen Zielsetzung der Bürgeraktion „Mehr Demokratie“, die unmittelbaren Mitwirkungsrechte der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land zu verbessern, völlig übereinstimmen.

Wir haben uns um eine gemeinsame Linie mit der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bemüht. Sie ist leider nicht zustande gekommen.

(Abg. Haasis CDU: Rot-Grün funktioniert halt nicht!)

Ich meine, unser Gesetzentwurf stellt eine für alle Fraktionen akzeptable Kompromissbasis dar, gegen die keine verfassungsrechtlichen Bedenken erhoben werden können; das hat der Innenminister ja gerade ausgeführt.

Weil sich eine große Zahl von Bürgerinnen und Bürgern in unserem Lande zu Recht für mehr Demokratie einsetzen, sollten wir, meine ich, aus diesem Anlass wirklich überprüfen, ob wir nicht doch durch einen gemeinsamen Gesetzesbeschluss eine Verbesserung in diesem Bereich erzielen können.

Lassen Sie mich deshalb noch einmal auf das Entscheidende hinweisen. Das Entscheidende ist der Wegfall des so genannten Positivkatalogs. Die Gemeindeordnung engt – ich glaube, Herr Kollege Veigel, die FDP/DVP sieht das genauso – die Möglichkeiten viel zu sehr ein.

Ich will nur ein Beispiel nehmen. In Ulm wurde der Bürgerentscheid über die Tieferlegung der Neuen Straße durchgeführt. Das war nur deshalb Gegenstand eines Bürgerbegehrens und dann eines Bürgerentscheids, weil damit gleichzeitig die Errichtung von Parkplätzen verbunden war. Man muss sich vorstellen: Wenn die Parkplätze nicht mit vorgesehen gewesen wären, hätte nach der jetzigen Gesetzeslage überhaupt kein Bürgerbegehren stattfinden können. Das kann doch wohl nicht vernünftig sein.

Die wesentlichen Probleme in unseren Gemeinden sind gegenwärtig häufig Verkehrsprobleme. Sie sind nach dem Gesetz nicht abstimmungsfähig. Dabei wird völlig verkannt, dass solche Abstimmungen, egal, wie sie ausfallen, in den Gemeinden auch eine hohe Befriedungsfunktion erfüllen können.

(Abg. Hackl Bündnis 90/Die Grünen: Sehr gut!)

Ich nehme das Beispiel Tübingen. Da hatte der Gemeinderat vor etwas über 20 Jahren mit ganz großer Mehrheit – CDU, SPD, Freie Wähler, Unabhängige Wählervereinigung – die Verkehrsplanung für eine Nordtangente vorgesehen. Der Gemeinderat hat dann dieses Thema selbst durch Änderung der Hauptsatzung abstimmungsfähig gemacht. Der Bürgerentscheid hat die Gemeinderatsplanung verworfen. Dies hat zu einer Befriedung in diesem Bereich geführt,

(Abg. Dr. Repnik CDU: Na, na, na! – Abg. Wa- cker CDU: Gerade das Gegenteil!)

auch wenn Unterlegene das Ergebnis nicht als sinnvoll angesehen haben.

(Abg. List CDU: Tübingen erstickt im Verkehr! – Abg. Haasis CDU: Tübingen ist ein tolles Bei- spiel!)

Deshalb sollten wir, meine ich, den Positivkatalog um der Vorteile willen, die damit notwendigerweise verbunden sind, streichen.

(Abg. Hackl Bündnis 90/Die Grünen: Das ist ein Negativbeispiel!)

Ich sage genauso deutlich: Wir müssen den gegenwärtigen Negativkatalog beibehalten. Da will ich, Herr Kollege Hackl, zitieren, dass schon 1980, als die Grünen ihn schon einmal streichen wollten, sie dann aber, was die Diskussion betroffen hat, einsichtig waren, Herr Kollege Erichsen in der zweiten Lesung ausgeführt hat:

Verehrte Anwesende, eine erneute Überprüfung der Argumente, die gegen eine Änderung der Gemeindeordnung vorgetragen wurden, hat ergeben, dass eine Kompromissbereitschaft... und darüber hinaus ein so genannter Negativkatalog, wie er in dem jetzt geltenden § 21 Abs. 2 enthalten ist, aufgenommen werden kann.

Hätten Sie dies doch gemeinsam mit uns getan,

(Zuruf des Abg. Hackl Bündnis 90/Die Grünen)

damit wir gemeinsam hätten demonstrieren können: Wir nehmen das Anliegen der Bürgeraktion „Mehr Demokratie“ ernst, und wir wollen einen akzeptablen Gesetzesvorschlag, gegen den keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, durchsetzen, um damit mehr Demokratie und mehr Beteiligungsmöglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land zu erreichen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, mir liegen in der Aussprache keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schlage Ihnen vor, die Gesetzentwürfe an den Innenausschuss zu überweisen. – Sie stimmen der Überweisung zu.

Damit ist Punkt 6 der Tagesordnung erledigt.

Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:

Zweite Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz über die Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg (Landesversicherungsanstaltsgesetz) – Drucksache 12/4672

Beschlussempfehlung und Bericht des Sozialausschusses – Drucksache 12/4855

Berichterstatter: Abg. Mühlbeyer

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Allgemeine Aussprache in der Zweiten Beratung des Gesetzentwurfs eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt.

Wem darf ich das Wort erteilen? – Das Wort hat Herr Abg. Döpper.

(Abg. Seimetz und Abg. Mühlbeyer CDU: Jetzt gehts los!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Am 1. Januar 2000 soll das Gesetz über die Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg in Kraft treten. Mit diesem Gesetz wird es uns gelingen, auf Dauer einen starken Rentenversicherungsträger in unserem Land zu

haben. In der bisherigen Debatte über das Gesetz waren sich alle Fraktionen einig, dass die Stärkung der Landesversicherungsanstalt erklärtes Ziel ist. Das wird mit dem vorliegenden Gesetz erreicht.

Über den Zeitpunkt der Zusammenführung der LVAs könnten wir uns trefflich streiten. Ich bin überzeugt, dass es gerade noch rechtzeitig, auf keinen Fall zu früh ist. Begriffe wie „Zuständigkeitsreform“ und „Neudefinition des Versichertenbegriffs“ sind zwei Punkte, die für die Wichtigkeit und Eilbedürftigkeit dieses Gesetzes sprechen. Deshalb brauchen wir eine starke LVA Baden-Württemberg für unser Land und für die Versicherten.

Der mögliche persönliche Kontakt zwischen Versichertem und seiner Rentenversicherung ist für mich ungeheuer wichtig und wird erhalten bleiben. Zentralistischen Einrichtungen wie zum Beispiel der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in Berlin fehlt bis heute die Kundenorientierung und Kundenfreundlichkeit. Dazu kommen lange Bearbeitungszeiten sowie Kompetenz- und Zuständigkeitsprobleme. Das ist innerhalb dieser Mammutorganisation auch kein Wunder. Leidvolle Erfahrungen verschiedener Bittsteller zeugen davon.

Die neue Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg wird in der Bundesrepublik Modellcharakter haben. Ich bin überzeugt, dass andere Länder nachziehen werden.

(Abg. Haas CDU: Ja!)

Die Beschäftigten beider Einrichtungen brauchen sich um ihren Arbeitsplatz keine Sorge zu machen. Durch die Stärkung der Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg werden auch Arbeitsplätze gesichert. Die sich bietenden Chancen müssen ergriffen werden. Bei dieser Gelegenheit darf ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beider Versicherungsanstalten bestätigen, dass sie Tag für Tag mit ihrer Arbeit den guten Ruf der LVAs festigen. Versichertennähe und eine gute Betreuung sind keine leeren Worte. Dafür besten Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Ab- geordneten des Bündnisses 90/Die Grünen)

Es gilt, die guten Erfahrungen und beide Unternehmensphilosophien auch in der neuen Institution umzusetzen und zu verstärken. Mit dem Hauptsitz der Landesversicherungsanstalt in Karlsruhe und einer starken Organisationseinheit in Stuttgart wird uns dies gelingen.

Die notwendigen organisatorischen Maßnahmen werden selbstverständlich der neuen LVA Baden-Württemberg und ihren selbst gewählten Selbstverwaltungsorganen überlassen. Es ist richtig, dass diese neu gewählt werden müssen. Da wäre es schön, wenn sich die Sozialpartner auf eine so genannte Friedenswahl einigen könnten. Dadurch könnten Kosten eingespart und begrenzt werden.

(Abg. Mühlbeyer CDU: Dann brauchen wir nicht so viel Bimbes!)

Meine Damen und Herren, die CDU-Fraktion stimmt dem vorliegenden Gesetz zur Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg zu. Unser Land soll weiterhin eine eigenständige Rentenversicherung haben. Wir wollen keine

bloße Ausführungsbehörde von Berlin werden. Deshalb brauchen wir eine starke Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Mühlbeyer CDU: Sehr gut!)

Das Wort hat Herr Abg. Dr. Müller.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion hat in der ersten Lesung und im Ausschuss die von der Regierung geplante Fusion der Landesversicherungsanstalten abgelehnt. Der Kollege Döpper sagte eben: Wir brauchen auf Landesebene eine starke Anstalt. Das beinhaltet ja, dass wir bisher eine solche nicht hatten. Ich hatte immer den Eindruck, dass wir in Baden und in Württemberg zwei vitale und starke Versicherungsanstalten hatten. Wer diese zwei Anstalten, die gut funktionieren, die ihre Eigenheiten zum Beispiel im Bereich der Regionaldirektionen haben, zu einer machen will, muss erst einmal begründen, welche Vorteile er damit verbindet.

Ich habe bei der ersten Lesung keine Vorteile gehört, ich habe im Ausschuss keine Vorteile gehört, und heute habe ich vom Kollegen Döpper gehört: „Wir wollen eine starke Anstalt.“ Das wird allerdings inhaltlich nicht ausgeführt, und damit ist das Argument einer starken Anstalt eher schwach.

(Abg. Haas CDU: Na ja!)