Protocol of the Session on March 22, 2000

Wir wollen aber genauso, dass der Gemeinderat, die Verwaltung oder andere Initiativen ihre Vorstellungen gleichzeitig zur Abstimmung stellen können. Wir wollen also die Möglichkeiten, demokratisch um den richtigen Weg zu ringen, erweitern.

Sehr wichtig ist auch, dass dann, wenn festgestellt ist, dass ein Bürgerbegehren zulässig ist, Entscheidungen der Verwaltung das Bürgerbegehren nicht mehr total ins Leere laufen lassen können. Das heißt, dass unter bestimmten Voraussetzungen keine Handlungen der Verwaltung mehr möglich sind. In unserem Entwurf wird aufgezählt, welche Möglichkeiten trotzdem noch gegeben sind. Wir wollen nicht, dass ein vollständiges Blockieren möglich ist; es darf auch nicht sein, dass die Verwaltung Entscheidungen ins Leere laufen lassen kann, wie sie gerade will.

Für uns ist auch sehr wichtig, das Quorum von 30 % beim Bürgerentscheid – das ist aus der Erfahrung heraus eine doch recht hohe Hürde – abzusenken – nicht zu streichen, sondern auf 20 % abzusenken. Dies glauben wir im Widerstreit der repräsentativen Demokratie und der direkten Demokratie vertreten zu können. Dies ist, glaube ich, der richtige Weg, wenn wir eine Bürgerbeteiligung haben wollen.

Wir wollen Bürgerentscheide und Bürgerbegehren auch auf Ortschaftsebene haben.

(Abg. Hackl Bündnis 90/Die Grünen: Sehr gut!)

Wenn wir einen Ortschaftsrat haben, soll auch auf dieser Ebene das gleiche Instrumentarium zur Verfügung stehen. Dasselbe soll natürlich – das wurde in einigen Punkten angesprochen – auf der Landkreisebene gelten.

Vorerst vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Herr Abg. Hackl.

(Abg. Roland Schmid CDU: Bis jetzt sind wir nicht überzeugt, aber vielleicht kommt es noch! – Zuruf des Abg. Scheuermann CDU)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir brauchen bessere Regeln für Bürgerentscheide und Bürgerbegehren.

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Wer sagt denn das?)

Wir brauchen bessere Möglichkeiten der Bürgermitsprache. Meine Damen und Herren gerade von der CDU, Ihnen muss man wirklich sagen, dass Baden-Württemberg bei Bürgerentscheiden in der Zwischenzeit bundesweit das Schlusslicht darstellt.

(Abg. Ruder CDU: Ist doch nicht wahr! – Abg. Hans-Michael Bender CDU: Das ist aber ein nega- tiver Wettbewerb, Herr Kollege Hackl!)

Die CDU hat hier eine Entwicklung verschlafen. Der einstige Vorreiter Baden-Württemberg

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: An diesem Wettbewerb wollen wir nicht teilnehmen!)

ist inzwischen zum Träger der roten Laterne mutiert.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Rü- ckert CDU: Wie mit der Gesamtschule! – Abg. Birzele SPD: Der schwarzen Laterne!)

Viele Bürger und ein breites Bündnis von Organisationen aus allen gesellschaftlichen Schichten sehen das genauso. Es gab jetzt ein landesweites Volksbegehren, das von sehr vielen Organisationen von links bis rechts unterstützt worden ist. Das reicht von der Evangelischen Arbeitnehmerschaft der Landeskirche Baden über das Kolpingwerk, den Bund für Umwelt- und Naturschutz, den Naturschutzbund, die Naturfreunde und zum Beispiel die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr bis zu elf Kreisverbänden der SPD, der Arbeitsgemeinschaft sozialdemo

kratischer Frauen und den Jusos bis hin natürlich zu den Grünen, die alle dafür standen, die Möglichkeiten für Bürgerentscheide und Bürgerbegehren in Baden-Württemberg wesentlich zu verbessern. Und wir, meine Damen und Herren, die Grünen, bringen diesen Bürgergesetzentwurf heute in den Landtag von Baden-Württemberg ein.

(Beifall bei Abgeordneten des Bündnisses 90/Die Grünen)

Wir brauchen einfachere, anwendungsfreundliche Regelungen. Das bestehende Gesetz, meine Damen und Herren, erfüllt diesen Anspruch nicht. Zwei Drittel aller Bürgerbegehren, die bislang eingereicht worden sind, landeten im Papierkorb und führten zu keiner Entscheidung.

Zum wesentlichen Inhalt des Gesetzentwurfs. In vier Punkten verbessert unser Gesetzentwurf, der Bürgergesetzentwurf, die Möglichkeiten für Bürgerentscheide und Bürgerbegehren.

Zum einen weitet unser Gesetzentwurf die Möglichkeit für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide auf die Landkreise aus.

Zum Zweiten versuchen wir den massiven Themenausschluss zu beenden, indem wir im Prinzip alle Entscheidungen, die der Gemeinderat treffen kann, auch bürgerentscheidsfähig machen.

(Abg. Scheuermann CDU: Aha!)

Wir meinen, dass man den Bürger nicht für dümmer halten muss als die Gemeinderäte.

(Abg. Redling SPD: Sind! – Zuruf des Abg. Mühl- beyer CDU)

Wir meinen, dass man keine Frist braucht, um gegen Entscheidungen des Gemeinderats Bürgerbegehren starten zu können. Die Vierwochenfrist, die es bislang gab, war wesentlich zu kurz. Viele Bürgerbegehren sind an dieser Frist gescheitert.

Schließlich meinen wir, dass beim Bürgerentscheid die Mehrheit entscheiden muss. Wir brauchen keine undemokratischen Zustimmungsquoren. Wir meinen, die Mehrheit derjenigen, die zur Abstimmung gehen, soll eine gültige Entscheidung treffen können.

(Abg. Buchter Bündnis 90/Die Grünen: Gute De- mokraten halt!)

Ich möchte an dieser Stelle etwas zur Entscheidung des Innenministeriums zu dem jetzt eingereichten Bürgerbegehren sagen. Man muss ja eines sagen, Herr Schäuble: Kompliment, zumindest was die Dramaturgie der Entscheidung angeht. Einen Tag, bevor der Gesetzentwurf im Landtag eingebracht wird, wird er vom Innenministerium als verfassungswidrig abqualifiziert.

(Abg. Kuhn Bündnis 90/Die Grünen: Das ist ei- gentlich eine Missachtung des Parlaments! – Abg. Mühlbeyer CDU: Jetzt könntet ihr den Gesetzent- wurf eigentlich zurückziehen!)

Genauso wie die Dramaturgie hervorragend ist, genauso fragwürdig ist die inhaltliche Entscheidung.

(Zuruf des Abg. Scheuermann CDU)

Ich kann zu dieser Entscheidung nur sagen, dass diese Ablehnung zumindest mit einigen sehr kühnen Interpretationen daherkommt, dass sie juristisch sehr zweifelhaft ist, dass man eine sehr dicke ideologische Brille braucht, um diese Entscheidung nachvollziehen zu können.

(Abg. Roland Schmid CDU: Die haben Sie ja!)

Und was für mich am wichtigsten ist: Diese Entscheidung ist geprägt von einem tiefen Misstrauen gegenüber den Bürgern.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Wider- spruch bei der CDU – Zuruf des Abg. Scheuer- mann CDU – Gegenruf des Abg. Kuhn Bünd- nis 90/Die Grünen)

Lassen Sie mich das begründen. In der Ablehnungsentscheidung verabsolutieren Sie die repräsentative Demokratie und lassen keinerlei Ergänzungen zu, obwohl auch in unserem Grundgesetz, auf das Sie sich ja beziehen, eindeutig davon die Rede ist, dass die Staatsgewalt vom Volk in Wahlen und in Abstimmungen ausgeübt wird und eben nicht nur in Wahlen.

Zweitens nehmen Sie in Ihrer ablehnenden Entscheidung eine sehr merkwürdige Uminterpretation der Selbstverwaltungsgarantie für unsere Gemeinden vor. Meine Fraktion war immer der Auffassung, dass Garantie der kommunalen Selbstverwaltung Schutz der Gemeinde vor Eingriffen des Staates heißt. Das Innenministerium macht daraus: Schutz der Gemeinderäte vor ihren Bürgern.

(Widerspruch des Abg. List CDU)

Ich halte diese Auffassung von der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie für mehr als fragwürdig.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Schließlich malen Sie ein Horrorgemälde über die Auswirkungen der so genannten Schutzwirkung von Bürgerbegehren. Ich glaube, dass es zum guten Stil gehört, wenn Bürger in einem Bürgerbegehren Unterschriften sammeln und eine bestimmte Anzahl von Unterschriften zusammen haben, nicht einfach durch die Gemeinde Fakten zu schaffen. Es gehört vielmehr zum guten demokratischen Stil, dann innezuhalten und abzuwarten, inwieweit die notwendigen Unterschriften zusammenkommen.

(Zuruf des Abg. Scheuermann CDU)

Jetzt wird in der Entscheidung ein Horrorgemälde gemalt, dass mit einer solchen Schutzwirkung das Leben in der Gemeinde zum Stillstand komme, dass es zu einer Lähmung der Kommune kommen könne.

Ich frage mich, woraus sich diese Befürchtungen speisen. Schauen wir uns doch einmal in der Bundesrepublik um, wo es solche Schutzwirkungen gibt. In Hamburg zum Beispiel gibt es eine Schutzwirkung, die weitaus tiefer ansetzt.

In Hessen gibt es bereits dann eine Schutzwirkung, wenn Leute anfangen, Unterschriften zu sammeln. In Bayern waren von 1995 bis 1997 zweieinhalb Jahre lang schärfere Regelungen gang und gäbe. Gab es in dieser Zeit eine Lähmung der Gemeinden in Bayern,

(Abg. List CDU: Ja!)

eine Lähmung der Gemeinden in Hessen,