Die Durchlässigkeit unseres Schulsystems nicht voll zu garantieren, mit gezielter Lenkung von Ausbildungsgängen bei den Berufskollegs nur umzuschichten und die beabsichtigte Einschränkung des Angebots zur Erlangung der Fachhochschulreife nicht zurückzunehmen, Frau Ministerin, bedeutet, die Chancengleichheit von Realschülern einzuschränken und die positiven Ansätze einer weiterführenden Schulart zu konterkarieren.
Meine Damen und Herren, es genügt auch nicht, die Verteilung von Medienhardware nach dem Gießkannenprinzip vorzunehmen. Vielmehr könnte die Entwicklung nur mit attraktiver Bildungssoftware und flächendeckender Lehrerfortbildung forciert werden. Dieser Mangel ist aber immer noch ebenso offensichtlich wie die eingeschlafene Initiative der Kultusministerin nach einem Schüler-Laptop unter 1 000 DM für alle.
Ich komme zum Schluss. – Für die Realschule, meine Damen und Herren, tun sich noch viele Innovationsfelder auf. Denn wer stehen bleibt, wird unweigerlich überholt.
Neben einer notwendigen stärkeren Verzahnung von Schule und Arbeitswelt brauchen wir die Einbindung der Realschule in Schulentwicklungskonzepte, die in den Regionen vor Ort aufzustellen sind.
Mein letzter Satz: Realschülerinnen und Realschüler müssen sich darauf verlassen können, dass das, was sie am Ende ihres Schulbesuchs können und gelernt haben, nicht nur für die Schule, sondern für das Leben nützlich war.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die bildungspolitischen Debatten der letzten Monate, ja eigentlich auch Jahre waren geprägt von der Auseinandersetzung über die Zukunft der Hauptschule und des Gymnasiums. Insofern begrüße ich es sehr, dass wir heute aufgrund der Großen Anfrage der Kollegin Berroth die Gelegenheit haben, eine Bestandsaufnahme der Realschule vorzunehmen und eine Debatte über die Zukunft der Realschule zu führen.
Die Realschule als Schulart in Baden-Württemberg hätte diese Aufmerksamkeit öfters verdient. Sie ist ein Herzstück unserer bildungspolitischen Landschaft, sie hat eine hohe Akzeptanz bei den Eltern und bei den Abnehmern. Eltern, die ihre Kinder in die Realschule schicken, wissen, dass den Kindern damit alle Optionen offen stehen. Es gibt eine Vielzahl von attraktiven beruflichen Möglichkeiten für Realschulabsolventen, aber es gibt auch die Perspektive für leistungsorientierte, für gute Realschulabsolventen, ein berufliches Gymnasium zu besuchen und dort das Abitur abzulegen.
Die Realschulen in unserem Land sind dafür bekannt, dass sie den Schülern und Schülerinnen hohe Leistungen abverlangen, dass die Schüler und Schülerinnen dort aber auch gut pädagogisch betreut und gefördert werden. Das bestätigen nicht zuletzt die Eltern, deren Kinder zum Beispiel nach dem achten oder neunten Schuljahr vom Gymnasium auf die Realschule überwechseln. Häufig blühen diese jungen Menschen dann an der Realschule auf, fassen neuen Mut zum Lernen, haben Erfolgserlebnisse und erzielen gute Abschlüsse. Das kann ich aus meiner 22-jährigen Praxis als Lehrerin an der Realschule bestätigen.
Damit die Realschule aber auch weiterhin attraktiv bleibt, ist es von großer Bedeutung, dass die Durchlässigkeit für die Schülerinnen und Schüler auch künftig gewahrt bleibt.
Wir haben in Baden-Württemberg ein bundesweit einmaliges Angebot an beruflichen Vollzeitschulen, darunter einen hohen Anteil beruflicher Gymnasien. Ein Drittel unserer Abiturienten legt das Abitur an einem beruflichen Gymna
sium ab; davon sind fast zwei Drittel Realschulabsolventen. Für diese Schülerinnen und Schüler muss deshalb der Zugang zu den beruflichen Schulen, zum beruflichen Gymnasium in vollem Umfang gewährleistet bleiben.
(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei Ab- geordneten der FDP/DVP – Abg. Kleinmann FDP/ DVP: Sehr richtig!)
Ich sage dazu: Das gilt insbesondere für befähigte, für motivierte, für fleißige Hauptschulabsolventen und -absolventinnen,
für die ebenfalls diese Durchlässigkeit künftig gewahrt bleiben muss. Ich sage das auch deshalb, weil durch die Abschaffung der fachgebundenen Hochschulreife – was wir sehr kritisiert haben – diese Durchlässigkeit schon ein wenig abgeschwächt wurde.
Ich denke, dass gerade in einem in Schularten gegliederten, differenzierten Bildungswesen, wie wir es hier in unserem Bundesland haben, die Chancengleichheit der Kinder über die Durchlässigkeit im Bildungswesen abgesichert sein muss.
Selbstverständlich muss sich wie alle anderen Schulen auch die Realschule pädagogisch weiterentwickeln. Handlungsbedarf besteht meines Erachtens zum Beispiel in folgenden Bereichen:
Erstens: Die Vermittlung der überfachlichen Fähigkeiten, der überfachlichen Kompetenzen muss verbessert werden: Teamfähigkeit, Darstellungs- und Präsentationsfähigkeiten und -techniken, Medienkompetenz, sicheres Auftreten, gute sprachliche Ausdrucksfähigkeit. Bislang sind die Abschlussprüfungen der Realschule zu stark an abfragbarem Wissen orientiert, das heißt, zumindest in den letzten ein, zwei Jahren findet zu viel Paukunterricht statt. Deshalb müssen neue Formen der Abschlussprüfung an der Realschule entwickelt werden. Ich nenne da Projektprüfungen, Prüfungen mit Präsentationen, Teamprüfungen, Einsatz des Computers; denn dann werden diese Kompetenzen systematisch im Unterricht trainiert, dann müssen sich Lehrkräfte dafür Zeit nehmen. Vor allem hat es den positiven Nebeneffekt, dass sich auch die Lehrkräfte in diesen Bereichen schneller weiterqualifizieren müssen. Das kann auch für die Lehrkräfte ein Anreiz sein.
Aber Sie wissen alle, dass immer noch sehr stark geschlechtsspezifische Entscheidungen gefällt werden, das heißt, die Jungen gehen geschlossen in „Natur und Technik“, die Mädchen nahezu geschlossen in „Mensch und Umwelt“, wenn man einmal von dem Wahlpflichtfach Französisch absieht.
Ja, ich komme zum Schluss. Ich will gerade noch den einen Punkt, Herr Präsident, ganz kurz ausführen, wenn Sie mir das bitte gestatten.
Deshalb muss zum Beispiel auch ein Fach wie „Naturphänomene“, das besonders attraktiv für die Mädchen ist, in Erwägung gezogen werden. Die Inhalte von „Natur und Technik“ müssen stärker an den lebensweltlichen Bedürfnissen von Mädchen orientiert werden. Wir brauchen für die Mädchen, für deren Zugang in die neuen informationstechnischen Berufe auch deren Zugang ins Wahlpflichtfach „Natur und Technik“. Deshalb bitte ich auch hier um eine Weiterentwicklung.
Zum Schluss noch einen Punkt. Die Realschulen waren ein Stiefkind bei der Zuweisung von jungen Lehrkräften. Ich bitte die Kultusministerin, bei der Unterrichtsversorgung jetzt stärker die Realschulen zu berücksichtigen. Junge Lehrkräfte werden zur Innovation und Weiterentwicklung der Realschule beitragen.
(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Win- truff SPD: Nicht auch, sondern besonders beim Präsidenten! – Abg. Bebber SPD: Man müsste Frau sein, um den Präsidenten zu bezirzen!)
Ich will bloß für künftige Redner sagen: Mir ist lieber, Sie halten Ihre Redezeit ein, als dass Sie sich anschließend bei mir bedanken.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die einführenden Worte des Kollegen Kleinmann haben mich in meiner ersten Vermutung bestätigt, dass es sich bei dieser Großen Anfrage um eine Auftragsarbeit handelt.
Ich würde mich auch nicht wundern, wenn die Fragen selbst noch vom Kultusministerium gestellt worden wären.
Auf jeden Fall ist eines dabei herausgekommen: Das Kultusministerium hat hier die Gelegenheit gehabt, die Realschule als die Schule ohne Probleme darzustellen.