Protocol of the Session on February 3, 2000

Ja, einige Leute wollen nach Hause. Das ist immer das Problem.

Ich bitte Sie, den Ausführungen des Ministers noch ein paar Minuten zu folgen.

(Zurufe von der SPD)

Die wenigen schwarzen Schafe unter den Hilfebeziehern vergiften aber leider das Klima. Das werde ich nicht hinnehmen. Wir müssen noch energischer als bisher jeglichen Missbrauch und Betrug aufdecken und dann auch strafrechtlich verfolgen.

(Abg. Birgitt Bender Bündnis 90/Die Grünen: Man kann das Klima aber auch vergiften, wenn man ständig von Betrug redet!)

Eben nicht. Das ist in erster Linie eine kommunale Angelegenheit. Aber mir geht es wirklich darum, die redlichen Hilfeempfänger endlich vom Vorwurf des Missbrauchs staatlicher Leistungen zu befreien. Wenn die Menschen draußen merken, dass man dem Missbrauch nachgeht, wird der Missbrauch mit Sicherheit zurückgehen, und dann wird auch nicht mehr darüber gesprochen, dass Missbrauch betrieben wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Wir werden deswegen das gesamte rechtliche Instrumentarium, das uns zur Verfügung steht, einmal auflisten, aufarbeiten und in Baden-Württemberg modellhaft in Kreisen anwenden.

Mir liegt aber noch ein anderer Aspekt am Herzen, nämlich die menschliche Seite. Hinter vielen Hilfeempfängern steckt eine persönliche Leidensgeschichte. Ich will den Menschen helfen, aus dieser schrecklichen Lebenssituation herauszukommen.

(Abg. Göbel CDU: So ist es!)

Wenn nötig, müssen wir diese Menschen, meine ich, sogar einzeln an die Hand nehmen und ihnen Wege aufzeigen, wie sie ihr Selbstwertgefühl wieder zurückgewinnen können. Deshalb hat sich Baden-Württemberg mit einer Bundesratsinitiative erfolgreich für eine Pauschalierung der einmaligen Sozialhilfeleistungen eingesetzt. Noch in diesem Jahr werden wir die Voraussetzungen zur Pauschalierung schaffen und den Hilfeempfängern mehr Freiheit und Entscheidungskompetenz geben.

(Beifall der Abg. Rech CDU und Dr. Noll FDP/ DVP)

Das stärkt ihr Selbstvertrauen, und das fördert die Eigenverantwortung. Außerdem können die Sozialämter durch die Entlastung Sozialhilfeempfänger beraten und ihnen so den Weg aus der Sozialhilfe heraus ebnen.

Ein weiterer wichtiger Bereich ist für mich der Niedriglohnsektor. In Berlin wird darüber in Bündnisgesprächen viel geredet, aber es wird nur geredet und nicht gehandelt. Ein habhaftes Ergebnis ist mir nicht bekannt. Wir in Baden-Württemberg handeln. In acht Stadt- und Landkreisen – Herr Noll hat es vorhin schon angesprochen – ist unser Modell Einstiegsgeld angelaufen. Mit Hilfe des Einstiegsgelds hoffen wir, einen Teil der landesweit rund 70 000 arbeitsfähigen Langzeitarbeitslosen und Sozialhilfeempfänger wieder in Arbeit zu bringen. Dazu gehört aber auch: Wer arbeitsfähig ist und eine ihm angebotene Arbeit nicht annimmt, muss mit einer stufenweisen Verringerung der Hilfeleistungen rechnen.

Lassen Sie mich in Kürze noch in wenigen Stichworten weitere Felder der Sozialpolitik ansprechen.

Zunächst zur Frauenpolitik.

(Zurufe von der CDU: Jetzt! – Beifall der Abg. Re- nate Thon Bündnis 90/Die Grünen)

Da ruft Frau Thon gleich „oh“.

(Minister Dr. Repnik)

Mit der Gleichberechtigung von Frauen und Männern sind wir ein gutes Stück weiter vorangekommen.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Wohin? – Abg. Bir- gitt Bender Bündnis 90/Die Grünen: Woran sieht man das?)

An euch beiden zum Beispiel.

(Heiterkeit)

In über 5 000 Dienststellen der Landesverwaltung gilt das Landesgleichberechtigungsgesetz. 1 000 Frauenvertreterinnen und 4 266 Ansprechpartnerinnen wurden bestellt. Das ist ja schon etwas. Auch bei der Beteiligung von Frauen an Beratungs- und Entscheidungsprozessen kommen wir weiter voran. So stieg der Frauenanteil in Gremien, auf deren Besetzung das Land Einfluss hat, immerhin von 9 % im Jahr 1992 auf 14 % im Jahr 1997.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Da kann man noch mehr tun!)

Ja natürlich. Aber wir werden weiterhin daran arbeiten, dass dieser Prozentsatz verfestigt und verstetigt wird und weiter ansteigt.

(Abg. Maurer SPD: Als sie das Ziel aus den Augen verloren hatten, verdoppelten sie ihre Anstrengun- gen!)

Erstmals haben wir eine weitere Million Mark, Herr Maurer, für Frauen- und Kinderschutzhäuser eingestellt. Damit wird das Land zusätzlich zur bisherigen Förderung in die Förderung von laufenden Zwecken der Frauen- und Kinderschutzhäuser eintreten. Und wie, Frau Bender? Uns ist auch daran gelegen, dass sich die kommunale Seite nicht zurückzieht. Das Wie werden wir in enger Abstimmung sowohl mit der kommunalen Seite wie mit den Einrichtungen selbst festlegen.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Auf die Förderkri- terien warten wir auch schon sehr lange!)

Wichtig ist mir, dass die Frauen- und Kinderschutzhäuser damit zu strukturellen Verbesserungen kommen.

Einen hohen Stellenwert – Herr Müller, Sie haben es angesprochen; das scheint Ihnen auch wichtig zu sein, allerdings haben Sie falsche Zahlen genannt – messe ich der Altenpolitik bei. Die Zahl der älteren Menschen steigt rasant. Heute ist jeder Fünfte über sechzig Jahre, in 10 Jahren jeder Vierte und in 30 Jahren bereits fast jeder Dritte. Gleichzeitig steigt die Zahl der Hochbetagten und damit die der Menschen, die potenziell der Pflege bedürfen. Dagegen nimmt die Zahl derer ab, die im familiären Kreis zur Hilfe bereit oder in der Lage sind. Das heißt, wir müssen uns darauf vorbereiten, die entsprechende Infrastruktur in Pflegeheimen zu schaffen, eine Infrastruktur, die der demographischen Entwicklung Rechnung trägt und gleichzeitig den Bedürfnissen nach einer würdigen Versorgung gerecht wird. Dabei steht für mich die Selbstständigkeit des Menschen im Vordergrund. Dies gilt nicht nur für die ambulante Pflege, die ja weitestgehend von den Kassen finanziert wird, sondern auch für die stationäre Pflege. Aktivierende Pflege und Reha sind für mich die obersten Ziele. Qualität und Qualitätssicherung sind unabdingbare Voraussetzun

gen, und die Gewinnung, Ausbildung und Qualifizierung von Pflegekräften müssen hinzukommen.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

1999 haben wir 43 Bauprojekte in allen Landesteilen bewilligt. Herr Müller, ich habe Ihnen schon einmal gesagt, dass es um 87 Millionen DM geht und nicht um 20 Millionen DM. Aber Sie wissen ganz genau, Herr Müller, dass das KIF-Mittel sind, und da müssen wir mit den Kommunen halt verhandeln. Aber Haushaltswahrheit soll schon Haushaltswahrheit bleiben.

(Abg. Maurer SPD: Kann ihm nicht jemand den Sprechzettel wegnehmen?)

Im Übrigen, lieber Herr Maurer, wenn wir über die Pflege sprechen und man hier sagt, wir würden zu wenig tun, möchte ich erwidern: Das Schlimmste, was uns bei der Pflege passieren konnte, war die rot-grüne Koalition in Bonn.

(Oh-Rufe von der SPD – Abg. Maurer SPD: Da- rauf habe ich die ganze Zeit gewartet! Ich wäre richtig enttäuscht gewesen!)

Sie haben mich ja herausgefordert. Ich wollte höflich sein. – Zum Beispiel hat Herr Eichel – das ist das Einzige, was die Roten und Grünen in Bonn bei der Pflege getan haben – mit seinem Sparpaket 450 Millionen DM aus der Pflegekasse herausgenommen, die den Pflegekassen jetzt fehlen, um neue und wichtige Leistungen

(Abg. Kluck FDP/DVP: Schweinerei!)

jawohl – zu erbringen, um zum Beispiel Demenzkranken entgegenzukommen.

(Abg. Renate Thon Bündnis 90/Die Grünen: Die letzte Bundesregierung wollte doch alles heraus- nehmen! – Große Unruhe und Zurufe – Glocke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren, ich habe den Eindruck, Sie haben heute Abend noch sehr viel Zeit.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Der Herr Minister hat Zeit! Wir wollten schon lange fertig sein, Herr Präsident! – Abg. Nagel SPD: Frau Haußmann muss nämlich noch zum Breuninger! – Heiterkeit – Abg. Rech CDU: Die Roten haben jetzt Feier- abend!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer eine klare Meinung vertritt, eckt natürlich manchmal auch an. Meine Grundhaltung zur Drogenpolitik ist Ihnen wohl bekannt.

Es macht mir große Sorge, dass wir im letzten Jahr im Land 270 Drogentote hatten. Das ist gegenüber 1998 eine Steigerung von 226 auf 270, nachdem wir jahrelang Rückgänge bei der Zahl der Drogentoten hatten. Aber nie hat uns jemand für die gute Drogenpolitik gelobt, als die Zahlen zurückgingen. Alle anderen Bundesländer hatten immer einen Anstieg, bei uns ging die Zahl zurück.

(Minister Dr. Repnik)

Die Zahl der Drogentoten allein ist natürlich überhaupt noch kein Maßstab für eine gute Drogenpolitik. Wenn dem so wäre, müsste mir jemand erklären, warum die Zahl der Drogentoten in Mannheim stark zurückgegangen und in Stuttgart angestiegen ist. Damit ist nicht unbedingt die Drogenpolitik zu begründen.

(Zuruf der Abg. Birgitt Bender Bündnis 90/Die Grünen)

Denken Sie nur einmal an Mannheim und Stuttgart.

Für mich ist jeder einzelne Drogentote einer zu viel.