Protocol of the Session on February 20, 2001

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, auch in Wahlkampfzeiten lohnt es sich durchaus, über den Tellerrand der tagesaktuellen Politik hinauszublicken. Was gibt es denn Aktuelleres als das vor einer Woche gemeldete Ergebnis, dass das menschliche Erbgut weitestgehend entschlüsselt sei.

Zur Frage, warum wir auch die rechtlichen Konsequenzen ansprechen, möchte ich den ansonsten so forschen privaten Forscher aus den USA Craig Venter zitieren, der sagt: Ein schnelles Gesetzgebungsverfahren hilft uns, die Furcht vor Missbrauch abzubauen und den Erfolg einer modernen Medizin zu beschleunigen.

Nebenbei hat die Genomforschung ein paar interessante Details erbracht, unter anderem, dass gerade einmal 0,01 % unseres Genoms uns jeweils von anderen Menschen, anderen Rassen, anderen Ethnien unterscheiden. Auch hierzu darf ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten aus der „Stuttgarter Zeitung“ zitieren: Die genetischen Gemeinsamkeiten zwischen den Völkern in der Welt sind überwältigend. Die Unterschiede zwischen Schwarzen und Weißen, Reichen und Armen, ja sogar zwischen Mann und Frau fielen dagegen kaum ins Gewicht. Tatsächlich verblassen die Unterschiede zwischen den Völkern der Erde angesichts der genetischen Gemeinsamkeiten.

(Abg. Bebber SPD: Es ist nur Zufall, dass der Schlierer nicht schwarz ist!)

Wenn Sie so wollen, ist das eine naturwissenschaftliche Untermauerung unserer politisch-ethischen Überzeugung.

(Unruhe auf der Zuhörertribüne – Glocke des Prä- sidenten)

Herr Dr. Noll, einen Moment bitte. Ich bitte darum, auf der Zuhörertribüne mehr Ruhe zu bewahren.

Bitte schön, Herr Abgeordneter, fahren Sie fort.

Ein weiteres Ergebnis: Die These, dass rote und grüne Gentechnik nicht voneinander getrennt zu betrachten sind, wird auch durch diese Forschung unterstützt, da es gerade im Bereich der Bakterien so genannte Chimären, das heißt Übergänge zwischen Pflanzen und Tieren gibt. Der Zufall will es, dass sich die erste Aktuelle Debatte, die ich als Abgeordneter in diesem Hause für meine Fraktion zu bestreiten hatte, genau mit dem Thema Biotechnologie/Gentechnik beschäftigt hat. Seit damals zieht sich wie ein grüner Faden – nicht wie ein roter, sondern wie ein grüner Faden, Herr Kretschmann; ich schaue

Sie an – durch die Debatte – damals war das Ihre Aussage –: Der menschliche Zellkern hat unantastbar zu sein.

(Beifall des Abg. Kretschmann Bündnis 90/Die Grünen)

Offensichtlich hat sich bei Ihnen das eine oder andere inzwischen geändert, vielleicht nicht bei Ihnen persönlich; denn inzwischen scheint auch bei den Grünen die rote, also die medizinische Gentechnik akzeptiert zu sein. Ich sage Ihnen voraus, lieber Herr Kretschmann, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen: Sie werden auch Ihre Haltung zur grünen Gentechnik überdenken müssen.

(Abg. Kluck FDP/DVP: Genau!)

Ich darf noch einmal zitieren, und zwar aus der heutigen „Nürtinger Zeitung“:

Golden ist die Zukunft – Ein Freiburger Forscher will mit Genmais den Hunger in der Dritten Welt bekämpfen.

Man höre und staune: Ein deutscher Forscher, Peter Beyer, hat zusammen mit dem Züricher Ingo Potrykus eine Sensation im Gepäck: einen Reis, der etwa 2 Milliarden Menschen vor Mangelernährung schützen könnte, indem Provitamin A und Eisen in diesen Reis integriert werden.

(Beifall der Abg. Lieselotte Schweikert FDP/DVP)

Ich behaupte, dass Sie auch da einen Lernprozess werden durchmachen müssen. Ich zitiere den Naturwissenschaftler Ernst Ulrich von Weizsäcker, der in diesem speziellen Fall zumindest schon einmal diese grüne Gentechnologie durchaus akzeptiert und für sinnvoll hält.

(Beifall der Abg. Lieselotte Schweikert FDP/DVP)

Die Frage ist nur, ob wir uns für den Standort Baden-Württemberg und Deutschland solche langen Lernprozesse, wie sie teilweise die grünen Kolleginnen und Kollegen brauchen, leisten können.

(Abg. Kretschmann Bündnis 90/Die Grünen: Geht es jetzt um Ethik, oder geht es jetzt um Standorte?)

Ich denke, wir müssen an dieses Thema sehr sensibel herangehen, aber immer unter dem Motto „Chancen erkennen, Risiken minimieren“.

Übrigens eine interessante Tatsache, die ich letzthin gehört habe: In China sind die Schriftzeichen für Chance und für Risiko identisch.

(Abg. Brechtken SPD: Ach nein! Auch schon ge- merkt!)

Ich glaube, wir haben in der Vergangenheit viel zu sehr die Risiken diskutiert. Es ist ja bezeichnend, dass wir mit millionenschweren Rückholprogrammen auch der neuen Ministerin Bulmahn Wissenschaftler nach Deutschland zurückholen müssen, die Sie mit Ihrer Überbetonung der Risiken aus dem Land getrieben haben.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Brechtken SPD: Oh Gott, Oh Gott! – Zuruf des Abg. Buchter Bündnis 90/Die Grünen)

Wir verkennen natürlich nicht die Risiken. Das Hauptrisiko bei diesem Thema ist, die Würde des einzelnen Menschen wahren zu müssen. Diese Würde ist in der Tat bedroht. Freiheit bedeutet nicht grenzenlose Freiheit, sondern die Notwendigkeit, Grenzen zu setzen. Das bedeutet zum Beispiel auch, Grenzen da zu setzen, wo die Würde des Menschen durch die Beschneidung des Rechts auf seine Einmaligkeit eingeschränkt wird. Deswegen ganz klar: ein weltweites Verbot von Klonen zu dem Zweck, sich selbst sozusagen zu reproduzieren. Schwieriger wird das Thema beim therapeutischen Klonen. Aber ich denke, Würde ist unteilbar, und die Vorstellung, ein Individuum als Ersatzteillager heranzuzüchten, macht uns allen Angst.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Die Würde des Menschen beinhaltet auch dessen Recht auf Nichtwissen. Damit komme ich zum Thema: Soll es in Zukunft Zwang geben, zum Beispiel vor Abschluss einer Versicherung oder gar vor Einstellung in einem Betrieb, sich einem Gentest zu unterziehen? Hier klare rechtliche Vorgabe: Das darf nicht sein.

Letzte Bemerkung zur Würde des Menschen: Zur Würde des Menschen gehört für mich auch, dass er nicht zwingend schön, perfekt, gesund und vollkommen sein muss.

(Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP – Abg. Kleinmann FDP/DVP: Hervorragend!)

Das heißt, ich verstehe sehr wohl die Bedenken der Behindertenverbände – und ich teile sie –, die sagen, wir müssten alle Tendenzen bekämpfen, die möglicherweise zu einer Selektion führen, gerade auch im Bereich der Implantation von Föten in den weiblichen Uterus. Gerade wir als Deutsche müssen diese Tendenzen bekämpfen; denn gerade wir wissen, wohin der Gedanke einer Selektion führen kann.

Leider ist meine Redezeit abgelaufen. Ich möchte meinem Kollegen Kiesswetter die Gelegenheit geben, aus diesen Eckpunkten, in denen ich gesagt habe, die Würde des Menschen habe über allem zu stehen – –

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abgeordneter, das Wort erteilt der Präsident und nicht der Redner.

(Lachen des Abg. Brechtken SPD)

Das Wort erteilt der Präsident und nicht ein Vorredner.

Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich bitte Sie, Ihren Beitrag abzuschließen.

Das ist gut. – Ich hoffe, die Würde des Menschen als oberste Richtschnur wird anerkannt. Daraus wird dann die rechtliche Konsequenz abgeleitet werden.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Wort erhält Herr Abg. Dr. Reinhart.

Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Bio- und Gentechnologie sind Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts und werden das Leben der kommenden Generationen sicherlich prägen. Neben der Informations- und Kommunikationstechnik ist gerade die Bio- und Gentechnik deshalb die große Neuerung und Herausforderung, die uns in diesem Jahrhundert begleiten wird. Man hat erst vor wenigen Wochen in der Naturwissenschaft den historischen Triumph der Entschlüsselung des menschlichen Genoms gefeiert. Der Erfolg wurde weltweit gefeiert, und nicht zufällig entzündet sich die Auseinandersetzung heute gerade an der Bio- und Gentechnik.

Die Bio- und Gentechnologie zählt im Verbund mit der Informationstechnik zu den Schlüsseltechnologien, und kaum ein Lebensbereich wird von ihr unbeeinflusst bleiben. Ihr Potenzial für die Medizin und die Pharmazie, für die Landwirtschaft und die Erzeugung von Lebensmitteln, für die Entwicklung neuer Werkstoffe, für die Verfahrenstechnik und auch für den Umweltschutz ist bahnbrechend.

Krankheiten werden besser erkannt und gezielter behandelt werden können. Bisher unheilbar Kranke werden geheilt werden können. Es wird neue Möglichkeiten zur Bekämpfung von Hunger und Elend in der Welt geben, und ressourcenschonende Verfahren und Materialien werden die industriellen Produktionsprozesse verändern. Den Geboten der nachhaltigen Wirtschaft und des Schutzes unserer natürlichen Lebensgrundlagen werden wir weitaus besser als heute folgen können.

Durch eine Reihe von politischen Entscheidungen lag die Biotechnik Mitte der Neunzigerjahre in Deutschland am Boden. Deutsche Firmen investierten im Ausland, deutsche Wissenschaftler verließen das Land. Das hat sich mittlerweile geändert. Deutschland ist mittlerweile das Land Nummer 1 in Europa, und gerade Baden-Württemberg mit seinen Bioregionen ist auch in Deutschland führend, was die Forschung angeht.

Ich denke, man kann auch darauf verweisen: Es ist gut, dass der Landeshaushalt 3,8 bis 4 % Forschungsmittel ausweist, der höchste Prozentsatz im Vergleich zu allen Bundesländern,

(Beifall des Abg. Rech CDU)

denn auch darin liegt ein Stück Zukunft und damit ein Stück Vision in der Forschung, das sich gerade hier sehr, sehr fruchtbar auswirkt.

(Beifall bei der CDU – Abg. Hans-Michael Bender CDU: Sehr richtig!)

Wir unterstützen diese Vorhaben; denn die europäische Biotechnologie muss gegen die amerikanische antreten und ihr den Spitzenplatz streitig machen. Die Menschen sehen die Chancen der neuen Technologie und begrüßen sie; wahr ist aber auch: Die neuen Technologien wecken nicht nur Hoffnungen, sie schüren auch Zukunftsängste, und vielen Menschen wird es dabei teilweise unheimlich. Denn es ist auch der Verlust des Überschaubaren, die Beeinträchti