Protocol of the Session on January 31, 2001

Angesichts dieser regionalpolitischen Herausforderungen, meine Damen und Herren, müssen wir leider die Antwort der Landesregierung, die spät kommt, als unzureichend beurteilen.

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Das ist aber schade! – Abg. Göbel CDU: Das hätte uns ja ge- wundert!)

Ich will das an ein paar Beispielen aufzeigen. Wir haben im Verband Region Stuttgart die direkte Wahl der Regionalversammlung. Das bedeutet nicht nur ein Mehr an Demokratie, sondern bedeutet auch, dass sich die Parteien ein regionalpolitisches Programm geben müssen. Das heißt, man muss sich zwingen, aus dem üblichen Korsett entweder eines Stadtverbands oder eines Kreisverbands herauszuschlüpfen und zu sagen: Jetzt denke ich regional und gebe eine regionalpolitische Antwort. Das Ergebnis eines solchen Ansatzes in der Region Stuttgart ist, dass es nicht auf Parteien begrenzt bleibt. Übrigens war die Wirtschaft in Form der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart ein Vorläufer. Auch die Handwerkskammer Region Stuttgart hat sich regional organisiert. Auch die Umweltverbände, auch die Kirchen, auch die Gewerkschaften gehen solchen regionalen Strukturen hinterher und sind dann wichtige Ansprechpartner und Mitgestalter bei regionalpolitischen Entscheidungen. All dies kann nicht stattfinden, wenn es dabei bleibt, dass die Regionalversammlung in den Regionalverbänden delegiert bleibt. Es bleiben delegierte Regionalpolitiker, die ihre Entscheidungen natürlich herkunftsorientiert zu treffen haben. Es bleibt Stückwerk. Deshalb werden wir in der weiteren Beratung einen Änderungsvorschlag einbringen, in allen Regionalverbänden wie im Verband Region Stuttgart die Direktwahl der Regionalversammlung einzuführen.

Zweiter Punkt: Regionalverbände sollen in regionalbedeutsamen Angelegenheiten auch Mitglied von Gesellschaften werden können und damit auch Kosten übernehmen können. Die Hürde, die dafür vorgeschlagen wird, ist eine Zweidrittelmehrheit, und das ist eine enorm hohe Hürde. Sie ermöglicht eben nicht die erwünschte Flexibilität und auch nicht die erwünschte Klarheit. Sie gibt im Übrigen bei Zweidrittelmehrheiten auch kleinen Gruppen ein außerordentlich starkes Gewicht, nämlich als Zünglein an der Waage. Deshalb können wir überhaupt nicht einsehen, weshalb es entgegen allen demokratischen Gepflogenheiten dabei bleiben soll, dass hier nur mit einer Zweidrittelmehrheit eine solche Entscheidung getroffen werden kann, und schlagen vor, dass man das mit der üblichen Mehrheit der Mitglieder beschließt. Damit sind schnellere Entscheidungen möglich; damit sind auch klarere Entscheidungen möglich.

(Abg. Deuschle REP: Ob bessere, ist die Frage!)

Damit gibt es auch keine ganz spannenden, knappen Situationen – einmal hü und einmal hott –, auf die man sich am Ende nicht verlassen kann.

(Abg. Deuschle REP: Das macht die Sache doch interessant!)

Ein dritter Punkt: Es wird gesagt: „Wir stärken die Regionalverbände, aber wir schaffen keine dritte oder vierte Ebene.“ Fakt ist natürlich, dass diese Stärkung zu allem anderen hinzukommt und dass das alles andere als eine Vereinfachung oder gar ein Abbau von Verwaltungsbürokratie ist.

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Sehr richtig!)

Ein Beispiel: Wenn gebietsscharf ausgewiesen wird, wenn über die Zulässigkeit von großflächigem Einzelhandel im

Regionalplan mit entschieden wird und wenn es am Ende bei der Entscheidung des Regierungspräsidiums bleibt, führt das zu folgendem Prozess: Über einen Standort wird natürlich, wie gehabt, in der Kommune entschieden. Bei den kleineren Kommunen wird das Landratsamt damit befasst. Dann befasst sich die Region Stuttgart damit. Der Entscheidungsträger ist das Regierungspräsidium. Im Konfliktfall zwischen regionalpolitischen und kommunalpolitischen Vorstellungen orientiert sich die Kommune natürlich an dem potenziellen Entscheidungsträger Regierungspräsidium. Womöglich bekommt sie auch Recht. Damit schaffen wir als eine zusätzliche, neue Hürde die Möglichkeit, dass die Region jetzt auch gegen das Regierungspräsidium klagen kann.

Wir halten das für eine im Grunde genommen absurde Konstruktion, die nur aus der Not heraus geboren ist, weil man sich ideologisch daran klammert, einer Region keine Verwaltungskompetenz zu geben. Deshalb werden wir im Gang der weiteren Beratungen vorschlagen, endlich zu einem Abbau von Bürokratie zu kommen, zu schnelleren Entscheidungen und klareren Entscheidungsprozessen zu kommen – und auch zu klareren Verantwortlichkeiten –, indem wir alle raumordnerischen Zuständigkeiten von den Regierungspräsidien auf die Regionalverbände übertragen.

Wir hätten damit den Vorteil, dass wir endlich über die Stufe eines reinen Planungsverbands hinauskämen, dass wir Planung und Entscheidung auf einer Ebene bündeln könnten und dass wir im Übrigen auch für Demokratie und Transparenz bei Entscheidungen sorgen könnten, weil auf regionaler Ebene die Beschlussfassung im Planungsausschuss oder in der Regionalversammlung – im Gegensatz zu Entscheidungen des Regierungspräsidiums – öffentlich ist und auch kontrovers diskutiert werden kann. Damit hätten wir eine Fülle von Vorzügen gegenüber einer Beibehaltung der alten, hemmenden, langwierigen, zögerlichen und in sich widersprüchlichen bürokratischen Abläufe.

Lassen Sie mich noch etwas zum Thema Zweckverband sagen: Sie haben das für den Bereich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, wie ich glaube, vernünftig und nachvollziehbar ausgeführt. Niemand würde auf die Idee kommen, Zweckverbände für grenzüberschreitende Zusammenarbeit nicht zulassen zu wollen. Aber Zweckverbände als ein Schlupfloch, als eine Alternative für Regionalverbände vorzusehen, halten wir für gestriges Denken,

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Klar! – Abg. Fleischer CDU: Für künftiges!)

das sich an Entscheidungsabläufen orientiert, die in den Regionen von den Honoratioren getroffen werden,

(Abg. Deuschle REP: Geheimräten! Den hohen Geheimräten!)

von hochmögenden Landräten, vom Bürgermeistersprengel. Als Staffage dürfen in den Zweckverbänden dann auch noch ein paar Kreisräte und Stadträte herumsitzen. Das alles ist kein Beitrag zur politischen Stärkung von Regionen.

(Abg. Fleischer CDU: Was haben Sie für ein Kom- munalverständnis?)

Dies ist vielmehr ein Beitrag, alte bürokratische Abläufe – eine Hand wäscht die andere, man tut sich nicht weh – zu festigen. So war es bei den Regionalverbänden immer schon ein bisschen angelegt.

(Zurufe der Abg. List und Rückert CDU)

Das ist aber keine starke regionalpolitische Antwort.

Deshalb freuen wir uns, meine Damen und Herren, auf die weitere Debatte im Ausschuss. Wir werden Sie mit unseren weiterführenden Vorstellungen konfrontieren. Wir wissen auch, dass es dazu im Regierungslager ganz unterschiedliche Meinungen gibt, dass die CDU sich schon immer mit dem Thema Regionen sehr schwer tut, zum Teil so etwas wie eine innere Opposition gegen das Thema „Stärkung der Regionen“ hat.

(Abg. Herrmann CDU: Wir haben gute Landkrei- se!)

Wir wissen, dass Ihr Koalitionspartner gern ein bisschen weiter springen würde, sich aber nicht durchsetzen kann.

(Abg. Deuschle REP: Nicht darf! – Zuruf des Abg. Fleischer CDU)

Das wird eine interessante Debatte.

Im Übrigen müssen wir diese Debatte auch noch etwas anreichern. Wenn wir sagen, wir wollen die Regionen stärken, dann müssen es natürlich auch Regionen sein, die zueinander gehören.

(Abg. Deuschle REP: Eben!)

Es ist doch ein innerer logischer Widerspruch, zum Beispiel im Landesentwicklungsplan von einer europäischen Metropolregion zu reden, zu der Tübingen und Reutlingen gehören, es dann aber beim alten Zuschnitt zu belassen, nur weil man sich scheut, über die Grenzen der Regierungspräsidien hinauszudenken, oder den Bodensee in der Mitte zu teilen, anstatt eine Bodenseeregion zu machen.

Ihre Antwort wird den regionalpolitischen Herausforderungen nicht gerecht. Aber wir werden Sie mit zukunftweisenden Antworten konfrontieren. Wir hoffen natürlich, dass Sie sich mindestens in dem einen oder anderen Punkt noch bewegen und nicht in Fundamentalopposition zu einer regionalpolitischen Offensive verharren.

(Beifall bei der SPD – Abg. Brechtken SPD: Sehr gut!)

Das Wort erhält Herr Abg. Oelmayer.

(Abg. Behringer CDU: Schon wieder! – Abg. Hans-Michael Bender CDU: Heute Großeinsatz! Exklusivredner!)

Wer viel zu sagen hat, kommt oft dran.

(Abg. Brechtken SPD: Bei uns gäbe das wegen Ämterhäufung ein Problem!)

Herr Präsident, meine Kolleginnen und Kollegen! Zwei Begründungen aus meiner Sicht, warum das Gesetz über die Weiterentwicklung der Regionen kurz vor Ablauf der Wahlperiode in das Parlament eingebracht wird.

Der erste Grund: Diese Überlegung und diesen Hintergrund begrüßen wir grundsätzlich, weil wir als bündnisgrüne Fraktion in diesem Haus schon immer der Auffassung waren und nach wie vor der Auffassung sind, dass es aufgrund der Herausforderungen in einem zusammenwachsenden Europa auch in Baden-Württemberg einer Stärkung der Regionen bedarf.

Den zweiten Grund, warum der Gesetzentwurf so spät und warum er jetzt aber doch noch eingebracht wird, kann ich Ihnen auch nennen.

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Es ist nie zu spät!)

Der erste Teilaspekt: einfach deshalb – der Kollege Schmiedel hat es angesprochen –, weil Sie sich weder in der Koalition noch in der CDU-Fraktion darüber einig sind, welche Entwicklungen denn das Land in Strukturfragen nehmen soll. Man kann sagen, die CDU bringt hier ihren Strukturkonservatismus eindeutig zum Ausdruck, und dies nicht unbedingt zum Nutzen des Landes.

(Zuruf des Abg. List CDU)

Den anderen Grund – Kollege List, hören Sie gut zu –, warum dieses Gesetz jetzt eingebracht wird, hat noch die von Ihnen getragene Bundesregierung, Kollege List, geschaffen: Am 1. Januar 1998 ist das neue Raumordnungsgesetz des Bundes in Kraft getreten mit einer darin enthaltenen Klausel, dass die entsprechenden Landesgesetze bis zum 31. Dezember dieses Jahres angepasst werden müssen.

Jetzt hätte ich mir gedacht, dass die Landesregierung in Baden-Württemberg diese Zeit nutzt, um intensive Diskussionen sowohl in diesem Haus als auch außerhalb des Hauses mit den bestehenden Institutionen, mit den Gemeinden, mit den Regionalverbänden etc. zu führen. Aber die Landesregierung hat sich jetzt selbst in Zeitnot gebracht, und deswegen ist nur ein ganz kleiner Kompromissvorschlag zum Bereich der Regionalisierung herausgekommen. Ich habe heute Morgen schon angesprochen – das ist nicht einmal beim Kollegen Hauk auf Widerspruch gestoßen –,

(Abg. Hauk CDU: Das ist aber nicht wahr! – Abg. Bebber SPD: Heißt das etwas?)

dass die verstärkte regionale Tätigkeit und die Regionalisierung der Politik in Baden-Württemberg auch im Landesentwicklungsplan festgeschrieben werden sollen. Aber die Konkretisierung dieser verstärkten Regionalisierung, die Sie jetzt mit diesem Gesetzentwurf vorlegen, lässt unseres Erachtens doch sehr zu wünschen übrig. Ich kann Ihnen begründen, weshalb.

Erstens: Die Kompetenzerweiterungen, die Sie jetzt den Regionalverbänden zugestehen wollen, finden wir in Ordnung. Sie wollen damit den Abstand, den es in der Regionalentwicklung zwischen der Region Stuttgart und den anderen elf Regionen im Land gibt, verkürzen. Auch dieses

Anliegen tragen wir mit. Aber die Kompetenzen, die Sie jetzt letztendlich auf die Regionen mit den gegebenen und den vorgesehenen Verfahrensvorschriften übertragen wollen, konterkarieren das Vorhaben wieder zum Teil. Die Konterkarierung wird sozusagen auf den Punkt gebracht – das möchte ich deutlich formulieren –, wenn Sie jetzt die Öffnungsklausel, nämlich die Gründung von Zweckverbänden, in dieses Gesetz mit aufnehmen.

Man kann es auch als Lex Fleischer bezeichnen. Kollege Fleischer hat hier auch für die CDU-Fraktion gesprochen. Sie haben eindeutig nur eine Region erwähnt, obwohl das Land aus mehreren Regionen besteht, Herr Kollege Fleischer, und nicht nur aus der Region mit ihren speziellen Problemen, aus der Sie kommen. Die lösen Sie damit natürlich nicht, Kollege Fleischer.

Wir haben hier den Verband Region Stuttgart, der per Gesetz als Region verfasst ist. Damit wird eigentlich schon zum Ausdruck gebracht, dass die jetzige Verfasstheit bestimmte andere Gebietskörperschaften, wie zum Beispiel Landkreise, zumindest infrage stellt. Darüber müsste eigentlich anhand eines Regionalisierungsgesetzes diskutiert und dann letztendlich auch entschieden werden. Aber darum drücken Sie sich.

Sie gehen noch einen Schritt weiter: Das Gesetz zur kommunalen Zusammenarbeit, das die Möglichkeit der Gründung von Zweckverbänden schafft, soll jetzt quasi eine Art Stoßrichtung sein, um die bisher bestehenden Regionalverbände zu desavouieren.