Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Am Montag im Innenausschuss hat uns Gangway, ein Träger für Straßensozialarbeit, eindringlich geschildert, dass wegen der drohenden Einsparungen kein kontinuierliches Arbeiten mit jungen Menschen mehr möglich ist. Vor wenigen Tagen hat uns auch die Servicestelle Wegweiser – sie macht proaktive Täterarbeit bei häuslicher Gewalt mit dem Ziel, Betroffene zu schützen – geschrieben, dass sie von Kürzungen betroffen ist und das Projekt vor dem Aus steht, wenn weiter gespart wird. Im Bereich Bildung und Jugend laufen gerade die Präventionsprojekte Sturm, weil die Bildungssenatorin angekündigt hat, die Zuwendungen auf null zu setzen. Dazu gehören Projekte wie zum Beispiel die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus oder Projekte für Gewaltprävention an Schulen. Ich könnte das jetzt noch eine ganze Weile fortsetzen. In dieser Situation wollen Sie von der Koalition sich dafür abfeiern, dass Sie mehr für Sicherheit tun? Merken Sie eigentlich noch was?
Sie legen die Axt an die soziale Infrastruktur in dieser Stadt, an die Jugendarbeit, an die Gewaltprävention, an die Resozialisierung.
Ich sage Ihnen, das wird die sozialen Konflikte in dieser Stadt verschärfen. Und das wird auch Auswirkungen auf die Sicherheit haben. Diese Koalition macht die Stadt unsicher.
Ihre einzige Antwort darauf ist Überwachung, und zwar in einem Ausmaß, das wirklich jegliches Maß verloren hat. Sie wollen die KI-gestützte Videoüberwachung an den kriminalitätsbelasteten Orten einführen.
Das heißt, ein Algorithmus, den niemand kennt, soll die Menschen überwachen und der Polizei sagen, wann sie eingreifen soll. Ob das was bringt, ist nicht belegt. Das hat der Kollege Franco gesagt.
Sie wollen die Funkzellenabfrage zur Gefahrenabwehr einführen. Das ist ein Instrument, bei dem schon jetzt im Rahmen der Strafverfolgung regelmäßig Tausende Mobilgeräte erfasst werden. Allein diese beiden Punkte werden dazu führen, dass sich quasi niemand mehr der staatlichen Überwachung im öffentlichen Raum entziehen kann. Sie wollen dazu noch die Onlinedurchsuchung und die Quellen-TKÜ einführen. Das ist aus guten Gründen ein wirklich, ich sage es mal vorsichtig, hoch umstrittenes Instrument. Der Staat nutzt dabei eine Spionagesoftware und kann de facto unbegrenzt auf sämtliche Daten eines Geräts zugreifen.
Bei jedem von uns sind da intimste Informationen drauf. Das ist auch ein Problem für die IT-Sicherheit, und zwar für uns alle. Das wird von denen, die das wollen, immer verschämt verschwiegen. Der Staat müsste Sicherheitslücken in IT-Systemen eigentlich schließen, aber wenn er sie selbst zur Überwachung ausnutzt, dann bestehen sie weiter auf allen Geräten, auch auf denen, die der Staat selbst nutzt. Das ist ein Schuss ins eigene Knie. Sie produzieren IT-Unsicherheit für uns alle, liebe Koalition!
Dann wollen Sie noch die automatisierte Massendatenanalyse erlauben, alle polizeilichen Daten verknüpfen und mit KI auswerten.
Das ist an sich schon ziemlich gruselig. Aber es gibt dafür auf dem Markt aktuell nur einen Anbieter, nämlich die Software Palantir des Antidemokraten und TrumpKumpels Peter Thiel. Na, herzlichen Glückwunsch, liebe Koalition! In Hessen ist das übrigens auch schon passiert, obwohl man das am Anfang anders beteuert hat, lieber Herr Matz!
Sie planen den Einsatz von Kameradrohnen mit KIgestützter Videoüberwachung bei Großveranstaltungen. Die schwirren dann künftig über dem Karneval der Kulturen und ähnlichen Veranstaltungen herum. Sie wollen erlauben, dass die Polizei illegale Bildersammlungen im Internet für den biometrischen Datenabgleich nutzt. Sie wollen den finalen Todesschuss. Ich nenne ihn so. Die Hemmschwelle beim Schusswaffeneinsatz wird also weiter sinken.
Ah ja, da klatscht die AfD, interessant! – Es wird ja immer gesagt, das habe ich jetzt auch schon wieder gehört: Das sei jetzt alles so wunderbar ausgewogen. – Ich will Ihnen mal was sagen: Es ist nicht lange her, da haben wir, und zwar über die Fraktionen hinweg, Bayern als abschreckendes Beispiel für ausufernde Grundrechtseingriffe diskutiert. – Andreas Geisel, du wirst dich erinnern. – Ich sage Ihnen jetzt mal: Wenn das alles so kommt, wie es im Gesetzentwurf steht –, und da schaue ich jetzt mal insbesondere die SPD-Fraktion an: Was ihr hier mitmacht, kann locker mit Bayern mithalten, und dass ihr der CSU Konkurrenz macht in Sachen Überwachungsstaat, das muss man echt erst mal schaffen, liebe SPD-Fraktion!
Leider überschattet das alles die wenigen Punkte in dem Entwurf, über die man ja tatsächlich diskutieren kann: die Verlängerung der Frist für die Wegweisung bei häuslicher Gewalt oder die Rechtsgrundlage für die Datenübermittlung für den proaktiven Opferschutz und die proaktive Täterarbeit. Das sind Punkte, die können im Kampf gegen häusliche Gewalt helfen. Aber es macht einen doch fassungslos, denn auf der einen Seite diese rechtlichen Änderungen zu schaffen und gleichzeitig den Trägern, die das am Ende machen, die finanzielle Grundlage wegzukürzen, ist doch absolut widersinnig, liebe Koalition!
Deswegen ist es am Ende auch unter dem Strich die Simulation von Sicherheit, was Sie hier machen. Das verkaufen Sie den Leuten als Sicherheit, ist aber keine. Ich habe jetzt in zwei Untersuchungsausschüssen zum Anschlag am Breitscheidplatz und zum Neukölln-Komplex wirklich umfassend das Handeln von Sicherheitsbehörden aufgearbeitet, und ich kann Ihnen sagen: In keinem davon waren fehlende Befugnisse das Problem, sondern organisatorische Mängel, Kompetenzmängel, Kommunikationsmängel, manchmal auch personelle Mängel. Das ist natürlich ein bisschen schwieriger zu bearbeiten und zu bewerkstelligen, als sich neue Befugnisse auszudenken und die ins Gesetz zu schreiben. Aber solange sich das nicht ändert, wird es auch keinen Gewinn an Sicherheit geben.
Und dass polizeiliche Macht auch eingehegt und kontrolliert werden muss, spielt bei Ihnen auch keine Rolle mehr. Wir haben zu dem Thema, um jetzt noch mal kurz etwas zu unserem eigenen Gesetzentwurf zu sagen, eine gesetzliche Klarstellung vorgelegt, dass das Filmen von Polizeieinsätzen in der Öffentlichkeit zulässig ist. Die Rechtsprechung ist da klar. Die Polizei weiß das auch, unterbindet das Filmen aber leider immer wieder. Das ist nicht im Sinne der Aufklärung. Deshalb sagen wir: Transparenz und Kontrollierbarkeit von Polizeihandeln sind in einem demokratischen Rechtsstaat zentral. Deswegen wollen wir diese gesetzliche Klarstellung.
Es braucht eine Kraft in der Regierung, die die Grundrechte verteidigt, und wenn die nicht da ist, dann kommt so ein Rundumschlag gegen die Grundrechte heraus, wie ihn die Koalition heute vorgelegt hat. Sie können sich sicher sein, in dieser Stadt wird sich Protest dazu regen, und das völlig zu Recht. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Herr Kollege! – Die zweite Rednerin für die Linksfraktion ist die Kollegin Eralp. – Bitte schön!
Sehr geehrte Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Berlinerinnen und Berliner! Dass Sie die Anpassung des sogenannten Neutralitätsgesetzes und damit die Diskriminierung kopftuchtragender Frauen, Lehrerinnen als Omnibus an die 736-seitige Änderung des Sicherheitsgesetzes dranhängen, lässt sich an sich schon als Akt der Diskriminierung bezeichnen.
Sie degradieren damit dieses wichtige Thema zu einem Anhängsel und ordnen es auch noch der Sicherheitspolitik zu.
Damit nicht genug, haben Sie in den Titel der Beratung auch noch „rechtsstaatliche Neutralität“ geschrieben. Unter dem Claim staatliche Neutralität wird derzeit ein Kulturkampf von rechts geführt, in dem Regenbogenfahnen abgehängt werden und Organisationen, die sich für
Dabei geben weder das Grundgesetz noch die Berliner Verfassung eine Werteneutralität vor. Im Gegenteil, das Grundgesetz ist vor dem historischen Hintergrund ein antifaschistisches und antirassistisches Manifest. Es verpflichtet den Staat zum Einsatz für die in Artikel 1 verbriefte Menschenwürde und den in Artikel 3 garantierten Diskriminierungsschutz.
Dem sogenannten Neutralitätsgesetz liegt ein falsches Verständnis von Neutralität zugrunde. Natürlich soll niemand in Schulen oder staatlichen Einrichtungen politisch oder religiös indoktriniert werden, aber das einer Frau zu unterstellen allein aufgrund der Tatsache, dass sie ein Kopftuch trägt, ist rassistisch und diskriminierend.
Ihre Gesetzesänderung ist daher eine Enttäuschung, nicht nur für die Musliminnen in der Stadt, sondern auch für die Antidiskriminierungspolitik insgesamt.
Zwar schaffen Sie endlich das pauschale Kopftuchverbot für Lehrkräfte ab, aber zugleich behalten Sie sich vor, im Einzelfall doch ein Verbot auszusprechen. Aber wie soll der Schulfrieden im Einzelfall allein durch das Tragen eines Kopftuchs gestört werden? Könnten da nicht vorurteilsbehaftete Beschwerden über eine Lehrkraft ausreichen? Durch diese Formulierung tragen Sie den Unfrieden an die Schulen.
Sie haben außerdem die von Verfassungsgerichten erzwungene Minimallösung gewählt. Aus unserer Sicht ist es aber antidiskriminierungs- und verfassungspolitisch notwendig, darüber hinauszugehen, denn warum sollen kopftuchtragende Frauen keine guten Richterinnen, Staatsanwältinnen oder Polizistinnen sein können? Sie müssen den gleichen Zugang zu allen Berufen haben wie alle anderen Berlinerinnen und Berliner auch.