Dieser Tag war der Tag, an dem die Verantwortung Deutschlands für die NS-Verbrechen, für den Angriffskrieg, für den Holocaust, für 75 Millionen Todesopfer auf der Welt deutlich wurde. Ich erinnere an dieser Stelle an die Rede von Richard von Weizsäcker im Jahr 1985, der sich zu dieser historischen Verantwortung Deutschlands bekannte und diesen 8. Mai als Tag der Befreiung gekennzeichnet hat.
Im Sommer vergangenen Jahres hat das Abgeordnetenhaus von Berlin den 8. Mai 2025 zum gesetzlichen Feiertag in Berlin erklärt. 80 Jahre nach diesem historischen Ereignis soll der zusätzliche Feiertag das Bewusstsein dafür schärfen, dass ein friedliches Zusammenleben in der Welt nach wie vor keine Selbstverständlichkeit ist – wie wahr!
Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine beeinflusst auch das Gedenken an die Befreiung hier in Berlin. Insofern ist der 8. Mai dieses Jahres eine besondere Herausforderung für uns alle. Noch vor einigen Jahren, vor dem russischen Angriffskrieg, haben wir den 8. Mai mit Volksfesten begangen, an den verschiedenen Gedenkorten, die wir hier in Berlin haben.
Ich erinnere mich, in meinem Wahlkreis in BerlinKarlshorst steht das Kapitulationsmuseum Karlshorst, der Ort der Kapitulation von 1945. Dort gab es am 8. Mai den ganzen Tag über ein großes Volksfest, das von Tausenden Menschen besucht wurde. Um 22 Uhr gab es dann immer den Toast auf den Frieden, zu dem wir alle gemeinsam am historischen Ort zum historischen Zeitpunkt miteinander auf den Frieden angestoßen haben.
Und in diesem Jahr? – Russland hat durch den Überfall auf die Ukraine ein gemeinsames Gedenken unmöglich gemacht. Die Herausforderung am 8. Mai ist es für uns alle, aller Opfer des Zweiten Weltkrieges, aller Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu gedenken.
Das wird uns gut gelingen mit den Vereinigten Staaten von Amerika, mit Vertretern von Frankreich, Großbritannien und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Denn von russischer Seite wird es wie in den Jahren zuvor auch den Versuch geben, einen Alleinvertretungsanspruch für die Opfer der ehemaligen Sowjetunion zu erheben. Wir werden an verschiedenen Gedenkorten in Berlin erleben, dass Vertreter Russlands, von Putins Russland, mit dem Sankt-Georgs-Band auftreten, einem zaristischen Zeichen, einem Zeichen dafür, dass sie dafür eintreten, dass die Sowjetunion wieder in den Grenzen von 1990 existieren soll.
Dem müssen wir entgegentreten. Diesem Alleinvertretungsanspruch müssen wir schon aus historischen Gründen, aus Gründen der historischen Gerechtigkeit, entgegentreten. Denn die Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion sind eben 15 Staaten. Das sind neben Russland – ich führe es jetzt hier mal auf – Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan, Tadschikistan, Kirgisistan, Georgien, Armenien, Aserbaidschan, die Ukraine, Belarus, Moldawien, Estland, Lettland und Litauen.
All diese Länder haben einen Blutzoll gezahlt, den höchsten Blutzoll unter den verschiedenen Ländern, die am Zweiten Weltkrieg beteiligt waren. 27 Millionen Opfer sind aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion zu beklagen. Unsere Aufgabe am 8. Mai wird es sein, deutlich zu machen, dass die Staaten, die die Menschen der damaligen Opfer vertreten, viel mehr sind als Russland.
Wir stehen am 8. Mai 2025 also vor drei Aufgaben. Erstens müssen wir diesen Gedenktag, diesen Feiertag, mit Respekt begehen, nicht aus Sorge schweigen, dass es russische Propaganda geben könnte, uns nicht wegducken vor dieser Sorge, dass es russische Propaganda geben könnte, sondern selbstbewusst zeigen, dass wir für ein neues, ein demokratisches, ein freies, ein friedliches Deutschland stehen.
Zweitens, wir müssen trotzdem deutlich machen, dass es die historische Verantwortung Deutschlands gibt und dass die russischen Opfer, die Opfer Russlands von uns in entsprechender Weise gewürdigt werden und dass das nicht durch den aktuellen Angriffskrieg Putins auf die Ukraine entwürdigt werden kann.
Drittens, wir müssen deutlich machen, dass der 8. Mai 2025 ein Tag ist, an dem wir für den Frieden eintreten, an dem wir das Ende der russischen Aggression gegen die Ukraine einfordern und an dem wir deutlich machen, dass wir aus dem Zweiten Weltkrieg gelernt haben. Der 8. Mai 2025 ist also nicht nur ein historischer Feiertag, sondern er ist sehr aktuell, mit konkreten Auswirkungen für die Gegenwart. – Ich danke Ihnen herzlich und bitte Sie, diesem Antrag zuzustimmen. – Vielen Dank!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Der 8. Mai, 80 Jahre nach dem Kriegsende, ist ein Tag der Mahnung. Er gemahnt uns der Verbrechen Deutschlands, der NS-Diktatur, aber auch unserer Vorfahren. Und der 8. Mai ist ein Tag des Dankes für die Befreiung, insbesondere an die Alliierten: an die Sowjetunion, die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich, aber auch die vielen Soldaten aus anderen Ländern; insbesondere Polen sei hier stellvertretend erwähnt. Denen allen sind wir, auch heute noch, zu großem Dank verpflichtet.
Wenn etwas 80 Jahre her ist, dann ist das eine ziemlich lange Zeit. Ganz wenige Menschen in Deutschland können sich daran erinnern. Wenn man, wie ich inzwischen auch, ein kleines bisschen älter ist – ich bin Jahrgang 1962 –, dann kann man sich an viele Dinge erinnern, die heute nicht mehr so richtig vorstellbar sind. Ich kann mich erinnern an die Ruinen. Denken Sie an das Neue Museum in Berlin oder die Frauenkirche in Dresden! Da war erfahrbar, was ein Krieg hinterlässt.
Aber wie begehen wir so einen Tag? – Wir machen sicherlich eine Feierstunde hier im Abgeordnetenhaus, und
wir werden Gedenkorte besuchen, Kränze niederlegen – in Tiergarten, in Treptow und insbesondere in der Schönholzer Heide, an dem Gedenkort. Aber in diesem Jahr, wie schon seit 2014, können wir nicht ausblenden, dass Russland die Ukraine überfallen hat. Spätestens seit diesem Zeitpunkt stellt sich auch beim Gedenken in Berlin die Frage, wie wir als Parlament, aber auch wie Deutschland insgesamt den 8. Mai begehen soll. Mahnung und Dank? – Natürlich, aber wem gebührt der Dank? – Mit Sicherheit denen, die 1945 das Hitlerregime beseitigt haben, und ihren Nachfahren. Und da fangen die Probleme an.
Russland sieht sich als Nachfolgestaat der Sowjetunion; die anderen – der Kollege Geisel hat sie alle aufgezählt –, ob die Ukraine, Georgien oder die baltischen Länder, kommen an den Gedenkorten im Prinzip nicht vor. Dabei liegen beispielsweise in Schönholz sehr viele Gebeine von ukrainischen Soldaten. Der Gedenkort ist mit Stalinzitaten gestaltet, die im heutigen Kontext wie eine Verhöhnung der Ukraine wirken müssen. Ich will Ihnen mal eins vorlesen – das ist dort in Schönholz an einer Wand –, Zitat:
„Die Stärke der Roten Armee besteht darin, dass sie keinen Rassenhass gegen andere Völker, auch nicht gegen das deutsche Volk, hegt und hegen kann, dass sie im Geiste der Gleichberechtigung aller Völker und Rassen, im Geiste der Achtung der Rechte anderer Völker erzogen ist.“
Wenn man heute als Bürgerin oder Bürger der Ukraine dorthin kommt, dann muss man sich davon verhöhnt vorkommen. Deshalb gibt es diesen Antrag.
Wer sich ein bisschen erinnern kann, weiß, dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bereits im Oktober oder November des letzten Jahres einen ähnlichen Antrag, der sich hier, in demjenigen der Koalition, in Teilen wiederfindet, eingereicht hat. Es ist höchste Zeit, weil der Mai demnächst beginnt, dass wir uns damit beschäftigen. Diesen Anträgen gemein ist, dass wir diese Gedenkorte anders beschildern wollen, vielleicht sogar umgestalten und dem Anspruch gerecht werden, dass dort an alle gedacht wird.
[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN – Beifall von Dr. Robbin Juhnke (CDU) und Andreas Geisel (SPD)]
Am 8. und 9. Mai werden viele Veranstaltungen in Berlin sein. Ich möchte Sie alle bitten: Lassen Sie uns an diesen Tagen vor Ort sein – in Treptow, in Tiergarten, in Schönholz –, und lassen Sie uns dafür einstehen, dass wir einerseits dankbar sind, dass wir andererseits aber auch Russland auffordern, aufzuhören mit dem Krieg gegen die Ukraine! – Wir sind Ihren Vorfahren sehr dankbar, liebe Russen in Berlin, für die Befreiung. Aber hören Sie auf mit dem verbrecherischen Krieg gegen Ihr Nachbarland, gegen die Ukraine! – Herzlichen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 1985 hat Bundespräsident Richard von Weizsäcker anlässlich des 8. Mai ein rhetorisches Monument hinterlassen, dessen 14-seitige Lektüre sich auch heute noch lohnt. Ich darf daraus Folgendes zitieren:
„Wir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen. Wir haben wahrlich keinen Grund, uns am heutigen Tag an Siegesfesten zu beteiligen. Aber wir haben allen Grund, den 8. Mai 1945 als das Ende eines Irrweges deutscher Geschichte zu erkennen, das den Keim der Hoffnung auf eine bessere Zukunft barg.“
Ich glaube, in diesem Sinne hat sich Berlin entschieden, den 80. Jahrestag des 8. Mai als gesetzlichen Feiertag in Berlin zu begehen und darüber nachzudenken, was diese „bessere Zukunft“ für uns gebracht hat.
1985, als Weizsäcker diese Rede gehalten hat, also vor 40 Jahren, war die Situation noch etwas anders. Die Debattenlage war eine andere. Deutschland war noch nicht geeint. Europa war noch geteilt. Es gab auch viel mehr Zeitzeugen des Kriegsendes. Und auch das Wissen und der Schmerz um die Vertreibung aus den deutschen Ostgebieten war noch gegenwärtiger. Deswegen war diese Rede ein historischer Meilenstein. Er hat damals vieles gesellschaftlich ausgelotet und um gegenseitiges Verständnis geworben, wenn er sagte:
„Der 8. Mai ist für uns Deutsche kein Tag zum Feiern. Die Menschen, die ihn bewußt erlebt haben, denken an ganz persönliche und damit ganz unterschiedliche Erfahrungen zurück.“
„Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“
Er war sich dessen sehr bewusst, dass es 40 Jahre brauchte, um diese Worte auszusprechen, also eine Dimension von fast biblischer Länge.
Nun sind weitere 40 Jahre vergangen, Jahre, die zweifelsohne auch gut waren für unser Land. Ein letztes Mal zitiere ich aus der Rede von Weizsäcker:
„Wir haben die Zuversicht, daß der 8. Mai nicht das letzte Datum unserer Geschichte bleibt, das für alle Deutschen verbindlich ist.“
Damit hat er schon prophetisch hoffend den Herbst 1989 und den Oktober 1990 heraufbeschworen. Dann kamen die Neunzigerjahre, die Nullerjahre, und ich will nur als Stichworte nennen, was damals diskutiert wurde: „Ende der Geschichte“, die „Friedensdividende“ wurde kassiert. Inzwischen sind einige Jahre vergangen. Es sind leider wieder sehr düstere Wolken aufgezogen.
Ich darf in diesem Zusammenhang an die Worte eines anderen Bundespräsidenten erinnern, nämlich Joachim Gauck, der an dieser Stelle, von diesem Pult gesprochen hat zum Thema der Rolle der Sowjetunion. Anlass war der Jahrestag des Volksaufstands von 1953 vor zwei Jahren. Er verwies auf den großen Anteil, den die Sowjetunion an der Befreiung Deutschlands vom Hitlerregime hatte, und dass es ohne Gorbatschows Hilfe 1989/90 keine deutsche Wiedervereinigung gegeben hätte. Er hat auch die besondere Schuld der Deutschen an den Verbrechen an den Völkern der Sowjetunion hingewiesen. Er hat aber auch darauf hingewiesen, dass aus dem Befreier von 1945 sofort ein Unterdrücker wurde. Wesentlich sind aber im heutigen Kontext vor allem folgende Ausführungen, die ich hier ebenfalls zitieren möchte. Gauck sagte:
„Inzwischen zeigt sich Russland als ein Erbe der Sowjetdiktatur, als eine revisionistische, auf Expansion ausgerichtete Macht. Putin weiter mildernde Umstände zuzubilligen und ihm einen Dank für die großmütige Reaktion eines Gorbatschow zukommen zu lassen, hieße, den Aggressor für die Verdienste seines friedfertigen Vorgängers zu beschenken. … wir vergessen … nicht, dass wir Zeugen gegenwärtiger Arroganz und Brutalität sind, mit denen ein neuer Moskauer Imperialismus Menschen um Recht und Freiheit bringen will!“
So Joachim Gauck. Ich glaube, diese Worte geben uns wichtige Hinweise, auch im Umgang mit dem 8. Mai dieses Jahres. Deshalb zielt unser Antrag darauf ab, zumindest auf unserem Boden zu erschweren, dass sich das heutige Russland in der Traditionslinie der Roten Armee propagandistisch in Szene setzen kann. An einer Befreiung vom Nationalsozialismus waren Soldaten der Roten Armee aus allen Teilen der damaligen Sowjetunion beteiligt, also auch aus Ländern, die heute teilweise selbst Opfer eines russischen Imperialismus sind, zum Beispiel die Ukraine, oder auch die in Sorge sind, dazu zu geraten. Wir möchten daher an den Gedenkstätten die Rolle der einzelnen Volksgruppen entsprechend gewürdigt sehen. Ebenso muss an den Gedenkstätten in geeigneter Form erläutert werden, dass die Symbolik und Texte in den Mahnmalen angesichts der historischen Entwicklung einem veränderten Kontext unterliegen.
Doch allein damit werden wir dem Moskauer Propagandanarrativ nicht begegnen können. Wir müssen als Gesellschaft deutlich machen, wie wir diesen 80. Jahrestag interpretieren. Richard von Weizsäcker und Joachim Gauck haben uns dazu viele Anregungen gegeben. Aber ich fordere uns alle auf, an den zahlreichen Gedenkveranstaltungen teilzunehmen und damit auch ein Zeichen zu setzen gegen eine Vereinnahmung durch den Kriegstreiber Putin, der erneut einen Krieg über Europa säen möchte. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!
[Beifall bei der CDU und der SPD – Beifall von Andreas Otto (GRÜNE), Anne Helm (LINKE) und Carsten Schatz (LINKE)]
Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass wir den 8. Mai heute in dieser Form politisch würdigen, ist keine Selbstverständlichkeit. Weizsäcker ist zitiert worden. Ich möchte Heinrich Böll ergänzen:
„Ihr werdet die Deutschen immer wieder daran erkennen können, ob sie den 8. Mai als Tag der Niederlage oder der Befreiung bezeichnen.“
In anderen Ländern wurde der Tag, der das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa markierte, umgehend zum Feiertag erklärt – in Deutschland nicht. Hier wurde dieser Tag über Jahrzehnte als Schmach empfunden oder schlichtweg ignoriert. Es war ein langer, generationenübergreifender Prozess, der uns zum heutigen Umgang mit diesem Datum geführt hat. Es wird Zeit, finde ich, dass dieser Tag auch in Deutschland endlich bundesweit zu einem Feiertag wird.
Es ist gut, dass Berlin an dieser Stelle vorangeht. Nachdem der 75. Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation zum einmaligen Feiertag erklärt worden war, dieser aber wegen der akuten Coronapandemie faktisch nicht stattfinden konnte, holen wir das nun zum 80. Jahrestag nach. Das ist angemessen, denn die Zerschlagung des deutschen Faschismus ist allemal ein Grund zum Feiern und den Alliierten zu danken.
Aber seit jeher müssen wir das Gedenken gegen Revisionismus, gegen den Versuch der Täter-Opfer-Umkehr und die Verharmlosung des NS durch Nationalisten verteidigen. Die AfD schwadroniert von „Schuldkult“, 90 Prozent ihrer Anhänger fordern einen Schlussstrich, und die Vorsitzende versteigt sich zur absurden Aussage,