Protocol of the Session on March 27, 2025

Aber seit jeher müssen wir das Gedenken gegen Revisionismus, gegen den Versuch der Täter-Opfer-Umkehr und die Verharmlosung des NS durch Nationalisten verteidigen. Die AfD schwadroniert von „Schuldkult“, 90 Prozent ihrer Anhänger fordern einen Schlussstrich, und die Vorsitzende versteigt sich zur absurden Aussage,

Hitler sei Kommunist gewesen, obwohl die Kommunisten seine ersten Opfer waren.

Dieser unerträgliche Geschichtsrevisionismus geht einher mit der Instrumentalisierung des 8. und 9. Mai durch den Kreml. Seit der Orangen Revolution in der Ukraine nutzt Putin diesen Tag gezielt, um mit riesigen Militärparaden den russischen Nationalismus zu schüren und für Russlands imperialistische Machtansprüche eine Legitimation aus der Geschichte zu konstruieren. Dafür werden auch Symbole umgedeutet, wie zum Beispiel das SanktGeorgs-Band, ein Orden, der für die Beteiligung am Kampf gegen NS-Deutschland vergeben wurde. Heute wird diese schwarz-orange Schleife zur Unterstützung von Putins Krieg getragen. Diese Umdeutung trägt dann auch so absurde Blüten, dass zum Beispiel ein rechtsradikales Mitglied dieses Hauses, das zugleich frenetischer Unterstützer des russischen Angriffskriegs ist, 2019 auf der Krim vom Kreml als Held des Antifaschismus ausgezeichnet wird. So absurd ist diese Vereinnahmung und diese Umdeutung sowohl von deutschen als auch von russischen Nationalisten. Dem müssen wir entgegentreten,

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

denn das ist nicht zuletzt eine Verhöhnung sowohl derjenigen, die tatsächlich gegen den Faschismus Widerstand geleistet haben, als auch gegenüber allen Opfern des Angriffskrieges gegen die Ukraine.

Am 9. Mai wird die russische Instrumentalisierung auch in Berlin wieder sichtbar sein, und auch die rechtsextremen russischen Nachtwölfe werden wohl wieder vor Ort sein. Unsere Antwort darauf kann nicht der Rückzug, sondern muss aktives Gedenken mit allen Beteiligten der Befreiung und ihren Nachfahren sein. Russland war als einer der Nachfolgestaaten der Sowjetunion maßgeblich an der Niederschlagung von NS-Deutschland unter immensen Verlusten beteiligt und verdient dafür selbstverständlich unsere Würdigung, aber an der Schlacht um Berlin waren eben auch ukrainische Truppen beteiligt.

Im vorliegenden Antrag wird ein Weg aufgezeigt, wie wir der russischen Instrumentalisierung begegnen können, indem wir aktiv an die Beteiligung und die hohen Kriegsverluste der vielen anderen postsowjetischen Staaten erinnern. Gedenkorte wie das Mahnmal im Treptower Park können wichtige Orte der Bildung werden, und zwar nicht nur an diesem einen Jahrestag. Dafür braucht es aber politische Entschlossenheit und auch die Bereitstellung der entsprechenden finanziellen Mittel. Ich finde, es wäre ein wichtiges Symbol gewesen, dass alle demokratischen Fraktionen an dieser Stelle gemeinsam agieren. Das wäre ja auch möglich gewesen, zumal wir dazu einen sehr konstruktiven Austausch hatten, lieber Kollege Juhnke, lieber Kollege Geisel, lieber Kollege Otto. Ich finde, angesichts der Weltlage und der Bedrohung unserer Demokratie sollten wir in der Lage sein, parteipoli

(Dr. Robbin Juhnke)

tische Eitelkeiten hinter uns zu lassen, über unseren Schatten zu springen und an dieser Stelle gemeinsam zu arbeiten.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Andreas Otto (GRÜNE)]

In diesem Sinne schließe ich mich gern dem Aufruf meiner Vorredner an, an Sie alle, an uns alle, aber auch an alle Berlinerinnen und Berliner, sich an den vielfältigen Veranstaltungen am Tag der Befreiung aktiv zu beteiligen und diese mitzugestalten. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die AfD-Fraktion spricht nun der Abgeordnete Trefzer. – Bitte schön!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine Damen und Herren! In wenigen Wochen gedenken wir des 80. Jahrestags des Kriegsendes in Europa. Es ist gute Tradition, dass wir aus diesem Anlass der getöteten Zivilisten, der Opfer von Kriegsverbrechen und Völkermord, aber auch der gefallenen Soldaten gedenken, und zwar der Soldaten aller Länder.

[Beifall bei der AfD]

Eine Differenzierung der gefallenen Soldaten nach Nation, Herkunft oder Ethnie sollte dabei nicht im Vordergrund stehen. Der vorliegende Antrag fordert nun, beim Gedenken an die Kriegstoten die Rolle der nichtrussischen Völker der Sowjetunion besonders zu würdigen. Dabei verkennt der Antrag ganz offensichtlich den Unterschied zwischen dem Gefallenengedenken auf der einen Seite und einer historisch-politischen Einordnung auf der anderen Seite. Denn das Gefallenengedenken sollte doch inklusiv und nicht ausgrenzend konzipiert sein, wo auch immer der einzelne Soldat stand und woher er kam.

[Beifall bei der AfD]

Es ist jedenfalls aus unserer Sicht keine besonders zukunftsweisende Idee, jetzt die einen Kriegstoten gegen die anderen auszuspielen, also in diesem Fall Russen gegen Nichtrussen. Wir halten das nicht für zielführend im Sinne der Völkerverständigung, welche ja gerade eine der Lehren aus dem Krieg ist.

Etwas anderes ist selbstverständlich: die historischpolitische Einordnung. Der Streit darüber wird naturgemäß niemals enden. Und natürlich treten bei dieser Betrachtungsweise teilweise große Unterschiede zwischen den Beiträgen und den Opfern der unterschiedlichen beteiligten Armeen, Völker und Länder zutage. Bei den Armeen der Sowjetunion, die mehr Kriegstote zu beklagen hatten als jedes andere Land, kommen besonders

viele Paradoxien zusammen. Zunächst verbündeten sie sich mit Hitler, um Polen anzugreifen und Mittel- und Osteuropa gemeinsam aufzuteilen. Auch Finnland wurde von der Sowjetunion überfallen. Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion wuchs Stalin dann in die Rolle des Befreiers hinein, von der er zuvor nie zu träumen gewagt hatte. Doch trotz der Tatsache, dass die Sowjetunion dazu beitrug, Deutschland und Osteuropa vom Nationalsozialismus zu befreien, gilt es festzuhalten, dass es Stalin eben nicht darum ging, Europa die Freiheit zu geben.

[Beifall bei der AfD]

Es ging Stalin darum, seine eigene Diktatur zu errichten. Demzufolge wurde überall dort, wo sowjetische Soldaten einmarschierten, eine Diktatur nach sowjetischem Vorbild durchgesetzt. Es ist schon erstaunlich, dass einige erst jetzt, nach Putins Neuauflage der stalinistischen Geschichtsklitterungen, merken, wie naiv sie mit der sowjetischen Befreiungserzählung umgegangen sind. Denn natürlich hatte Stalin auch nicht die Absicht, die Eigenständigkeit der Völker der Sowjetunion zu respektieren – ganz im Gegenteil. Die Sowjetunion baute vor allem in der Zeit Stalins auf der Unterdrückung der nicht russischen Völker auf. Gerade die Ukrainer haben Anfang der Dreißigerjahre im Holodomor unvorstellbares Leid erlitten.

All das gehört zur geschichtlichen Auseinandersetzung um das Kriegsende dazu, überhaupt keine Frage. Trotzdem, um das noch einmal ganz klar zu sagen, gedenken wir in den nächsten Wochen aller gefallenen Soldaten, egal, auf welcher Seite sie standen, das heißt, wir gedenken wie immer auch der besonders vielen sowjetischen Toten, unabhängig davon, ob die Gefallenen Russen, Ukrainer, Weißrussen, Usbeken, Kasachen, Tadschiken oder Angehörige anderer Völker waren. Für die Gefallenen all dieser Völker legen wir im Treptower Park, in Schönholz und im Tiergarten Kränze nieder, und wir tun dies, obwohl wir wissen, dass diese Ehrenmäler eine propagandistische Zumutung sind.

Wir nehmen die stalinistischen Sprüche über die Größe der Sowjetunion, die dort prangern, sehr wohl zur Kenntnis, lieber Herr Otto, und wir sind uns sehr wohl bewusst, dass sie an anderer Stelle durchaus zu kritisieren sind. Aber das Totengedenken ist nach unserer Auffassung nicht der richtige Augenblick für eine solche Auseinandersetzung, weil in diesem Moment die Trauer und der Respekt vor den Toten im Mittelpunkt stehen.

[Beifall bei der AfD]

Genauso sollten wir es im Umgang mit den unterschiedlichen Völkern der Sowjetunion handhaben. Natürlich war die Einheit der Sowjetunion eine einzige Lüge, aber diese Tatsache sollte uns rund um den 8. Mai nicht davon abhalten, allen gefallenen Soldaten, ungeachtet ihrer Herkunft, die gleiche Reverenz zu erweisen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

(Anne Helm)

[Beifall bei der AfD]

Zu diesem Tagesordnungspunkt hat der fraktionslose Abgeordnete Dr. King einen Redebeitrag angemeldet. – Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort!

Danke schön! – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gehört auch zum Kontext des diesjährigen Gedenkens: Am Freitag stellte der Bundesrat der kommenden Bundesregierung einen Blankoscheck aus für grenzenlose Verschuldung, für grenzenlose Aufrüstung. Deutschland soll kriegstüchtig werden, zu jedem Preis, und leider hat Berlin dieser Hochrüstung, diesem Wahnsinn genauso zugestimmt wie alle Länder, die von Ihren Parteien hier, von Union, SPD, von den Grünen und auch von der Linken regiert werden.

Auf unserer Delegationsreise nach Brüssel haben wir außerdem gehört, dass unsere Verkehrswege ertüchtigt werden müssen, damit künftig militärisches Gerät von deutschen Nordseehäfen nach Osten transportiert werden kann. Das ist keine gute Art, 80 Jahren Kriegsende zu gedenken.

[Stefan Häntsch (CDU): Doch! Wir schützen unsere Nachbarn!]

80 Jahre Befreiung, 80 Jahre Ende des Zweiten Weltkrieges. Das Gedenken daran ist in diesen Zeiten natürlich eine große diplomatische Herausforderung vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs, der noch nicht beendet ist und der natürlich grausames Unrecht darstellt. Das ist doch keine Frage. Aber das ist sicher kein Auftrag, den Konflikt mit der Atommacht Russland immer weiter auf die Spitze zu treiben, sondern im Gegenteil, alles dafür zu tun, dass in Europa wieder Frieden herrscht.

[Stefan Häntsch (CDU): Wer treibt es denn auf die Spitze?]

Die EU, Deutschland und Berlin sollten alle Bemühungen um Frieden unterstützen und nicht den Eindruck erwecken, als ob sie künftig den Krieg in der Ukraine ohne die USA alleine weiterführen wollten.

[Beifall bei der AfD]

Ob wir es wollen oder nicht, das anstehende Gedenken konfrontiert uns damit, dass das Schicksal unseres Landes und Europas und erst recht Berlins mit Russland stets eng verbunden war und immer sein wird. Dafür sorgt schon die Geografie und, wovon heute noch gar keine Rede war, 200 000 Menschen mit russischen Wurzeln, die hier unter uns in Berlin leben.

Dieser Zusammenhang löst sich auch nicht auf, wenn man jetzt die sowjetischen Soldaten nach ihrer ethnischen

Zugehörigkeit aufteilt und die Opfer der einzelnen Volksgruppen einzeln würdigen will, wie Sie es fordern. Natürlich stimmt es, dass die Befreier unterschiedlichen Volksgruppen angehörten, aber gesiegt haben sie gemeinsam, oder glauben Sie, das hat die jungen Männer auf ihrem Vormarsch auf Berlin interessiert, ob ihr Nachbar im Schützengraben Russe, Ukrainer, Kalmücke, Tatare oder sonst was war? Sie haben gemeinsam gekämpft und gemeinsam gesiegt, und wir sollten auch allen gemeinsam dafür danken.

Der Versuch, Russland und der Sowjetunion aus dem Weg zu gehen, nimmt in Berlin teilweise groteske und auch bedenkliche Formen an. Hier in Berlin können zwar russische Nazis mit allen Emblemen ihrer Gesinnung, mit Schild, Schwert und Wolfsangel demonstrieren, wie neulich am Potsdamer Platz, ohne dass jemand eingreift, aber am Tag des Sieges die sowjetische Flagge, Hammer und Sichel, zu zeigen, das geht nicht. Das war zuletzt verboten, und ich finde, das ist Geschichtsvergessen.

Zu guter Letzt, man kann sich das wünschen, aber Russland ist natürlich nicht nur eines von 15 Nachfolgeländern der Sowjetunion, so wie Sie das jetzt beschrieben haben. Es ist nicht nur mit Abstand der größte Staat, der aus der Sowjetunion hervorgegangen ist, sondern es ist auch so, dass nach 1990 Russland sämtliche internationalen Verträge, zum Beispiel auch den Zwei-plus-vierVertrag, der uns hier betrifft, die Repräsentanz in den internationalen Organisationen, im UN-Sicherheitsrat und übrigens auch sämtliche finanzielle Verbindlichkeiten von der Sowjetunion übernommen hat. Insofern gilt Russland faktisch im Völkerrecht als Rechtsnachfolger beziehungsweise Fortsetzerstaat der Sowjetunion, ob uns das jetzt gefällt oder nicht, und deswegen müssen wir die Herausforderung annehmen, anstatt zu versuchen, die Geschichte und das Völkerrecht irgendwie neu einzuordnen und umzudeuten. Die Herausforderung bestände darin, das Gedenken mit allen Siegern so zu begehen, dass wir der heutigen dringenden Aufgabe, den Frieden in Europa wiederherzustellen und zu schützen, gerecht werden.

Ich will an das anknüpfen, was der Kollege Otto gesagt hat. Das fand ich eigentlich ganz gut. Wir sollten den Menschen, die hier leben, den Russen, die hier leben, und auch den Nachkommen derjenigen, die uns befreit haben, signalisieren: Ja, wir sind dankbar. Aber genauso: Ja, wir fordern ein Ende der Aggression in der Ukraine. Ich würde vielleicht noch ergänzen: Ja, wir wollen mit euch in Frieden leben.

Vielen Dank! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Vorgeschlagen wird die Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Kultur, Engagement und Demokratieförderung. – Widerspruch höre ich nicht. Dann verfahren wir so.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4.4:

Priorität der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Tagesordnungspunkt 36

Nach Quantität kommt Qualität – Sozialbudgets und einen kindgerechten Personalschlüssel für die Kleinsten einführen und Erzieher*innen entlasten

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke Drucksache 19/2308

In der Beratung beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Frau Abgeordnete Burkert-Eulitz, bitte schön, Sie haben das Wort!