Protocol of the Session on March 27, 2025

[Zuruf von Gunnar Lindemann (AfD)]

Diese Verhaftungen und die Zerschlagung der demokratischen politischen Opposition sind Teil eines systematischen Abbaus der Demokratie durch Erdoğan und seine islamischen Partei AKP. Die Türkei entfernt sich immer weiter von den Grundprinzipien einer funktionierenden Demokratie und ähnelt immer mehr den autoritären Regimen wie in Russland und Iran. Was heute noch von der türkischen Demokratie übrig ist,

[Zuruf von Carsten Ubbelohde (AfD)]

sind die noch halbwegs freien Wahlen, die in regelmäßigen Abständen stattfinden. Doch auch diese greift Erdoğan nun an.

[Gunnar Lindemann (AfD): Ja, wie in Berlin!]

Erdoğan will nun die Wahlen direkt beeinflussen, indem er starke Rivalen wie İmamoğlu aus dem Rennen wirft. Erdoğan will wie Putin selbst bestimmen, wer gegen ihn antreten darf und wer nicht.

[Carsten Ubbelohde (AfD): Und Sie wollen ein AfD-Verbot!]

Sollte Erdoğan auch dieses Mal damit durchkommen und Europa dazu schweigen, dann bleibt von der türkischen Demokratie wirklich nichts mehr übrig.

Die Vorwürfe der Terrorunterstützung gegen İmamoğlu sind so absurd. Sie basieren darauf, dass seine CHP Oppositionsarbeit gemeinsam mit der prokurdischen Partei DEM anstrebt, die laut Erdoğan der PKK nahesteht. Dabei führt Erdoğans Regierung seit Wochen Verhandlungen mit dem inhaftierten PKK-Anführer Abdullah Öcalan, um einen Friedensprozess für die Kurdenfrage in der Türkei auf den Weg zu bringen. Es ist eine Heuchelei und ein klarer Versuch, seinen stärksten politischen Gegner vor den Präsidentschaftswahlen in drei Jahren jetzt schon kaltzustellen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Lassen Sie mich zum Schluss auch meine Enttäuschung über das Verhalten der Koalition in diesem Parlament zum Ausdruck bringen. Wir sprechen heute über die Bedeutung der Unterstützung der Zivilgesellschaft in der Partnerstadt Istanbul und die Stärkung demokratischer Kräfte dort. Es wäre ein wichtiges und starkes Signal gewesen, wenn die demokratischen Fraktionen in diesem Parlament gemeinsam eine Entschließung auf den Weg gebracht hätten.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Stattdessen haben wir heute zwei Entschließungen. Es empört mich, dass die CDU-SPD-Koalition wieder ein klares und wichtiges Signal verhindert hat. Ihre Entschließung, liebe Koalition, verurteilt nicht einmal klar den Angriff auf die Demokratie in der Türkei und fordert auch nicht einmal die Freilassung des inhaftierten Oberbürgermeisters İmamoğlu. Das ist ein Armutszeugnis.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Wir jedenfalls – und ich komme zum Schluss – fordern die türkische Regierung auf, Ekrem İmamoğlu, Selahattin Demirtaş und viele andere politisch Inhaftierte, Journalistinnen und Journalisten, Aktivistinnen und Aktivisten und Demonstrierende unverzüglich freizulassen und die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit wiederherzustellen. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Vielen Dank! – Für die CDU-Fraktion hat nun der Abgeordnete Cywinski das Wort. – Ich muss Sie leider darauf hinweisen, dass das Redezeitkontingent bald erschöpft ist.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe ja heute im Abgeordnetenhaus bereits über unsere neue sowie unsere potenziell künftigen Städtepartnerschaften sprechen dürfen. Aus traurigem und aktuellem Anlass möchte ich nun um Ihre Unterstützung für eine unserer langjährigen Partnerstädte bitten: Istanbul.

Vergangene Woche ist der Oberbürgermeister Istanbuls, Ekrem İmamoğlu, mit zahlreichen weiteren Personen verhaftet worden. Beobachter schätzen das Vorgehen der türkischen Justiz als politisch motiviert ein. Parallel zur Inhaftierung ist in der Türkei der Zugang zu verschiedenen Internetplattformen wie Messenger, YouTube und X eingeschränkt worden. Gegen die landesweiten Proteste – allein in Istanbul sollen Hunderttausende Menschen auf die Straße gegangen sein – geht die Polizei mit Tränengas, Wasserwerfern und Gummigeschossen vor. Über

(Jian Omar)

1 400 Menschen wurden bisher im Rahmen der Proteste von der Polizei verhaftet.

Diese schockierenden Nachrichten aus Istanbul berühren gerade uns Berliner besonders, denn wir sind auf vielfältige Weise mit der Stadt am Bosporus verbunden. In den Dreißigerjahren fanden zahlreiche deutsche Flüchtlinge Exil in Istanbul. In den Sechzigerjahren kamen zahlreiche türkische Gastarbeiter über die Zwischenstation Istanbul nach Berlin. Inzwischen leben über 200 000 Menschen mit türkischen Wurzeln in unserer Stadt. 1989 schließlich ging Berlin die bereits angesprochene Städtepartnerschaft mit Istanbul ein.

Diese Städtepartnerschaft enthält ein klares Bekenntnis zu gemeinsamen Werten wie der Achtung der Menschenrechte sowie der Förderung einer lebendigen Demokratie. Dieses gemeinsame Bekenntnis ist uns Berlinern Verpflichtung. – Weil die Redezeit bereits ausläuft, schließe ich mit den Worten unseres Regierenden Bürgermeisters: „Solidarität mit Ekrem İmamoğlu“, und ich ergänze: mit unserer Partnerstadt Istanbul. – Danke sehr!

[Beifall bei der CDU, der SPD und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Eralp das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrte Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Berlinerinnen und Berliner! Liebe engagierte Menschen in der Türkei! Istanbul ist seit über 35 Jahren unsere Partnerstadt. Berlin und Istanbul sind zwei große und großartige sowie vielfältige Metropolen. Unser Band zu Istanbul bilden die vielen Berlinerinnen und Berliner mit türkischem und kurdischem Hintergrund, die seit Kurzem oder schon lange, teilweise seit Generationen, hier leben.

Wie viele andere flohen auch meine Eltern einst aus Istanbul vor politischer Verfolgung nach Deutschland. Sehr viele kamen in den letzten Jahren hierher, deren Zuhause nun Berlin ist, und für deren Anliegen und deren Teilhabe wir als Berliner Parlament Verantwortung tragen. Auch deswegen löst die aktuelle Verhaftungswelle gegenüber Oppositionellen und dem Istanbuler Bürgermeister İmamoğlu in Berlin große Sorge aus. Ich durfte ihn, der für viele Menschen in der Türkei, die sich Demokratie wünschen, als Hoffnungsträger für die nächsten Präsidentschaftswahlen galt, kürzlich im Abgeordnetenhaus treffen. Dass die Verhaftung mit fadenscheinigen Begründungen und wenige Tage vor seiner Benennung zum Präsidentschaftskandidaten der CHP erfolgte, zeigt, dass es darum geht, sich der Konkurrenz zu entledigen.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Beifall von Raed Saleh (SPD)]

Das ist nicht nur ein Angriff auf ihn, sondern auf Demokratie und Menschenrechte insgesamt, den wir auf das Schärfste verurteilen.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Ich möchte aber auch daran erinnern – Jian Omar hat es auch schon gemacht –, dass dies nicht die erste Verhaftung eines Bürgermeisters ist. Etliche Bürgermeister und Bürgermeisterinnen in den kurdischen Gebieten in der Türkei wurden verhaftet und die Kommunen unter Zwangsverwaltung gestellt, wie beispielsweise in Diyarbakır. Auch gerade vor einem Monat wurde der CoOberbürgermeister von Van, Abdullah Zeydan von der DEM-Partei, seines Amtes enthoben und eine Zwangsverwaltung von der Regierung eingesetzt. Das widerspricht dem demokratischen Willen der Bevölkerung und ist absolut inakzeptabel.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN]

So viele Frauen, queere Menschen, Arbeiter und Arbeiterinnen, Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen, Politiker und Politikerinnen, Sozialisten und Sozialistinnen, Studierende, Professoren und Professorinnen und Aktivisten und Aktivistinnen sitzen zu Unrecht in türkischen Gefängnissen, auch beispielsweise aufgrund der GeziProteste, dass es unmöglich ist, sie alle aufzuzählen, aber ich möchte zumindest auch Felat Demirtaş erwähnen, den ich zuletzt 2016 bei einer Fraktionssitzung der Linken im Bundestag getroffen habe. Ich erinnere mich, wie wir ein Foto zusammen machten, und er lachte und meinte, wir wären zu dritt auf dem Foto, weil ich damals hochschwanger war. Er war immer zu Scherzen aufgelegt, obwohl er damals bei seinem Besuch zu uns sagte: Liebe Freunde, vielleicht bin ich das vorerst letzte Mal hier bei euch. – Er behielt leider recht, denn kurz danach wurde auch er, der auch ein Hoffnungsträger für so viele Menschen war, festgenommen und sitzt seitdem in Haft.

Als Linke fordern wir daher, die sofortige Freilassung von İmamoğlu, von Demirtaş und von allen anderen, die sich für Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie einsetzen.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Beifall von Maik Penn (CDU)]

Unsere Solidarität gilt allen, die sich für die Menschen, für die Menschenrechte, für die Rechte von Frauen, von queeren Menschen, von Geflüchteten und von ethnischen oder religiösen Minderheiten wie beispielsweise Kurden und Kurdinnen, Armenier und Armenierinnen und Alewiten und Alewitinnen einsetzen.

[Beifall von Sebahat Atli (SPD)]

(Tom Jan Filip Cywinski)

Deswegen finden wir auch, dass es nicht sein kann, dass Deutschland gerade jetzt seine Blockade zum Verkauf von Kampfjets an die Türkei aufgibt. Es kann keine Waffendeals und auch keine Flüchtlingsdeals mit der türkischen Regierung geben.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Orkan Özdemir (SPD)]

Um aber mit der Hoffnung zu enden, möchte ich auf den letzten Wahlslogan von İmamoğlu eingehen: „Her şey çok güzel olacak“. Übersetzt heißt das: Alles wird gut. Er stammt von einer Begegnung im Rahmen des Bürgermeisterwahlkampfs 2019. Ein 16-jähriger Junge hat ihn dem in einem Wahlkampfbus sitzenden İmamoğlu zugerufen. Ein Handyvideo, das die Szene und dem von der Willensstärke und der Hoffnung des Jungen beeindruckten İmamoğlu zeigt, ging in der Türkei viral. Dieser Junge, Berkay Gezgin, ist heute 22 Jahre alt. Auch er wurde vor einigen Tagen in Istanbul auf dem Heimweg von einer Protestkundgebung festgenommen und sitzt nun in Untersuchungshaft, aber mit seinen Worten möchte ich und wir alle daran glauben, dass alles gut wird. Denn die Gegenproteste und die engagierten Menschen machen Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Her şey çok güzel olacak, Jin Jiyan Azadi – für Demokratie und Freiheit. – Danke!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die Fraktion der AfD spricht nun der Abgeordnete Dr. Bronson. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 19. März wurde der Bürgermeister von Istanbul, Ekrem İmamoğlu, unter schwerwiegenden Beschuldigungen von türkischen Behörden festgenommen. Vorgeworfen wird ihm Korruption, Erpressung Geldwäsche sowie die Unterstützung der PKK, die auch in Deutschland als terroristische Organisation eingestuft ist. Wir haben davon von den Vorrednern gehört.

Zahlreiche Stimmen in Deutschland und in Europa beeilten sich, die Vorgänge als Ausdruck eines autoritären Regimes zu brandmarken. Der Autokrat Erdoğan will seinen gefährlichen politischen Mitbewerber kaltstellen, hieß es unisono. Das ist richtig, und es ist notwendig, bei derartigen Entwicklungen wachsam zu bleiben. Das ist keine Frage.

[Beifall bei der AfD]

Ebenso notwendig ist es aber, dabei Maß zu halten. Wer in Deutschland reflexhaft mit einem moralischen Vor

schlaghammer reagiert, der solle sich zunächst an die eigene Nase fassen.

[Beifall bei der AfD]

Was wir nicht tun sollten, ist von außen her mit moralischen Furor die Rolle eines Oberlehrers zu spielen, während wir zugleich im eigenen Land im eigenen Land repressiv gegen demokratisch gewählte Kräfte vorgehen.