Doch dass die Union und Friedrich Merz nicht für eine zukunftsfähige Finanzpolitik stehen, überrascht wenig. Monatelang haben CDU und CSU notwendige Reformen blockiert, die Sicherheit der Ukraine aufs Spiel gesetzt, Infrastrukturplanung in Bund, Ländern und Kommunen verzögert; Kitas, Brücken, neue Wohnungen.
Wider besseres Wissen hat Friedrich Merz noch kurz vor der Wahl eine Reform der Schuldenbremse ausgeschlossen. Statt auf ehrliche Botschaften zur finanziellen Lage hat er auf bewusst falsche Wahlversprechen gesetzt. So verspielt man Vertrauen in demokratische Prozesse und einen funktionierenden Staat, und ja, so stärkt man auch antidemokratische Parteien, liebe Union!
Und, ganz ehrlich: In der Opposition, im Wahlkampf und selbst in den Tagen nach der Wahl keine Gelegenheit auslassen, die Grünen zu beleidigen, aber dafür dann erwarten, dass man jede Grundgesetzänderung nach Gusto der Union mitträgt
so arbeitet man unter Demokratinnen nicht zusammen. Friedrich Merz, das haben die letzten Tage leider erneut gezeigt, ist nicht souverän, nicht weitsichtig und auch nicht kanzlertauglich.
Wer ernsthaft eine tragfähige Grundgesetzänderung anstrebt, sollte mit Grünen und Linken im Bundestag in gemeinsame Gespräche eintreten. Das ist dann auch glaubhafter als Ankündigungen einer großen Reform im Herbst, denn es gilt: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Sobald Friedrich Merz keinen finanziellen Druck mehr für seine Amtszeit hat, wird es auch keine Reform der Schuldenbremse mehr geben, denn Friedrich Merz geht es am Ende vor allem um eines: Friedrich Merz.
Um ihre nicht finanzierbaren Wahlkampfversprechen auch nur teilweise umzusetzen, haben sich CDU, CSU und SPD letzte Woche Folgendes überlegt: Für Verteidigung soll der Bund künftig dauerhaft neue Kredite
aufnehmen dürfen. So weit, so gut – warum das nicht für Investitionen in Kitas, Schulen oder die Bahn gehen soll, verraten sie nicht. Warum das für die CDU im Wahlkampf noch undenkbar war, verraten sie nicht. Warum eine grundlegende Reform der Schuldenbremse im neu gewählten Bundestag nicht klappen soll, verraten sie nicht. Doch genau das braucht es jetzt.
Außerdem stellt ein neues Infrastruktursondervermögen dem Bund und den Ländern über die nächsten zehn Jahre 500 Milliarden Euro zur Verfügung. Erstes Problem: Auf die Bundesländer sollen davon nur 100 Milliarden Euro entfallen, dabei tragen Länder und Kommunen 60 bis 70 Prozent der öffentlichen Investitionen. Schon deshalb muss die angedachte Aufteilung des Sondervermögens aus Länderperspektive nachgebessert werden.
Zweites Problem: Das Sondervermögen schafft eben keine dauerhafte Lösung für kreditfinanzierte Investitionen.
Zwar mag die künftige jährliche Kreditmöglichkeit für Länder in Höhe von 0,35 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts auf den ersten Blick attraktiv wirken; auf den zweiten stehen ihr aber geplante Steuersenkungen in ähnlicher Höhe gegenüber. Nur eine zusätzliche dauerhafte Ausnahme der Schuldenbremse für kreditfinanzierte Investitionen löst dieses Problem und ist der richtige Schritt.
Ein weiterer Kritikpunkt: Es bleibt unklar, ob es sich bei den 500 Milliarden Euro tatsächlich um zusätzliche Investitionen handelt. Im schlimmsten Fall verlagern Union und SPD nur Investitionen aus dem Kernhaushalt in das Sondervermögen und schaffen so Platz für fossile und sozial unausgewogene Wahlgeschenke wie die Erhöhung der Pendlerpauschale, die Steuersenkung in der Gastronomie, die Senkung von Unternehmenssteuern oder die steuerliche Begünstigung von Agrardiesel.
Doch was bedeutet der Vorschlag von Union und SPD nun konkret für uns Berlinerinnen und Berliner? – Die einzige und ehrliche Antwort lautet: Wir wissen es aktuell noch nicht. Auf der Habenseite circa 700 Millionen Euro pro Jahr Kreditspielraum und dazu vermutlich ein einstelliger Milliardenbetrag für Investitionen über zehn Jahre aus dem Sondervermögen – doch das ist nur eine Seite der Medaille. Über die andere reden Union und SPD im Bund lieber nicht so gerne.
Erstens: Steuern. Die geplanten Steuerreformen von Union und SPD verschärfen die angespannten Haushaltssituationen in Ländern und Kommunen weiter. Für Berlin
bedeuten sie mehr als eine halbe Milliarde Euro Steuermindereinnahmen. Das frisst den Großteil des neuen kreditfinanzierten Spielraums direkt wieder auf. Dabei kommt ein wesentlicher Teil der Entlastungen gerade jenen zugute, die bereits jetzt genug haben: mehr als 17 Milliarden Euro Entlastung für jenes 1 Prozent der Bevölkerung mit den höchsten Einkommen. Wer hat, dem wird gegeben – hier hält die CDU ausnahmsweise Wort, zulasten der Finanzierung von Jugendklubs, Sozialberatung und Hochschulen. Das ist weder sozial gerecht noch förderlich für den Standort Deutschland.
Zweitens: Investitionen in Infrastruktur. Beim vorgeschlagenen Sondervermögen Infrastruktur ist vor allem eines sicher: Auch aus Länderperspektive sind fast alle Fragen noch offen. Zwar winken Berlin rein rechnerisch bis zu 5 Milliarden Euro zusätzlich, aber sicher ist das keineswegs. Wie wird die Summe auf die Bundesländer aufgeteilt? Welche Projekte mit welchem Zweck dürfen aus dem Sondervermögen finanziert werden? Welches Mitspracherecht hat der Bund bei der Auswahl der Projekte? Das alles will die zukünftige Koalition erst später entscheiden. Zentrale Zukunftsaufgaben wie Klimaschutz und Resilienz sowie die Stärkung der sozialen Infrastruktur drohen dabei komplett leer auszugehen. Das ist weder aus grüner noch aus Berliner Sicht zustimmungsfähig.
Und drittens: Wie sich eine Reform der Schuldenregeln für die Bundesländer auf eine mögliche Notlageerklärung des Landes Berlin auswirkt, ist zum jetzigen Zeitpunkt ebenfalls noch nicht final geklärt. Für die Länder und auch Berlin könnte der vorliegende Vorschlag sich also als vergiftetes Geschenk entpuppen, bei dem sie am Ende unter Umständen sogar schlechter dastehen als zuvor.
Lieber Senat! Es braucht jetzt eine grundlegende Reform der Schuldenregeln für Bund und Länder. Es besteht die einmalige Gelegenheit, diesen historischen Fehler namens Schuldenbremse zu korrigieren und die Investitionsfähigkeit des Staates wiederherzustellen. Seit 15 Jahren gibt es die Schuldenbremse. Seitdem wächst der Investitionsstau bei der öffentlichen Infrastruktur weiter an: schimmelnde Unilabore, einsturzgefährdete Brücken und fehlende Wohnungen. Berlin muss jetzt in seine Zukunft investieren, dauerhaft und planbar. Werden Sie jetzt aktiv, Herr Wegner, Herr Evers! Drängen Sie auf eine echte Reform der Schuldenbremse in unserer Stadt! Handeln Sie, statt die Debatte weiter nur als Zaungäste zu verfolgen!
Stadtpolitische Verantwortung ist keine Einbahnstraße. Stets das Große und Ganze im Blick zu haben, gesprächs- und kompromissbereit zu sein, das gilt jetzt auch für
Union und SPD. Dass sie dazu bereit sind, wird insbesondere die Union in den kommenden Wochen noch beweisen müssen.
Und weil wir dieser Tage so viel über die Reform der Schuldenbremse reden: Tragfähige und solide Staatsfinanzen erfordern auch eine nachhaltige und sozial gerechte Einnahmebasis. Die Erbschaftsteuer muss endlich reformiert und sehr große Vermögen müssen wieder angemessen besteuert werden. Beides bleibt die künftige Koalition auf Bundesebene schuldig. Lieber verteilt sie Steuergeschenke an das reichste Prozent der Gesellschaft. Wir Grüne werden im Bund und in den Ländern auch weiterhin für ein sozial gerechtes und solidarisches Steuersystem kämpfen. – Vielen Dank!
[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN – Beifall von Dr. Matthias Kollatz (SPD) und Mathias Schulz (SPD)]
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die AfD ist gerade erst mit Frau Weidel durch den Bundestagswahlkampf gezogen und hatte für wirklich jede und jeden ein Steuergeschenk oder ein finanzielles Versprechen im Gepäck.
Zur Gegenfinanzierung der daraus resultierenden Finanzierungslücke von mindestens 150 Milliarden Euro kam von Ihnen aber nichts.
[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Thorsten Weiß (AfD): Doch! Migrationskosten einsparen!]
Die 150 Milliarden Euro habe ich übrigens vom ifo Institut, das auch Frau Dr. Brinker bereits zitiert hat. Wer jedem das verspricht, was er oder sie hören will, ohne eine seriöse Refinanzierung vorzulegen,
Die Pläne der AfD wären für die öffentlichen Haushalte ein massives Problem. Sie wollen nirgends Steuern substanziell erhöhen. Ein Ausgleich durch vermeintliche Einsparpotenziale bei den Sozialausgaben und Klima
[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Dr. Kristin Brinker (AfD): Doch, natürlich!]
Ohne eine reale Perspektive auf Verantwortung lässt es sich natürlich bequem Wahlkampf machen und Luftschlösser bauen. Den Wettbewerb um das populistischste Wahlprogramm haben Sie vielleicht gewonnen, aber erneut Glaubwürdigkeit bei ernsthaften Lösungsvorschlägen verloren.