Protocol of the Session on June 9, 2022

Mein Kollege Kurt von den Grünen hat das bereits angesprochen. 1 700 Haushalte waren im letzten Jahr ohne Kochmöglichkeit und ohne Heizung, weil ihnen der Gashahn zugedreht wurde. Über 12 500 Haushalte waren ohne Strom. Und Energiearmut ist wirklich eine enorme Form von Ausgrenzung. Eine kalte Wohnung, ganze Familien sitzen im Dunkeln, es gibt kein warmes Essen mehr, und der Kühlschrank ist mausetot! Deshalb geht es hier um schlichte Existenzsicherung. Es geht hier um nichts weniger als um Würde.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Ich bin sehr froh, dass das Thema Energiearmut und auch das Thema Armut in der Berliner rot-grün-roten Koalition ganz ernst genommen wird. Wir sprechen intensiv über Maßnahmen, die wir hier im Land Berlin ergreifen können, um tatsächlich Armut und Ausgrenzung zu verhindern. Wir wollen, dass niemand seine Wohnung verliert. Wir wollen, dass niemand im Dunkeln sitzt. Wir kümmern uns um den sozialen Zusammenhalt dieser Stadt. Im Koalitionsvertrag haben wir uns deshalb auch verabredet, einen Härtefallfonds zur Übernahme von Energieschulden aufzulegen. Das ist nicht etwa eine Ursprungsinitiative der CDU.

Die Hintergründe für solche Energieschulden sind sehr vielfältig – Einkommensarmut in aller Regel. Es besteht schon eine Verschuldungssituation, weil beispielsweise schon Mietrückstände bestehen oder weil Menschen ein Darlehen beim Jobcenter abzahlen müssen, weil sie sich gerade einen neuen Kühlschrank anschaffen mussten, oder aus persönlicher Überforderung oder weil psychische Ausnahmesituationen vorliegen. Deswegen ist es richtig, dass Rot-Grün-Rot mit der Rücklage für die Energiekostensteigerung versucht, die Energiekostensteigerungen sowohl im öffentlichen wie im privaten Bereich abzufedern. Immerhin wollen wir dafür 380 Millionen Euro in den nächsten beiden Jahren einstellen – und darunter auch der Härtefallfonds gegen Energiearmut. Dieser Härtefallfonds Energiearmut soll sich vor allem an Haushalte mit geringen Einkommen richten.

Selbstverständlich steht auch der Kampf gegen Kinderarmut weiter auf der Tagesordnung. Ein Viertel der Berliner Kinder und Jugendlichen ist auf Hartz IV angewiesen, davon kommt die Hälfte aus Alleinerziehendenhaushalten. Auf Berliner Ebene können wir leider nicht die Kindergrundsicherung einführen. Wir können auch leider nicht den Hartz-IV-Regelsatz anheben. Aber was wir tun und was wir schaffen, das ist, die Voraussetzung dafür hinzukriegen, dass Berliner Kinder und Jugendliche so viel Teilhabe wie möglich haben und wir Armutsfolgen abmindern. Offen gesagt, in der letzten Legislatur, als

Rot-Rot-Grün das kostenlose Schülerticket eingeführt hat, ist mir wirklich das Herzchen aufgegangen. Also nicht nur, dass man zur Schule fahren kann, sondern auch nachmittags kostenfrei in den Sportverein oder in den Musikunterricht!

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Das Mittagessen für Grundschülerinnen und Grundschüler ist kostenfrei geworden, und auch in diesem Jahr mit diesem Haushalt, den wir wahrscheinlich in 14 Tagen verabschieden werden, setzen wir entsprechende Schwerpunkte. Rot-Grün-Rot wird für die Kinder in der 3. Klasse die Beitragsfreiheit für den Hort einführen. Wir geben mehr als 4 Millionen Euro in die Familienberatungsstellen und auch in die Erziehungsfachstellen. Wir geben fast 1 Million Euro in die Bezirke zur Bekämpfung der Kinderarmut. Es gibt den kostenfreien Museumssonntag, und – mir ganz besonders wichtig – wir werden den Berliner Landesmindestlohn auf 13 Euro anheben, damit man von der Arbeit auch tatsächlich leben kann.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Mirjam Golm (SPD)]

Das ist konkrete Arbeit für den sozialen Zusammenhalt in dieser Stadt. Dabei spielt auch die AV Wohnen eine wichtige Rolle. Sie ist ein zentrales Instrument seit Jahren. Es ist die Wohnkostenregelung für die Menschen, die im Sozialleistungsbezug sind, und sie sorgt dafür, dass Menschen in dieser Stadt, die wenig Geld in der Tasche haben, weiterhin ihre Wohnung ihr Zuhause nennen können. Auch deswegen haben wir uns verabredet, dort die Richtwerte bei der Bruttokaltmiete und auch bei den Heizkosten anzupassen. Wir haben uns darauf verabredet, dass Mietschulden und auch Energieschulden regelhaft als Beihilfe übernommen werden sollen, nicht nur als Darlehen. Von einer solchen Regelung werden vor allem Erwerbungsminderungsrentner und -rentnerinnen und Altersrentner und -rentnerinnen profitieren. Das sind solche Menschen, deren Rente zum Leben nicht reicht und bei denen vor allem chronische Erkrankungen vorliegen. Gleichzeitig kann das Land Berlin natürlich nicht der Ausfallbürge dafür sein, wenn der Bund seine Hausaufgaben bei den steigenden Energie- und Mietpreisen nicht in ausreichendem Maße macht. Das sogenannte Energieentlastungspaket verzeichnet erhebliche Leerstellen. Tatsächlich ist es so, dass die Einmalzahlung für Rentnerinnen und Rentner – davon ist immerhin jeder Fünfte in der Bundesrepublik arm – und die Einmalzahlung für Studierende sich nicht in diesem Entlastungspaket findet. Da hat die CDU mit ihrer Kritik recht, aber dafür trägt nicht der Berliner Senat die Verantwortung, sondern die Ampelkoalition im Bund.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Benedikt Lux (GRÜNE)]

Lieber Herr Bauschke! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP! An der Stelle muss ich schon sagen, dass es

Ihr Finanzminister im Bund ist, der die Umverteilung von unten nach oben vorantreibt. Die Idee, billiger Tanken und Bahnfahren, ist mit Blick auf den Tankrabatt krachend gescheitert.

[Beifall bei der LINKEN und der SPD – Roman-Francesco Rogat (FDP): So ein Quatsch!]

Die Züge sind zu Pfingsten voll,

[Florian Kluckert (FDP): Auch die letztes Jahr!]

die Punks feiern auf Sylt, aber tatsächlich steigt der Spritpreis, und zwar trotz Absenkung der Mineralölsteuer. Hier wirtschaften sich vor allen Dingen die Mineralölkonzerne in die eigene Tasche.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Aus meiner Sicht ist es ein Armutszeugnis, dass die FDP sich massiv für den Tankrabatt einsetzt, damit Konzerne mit Staatsgeld subventioniert und gleichzeitig jegliches Abschöpfen von Extraprofiten verhindert wird.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Torsten Schneider (SPD): Ihr wollt mit den Punks auf Sylt feiern!]

Frau Kollegin! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Krestel von der FDP-Fraktion?

Nein, vielen Dank! – Deswegen ist es richtig, dass der Berliner Senat der Bremer Bundesratsinitiative zur Einführung einer Übergewinnsteuer beitreten wird.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Beifall von Torsten Schneider (SPD)]

Wer von Krisen und Kriegen profitiert, der muss zahlen, und das sind vor allem die Energiekonzerne.

[Beifall bei der LINKEN]

Aus meiner Sicht brauchen wir jetzt erst recht einen sozialen Interessenausgleich. Die Idee von Bundesminister Heil für ein soziales Klimageld begrüßen wir als Linke; lassen Sie uns über die Ausgestaltung diskutieren. Wir brauchen für einen sozialen Interessenausgleich aber auch einen Energiepreisdeckel. Ein Interessenausgleich muss selbstverständlich auch den Schutz von Mieterinnen und Mietern beinhalten. Vonovia macht es gerade mit der Ankündigung zu seiner Mieterhöhung vor, dass diesem Konzern Mieterschutz schlichtweg schnurzegal ist und nur die eigene Rendite zählt. Deswegen braucht es einen bundesweiten Mietendeckel. Freiwillige Verpflichtungserklärungen von Wohnungsunternehmen reichen an dieser Stelle nicht aus.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Sebastian Czaja (FDP): Wie weit sind Sie denn mit Ihrer Enteignung?]

Selbstverständlich ist der Bund in der Pflicht, sich deutlich mehr um Transferleistungsbeziehende zu kümmern. Die Regelsätze bei Hartz IV in der Sozialhilfe und beim Asylbewerberleistungsgesetz müssen deutlich angehoben werden. Aus meiner Sicht fände ich es gut, wenn Energieschulden tatsächlich als Beihilfe übernommen werden anstatt wie bisher als Darlehen. Wir müssen für die Betroffenen die Verschuldungsspirale, die Armutsspirale durchbrechen. Ich wünsche mir sehr, dass die Ampelkoalition im Bund die jetzige Übergangsregelung zur Übernahme der Wohnkosten fortführt. Bisher werden bis zum Ende dieses Jahres die vollständigen Miet- und Heizkosten übernommen. Die Regelung ist leider wegen der Covid-19-Pandemie befristet, aber ich denke, die aktuellen Krisenzeiten gebieten es, diese Regelung fortzusetzen.

[Beifall bei der LINKEN]

Wir müssen uns immer vergegenwärtigen: Die Wohnung ist das eigene Zuhause, und gerade bei Transferleistungsbeziehenden ist die Wohnung oftmals der einzige soziale Ankerpunkt, den diese Menschen noch haben. Wichtig ist mir auch – auch hier ist der Bund in der Pflicht –: Energie- und Gassperren müssen verboten werden, weil es um ein Leben in Würde geht.

[Beifall bei der LINKEN]

Für den Senat spricht nun die Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales. – Bitte sehr, Frau Senatorin Kipping!

Herr Präsident! Liebe Abgeordnete! Für diese Aktuelle Stunde lagen von verschiedenen Fraktionen Titel vor, von denen die meisten um die Themen steigende Preise und Armutsgefahr kreisten. Das ist ein Zeichen dafür, dass diese Probleme gerade viele Fraktionen beschäftigen, und das zu Recht. Ich möchte hier für den gesamten Senat sagen, dass wir von Anfang an die sozialen Auswirkungen von steigenden und galoppierenden Preisen und die Gefahr wachsender Armut sehr ernst genommen haben. Jedes Senatsmitglied hat dieses Problem in seinem Zuständigkeitsbereich ganz fest im Blick.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Bevor ich zu konkreten Maßnahmen komme, möchte ich über jene sprechen, die viel zu selten Aufmerksamkeit erfahren. Menschen, die jeden Euro dreimal umdrehen müssen. Armut ist hierzulande mit Scham behaftet. Armut gilt fälschlicherweise als persönliches Versagen und nicht als Problem der Gesellschaft. Umso erfreulicher ist

(Sandra Brunner)

es, dass sich aktuell unter „#IchBinArmutsbetroffen“ wirklich viele Betroffene zu Wort melden. Allen, die den Mut haben, in der Öffentlichkeit bei den sozialen Medien über ihr Leben in Armut zu schreiben, denen möchte ich sagen: Sie durchbrechen mit Ihrer Courage die Scham und das Wegschauen. Sie verdienen unser aller Respekt!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

In den vergangenen Jahren haben sich die Krisen hierzulande die Klinke in die Hand gegeben: von Extremwetterlagen als Vorboten für die Klimakatastrophe, über die Coronapandemie bis hin zu den Folgen des Krieges gegen die Ukraine ständig neue Ungewissheiten. Bei alldem gab es wenig Aufmerksamkeit dafür, was diese Krisen für Armutsgefährdete, für Alleinerziehende, für Soloselbstständige, für Mehrkindfamilien und für Menschen mit niedrigem Einkommen und unsicheren Jobs bedeuten. Dabei treffen Krisen und Unsicherheiten am Ende jene besonders hart, die ohnehin wenig haben.

So wissen wir beispielsweise aus der Armutsberichtserstattung, dass ärmere Menschen besonders von Umweltverschmutzung bedroht sind, weil sie überdurchschnittlich oft in Gegenden mit entsprechend schlechten Werten leben. Während der Gesundheitskrise Corona waren just ärmere Haushalte besonders von den Einkommenseinbußen betroffen, und steigende Preise für lebensnotwendige Güter treffen jene mit besonderer Härte, die jeden Euro dreimal umdrehen müssen. Für sie geht es sofort ans Eingemachte. Wer ein Butterbrot und einen Tomatensalat auf den Abendbrottisch stellen möchte, ist damit konfrontiert, dass das Brot um 10 Prozent, die Butter um 30 Prozent und die Tomaten um 40 Prozent im Preis gestiegen sind. Hinzu kommen explodierende Energiepreise, ein Strompreis, der um 20 Prozent gestiegen ist. Kennen Sie eine Rentnerin, deren Rentensteigerungen da mithalten kann?

Apropos Rentnerin: Die CDU hat den Eindruck erweckt, der Senat hätte die Rentnerinnen und Rentner vergessen. Das ist eine steile These, die unbedingt einer Klarstellung bedarf. Tatsache ist, es gibt ein Entlastungspaket, das immerhin einige Erleichterungen bringt, aber just Menschen mit niedrigen Renten und Studierende profitieren davon faktisch nicht.

[Zuruf von Heiko Melzer (CDU)]

Dieses Paket kommt aber nicht vom Senat, sondern von der Bundesregierung. Ich als Berliner Sozialsenatorin habe vielmehr sehr deutlich auf diese Gerechtigkeitslücke hingewiesen. Bei aller Liebe, liebe CDU, zur politischen Kontroverse: So viel Redlichkeit muss sein, den rot-grünroten Senat von Berlin nicht mit der Ampel in der Bundesregierung zu verwechseln.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Frau Senatorin! Ich darf auch Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen, und zwar wünscht die der Kollege Evers von der CDU-Fraktion zu stellen.

[Tobias Bauschke (FDP): Jetzt ist er wieder da!]

Gerne doch! Wir sind froh, wenn die CDU bei dieser Debatte anwesend ist, das muss sofort zu Protokoll genommen werden.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Sie können die Gelegenheit nutzen, uns aufzuklären, wie sich Berlin im Bundesrat zu den Bemühungen des Landes Nordrhein-Westfalen, in die Stellungnahme zum Entlastungspaket die Berücksichtigung von Rentnerinnen und Rentnern und Studierenden aufzunehmen, verhalten hat. Dann könnten wir sehen, was Ihr Wort hier wert ist.

Ich verstehe, dass es so selten vorkommt, dass CDUgeführte Bundesländer im Bundesrat mal soziale Themen ansprechen, dass Sie hier dafür entsprechende Aufmerksamkeit brauchen. Ich kann Ihnen nur sagen, das Land Berlin macht sich immer wieder dafür stark, nicht nur, wenn NRW mal eine Maßnahme macht.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU – Stefan Evers (CDU): Das ist doch peinlich!]