Und wir sind als von den Berlinerinnen und Berlinern gewählte Abgeordnete in der Pflicht, ihnen zu helfen, damit die Belastungen für sie möglichst gering bleiben und ein Leben in Würde auch für Menschen mit kleinem Geldbeutel möglich bleibt.
Das ist der Einkaufszettel einer Alleinerziehenden aus Moabit, 110 Euro für einen Wocheneinkauf für eine Mutter und ihr zehnjähriges Kind. Hier ist weder Waschmittel dabei noch Fleisch noch Alkohol oder Feinkostartikel. Das ist der Einkaufszettel meiner alleinerziehenden Schwester, die wie Hunderttausende andere Alleinerziehende in Berlin kaum mehr über die Runden kommt, denn ein halbwegs sorgenfreies Leben, in dem man sich zumindest den Wocheneinkauf leisten kann, ist für Hunderttausende in Berlin mit wenig Geld gerade nicht mehr möglich. Tomaten sind um bis zu 40 Prozent teurer geworden, Gurken rund 30 Prozent. Die Butter kostet über 2 Euro, und eine Packung Kaffee kostet 7 Euro.
Wozu diese Entwicklung führt, sieht man gerade besonders drastisch am Helene-Weigel-Platz in Marzahn. Einmal im Monat verteilt das Deutsche Rote Kreuz dort Lebensmittel an Anwohnende. Letztes Mal war ich auch dabei. Hunderte Menschen aus der Nachbarschaft standen über Stunden an, Rentnerinnen und Rentner mit Grundsicherung, Alleinerziehende, prekär Beschäftigte und Studierende, für eine Suppe und eine Tüte Lebensmittel. Sie alle kommen nicht mehr über die Runden. Eine Frau packte das Gemüse, das sie bekam, wieder aus der Tüte aus. Als die Ehrenamtlichen vom Deutschen Roten Kreuz sie fragten, warum sie das tue, sagte sie nur, sie könne es nicht zubereiten, ihr Strom wurde zu Hause abgestellt, und ihr Herd bleibt kalt. Von den Ehrenamtlichen habe ich auch erfahren, dass bei einer der Verteilungen eine junge Frau zusammengebrochen ist. Als sie gefragt wurde, was sie denn habe, sagte sie nur: Ich habe Hunger –, und fing an zu weinen. Hungernde Menschen sind für eine Stadt wie Berlin absolut inakzeptabel.
[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN – Frank-Christian Hansel (AfD): Das ist Ihre Politik!]
Deshalb sage ich, wir dürfen diejenigen Berlinerinnen und Berliner mit ihren Sorgen und Nöten angesichts explodierender Preise nicht allein lassen. Ihnen gilt unsere Solidarität. Ihnen müssen wir jetzt ganz besonders helfen.
Das fängt damit an, dass wir als Koalition alle Berlinerinnen und Berliner vor Strom- und Gassperren schützen müssen, weil Energie nun mal existenziell ist. Letztes Jahr wurden 14 000 Berlinerinnen und Berlinern Strom und Gas abgeschaltet. Weitere 191 000 haben eine Sperrandrohung bekommen. Und das war die Zeit, bevor die Energiepreise so explodiert sind.
Herr Abgeordneter! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Woldeit von der AfD-Fraktion zulassen.
Nein! – Wir alle können uns ausmalen, was nächstes Jahr passieren wird. Wir müssen vorsorgen, weil wir eine Verantwortung haben. Niemandem darf in Berlin der Strom oder das Gas abgestellt werden, weil die Rechnungen gerade nicht bezahlt werden können, denn eine warme Wohnung oder ein funktionierender Herd sind Grundbedürfnisse, die man zum Leben braucht. Ich will in einem Berlin leben, wo die Ärmsten das Gemüse bei Lebensmittelständen nicht wieder zurücklegen müssen, weil sie es nicht zubereiten können. Deshalb brauchen wir ein Moratorium für Strom- und Gassperren, wie wir es bereits unter der Coronapandemie 2020 hatten. Das ist in dieser Situation das Mindeste.
Bis dahin greifen wir als Koalition den Berlinerinnen und Berlinern unter die Arme und legen dafür einen Härtefallfonds für Energieschulden auf, damit der Kühlschrank weder ausgeht noch leer bleibt, weil das ganze Geld in explodierende Stromrechnungen fließt. Dafür stellen wir 30 Millionen Euro bereit. Das ist Hilfe, die bei den Menschen ankommen wird. Niemand darf mit hohen Stromrechnungen alleingelassen werden. Aber auch die Energiekonzerne müssen in dieser Situation nachsichtig sein. Die jährlichen Energiekosten sind für einen vierköpfigen Durchschnittshaushalt auf 1 514 Euro im Jahr gestiegen. Wer soll das auf Dauer bezahlen können?
Gleichzeitig verkündet zum Beispiel die GASAG, dass ihr bereinigter Gewinn dieses Jahr sogar noch auf 132 Millionen Euro steigen wird. Ich finde, wer so viel Geld verdient, hat auch eine soziale Verantwortung in dieser Stadt. Deshalb brauchen wir Sozialtarife, damit Strom und Gas für Menschen mit geringem Einkommen und auch für soziale Träger, die ebenfalls Probleme haben, bezahlbar bleiben.
Seien wir ehrlich! Die Rekordinflation und die explodierenden Preise können nicht allein durch die Landesebene aufgefangen werden. Auch der Bund ist in der Verantwortung, hier den Menschen unter die Arme zu greifen. Deshalb war es auch richtig, dass es zwei Entlastungspakete gibt. Aber das kann nur der Anfang gewesen sein. Wir brauchen ein neues Entlastungspaket, das besonders den Ärmsten in unserer Gesellschaft konkret hilft, statt in den Taschen von Mineralölkonzernen zu landen, mit einem dauerhaften statt einem einmaligen Zuschlag bei Hartz IV und beim Wohngeld, weil Hartz IV nicht zum Leben reicht, mit einer armutsfesten Grundsicherung, die wirklich das Existenzminimum sichert, statt die Menschen zu den Tafeln zu treiben, und mit einer befristeten Abschaffung der Mehrwertsteuer für Lebensmittel, wie das auch der Sozialverband in Deutschland fordert, damit der Einkauf im Supermarkt auch für eine Alleinerziehende wieder bezahlbar wird. Die Bundesregierung muss
mehr Verantwortung für Preisstabilität übernehmen und die Inflation bekämpfen, weil den höchsten Preis dafür die Menschen mit den geringsten Einkommen zahlen.
Das alles an Hilfen hilft kurzfristig. Wenn wir die steigenden Energiepreise aber dauerhaft bekämpfen wollen, müssen wir an die Ursachen dieser Entwicklung herangehen. Zweieinhalb Jahre Pandemie, die steigende Nachfrage nach Energie weltweit durch Konjunkturpakete und der mörderische Angriffskrieg des russischen Diktators auf die Ukrainer haben dazu geführt, dass Energiepreise für Öl und Gas explodieren und auch die Preise für alles, was bei der Produktion Energie benötigt. Wer die Energiepreise senken will, damit die Einkäufe in den Supermärkten wieder bezahlbar sind,
darf aber deshalb eben nicht bei Autokraten für schmutziges Gas und Öl zu Kreuze kriechen und dafür unsere Grundwerte wie Recht und Demokratie verkaufen, sondern muss dafür sorgen, dass wir nicht abhängig sind von ihnen.
Deshalb müssen wir die Energiewende vorantreiben und die erneuerbaren Energien in Berlin weiterhin ausbauen. Mehr erneuerbare Energien und mehr Klimaschutz – das ist Politik für ein soziales Berlin.
Wenn wir schon mal beim Thema Energie sind: Einige Konzerne machen gerade das Geschäft ihres Lebens, weil sie einfach die Preise erhöhen und dann fette Renditen erwirtschaften. Das ist verantwortungslos. Wenn der Tankrabatt auf dem Konto der Mineralölkonzerne landet, dann sollten wir ihn einfach wieder abschaffen. So konsequent muss man da schon sein.
Es geht übrigens auch nicht, dass Wohnungskonzerne wie Vonovia einerseits am Tisch der Regierenden Bürgermeisterin sitzen und über bezahlbare Mieten verhandeln, aber gleichzeitig schon mal diese Mieten anheben und sich hinter den Energiepreisen verstecken, die ohnehin zum größten Teil von den Mieterinnen und Mietern per Nebenkostenabrechnung bezahlt werden. Das ist unredlich, und das ist auch verantwortungslos.
Deshalb brauchen wir eine Übergewinnsteuer für all jene, die schamlos den Berlinerinnen und Berlinern noch tiefer in die Tasche greifen und sich an dieser Situation bereichern. Falls einige meinen, das sei Kommunismus oder der Untergang des Abendlandes:
Großbritannien, Spanien und Italien haben es vorgemacht. Es geht doch, nehmen wir uns daran ein Beispiel!
Nein. – Die Inflation trifft uns zwar alle, ihre Auswirkungen treffen uns aber nicht alle im gleichen Maße. Es sind besonders diejenigen davon betroffen, die vorher schon kaum über die Runden gekommen sind in Berlin und die jetzt am Verzweifeln sind. Es sind die 156 000 Kinder und Jugendlichen in Berlin, die in Armut leben und nun mit einer leeren Brotdose in die Schule gehen werden. Es betrifft die 100 000 Alleinerziehenden in Berlin, die schon immer überdurchschnittlich armutsgefährdet waren, und es trifft jeden siebten Berliner und jede siebte Berlinerin, die Hartz IV oder Sozialhilfe bekommen und jeden Cent nun dreimal umdrehen müssen.
Diese Krise untergräbt das Vertrauen dieser Menschen in den Staat. Diese Krise macht die Armen noch ärmer. Hören wir ihnen zu, was das konkret heißt. Unter dem Hashtag „Ich bin armutsbetroffen“ auf Twitter sehen wir es: Armut macht einsam, Armut macht krank, und Armut nimmt den Menschen auch den Lebensmut. Aber eines kann Armut diesen Menschen nicht nehmen, und das ist ihre Würde. Die Würde des Menschen ist unantastbar, so steht es in Artikel 1 des Grundgesetzes. Zu einem würdevollen Leben gehört materielle Sicherheit, die Teilhabe ermöglicht.
Ich will in einem Berlin leben, in dem kein Mensch mehr sagt: „Ich habe Hunger“, einem Berlin, das Menschen auffängt, wenn sie Halt brauchen, statt sie sich selbst zu überlassen. Dafür liegt der Ball bei uns als Koalition. Mit einem entschlossenen und ressortübergreifenden Kampf gegen Armut und für soziale Teilhabe, der liefert; mit einem dichten Netz an Hilfseinrichtungen wie den unabhängigen Sozialberatungen, die wir in den Bezirken fördern, weil sie konkret Menschen in Lebenslagen helfen und passgenaue Antworten für Probleme aufzeigen; und mit echter Teilhabe für alle, weil Berlin ohne alle nicht Berlin ist. – Herzlichen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Klar ist, alle Menschen in Berlin sind aktuell von den Auswirkungen des Angriffskriegs und der Inflation betroffen; aber es geht nicht nur einfach um die Energiekosten, sondern es geht um Lebensgrundlagen. Laut „Handelsblatt“ haben die Lebensmittel- und Getränkehersteller ihre Preise seit Anfang 2021 durchschnittlich um fast 17 Prozent angehoben. Die Produkte des täglichen Bedarfs sind am stärksten betroffen. Preissteigerungen von bis zu 53 Prozent auf Grundnahrungsmittel sind Realität geworden.
Daher stimmt es natürlich: Am härtesten trifft diese Inflation die Ärmsten in unserer Gesellschaft. Es trifft genau die, die jetzt schon überlegen müssen, welchen Euro sie für was ausgeben. Ich denke zum Beispiel an die zahlreichen alleinerziehenden Mütter mit Kindern in unserer Stadt, die im Niedriglohnsektor beschäftigt sind.
Es ist eine Armutsspirale, die hier fortgesetzt wird. Umso erschreckender war die Berichterstattung der „Morgenpost“ am letzten Wochenende, dass jedes vierte Kind, jeder vierte Jugendliche in Berlin mittlerweile von Armut betroffen ist. Das sind 155 000 Kinder, die hier armutsgefährdet sind. Zum Vergleich: 155 000 – das ist ungefähr die Einwohnerzahl der Städte Heidelberg oder Regensburg. Wir liegen mit der Kinderarmutsgefährdungsquote in Berlin deutlich über dem Bundesschnitt. Das ist für eine Stadt wie Berlin unwürdig.
Hier muss sich auch diese Koalition mal ehrlich machen: Sie haben hohe Ansprüche an ein soziales Berlin, aber die schwerwiegenden Probleme der Kinderarmut bleiben bestehen. Wir müssen vielleicht festhalten, dass gewisse Maßnahmen, die wir bisher getroffen haben, nicht wirken, und uns andere Antworten überlegen, denn dies schulden wir den Kindern und den Jugendlichen, und dies schulden wir der Zukunft unserer Stadt.
Die Armut – meist leider begründet durch die Armut der Eltern oder die Umstände – schlägt nämlich Schneisen in das Leben. Ganz schnell bin ich bei dem Thema, und das habe ich in meiner letzten Rede hier schon mal angesprochen, Gas- und Stromsperren; ganz normale Grundlagen des Lebens, die man braucht.
Es trifft aber auch Menschen, die in Ausbildungen stecken. Schauen wir uns mal die Therapieberufe an: Angehende Physiotherapeuten zum Beispiel müssen immer noch Schulgeld zahlen, obwohl die Koalition im August 2021 angekündigt hatte, dass für 2022 kein Schulgeld mehr bezahlt werden muss. Darauf haben viele vertraut,
haben die Ausbildung angefangen und stehen jetzt unter enormem finanziellem Druck; im schlimmsten Fall brechen sie sogar die Ausbildung ab.
Frau Senatorin Gote hat auch bestätigt, zum Beispiel in der letzten Ausschusssitzung, wie viele Schreiben dazu eingegangen sind.