Protocol of the Session on April 6, 2017

Die Ausweitung des Anwendungsbereichs der Nebenstrafe des Fahrverbots, das hat der Kollege Kohlmeier schon gesagt, auf nicht verkehrsbezogene Straftaten, darum geht es ja, ist tatsächlich seit Langem Gegenstand rechtspolitischer Diskussion, das ist nichts Neues. Die Diskussion hat deswegen Fahrt aufgenommen, weil der besagte Gesetzentwurf im Bundesrat diskutiert wird. Nach meinem Kenntnisstand hat der Bundesrat das Thema am 10. Februar 2017 beraten. Das Votum des Landes Berlin fiel positiv aus. Insofern müssen wir mal schauen, ob wir überhaupt noch einen Regelungsgehalt des Antrags haben.

Ich will trotzdem noch zwei Bemerkungen in die Runde werfen, die leider etwas zu kurz gekommen sind. Das eine hat Herr Krestel versäumt. Er hat leider versäumt, beide Seiten darzustellen. Das ist schade, denn der vorgelegte und im Bundesrat diskutierte Gesetzentwurf hat schon einen legitimen Zweck. Kollege Kohlmeier hat es gerade angesprochen: Wir haben die Situation, dass ein Fahrverbot einerseits in Kombination mit einer Geldstrafe eine an sich angezeigte Freiheitsstrafe ersetzen könnte. Andererseits könnte es in Kombination mit einer Freiheitsstrafe zumindest die Möglichkeit eröffnen, deren Vollstreckung zur Bewährung auszusetzen, also zu einer Haftvermeidung führen. Das ist ein rechtspolitisch nicht unwichtiges Argument. Haftvermeidung ist sinnvoll, weil die hohen Vollstreckungskosten gesenkt werden und es verhindert, dass die Verurteilten, was nicht selten pas

siert, ihren Arbeitsplatz, ihre Wohnung, ihre sozialen Bindungen verlieren. Das sind auch wieder hohe gesellschaftliche Folgekosten, insofern können Sie diesem Anliegen rechtspolitisch keine völlige Abstrusität vorwerfen, meine Herren von der FDP.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Auf der anderen Seite, das will ich aber auch sagen, sprechen Sie natürlich einen nicht ganz unwichtigen Punkt an. Es besteht zumindest die Gefahr, dass eine Ausweitung des Fahrverbots auf andere Straftatbestände zu einer problematischen, weil sachfremden Verurteilungspraxis führen könnte. Das ist schon so. Aber: Sollte dieser Gesetzentwurf vom Deutschen Bundestag beschlossen werden – das wissen wir nicht –, dann sollten wir darauf achten und rechtssoziologisch untersuchen, ob es tatsächlich zu dieser Entwicklung kommt. Denn Sie haben auch versäumt darauf hinzuweisen, dass Richterinnen und Richter eine Gesamtwürdigung des Sachverhaltes vornehmen. Und sie können von diesem Instrument, wenn es denn überhaupt kommen sollte, Gebrauch machen, sie müssen es nicht. Insofern haben Sie doch auch ein bisschen Vertrauen in die Richterschaft, dass sie dieses Instrument, falls es kommen sollte, sachgerecht anwendet.

[Zuruf von Holger Krestel (FDP)]

Im Übrigen werden wir diese beiden widerstreitenden Positionen im Rechtsausschuss noch mal miteinander besprechen, ich hoffe, ein bisschen sachlicher und nicht ganz so einseitig, wie das hier an der einen Stelle passierte. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die AfD-Fraktion hat Herr Bachmann das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im deutschen Justizwesen gibt es reale Probleme, und es gibt bloß eingebildete und konstruierte Probleme. Die realen Probleme der Strafjustiz bestehen u. a. darin, dass sie an vielen Stellen infolge zu wenig Personals überlastet ist. So kommt es oft zu überlangen Verfahren, die wiederum zu milde Strafen oder gar die Entlassung von Tatverdächtigen aus der U-Haft nach sich ziehen. Nicht selten ist die Staatsanwaltschaft gezwungen, sich auf sogenannte Deals einzulassen, um überhaupt zu einer Verurteilung zu gelangen.

[Canan Bayram (GRÜNE): Was hat denn das mit dem Antrag zu tun?]

Sicherlich kein vordringliches Problem – und damit komme ich zu dem vorliegenden Gesetzentwurf, Frau Bayram – ist, dass mit Freiheits- und Geldstrafe als

Hauptsanktionen kein hinreichendes Instrumentarium zur Verfügung stehe, um tat- und schuldangemessene Strafen im Bereich der unter- bis mittelschweren Kriminalität zu verhängen, und dass man deshalb die Verhängung eines Fahrverbots auch bei Straftaten ohne Verkehrsbezug benötigt.

Es wurde schon auf die Geldstrafe rekurriert, die manche sehr betuchte Täter nicht beeindrucken könne. Man muss dazu schon wissen, dass die Höhe der Tagessätze bis zu 30 000 Euro geht. Da muss man also schon sehr betucht sein, damit einen das nicht beeindruckt. Wenn man so betucht ist, kann man sich auch einen Chauffeur leisten. Dann trifft einen auch das Fahrverbot nicht.

[Beifall bei der AfD]

Der vorliegende Gesetzentwurf wirkt aber auch aus anderen Gründen seltsam aus der Zeit gefallen, denn ein Auto ist heute nicht mehr das zentrale Gut der privaten Lebensführung, das es einmal vor Jahrzehnten gewesen sein mag. Was dem einen das Auto ist, ist dem anderen heute sein Smartphone, wieder andere, beispielsweise in diesem Haus, würde ein Fahrverbot mit dem Fahrrad weitaus härter treffen als ein Fahrverbot mit dem Kfz.

[Heiterkeit und Beifall bei der AfD – Beifall von Holger Krestel (FDP)]

In Berlin gibt es ca. 1,2 Millionen Kfz, was schon zeigt, dass das Fahrverbot nur einen Ausschnitt der Bevölkerung betreffen würde. Auch innerhalb dieses Ausschnitts wären die Folgen eines Verbots sehr unterschiedlich. Während es für die einen nur eine geringe Unbequemlichkeit bedeuten würde, kann es andere, etwa die Inhaber kleiner Handwerksbetriebe oder mobiler Pflegedienste, in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedrohen. Gerade bei denen, die es existenziell treffen würde, wäre eine solche Strafe im Bereich der unteren bis mittelschweren Kriminalität völlig überzogen.

Das Fazit ist also: Dieser Gesetzentwurf beruht auf einer falschen Prämisse, weil keine praktische Notwendigkeit besteht, und es führt zu einer doppelten Ungleichbehandlung. Daher lehnen wir als AfD-Fraktion die vorlegte Einführung eines Sonderstrafrechts für Kfz-Nutzer ab und fordern den Senat auf, sich im Bundesrat ebenso zu verhalten. – Vielen Dank!

[Beifall bei der AfD]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Bayram das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn jetzt die Erwartung sein sollte, dass ich mit meinem Beitrag irgendwie noch neue Aspekte zu den

bereits vorgetragenen Gesichtspunkten ergänzen kann, dann muss ich Sie enttäuschen.

[Lachen bei der AfD]

Die Debatte ist tatsächlich eine weniger spannende, als hier teilweise bei den Wortbeiträgen der Eindruck entstanden ist. Es ist eben eine rechtspolitische Debatte, die jetzt durch diese Gesetzesänderung eine Entscheidung gefunden hat, die wir gut und richtig finden. Deswegen wurde sie vom Senator aus Berlin in diesem Punkt auch unterstützt. Ich glaube, dass es nicht sehr hilfreich ist, wenn wir die in vielen Aufsätzen und Fachgesprächen geführte Debatte hier noch mal nachspielen. Ich habe – ehrlich gesagt – auch bei einigen den Zweifel gehabt, dass sie so ganz verstanden haben, welche Feinheiten hier eigentlich diskutiert werden.

In Anbetracht der späten Stunde will ich nur noch mal deutlich machen: Es ist ein bestehendes Gesetz, in dem bisher ein Zusatz war, der jetzt gestrichen wird. Der Zusatz war eben, dass die Verhängung des Fahrverbots daran gebunden war, dass die Straftat, die zu der Strafe führt, mit einem Auto zu tun hat, um das mal allgemeinverständlich darzustellen. Diese Einschränkung wird jetzt gestrichen, und dadurch wird das aufgehoben. Damit kann dann das Gericht, der Richter, die Richterin entscheiden,

[Georg Pazderski (AfD): Wir sind doch hier nicht in der Klippschule! – Zuruf von Dr. Wolfgang Albers (LINKE)]

ob sie auch in anderen Fällen als den bisher erfolgten dieses Instrument nutzen will. Man kann dafür und dagegen anführen, was von den Kollegen hier angeführt wurde. Wir sind der Ansicht, dass die Richterinnen und Richter dieses weitere Instrument haben sollen, aber es ist weder ein Bruch mit den bestehenden Grundsätzen noch irgendwas – ich weiß jetzt gar nicht mehr, was für dramatische Worte hier benutzt wurden –, sondern es ist eine rein fachliche Debatte, die man so oder so sehen kann. Wir sehen sie eben so, dass das sehr gut möglich ist.

Wenn ich abschließend noch auf Ihre sehr interessante Überschrift antworten darf, dann kann ich sagen: Ja, Heiko Maas hat Maß gehalten. – Alle Fragen damit beantwortet! – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Vielen Dank! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es wird die Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Geschäftsordnung, Verbraucherschutz, Antidiskriminierung empfohlen. – Widerspruch höre ich hierzu nicht. Dann verfahren wir so.

(Hanno Bachmann)

Der Tagesordnungspunkt 15 steht auf der Konsensliste.

Bevor ich zum Tagesordnungspunkt 16 komme, darf ich darauf hinweisen, dass sich die Fraktionen gemäß § 56 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung darauf verständigt haben, alle offenen Tagesordnungspunkte noch zu behandeln, auch über 19 Uhr hinweg. Nach dem folgenden Tagesordnungspunkt soll jedoch keine Beratung mehr erfolgen. – Widerspruch hierzu höre ich nicht. Dann verfahren wir so.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 16:

Schnellstmögliche Erforschung des Berliner Skandals „Pädophile Pflegeväter“

Antrag der AfD-Fraktion Drucksache 18/0224

In der Beratung beginnt die AfD-Fraktion und hier Herr Weiß. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich beginne mit einem Zitat aus einem Artikel der „Berliner Zeitung“ vom Dezember 2016:

Ulrich ist 13 Jahre alt und aus einem Kinderheim weggelaufen. Er kann nicht lesen und schreiben, aber das stört die Männer nicht, die ihn treffen. Sie wollen Sex, keine komplizierten Gespräche. Er arbeitet als Strichjunge am Bahnhof Zoo. … Im Auftrag der Berliner Senatsjugendverwaltung wird Ulrich 1969 Teil eines Menschenexperiments. Er ist einer von mindestens drei Jungen, die damals gezielt bei vorbestraften Pädophilen in Pflege gegeben werden. Der Kindesmissbrauch findet von diesem Zeitpunkt an unter staatlicher Aufsicht statt und wird von einer Behörde bezahlt.

Was ich hier in der Hand halte, ist der 176 Seiten starke Abschlussbericht des Forschungsprojekts „Die Unterstützung pädosexueller bzw. päderastischer Interessen durch die Berliner Senatsverwaltung“ aus dem Jahre 2016.

[Katrin Möller (LINKE): Ja, mal lesen!]

Jetzt sollte man doch eigentlich meinen, dass auf 176 Seiten Ergebnisse präsentiert werden, die die zentralen und wichtigen Fragen nach den Opfern und Tätern beantworten würden, doch genau das ist leider nicht der Fall. Weiter ungeklärt ist, wie viele Kinder zu Opfern der Pädophilen gemacht wurden, wie alt diese Kinder waren, wann genau diese unsäglichen Experimente stattfanden und welche Behördenmitarbeiter die Finanzierung dieses kranken Projekts bewilligten.

Was die Forscher dafür herausfanden, war eine Verbindung zur Odenwald-Schule, in der Schüler in den Siebziger- und Achtzigerjahren regelmäßig missbraucht wur

den. Auch Berliner Problemkinder wurden – vom Jugendamt bezahlt – auf das Internat geschickt. Ob sie dort Opfer sexuellen Missbrauchs wurden, konnte bisher nicht ausgeschlossen werden. Aus diesem Grund fordern die Forscher auch hier, dass die Akten der damaligen Jugendverwaltung dringend aufgearbeitet werden müssen. Es ist schlimm genug, dass die Forschungsgruppe in den entscheidenden Fragen keine zufriedenstellenden Antworten liefern konnte. Die mögliche Ursache dafür ist allerdings hochinteressant. Im Gutachten heißt es, dass große Teile der infrage kommenden Bestände immer noch unerschlossen seien. 49 laufende Meter Akten konnten nicht begutachtet werden. Warum? – Weil das Landesarchiv die entsprechenden personellen Kapazitäten nicht hatte, um diese Menge an Akten für die Forschungsgruppe aufzuarbeiten. Warum standen diese nicht zur Verfügung? – Weil, wie die Senatsverwaltung erklärte, das Landesarchiv in den letzten Jahren von Personalreduzierungen betroffen war, infolge derer es zu Erschließungsrückständen kam. Was bedeutet: Die seit 2013 laufende Aufarbeitung des Pädophilen-Skandals in Berlin kam aufgrund von bewusst herbeigeführtem Personalmangel nicht voran.

Es braucht nicht viel Fantasie, um hier nicht mehr nur von Unachtsamkeit, sondern von absichtlicher Verschleierung und Behinderung der Aufklärungsarbeit auszugehen.

[Beifall bei der AfD – Torsten Schneider (SPD): Das ist aber ein bisschen spitz!]

Die AfD-Fraktion hat am 15. März einen Haushaltsänderungsantrag gestellt mit dem Ziel, das Landesarchiv um fünf Archivarstellen zu verstärken, um den Erschließungsrückstand endlich aufzuarbeiten. Dieser Antrag wurde von allen anderen Fraktionen abgelehnt. Die für die Aufarbeitung des Pädophilen-Skandals verantwortliche Regierungskoalition hielt es nicht einmal für notwendig, ihre Ablehnung entsprechend zu begründen.

[Torsten Schneider (SPD): Sie haben ja auch nicht begründet!]

Dabei sollte man doch eigentlich annehmen, dass gerade SPD und Grüne eine besondere Verpflichtung hätten, alles dafür zu tun, dass diese, wie von Frau Senatorin Scheeres übrigens richtig bezeichneten, Verbrechen restlos aufgeklärt werden. Oder muss ich die Damen und Herren Genossen daran erinnern, dass die Verbrechen während der Amtszeit von SPD-Senator Horst Korber begangen wurden? Und muss ich die Grünen daran erinnern, dass Ihre eigene Pädophilen-Schuldgeschichte Sie besonders in Verantwortung nimmt? Deshalb erstaunt es mich auch umso mehr, dass gerade Herr Wesener, der 2015 den Pädophilie-Bericht der Grünen mit vorgestellt hat, in seiner Funktion als Mitglied des Hauptausschusses ohne jegliche Wortmeldung die Ermöglichung der weiteren Aufklärung der Pädophilie-Vergangenheit mit verhinderte.