Protocol of the Session on March 9, 2017

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Da es sich um den Internationalen Frauentag handelt, möchte ich auch einen internationalen Ausblick machen. Nicht nur bei uns in Deutschland, auch international gibt es Anlass zur Sorge, dass Errungenes wieder rückgängig gemacht wird. Es gibt Anlass zur Sorge, wenn man gerade in die beiden Länder USA und die Türkei schaut. In beiden Ländern waren Frauenbewegungen schon sehr früh vorhanden. Frauenrechte wurden schon sehr früh eingefordert und durchgesetzt. Dort sehen wir eine Rückentwicklung. Wenn Wahlen mit Sexismus gewonnen werden, wie in den USA, und es in allerhöchsten Gesellschafts- und Politiksphären landet und, wie in der Türkei, ein Frauenbild entsteht, das eher zum osmanischen Reich passt, in einem Land, das bereits 1930 das Frauenwahlrecht eingeführt hat, gibt es Anlass zur Sorge. Wenn Erdoğan mit einem Spruch, dass Frauen und Männer nicht gleichgestellt werden können, weil es gegen die Natur ist, Wahlen gewinnen kann, habe ich Anlass zur Sorge auch hier aus Berlin heraus.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der AfD]

Wir haben auch in Deutschland Anlass zur Sorge, wenn ich aus einem Grundsatzprogramm zitiere, das in Deutschland zu lesen ist: „Abkehr von Idealen der berufstätigen Mütter“. Das hätte ich eher Erdoğan zugetraut als einem deutschen Grundsatzprogramm, will ich an dieser Stelle klar sagen. Es geht nicht nur darum zu schauen, was im Grundgesetz steht. Es geht darum, welche Rolle die Frau gesellschaftlich haben soll und wie die Realität aussieht.

Die Realität zeigt, dass wir schon längst von der Rolle der Frau mit Kind, Küche und Kirche weg sind. Das gehört in die Mottenkiste. Vielmehr ist die Realität der Frauen in Deutschland und Berlin, dass sie Kinder bekommen, sich um ihre Kinder kümmern, aber auch Karriere machen und Gleichstellung erleben möchten.

Die zweite Realität ist, dass sich auch die Väter dieser Republik verändert haben. Ja, auch Väter sind inzwischen so weit selbstbewusst und sagen: Ich will Karriere machen, aber ich will auch an der Erziehung meines Kindes beteiligt sein. – Das ist eine neue Generation von Vätern. Auch diese gesellschaftliche Realität müssen wir mitbeachten. Deswegen geht es bei der Rolle von Frauen eigentlich um die Rolle von Frauen und Männern, die sich partnerschaftlich

[Beifall von Holger Krestel (FDP)]

um die Erziehung der Kinder kümmern, aber partnerschaftlich auch beide arbeiten gehen. Das bedeutet eine höhere Erwerbsbeteiligung der Frauen. Deswegen bin ich dafür, dass wir aus Berlin heraus das Arbeitszeit- oder Familienzeitmodell unterstützen, bei dem es genau um diese Partnerschaftlichkeit geht. Das steht Berlin auch sehr gut an.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Berlin ist die Stadt der Frauen. Das ist unbenommen. Wir haben sehr viele aktive Frauen in unserer Stadt und 73 Prozent Erwerbsbeteiligung. Wir haben Kassiererinnen, wir haben Pflegekräfte. In allen Bereichen sind Frauen Leistungsträgerinnen und -träger. Wir haben viele Professorinnen und Unternehmerinnen. Wir haben Bloggerinnen in der Kreativwirtschaft. Wir haben im Handwerk viele Frauen und auch in der Digitalwirtschaft. Wir haben in Berlin aber auch eine neue Generation von Feministinnen, die zunächst einmal über „#aufschrei“ bekannt geworden sind. Es ist schön zu beobachten, dass auch eine neue Generation von Feministinnen auf die Straße geht, provoziert und für gleiche Rechte einsteht. Sie wollen keine Sonderbehandlung, sondern wollen einfach nur selbstbewusst gleichbehandelt werden. Ich setze auf diese neue Generation von Feministinnen.

Was macht Berlin noch aus? – Berlin macht noch aus, dass wir tatsächlich einen sehr hohen Anteil von Frauen in Führungspositionen haben. Frau Dr. Nikutta ist kein Einzelfall in Berlin. Auch an der Spitze der BSR und von Vivantes sowie vielen Landesbeteiligungen sind Frauen. Die Aufmerksamkeit bekommen wir bundesweit und inzwischen international für Frauen an der Spitze. Ich habe einmal zusammengerechnet, dass die drei größten Unternehmen, BSR, Vivantes und BVG zusammen über 30 000 Beschäftigte vertreten und einen Umsatz von 2,5 Milliarden Euro haben. Das sind nicht irgendwelche kleinen Buden, die von Frauen in Berlin geführt werden. Das sind ganz wichtige Unternehmen der Daseinsvorsorge. Die machen das hervorragend.

Frau Senatorin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wansner?

Nein! – Dass wir so viele Frauen in Führungspositionen in Berlin haben, ist nicht von allein gekommen.

[Karsten Woldeit (AfD): Sie haben das richtige Parteibuch!]

Gestern hat Frau Dr. Nikutta das bei der Preisverleihung auch noch einmal ganz klar benannt. Wenn man sich fragt, wie es dazu kommt, dass Berlin so viele Frauen in

(Senatorin Dilek Kolat)

Führungspositionen hat, sagen sie selbst, dass es an der Tradition des Landesgleichstellungsgesetzes liegt. Das Landesgleichstellungsgesetz sieht vor, dass solche Spitzenpositionen ausgeschrieben werden müssen. Parlamentarier der vorletzten Legislaturperiode können sich daran erinnern. Es wurden Spitzenpositionen ohne Ausschreibung besetzt. Das ist ungerecht, weil Frauen nie mitbekommen haben, dass diese Spitzenpositionen zu besetzen sind. Aufgrund des Landesgleichstellungsgesetzes ist Frau Nikutta überhaupt auf die Idee gekommen, sich zu bewerben. Also ist das ein Gesetz, das gut ist und gut wirkt, seit 1991. Ja, wir sind bundesweit vorbildlich mit dem Landesgleichstellungsgesetz. Das Gesetz wurde durch das Parlament 2010 novelliert. Die landeseigenen Beteiligungen wurden dort mit einbezogen. Auch bei der Umsetzung des Gesetzes – das Gesetz allein reicht nicht – helfen tagtäglich viele Hunderte Frauenvertreterinnen, Frauenbeauftragte und Gleichstellungsbeauftragte, dass es auch umgesetzt wird und sie Erfolg haben. An dieser Stelle möchte ich mich bei jedem Einzelnen bedanken, der bei der Entwicklung des Landesgleichstellungsgesetzes, bei der Novelle danach beteiligt war, aber auch heute bei den vielen Frauenbeauftragten, die bei der Umsetzung helfen, ganz herzlich bedanken.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Der Senat beachtet natürlich bei jeder Besetzung, dass das LGG eingehalten wird. Das ist eine dauerhafte Aufgabe im Senat. Wir sehen die Wirkung. In der Verwaltung haben wir bei den Referatsleiterinnen und -leitern 43 Prozent Frauen. Bei den Abteilungsleitungen beträgt der Frauenanteil 31 Prozent. Das ist ein sehr hoher Anteil. Bei den Landesbeteiligungen und Anstalten des öffentlichen Rechts, bei den Aufsichtsräten, beträgt der Frauenanteil 46 Prozent, bei Geschäftsführungen und Vorständen beträgt er 38 Prozent. Darauf kann Berlin wirklich stolz sein.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Aber Frauen in Führungspositionen reichen natürlich nicht aus. Wir wollen gerade auch andere Frauen unterstützen, zum Beispiel – das wurde heute auch erwähnt – die Alleinerziehenden. Berlin ist Hauptstadt der Alleinerziehenden. Über 32 Prozent der Familienformen sind EinElternteil-Formen. Diese Frauen, 90 Prozent Frauen, brauchen noch mehr Unterstützung durch uns. Berlin hat eine Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht, mit dem Erfolg, dass sich bei der Unterhaltsvorschusszahlung Verbesserungen ergeben. Wir haben uns durchgesetzt. Ab Juli wird sich für diese Frauen monetär einiges verbessern.

Vielmehr geht es darum, diese Frauen bei der Bewältigung des Alltags, in ihren Alltagssorgen zu unterstützen. Da geht es um Kitaplätze, um flexible Arbeitszeiten, wofür sich Senatorin Scheeres stark macht.

[Beifall von Christian Gräff (CDU)]

Da geht es aber auch um Netzwerke in den Bezirken, darum, dass alleinerziehende Frauen eine einzige Anlaufstelle haben, wo sie ganz individuell Hilfe bekommen können. In Marzahn-Hellersdorf haben wir modellhaft eine solche Anlaufstelle, ein solches Netzwerk. Das wollen wir in alle Bezirke ausdehnen. Das, aber auch unser Coachingprogramm, sind aus Sicht der Alleinerziehenden eine große Hilfestellung.

Das Thema Gewalt wurde heute im Parlament einige Male angesprochen. Das wird schnell in die Ecke der muslimischen Familien gestellt. Ja, in den muslimischen Familien gibt es auch Gewalt, keine Frage: Zwangsverheiratungen, Ehrenmorde. Berlin ist in dem Bereich sehr aktiv, um Frauen zu helfen, aus dieser Zwangssituation herauszukommen. Aber Gewalt an Frauen ist nicht nur eine Frage des Islams. In Berlin haben wir 14 500 polizeilich registrierte Gewalttaten. Das heißt, es ist ein gesellschaftliches Problem.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Es hat nichts mit der Herkunft zu tun, es hat auch nichts mit dem sozialen Status zu tun, es gibt auch Professoren, deutsche Professoren, die ihre eigene Frau schlagen. Hier bitte weg von der Stigmatisierung! Das ist ein gesellschaftliches Problem.

Wir haben in Berlin ein Hilfesystem, das sehr gut aufgestellt ist. Wir sind bundesweit auf Platz zwei. Aber Sie haben zu Recht angemerkt: Die Stadt wächst. Wir haben große Anforderungen. Wir werden das Hilfesystem in Berlin mit noch mehr Plätzen, mit noch mehr Zweistufenwohnungen ausbauen, aber auch gezielt für Frauen, geflüchtete Frauen, Frauen mit Behinderung und Suchtproblemen unser Angebot ausbauen.

Aber in dem Bereich, wo es um die BIG-Hotline, um Zufluchtswohnungen geht, um Frauenhäuser, Beratungsstellen, arbeiten hier tagtäglich sehr viele Frauen. Ich finde es richtig, dass sich diese rot-rot-grüne Koalition für eine tarifliche Bezahlung, für eine bessere Bezahlung dieser Frauen einsetzt. Auch ein herzliches Dankeschön an die vielen Frauen, die in diesem Antigewaltbereich tagtäglich vielen Frauen helfen, aus dieser Notsituation herauszukommen, und nicht nur daraus herauszukommen, sondern auch ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Vielen Dank an dieser Stelle!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Wir werden unser gleichstellungspolitisches Rahmenprogramm in Berlin weiterentwickeln. Da freue ich mich auf die Diskussion mit Ihnen und gemeinsam mit der Zivilgesellschaft. Ich bin aber auch zuversichtlich, dass wir in Berlin, in der Stadt der Frauen, das Thema Gleichstellung

(Senatorin Dilek Kolat)

noch weiter voranbringen werden, dass in Berlin Frauen noch mehr Chancen bekommen, sich weiterzuentwickeln und vor allem ein gewaltfreies und selbstbestimmtes Leben zu führen. Dafür hat sich die Koalition eine Menge vorgenommen. Ich freue mich auf diese Zusammenarbeit sehr. – Vielen herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Danke schön, Frau Senatorin! – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Die Aktuelle Stunde hat damit ihre Erledigung gefunden.

Zum Tagesordnungspunkt 34 wird die Überweisung an den Ausschuss für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung empfohlen. – Widerspruch höre ich nicht. Dann verfahren wir so.

Wir kommen nun zu

lfd. Nr. 2:

Fragestunde

gemäß § 51 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin

Nun können mündliche Anfragen an den Senat gerichtet werden. Die Fragen müssen ohne Begründung, kurz gefasst und von allgemeinem Interesse sein sowie eine kurze Beantwortung ermöglichen. Sie dürfen nicht in Unterfragen gegliedert sein. Ansonsten werden die Fragen zurückgewiesen. Zuerst erfolgen die Wortmeldungen in einer Runde nach Stärke der Fraktion mit je einer Fragestellung. Nach der Beantwortung steht mindestens eine Zusatzfrage dem anfragenden Mitglied zu. Eine weitere Zusatzfrage kann auch von einem anderen Mitglied des Hauses gestellt werden. Für die erste Frage rufe ich ein Mitglied der Fraktion der SPD auf und bitte, an das Rednerpult zu treten. Nachfragen werden von den Sitzplätzen aus gestellt. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Frau König das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage den Senat: Wie ordnet der Senat die aktuellen Entwicklungen bei der Vivantes-Tochter VSG und der Charité-Tochter CFM ein?

Herr Senator Kollatz-Ahnen, bitte schön!

Herr Präsident! Frau Abgeordnete! Ich gehe davon aus, dass sich die Frage auf die Tochterunternehmen der großen öffentlichen Kliniken in Berlin bezieht. Die CFM ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt so etwas wie eine Halbtochter der Charité. Wir haben auch bei Vivantes Tochterunternehmen. Bei Vivantes ist es gelungen, in den letzten Jahren einen nicht unwesentlichen Teil der Tochterunternehmen, die in einer gemischten Eignerschaft waren, in den vollständigen Besitz von Vivantes zu überführen. Das hat dort insbesondere den Reinigungsbetrieb betroffen.

Wie in den Richtlinien der Regierungspolitik steht, beabsichtigen wir, etwas Ähnliches für die CFM vorzunehmen. Das heißt, wir beabsichtigen in dieser Wahlperiode die Überführung der CFM in öffentlichen Besitz. Sie wäre dann eine hundertprozentige Tochter der Charité. Auch bezüglich dessen, was wir personell verabredet haben, ist es so, dass wir beabsichtigen, in all diesen Unternehmen tarifvertragliche Bindungen einzuführen. Damit das auch klar ist: Diese tarifvertraglichen Bindungen werden nicht in allen Punkten 100 Prozent TVöD sein können, es ist aber wichtig – und ich glaube, dass es insgesamt ein gutes Signal ist –, wenn diese Tarife durchaus in nennenswertem Umfang höher liegen als die Branchentarifverträge. – Danke!

Vielen Dank! – Frau Kollegin! Wünschen Sie eine Nachfrage zu stellen? – Nicht. Dann ist jetzt der Kollege Düsterhöft dran. – Bitte schön!

Vielen Dank! – Auch vielen Dank, Herr Senator! Es wäre schön, wenn Sie noch ein bisschen mehr zu den aktuellen Streiks sagen könnten. Es stellt sich schon die Frage, wie der Senat innerhalb der Aufsichtsräte bei der Charité und bei Vivantes agieren möchte, um im Sinn des Koalitionsvertrags, aber auch der Beschäftigten Druck auszuüben. Ich frage mich auch, ob es im Sinn des Senats ist, wenn es beispielsweise, wie im Krankenhaus Vivantes Friedrichshain passiert, Aussperrungen der streikenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt.

Herr Senator, bitte schön!

Herr Abgeordneter! Wie Sie richtig darstellen, agiert das Land dort aus einer Gesellschafterposition heraus. Das heißt, aus der Gesellschafterposition hat das Land Aufsichtsratssitze. Aber es ist so, dass die Tarifgespräche,

(Senatorin Dilek Kolat)

gerade für die Tochterunternehmen, von den dafür zuständigen Vorständen geführt werden. Dort, wo wir in bundesweiten Tarifverbünden sind, finden sie auf Ebene der bundesweiten Tarifverbünde statt. Das ist übrigens einer der Gründe, weshalb wir auch betreiben wollen, dass die Charité in einen bundesweiten Tarifverbund eintritt, damit dort auch etwas mehr Regeln am Arbeitsmarkt, wenn Sie so wollen, bestehen.