Protocol of the Session on October 1, 2020

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Herr Kollege Evers! Ich kann Sie beruhigen. Dieser Gesetzentwurf ist nicht gegen die Innenverwaltung und gegen den Senat erarbeitet worden, sondern mit ihr. Wir haben das gemeinsam entwickelt. Es war ein sehr konstruktiver Beitrag, der dort gekommen ist.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD – Beifall von Anne Helm (LINKE) – Stefan Evers (CDU): Deswegen sieht der Innensenator so begeistert aus!]

Außerdem geht es auch nicht darum, der Willkür, wie Sie sagen, des Senats Einhalt zu gebieten, sondern im Gegenteil darum, für alle verlässliche Rahmenbedingungen für direktdemokratische Entscheidungsprozesse zu schaffen. Wir haben die Erkenntnisse aus mehreren Jahren der Praxis gezogen und haben gemeinsam nachjustiert und nachgebessert. Ich glaube, das Ergebnis kann sich sehen lassen. Der Kollege Efler hat die wesentlichen Punkte genannt. Da wir nicht aus Verzweiflung, Herr Kollege, handeln, sondern aus Vernunft,

[Stefan Evers (CDU): Some say so, others say so!]

haben wir Ihnen das hier vorgelegt, dem sogar Sie zustimmen können wenn ich das richtig sehe, das haben Sie angedeutet. Darüber freuen wir uns.

[Stefan Evers (CDU): Das Gute bei Ihnen ist, dass man weiß, dass Sie selbst daran glauben!]

Wir stärken die Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger, indem wir kürzere Fristen einführen, indem wir schnellere Unterschriftenzählungen einräumen, feste Terminvorgaben, damit tatsächlich der Vorwurf, dass etwa aus politischen Gründen etwas nicht anberaumt wird, endgültig vom Tisch ist und wir klare Orientierung haben. Wir haben das Recht auf Nachbesserung hineingeschrieben, weil wir gesehen haben, dass es besser ist, es im Gesetz zu kodifizieren als eine Unsicherheit zu überlassen, ob etwas zulässig ist oder nicht. Wir haben jetzt die Möglichkeit für Initiatoren, wenn Mängel auftreten, sie auch im Wege der Nachbesserung zu beseitigen.

Wir erhöhen klar die Transparenz der Finanzierung von Initiatoren und Initiativen. Das ist uns sehr wichtig, um zu wissen – für alle, die nachher entscheiden –: Wer steckt hinter einer Initiative, und wie sind die Finanzströme dort gestaltet? Das ist klar geregelt – ebenso, wie wir auf der anderen Seite eine Kostenerstattungspflicht einführen. Das gebietet die Fairness des Verfahrens, dort wie bei anderen Verfahren auch eine Kostenerstattung

(Stefan Evers)

einzuräumen. Schließlich haben wir einzelne Regeln der Bezirksentscheidungen geschärft und dort auch die Rechte der Bezirke ein Stück weit gestärkt, sodass ich glaube – Kollege Efler hat es zu Recht angeführt –, dass wir eine runde Sache vorlegen können. Die große Zustimmung im Innenausschuss zeigt uns auch, dass wir richtiggelegen haben. Ich hoffe, dass sich diese hohe Zustimmung auch hier im Plenum bei der zweiten Lesung zeigen wird. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Jetzt hat das Wort Herr Abgeordneter Trefzer von der AfD-Fraktion. – Bitte schön, Herr Trefzer!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein Schritt in die richtige Richtung zu mehr Demokratie, darüber brauchen wir an dieser Stelle nicht zu streiten – aber er ist eben auch nicht mehr als das, liebe Kollegen von der Koalition. Der Entwurf kann nämlich nicht verhehlen, dass er den kleinsten gemeinsamen Nenner der Koalitionsfraktionen abbildet und nach jahrelanger Verschleppung alles andere als einen großen Wurf darstellt. In Zeiten wie diesen, in Zeiten, in denen Grundrechte eingeschränkt und wichtige Entscheidungen ohne Beteiligung der Parlamente auf dem Verordnungswege getroffen werden, reicht das aber nicht aus. Da wächst bei vielen Bürgern das Verlangen nach mehr, das Verlangen, Politik aktiver mitgestalten zu können, als das bisher der Fall war.

[Beifall bei der AfD]

Denn, liebe Kollegen, man muss kein Prophet sein, um zu sehen, dass Corona unser Land auch demokratiepolitisch verändern wird. Die Menschen werden nach dem Ende der Coronakrise wie aus einem Winterschlaf erwachen, und dann werden sie die Vorhänge aufziehen, die Fenster aufstoßen und nach mehr Demokratie verlangen, nach neuen Instrumenten direkter Demokratie, und sich nicht mit ein paar Brosamen abspeisen lassen.

[Beifall bei der AfD]

Deswegen kann der vorliegende Gesetzentwurf nur ein Anfang sein. Wir müssen den Bürgern in Zukunft Wege aufzeigen, wie sie auch unabhängig von allgemeinen Wahlen und unabhängig vom Engagement in den doch teilweise sehr behäbigen politischen Parteien stärker über die Belange ihres Gemeinwesens mitbestimmen können. Dazu kann man einfach einmal über den Tellerrand blicken zu unseren Nachbarn, das ist doch gar nicht so schwer: Warum soll das, was in der Schweiz oder in Österreich möglich ist, bei uns nicht funktionieren? Halten Sie die Berliner wirklich für politisch so viel unreifer

als die Bürger von Zürich, Genf oder Lugano? – Das kann doch nicht wahr sein.

[Beifall bei der AfD]

Wir müssen endlich auch in Deutschland und Berlin zu Formen der Bürgermitbestimmung kommen, wie sie in anderen europäischen Ländern schon längst gang und gäbe sind, und dabei denken wir nicht zuletzt an die Möglichkeit fakultativer Referenden. Es muss doch auch für die Bürger in Deutschland eine Möglichkeit geben, Entscheidungen der Parlamente, die sie für falsch halten, wieder korrigieren zu können. Was soll so verwerflich daran sein, dass schlechte Gesetze durch das Volk rückabgewickelt werden können?

[Beifall bei der AfD – Frank-Christian Hansel (AfD): Bravo!]

Genau deshalb brauchen wir fakultative Referenden. Ein erster kleiner Schritt dazu könnte für Berlin etwas Vergleichbares zu dem fakultativen Referendum in Hamburg sein, wo immerhin verhindert werden kann, dass erfolgreiche Volksentscheide anschließend wieder durch das Parlament ausgehebelt werden können. Auch konsultative Referenden sind unseres Erachtens ein sinnvolles Instrument.

Ziel muss es sein, in Zukunft die parlamentarische Demokratie noch effizienter und wirkungsvoller mit den Instrumenten der direkten Demokratie zu versöhnen. Daher kann das, was wir heute beschließen – also vor allem verbesserte Transparenz, verbindliche Fristen für die Zulässigkeitsüberprüfung und die Zusammenlegung der Abstimmungstermine mit allgemeinen Wahlen – nur ein erster Schritt sein. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

[Beifall bei der AfD]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nunmehr Frau Dr. Kahlefeld das Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Ich freue mich sehr über die gemeinsame Weiterentwicklung des Abstimmungsgesetzes. Damit stärken wir unsere Demokratie, denn Demokratie ist mehr, als alle vier bis sechs Jahre zur Wahl zu gehen.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN – Beifall von Dr. Turgut Altuḡ (GRÜNE)]

Ich sage das in dem schmerzlichen Bewusstsein, dass es anderenorts immer noch Menschen gibt, die im Kampf für dieses Recht, durch Wahlen die Politik ihres Landes bestimmen zu können, ihr Leben riskieren, dafür sterben oder ihre Heimat verlassen müssen.

(Frank Zimmermann)

[Beifall von Stefanie Remlinger (GRÜNE) und Carsten Schatz (LINKE)]

Wir haben dieses Recht, und wir können es ausüben. Wir haben als Koalition nun die demokratische Mitbestimmung über das Wählen hinaus gestärkt. Dabei geht es aber nicht darum, einfach zu behaupten, im Namen eines fiktiven Volkes zu sprechen, wie es die Vertreterinnen und Vertreter der Rechten regelmäßig tun – so zum Beispiel gestern im Ausschuss für Europafragen. Berlin ist seit 2019 Solidarity City, weil es dafür eine demokratische Mehrheit gibt wie in vielen anderen europäischen Städten auch. Die Berlinerinnen und Berliner sind bereit zur Aufnahme von Geflüchteten aus Moria. Die Abgeordneten der Koalition wurden für diese Haltung gewählt,

[Heiko Melzer (CDU): Was? Sagen Sie das Ihren Wählern bitte auch einmal!]

und darauf kann sich der Senat legitimerweise stützen. Darauf konnte sich Bürgermeister Müller stützen, als er 2015 den Berliner Beitritt zum Netzwerk bekannt gegeben hat.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Direkte Demokratie bedeutet Verfahren zur direkten Entscheidung und direkten politischen Forderungen, nicht die Behauptung, was die Leute angeblich wollen. Das Gerede von angeblichen, womöglich auch noch schweigenden Mehrheiten, die sich de facto nirgendwo abbilden, ist Populismus und zerstört unsere Demokratie.

[Beifall von Anne Helm (LINKE) – Karsten Woldeit (AfD): Ach so!]

Die Verfahren zu direkter Demokratie haben wir mit dem vorliegenden Gesetz verbessert, dazu haben die Kollegen schon einiges gesagt. Volksbegehren, Volksinitiativen und -entscheide sind durch Fristen künftig besser planbar und hinsichtlich der Finanzen auch transparenter für die Bürgerinnen und Bürger, die entscheiden können, ob sie unterschreiben wollen. Stehen hinter einer Initiative Bürgerinnen und Bürger oder ein Tross von ehemaligen Politikern, die mit ihren Sponsoren noch einmal Politik machen wollen? Formal ausschließen kann man Letzteres natürlich nicht – auch Investoren und Parteimitglieder sind Bürgerinnen und Bürger –,

[Marc Vallendar (AfD): Das ist ja freundlich!]

aber das muss transparent sein.

[Beifall von Frank Zimmermann (SPD)]

Wichtig finde ich auch die bessere Verschränkung von direkter Demokratie und parlamentarischer Diskussion. Im neuen § 17a ist die Behandlung des Antrages im Abgeordnetenhaus geregelt. Das stärkt das Verfahren, das schon beim Mobilitätsgesetz zu einem guten Ergebnis geführt hat: dass man nämlich nach der Zulässigkeitsprüfung versucht, zu einer Einigung zwischen Initiatorinnen, Initiatoren und Abgeordnetenhaus zu kommen. – Wenn ich das bei dieser Gelegenheit sagen darf: Wir finden, dass wir dringend das Gespräch mit den Initiatorinnen

und Initiatoren von „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ suchen sollten, um die nächsten vier Monate zu nutzen, um gemeinsam zu einer Vergesellschaftungsregelung zu kommen.

Meine Fraktion will weitere Schritte gehen: elektronische Abstimmungen, wenn sie ergänzend sind – denn digitale Verfahren sind immer auch exkludierend, das merken wir gerade alle: Wer keinen Computer und kein Netz hat, ist abgehängt –, Abstimmungsberechtigung auch für Berlinerinnen und Berliner ohne deutschen Pass usw. Wir werden uns für diese weiteren Schritte einsetzen. Die vorgelegte Novellierung ist aber schon einmal ein guter Schritt in die richtige Richtung, und weitere werden folgen, wenn es nach meiner Fraktion geht. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Fresdorf das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wissen Sie, was ich mir wirklich wünschen würde? Ich würde mir wünschen, dass in den Koalitionsfraktionen viel mehr Kneipengänger sind, und ich würde mir auch wünschen, dass da viel mehr Eltern von schulpflichtigen Kindern sitzen würden.

[Beifall bei der FDP und der CDU – Katalin Gennburg (LINKE): Das sagen die Richtigen!]

Ich würde mir auch wünschen, dass mehr Leute in Ihren Fraktionen sitzen würden, die ihr Auto brauchen, um zur Arbeit zu kommen – denn wenn der Leidensdruck groß genug ist, dann scheinen Sie ja doch Gesetze hinzubekommen.

[Beifall bei der FDP und der CDU – Zuruf von Tobias Schulze (LINKE)]

Sie müssen es einfach nur spüren, und genau bei diesem Thema haben Sie es gespürt, dass da etwas nicht funktioniert. Da hat Sie wieder mal einer Ihrer Koalitionspartner ein bisschen geärgert, und das haben Sie aus der Welt geschafft, indem Sie jetzt Fristen schaffen – was wir total begrüßen, bitte verstehen Sie mich nicht falsch –, aber das funktioniert eben nur, wenn bei Ihnen der Leidensdruck groß genug ist, dass Sie sich dann irgendwann mal zusammenraufen und ein sinnvolles Gesetz zustande bekommen.

[Steffen Zillich (LINKE): Kinder! Wir kennen das Problem schon und diskutieren das schon länger!]