Protocol of the Session on September 3, 2020

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Ich selber war in den letzten Tagen öfter in der Friedrichstraße, und ich habe mir das Geschehen dort sehr genau angeguckt. Wenn Sie sich die Straße dort angucken, sehen Sie, dass natürlich ein Flanieren ohne Autos viel besser möglich ist als eines mit Autos. Mich wundert, dass Sie mir nicht vor drei Wochen diese Frage gestellt haben, weil zu dem Zeitpunkt war es natürlich sehr viel schwieriger, erstens die Friedrichstraße zu queren und zweitens für die Fußgänger und Fußgängerinnen Platz zu finden. Insofern sehe ich augenblicklich ein gutes Miteinander von Radfahrern und Radfahrerinnen und Fußgängern und Fußgängerinnen, ein viel besseres Miteinander, als wir es in den letzten Jahren gesehen haben. Insofern ist es schon etwas seltsam, dass Ihnen nur jetzt dieses Miteinander auffällt, Sie aber zuvor nie darauf gekommen sind.

Die Rückmeldungen, die ich aus dem Stadtraum bekomme, sind fast ausschließlich positiv, und wenn es wirklich so sein sollte, dass es die Fußgänger und Fußgängerinnen nicht schaffen sollten, von der einen Straßenseite zur anderen zu kommen, weil der Radstrom so gigantisch ist,

[Oliver Friederici (CDU): So schnell!]

glauben Sie mir, dann werden wir einen Fußgängerüberweg anlegen.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Daniel Buchholz (SPD)]

Die zweite Nachfrage geht an Herrn Abgeordneten Daniel Buchholz. – Bitte, Sie haben das Wort!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Frau Senatorin! Angesichts des Pilotversuchs in der Friedrichstraße frage ich: Sind denn entweder temporär für den europaweit autofreien Tag am 22. September oder auch darüber hinaus in anderen Straßen oder Stadtteilen entsprechende Verkehrsberuhigungen vorgesehen?

Frau Senatorin, Sie haben das Wort!

Ja, wir sind mit allen Bezirken im Gespräch. Wir haben Spielstraßen vorgesehen. Das heißt, Straßen werden gesperrt, sie werden ausschließlich den Kindern zur Verfügung gestellt, sodass sie die Möglichkeit haben, den Straßenraum auch mal für sich selber zu erobern. Das ist

meines Erachtens in allen Bezirken mit einer Ausnahme mittlerweile in Planung, und ich sehe dem, ehrlich gesagt, mit Freude entgegen.

Vielen Dank! – Damit ist die Fragestunde für heute beendet.

Bevor ich den neuen Tagesordnungspunkt aufrufe: Die Fraktion der CDU hat heute Morgen den Ihnen als Tischvorlage vorliegenden dringlichen Antrag Drucksache 18/2974 – „Staatliche Neutralität wahren – grüne Ideologie verhindern“ – eingebracht. Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, diesen Antrag heute als Tagesordnungspunkt 44 A zu behandeln. Ich gehe davon aus, dass diesem Antrag die dringliche Behandlung zugebilligt wird. – Widerspruch dazu höre ich nicht. Dann ist unsere Tagesordnung entsprechend ergänzt.

Die Fraktion der CDU hat diesen Antrag statt des Tagesordnungspunktes 13, der Beschlussempfehlung des Hauptausschusses Drucksache 18/2752 zum Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 18/2669 – „Grundsteuer ohne zusätzliche Belastungen neu regeln“ –, zur Beratung angemeldet.

Wir kommen zu

lfd. Nr. 3:

Prioritäten

gemäß § 59 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin

Ich rufe auf

lfd. Nr. 3.1:

Priorität der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Tagesordnungspunkt 26

Beteiligung des Landes Berlin am europaweiten autofreien Tag – Einführung eines fahrscheinlosen Tages im öffentlichen Personennahverkehr

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Verkehr, Klimaschutz vom 11. Juni 2020 und dringliche Beschlussempfehlung des Hauptausschusses vom 26. August 2020 Drucksache 18/2951

zum Antrag der Fraktion der SPD, Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 18/2515

Der Dringlichkeit haben Sie bereits eingangs zugestimmt. In der Beratung beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Das Wort hat Herr Abgeordneter Moritz. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In meiner Rede im März zur Einbringung dieses Antrags bin ich ausführlich auf die Woche der Mobilität und den autofreien Tag eingegangen. Dies möchte ich also hier nicht wiederholen, sondern ich will vielmehr auf die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit dieser Woche für ein Umdenken und eine Veränderung bei der städtischen Mobilität eingehen. Über die gesundheitlichen Folgen des Autoverkehrs in Bezug auf Abgase und Lärm haben wir an dieser Stelle öfter gestritten. Ausführungen zum Einsatz des Autos als Waffe gehören nicht in diesen Kontext, aber ich will auf eine andere perfide Art der Autonutzung eingehen, die durchaus den städtischen Kontext sucht. Das sind die Profilierungsfahrten und die illegalen Autorennen. Diese Raser benutzen die Straße für ihren ungezügelten, unverantwortlichen automobilen Egotrip. Denen sind die anderen Verkehrsteilnehmer und Verkehrsteilnehmerinnen vollkommen egal. Sie nehmen in Kauf, dass andere verletzt oder gar getötet werden – Hauptsache, sie haben ihren Kick.

[Marc Vallendar (AfD): Ja, wegsperren!]

Zum Glück wird gegen diese Egoisten verstärkt vorgegangen, und inzwischen ist auch eine härtere Bestrafung möglich.

[Beifall bei den GRÜNEN und der SPD – Beifall von Udo Wolf (LINKE) – Sibylle Meister (FDP): Ist auch richtig so!]

Hier vorzubeugen, ist natürlich nicht leicht. Trotzdem müssen die Kontrollen verstärkt werden, und auf den bevorzugten Rennstrecken sollten zum Schutz Unbeteiligter weitere Maßnahmen angedacht werden. Glücklicherweise kommen solche Auswüchse nur selten vor. Trotzdem gehören Regelverstöße auch und gerade bei der Geschwindigkeit zur Tagesordnung. In diesem Zusammenhang ist mir auch die Debatte um die Bußgeldpanne bei Herrn Minister Scheuer völlig suspekt. Es ist doch ganz klar, dass der Bußgeldkatalog so bleiben muss und dort nur die Vollzugsdefizite geändert werden.

[Daniel Buchholz (SPD): Die hat er doch absichtlich einbauen lassen!]

Das kann man vermuten, aber ich würde hier nicht spekulieren.

Auch unabhängig von Gefährdungen und Regelverstößen dominiert das Auto die Straße. Es gibt wohl keine Straße im dichter bebauten Stadtgebiet, die nicht völlig von parkenden Autos gesäumt wird. Den Autobesitzern wird hier öffentlicher Raum zugestanden, der den NichtAutobesitzern nicht zugestanden wird. Das ist ungerecht. Deshalb sind auch Parkraumbewirtschaftung und Parkgebühren nicht unsozial. Der Platz, den der private Autoverkehr beansprucht, fehlt dem Umweltverbund und dem Wirtschaftsverkehr und schränkt die Aufenthaltsqualität

(Senatorin Regine Günther)

im öffentlichen Raum ein. Das wollen wir, das will diese Koalition ändern.

Ein Großteil der Berlinerinnen und Berliner stützt auch dieses Umsteuern. Ja, viele drängen darauf, dass wir schneller werden. Wir stärken den ÖPNV und den Radverkehr, das Zufußgehen, und dazu bauen wir die Infrastruktur aus, wir machen sie sicherer und schaffen mehr Kapazität. Ein anschauliches Beispiel zur Verbesserung der Aufenthalts- und Lebensqualität – zum Flanieren, Verweilen und Einkaufen – ist seit vergangenem Sonnabend in der Friedrichstraße erlebbar. Von diesen Orten braucht Berlin deutlich mehr. Diese Bereicherung der Lebensqualität durch eine veränderte, nachhaltige Verkehrspolitik in Berlin soll in den kommenden Jahren verstärkt in der Europäischen Mobilitätswoche dargestellt und beworben werden. Dazu wünschen wir uns vielfältige Aktionen in der ganzen Stadt, und der ÖPNV soll durch einen fahrscheinlosen Tag für alle erfahrbar sein. Es gibt Alternativen zum MIV. Ich freue mich, dass wir heute hier diesen Antrag beschließen. – Danke!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN – Beifall von Daniel Buchholz (SPD)]

Für die Fraktion der CDU hat das Wort der Abgeordnete Friederici. – Bitte!

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin! – Ich möchte mich auch noch mal ausdrücklich bedanken, weil es mir sehr unangenehm ist, dass Sie vom Sicherheits- und Ordnungsdienst das hier immer sauber machen und unsere Sachen, die wir hier hinterlassen, entfernen. Deshalb auch ein herzlicher Dank an die Mitarbeiter des Hauses, dass Sie das hier tun!

[Allgemeiner Beifall]

Ich sage das jetzt nicht, um von Ihnen allen Beifall zu bekommen. Das ist mir nur ein wichtiges Anliegen, denn ich räume zu Hause meinen Dreck auch immer selbst weg.

[Beifall von Katalin Gennburg (LINKE)]

Daher ist es mir sehr wichtig, den Mitarbeitern zu danken.

Kommen wir zum Antrag! – Lieber Herr Moritz! Sie sind leider nur in den letzten 30 Sekunden zu Ihrem Koalitionsantrag gekommen. Das war wieder einmal eine Steilvorlage für mich, um Ihnen jetzt zu Ihren ersten Ausführungen, mit denen Sie wirklich ganz scharf am Antrag vorbeigeredet haben, noch einiges mit auf den Weg zu geben.

[Daniel Buchholz (SPD): Sind Sie denn jetzt noch dafür? Sie stimmen ja immer wieder anders ab!]

Sie sagen, Sie geben den Radfahrern ihr Recht, auf den Straßen zu fahren. Das ist auch richtig so, sie sollen auch fahren, in der StVO ist das alles definiert. Nur gehen Sie immer von falschen Voraussetzungen aus, da in Berlin maximal 20 Prozent der Menschen mit dem Fahrrad fahren und 80 Prozent eben nicht. Sie können nicht nur für die 20 Prozent etwas machen – Sie müssen für alle Menschen etwas machen. Das ist ein Miteinander im Verkehr und kein Gegeneinander.

[Beifall bei der CDU und der AfD – Beifall von Stefan Förster (FDP) und Torsten Schneider (SPD)]

Das ist die probate Art, in Berlin Politik zu machen. Sie können nicht grundsätzlich gegen 80 Prozent der Menschen Politik machen.

Jetzt nenne ich Ihnen noch ein Totschlagargument: Warum fahren die Autos auf breiteren Wegen? Ganz einfach, die Autofahrer zahlen Kfz-Steuer, damit die Straßen repariert und saniert werden. Wollen Sie das etwa jetzt auch bei den Fahrradfahrern? – Dann sagen Sie es, Herr Moritz! Sagen Sie für die Grünen, dass Sie eine Fahrradsteuer haben wollen – am besten gleich mit Kennzeichen! Dann ist es rund, Herr Moritz. Dann können wir über eine gerechte Aufteilung der öffentlichen Straßen reden. Ansonsten machen Sie aber knallharte Fahrradpolitik für Ihre Wähler in der Innenstadt und nichts anderes.

Wenn Sie jetzt meine Ausführungen zum Antrag hören mögen,

[Daniel Buchholz (SPD): Endlich!]