Protocol of the Session on September 3, 2020

Ich rufe auf

lfd. Nr. 44 A:

Staatliche Neutralität wahren – grüne Ideologie verhindern

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 18/2974

Der Dringlichkeit hatten Sie bereits eingangs zugestimmt. In der Beratung beginnt die Fraktion der CDU. – Herr Abgeordneter Rissmann, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir müssen Sie, das Berliner Parlament, heute Abend noch in Anspruch nehmen, um eine Fehlentwicklung zu stoppen, die ihren Anfang gestern im Rechtsausschuss genommen hat. Ich will kurz darlegen, was gestern geschehen ist.

Es war eigentlich damit zu rechnen, dass wir uns gestern im Rechtsausschuss mit einigen Unverschämtheiten des Justizsenators beschäftigen müssen,

[Zuruf von Paul Fresdorf (FDP)]

die sich darauf bezogen haben, dass ein Spitzelsystem gegen unsere Justizvollzugsbeamtinnen und -beamten in den Strafanstalten implementiert wird oder dass ohne nachvollziehbare Begründung Staatsanwälte abberufen werden, weil sie ganz offensichtlich politisch nicht genehm sind. Aber das war dann doch gar nicht der Höhe

punkt der gestrigen Rechtsausschusssitzung, sondern die Bombe platzte wie folgt: Der Behrendt hat sich vom Abgeordneten Schlüsselburg eine Frage bestellt. Herr Schlüsselburg hat ganz brav gefragt:

[Heiterkeit bei Paul Fresdorf (FDP)]

Welche Schlussfolgerungen zieht der Senat eigentlich aus dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts zum Kopftuch in Bezug auf unser Berliner Neutralitätsgesetz? – Der Justizsenator hat dazu sinngemäß gesagt: Ja, ja, die Urteilsgründe lägen noch nicht vor, und der Senat habe dazu noch keine Position, er werde beraten. – Aber wenn wir gerade darüber reden, kann ich Ihnen mitteilen, dass ab sofort Rechtsreferendarinnen das islamische Kopftuch werden tragen können, wenn sie als Sitzungsvertreterinnen der Staatsanwaltschaft vor Gericht auftreten.

[Zuruf von Marianne Burkert-Eulitz (GRÜNE)]

Ich kann Ihnen sagen, dass es nicht nur bei mir so war, dass ich mich gefragt habe, ob ich gerade richtig gehört habe, sondern ich darf in aller Zurückhaltung auch sagen, dass ich bei meinen Kollegen der Sozialdemokratie, die mir gegenübersitzen, auch feststellte, dass das einigermaßen überraschend für sie gewesen sein dürfte.

[Paul Fresdorf (FDP): Das macht ja nichts besser!]

Nun könnte ich die paar Minuten, die ich hier habe, nutzen, um über den Zustand dieser Koalition zu reden, wo der größte Koalitionspartner vom kleinen Koalitionspartner im Rechtsausschuss gesagt bekommt, dass er eine zentrale Berliner Regelung einfach in seinem Geschäftsbereich außer Kraft setzt. Das tue ich aber nicht, weil das Thema dafür zu ernst ist.

Es ist so, dass ganz wesentliche Elemente des Staates nur an einer Stelle geregelt werden können, und das ist im Parlament. Und darum sage ich auch Ihnen von den Regierungskoalitionen: Wollen Sie es wirklich zur Schule werden lassen, dass Kernfragen unseres menschlichen, unseres gesellschaftlichen Miteinanders durch exekutive Arroganz eines Einzelnen faktisch geregelt wird?

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP – Paul Fresdorf (FDP): Nein!]

Das ist ein Akt exekutiver Arroganz und Überheblichkeit, wie ich ihn noch nicht erlebt habe. Das Parlament ist der einzige Ort, der wesentliche Fragen des Staates regeln kann. Und wir haben das geregelt. Es gilt in Berlin ein Neutralitätsgesetz. Wir haben heute in der Fragestunde von der Senatorin für Schule und so weiter, Frau Scheeres, hören dürfen, welche Relevanz dieses Neutralitätsgesetz für den Bereich der Schulen hat und warum sie und die Sozialdemokraten zu Recht dieses Gesetz verteidigen und das Urteil des Bundesarbeitsgerichts nicht gut finden.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD]

(Stefan Ziller)

Frau Scheeres hat eingehend dargestellt und belegt – und jeder, der mit offenen Augen durch diese Stadt läuft, weiß das auch –, dass das Kopftuch im Schulbetrieb das Konfliktpotenzial überhaupt ist, unsere Gesellschaft spaltet, Probleme schafft und unabsehbare Folgen mit sich bringt.

[Zuruf von Stefanie Remlinger (GRÜNE)]

Und nun stellen Sie sich vor, dass dieses Kopftuch Einzug hält in den Justizdienst. Dass wir nun mehr Richterinnen und Staatsanwältinnen bekommen werden, die als Amtsträger, als Verkörperung der staatlichen Macht im Sinne unserer Gewaltenteilung, mit diesem eben gerade nicht neutralen Symbol auftreten, obwohl der Kernbestand unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist, dass unser Staat neutral und unvoreingenommen seinen Bürgern gegenübertritt. Das ist inakzeptabel.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD]

Man kann auch die fortgehende grüne Trumpisierung, will ich das mal nennen, unserer Landespolitik nicht weiter geschehen lassen.

[Paul Fresdorf (FDP): So sad!]

Das ist ein Senator für Fake-News. Er verbreitet überall, das Bundesverfassungsgericht würde das so sehen. Das hat mich kurz verunsichert, weil ich ja als staatsgläubiger Mensch davon ausgehe, dass ein Senator für Justiz die Wahrheit sagt. Das Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 14. Januar 2020, stellt schon im Leitsatz fest: Das Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen ist verfassungsgemäß.

[Sebastian Walter (GRÜNE): Lesen Sie weiter! – Zuruf von Marianne Burkert-Eulitz (GRÜNE)]

Wir haben eine Regelung, die voll und ganz verfassungsgemäß ist, und wir werden diese Regelung verteidigen.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Mein Appell, meine Bitte richtet sich insbesondere an die Sozialdemokraten in unserem Haus, dass sie sich zum einen nicht bieten lassen – genauso wenig wie die Opposition sich das bieten lassen darf und eigentlich auch nicht die Kolleginnen und Kollegen der Grünen und der Linken, wenn sie ihren Parlamentsauftrag ernst nehmen würden –, dass eine Debatte nicht geführt wird, dass ein Gesetz nicht beachtet wird, und dass ein Einzelner meint, Fakten schaffen zu können.

Der zweite Punkt ist: Wir müssen heute die freiheitlichdemokratische Grundordnung, zu der eben die Neutralität unseres Staates gehört, verteidigen.

[Paul Fresdorf (FDP): Und zwar hier und jetzt! – Zuruf der AfD: Gegen den Senator!]

Denn es gilt Folgendes – ich zitiere –:

Inakzeptable Haltung von Dirk Behrendt. Ob das Neutralitätsgesetz dem Grundgesetz entspricht, kann nur das Bundesverfassungsgericht entschei

den. Der eigene Senator stellt sich gegen den Sinn des geltenden Rechts. Er ist der falsche Mann an der Spitze der Berliner Justiz.

Zitat Ende. – Derjenige, der das auf Twitter kürzlich geschrieben hat, ist der hochgeschätzte Kollege Dr. Fritz Felgentreu, zehn Jahre rechtspolitischer Sprecher der SPD in diesem Haus, heute Bundestagsabgeordneter. Und ich kann das nicht besser sagen. Er hat damit recht: Stoppen Sie mit ihm und mit uns diesen Irrsinn. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP]

Für die SPD-Fraktion hat nun Herr Kollege Kohlmeier das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Tatsächlich war es so, dass ich im gestrigen Rechtsausschuss überrascht war über die Mitteilung des Justizsenators in der Aktuellen Viertelstunde. Ich war dahingehend überrascht, weil die Linksfraktion zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts nachgefragt hat und wir – ohne jetzt zu viel sagen zu wollen – vorverabredet hatten, dass der Senat mit einer Stimme spricht.

Nach dem, was mir bekannt war, wie der Senat mit einer Stimme spricht, war es so, dass der Senat publiziert und bekannt gemacht hat, dass man die Auswertung des Bundesarbeitsgerichtsurteils abwartet, und dann wird die Senatorin Scheeres einen Vorschlag im Senat machen, wie man mit diesem Urteil umgeht. Abgemacht war offenbar nicht, dass dabei Alleingänge seitens der Justizverwaltung gemacht werden.

[Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD]

Die SPD-Fraktion – und das ist keine Überraschung in diesem Haus – steht zu diesem Neutralitätsgesetz, die SPD-Fraktion steht zur Neutralität, zur religiösen Neutralität bei den Schulen, bei der Justiz und bei der Polizei.

[Beifall bei der SPD, der CDU, der AfD und der FDP]

Klar ist auch – und das wissen auch alle Juristen, das weiß auch der Senator für Justiz –, dass das Berliner Neutralitätsgesetz gerade nicht für verfassungswidrig erklärt wurde. Es gibt eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, die sagt, das Gesetz ist verfassungskonform auszulegen, und zwar in Hinblick auf den Schulfrieden. Es gibt ein WPD-Gutachten von 2015, das hier im Haus bekannt ist, das Änderungen vorschlägt, und es gibt das Bundesverfassungsgerichtsurteil von 2015, das ein pauschales Verbot für verfassungswidrig erklärt, wenn es die Lehrkräfte entsprechend betrifft.

(Sven Rissmann)

Wir haben – und das ist auch bekannt – in dieser Koalition hier unterschiedliche Auffassungen zum Neutralitätsgesetz, und auch deshalb steht nichts dazu im Koalitionsvertrag. – Nur, Herr Senator Behrendt, man gewinnt eine solche politische Auseinandersetzung nicht, indem man Alleingänge macht und eine eigene Agenda verfolgt.

[Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD – Zuruf der AfD: Auf Wiedersehen!]

Man gewinnt eine solche Diskussion auch nicht, Herr Senator, wenn heute im Laufe des Tages der Senatspressesprecher der Justizverwaltung versucht, irgendwelche Nebelkerzen zu werfen, die mich hier heute den ganzen Tag beschäftigt haben – und zwar, wenn hier behauptet wird, dass die Schulverwaltung gerade einen ebensolchen Beschluss gefasst hätte, nach dem Rechtsreferendarinnen in der Ausbildung tätig sein können. Das ist falsch, das ist schlichtweg falsch.

[Sven Rissmann (CDU): Gelogen!]