Für die gemeinsame Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu 10 Minuten zur Verfügung. In der Runde der Fraktionen beginnt die Fraktion Die Linke. – Frau Abgeordnete Helm, bitte schön, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident! – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Berlinerinnen und Berliner! In der Nacht auf den vergangenen Freitag wurde die jüdische Kiezkneipe „Morgen wird besser“ in Lichtenberg verwüstet und niedergebrannt. Die Täter hinterließen antisemitische Schmierereien und Erkennungszeichen des rechtsterroristischen Blood-and-Honour-Netzwerkes. Der Wirt und der Kiez leben schon seit Jahren mit alltäglichen Drohungen und Angriffen von örtlichen Neonazistrukturen. Auch in Neukölln leben die Menschen seit Jahren mit Naziangriffen ohne Ermittlungserfolge, geschweige denn Verurteilungen der Täter. Diese Anschlagsserie in Neukölln begann anders, als es manchmal heißt, nicht erst 2016. Es ging spätestens 2011 los, als das Jugendzentrum Anton-Schmaus-Haus niedergebrannt wurde, als die Briefkästen von mir und anderen Neuköllner Bezirksverordneten gesprengt wurden, als Steine durch die Kinderzimmerscheiben einer Anwohnerin flogen, weil sie keine Propaganda der NPD in ihrem Briefkasten haben wollte.
Es ging weiter mit Brandanschlägen auf Autos von Menschen, die Dialoge zwischen Geflüchteten und der Nachbarschaft organisierten, auf eine kleine Kiezgalerie oder auf eine Buchhandlung, die Lesungen gegen die AfD anbot. Seit 2016 nimmt diese Anschlagsserie massiv an Fahrt auf mit weiteren Brandanschlägen, mit Einbrüchen, Diebstählen von Stolpersteinen. Das Denkmal an den bis heute unaufgeklärten Mord an Burak Bektaş wurde kurz nach seiner Eröffnung mit Säure geschändet. Seit Anfang letzten Jahres gab es in Neukölln 137 rechte Straftaten.
Aber was hat das mit dem NSU und Lehren daraus zu tun? – Etliche Jahre vor der Selbstenttarnung des nationalsozialistischen Untergrundes wussten die Betroffenen der Bomben- und Mordanschläge, dass sie Ziel rassistisch motivierten Terrors waren. Aber weil es keine Bekennerschreiben gab, wurde ihnen nicht geglaubt. Sie wurden gar verdächtigt und die Ermordeten selbst kriminalisiert. Zusätzlich zu Angst und Trauer mussten die Hinterbliebenen Demütigungen und Schikanen ertragen. Die Unterstützerstrukturen der Terrorzelle waren bis tief in die Behörden verstrickt und wurden nie aufgedeckt. Die Aufklärung wurde blockiert und gedeckelt, die Beweise geschreddert oder auf Jahrzehnte verschlossen. Das hat ein Trauma in der postmigrantischen Gesellschaft hinterlassen und das Vertrauen in die Ermittlungsbehörden tief erschüttert.
Seitdem muss es zu unser aller politischen Selbstverpflichtung gehören, rechtsterroristische Netzwerke aufzudecken und zu zerschlagen.
Es sollte unsere Selbstverpflichtung sein, den Betroffenen zuzuhören und jeden Verdacht auf behördliche Blockade von Aufklärung oder gar Unterstützung solcher Netzwerke auszuräumen, um verlorengegangenes Vertrauen wiedergewinnen zu können. Haben wir diese Lehren gezogen? Seit Anfang Juli werden vermehrt übelste Morddrohungen an Frauen verschickt, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren. Unterzeichnet werden sie mit NSU 2.0. Das Beunruhigendste daran ist, sie enthalten sensible persönliche Daten wie etwa gesperrte Meldeadressen. Diese Daten stammen offenbar zumindest in Teilen von Polizeicomputern. Es gab entsprechende unberechtigte Datenabfragen über die Betroffenen, und sie wurden nicht darüber informiert. An wen wendet man sich, wenn man weiß, dass diejenigen, die einen schützen sollen, Komplizen sein könnten? Wem soll man vertrauen? Einige der Betroffenen sagen heute, dass sie mittlerweile Angst haben vor der Polizei.
In Berlin wurden in den vergangenen Jahren an Häusern etlicher Menschen rechtsradikale Morddrohungen mit Nennungen des vollständigen Namens gesprüht. Die Täter und wie sie an die Privatadressen kamen wurden nicht ermittelt. Die Berliner Datenschutzbeauftragte beklagt in diesem Zusammenhang, dass die Polizei nicht bereit ist, polizeiliche Datenabfragen der Betroffenen aufzuklären. Gerade vor dem Hintergrund der Vorgänge in Hessen zeichnet das ein ganz verheerendes Bild. Zudem steht derzeit ein Polizist der ehemaligen Ermittlungsgruppe Rex, die mit der rechten Anschlagsserie in Neukölln befasst war, wegen eines brutalen rassistischen Angriffs vor Gericht. Er war unter anderem für die Betreuung der Betroffenen zuständig. Sie müssen sich unweigerlich gefragt haben: Was habe ich ihm anvertraut? Was wusste er über mich? Wem vertraue ich jetzt noch?
Letzte Woche standen zwei Menschen vor Gericht, weil sie sich selbst schützen und ihre Nachbarschaft vor den lokalen Nazistrukturen in Neukölln warnen wollten und entsprechende Plakate als Warnung aufgehängt haben. Wegen einer angeblichen Urheberrechtsverletzung mussten sie Hausdurchsuchungen über sich ergehen lassen. Und nicht einmal die Nazis selbst hatten sich dadurch geschädigt gesehen. Die Staatsanwaltschaft selbst war es, die proaktiv auf die Nazis zugegangen ist, um sie dazu zu bewegen, Anzeige zu erstatten. Selbstverständlich wurden die beiden freigesprochen. Aber das ist doch vor dem Hintergrund besonders beunruhigend, dass sich die Hauptverdächtigen der Anschlagsserie laut einem Abhörprotokoll damit brüsten, dass der Abteilungsleiter eben jener ermittelnden Staatsanwaltschaft auf ihrer Seite wäre. – Ich bin der Überzeugung, dass solche offenen Fragen dringend ausgeräumt werden müssen.
Aber ehrlicherweise mag ich mir auf der anderen Seite auch überhaupt nicht vorstellen, wie es sich für Beamte anfühlen muss, wenn sie versuchen, Menschen zu schützen, und merken, dass die, die sie schützen wollen, ihnen nicht vollends vertrauen oder sogar Angst vor ihnen haben. Das muss fürchterlich frustrierend sein. Und auch diesen Beamtinnen und Beamten sind wir eine lückenlose Aufklärung schuldig.
Deshalb begrüße ich die Pläne des Innen- und des Justizsenators, eine externe Ermittlungskommission einzusetzen, sehr. Das ist ein sehr notwendiger Schritt. Jetzt wird es darauf ankommen, wie diese Kommission zusammengesetzt wird. Wir brauchen kriminologische, wissenschaftliche Expertise und einen geschulten Blick auf rechte Strukturen, und wir brauchen auch eine bürgerrechtliche Perspektive.
Und es kommt darauf an, dass auch die entscheidenden Fragen gestellt werden. Gab es unberechtigte Datenabfragen über die Opfer von Polizeicomputern aus? Wurden sonstige Ermittlungen gegen die Opfer oder Betroffene angestellt? Wurden V-Personen eingesetzt und dadurch Strukturen unterstützt?
Ich möchte mich an dieser Stelle sehr herzlich für die unermüdliche Arbeit antifaschistischer Recherchegruppen bedanken, ohne die wir vieles von dem, was ich hier berichtet habe, bis heute nicht wüssten und nicht wüssten, welche Fragen hier auf dem Tisch liegen. Und ich möchte mich bei den Opferberatungsstellen bedanken, die den Betroffenen immer zur Seite stehen und sie immer wieder stützen. Herzlichen Dank für eure Arbeit!
Aber liebe Kolleginnen und Kollegen, ich appelliere auch an Sie. Mehr als 25 000 Menschen haben uns dazu aufgefordert, parlamentarisch für Aufklärung zu sorgen. Lassen Sie uns diesen Auftrag annehmen und einen Untersuchungsausschuss einrichten, gerne auch auf Grundlage der Ergebnisse der Ermittlungskommission! Nehmen wir diesen Auftrag an!
Wir wissen, dass das Problem und die Gefahr bundesweit immer größere Ausmaße annehmen: der Anschlag in München 2016 mit neun Toten, der Anschlag auf die Synagoge und den Dönerimbiss in Halle, der Mord an Walter Lübcke und zuletzt, vor einem halben Jahr, der Anschlag auf Shisha-Bars in Halle. Nazis bewaffnen sich, lassen sich an der Waffe ausbilden. Sie schaffen Munition zur Seite, begehen Anschläge, bereiten sich auf einen Bürgerkrieg und auf einen Umsturz vor. Sie vernetzen sich bis hinein in die Bundeswehr, Sicherheitsbehörden und in die Parlamente.
Die Gefahr mag nicht für alle von uns gleichermaßen real sein. Wenn Sie nicht in Synagogen oder Shisha-Bars verkehren, wenn sie keine Feministin oder keine Migrantin, kein Migrant sind, spüren Sie diese Gefahr vielleicht so real nicht. Aber, es ist auch eine reale Gefahr für die demokratische Verfasstheit unserer Gesellschaft. Deshalb treten wir gemeinsam offensiv dieser Gefahr entgegen. – Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich gleich zu Beginn meiner Rede festhalten: Jede Form von Extremismus ist entschieden abzulehnen und politisch zu bekämpfen.
[Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP – Zurufe von Torsten Schneider (SPD) und Hakan Taş (LINKE)]
Rechtsextremismus, Linksextremismus, islamistischer Extremismus, Antisemitismus und auch jede andere Form des Extremismus bedroht die Grundfesten unseres Landes. Es widerspricht allem, wofür unser freiheitliches Land steht. Gerade Berlin als weltoffene Metropole im Herzen Europas sollte hier entschieden und couragiert vorgehen und keine falsch verstandene Toleranz walten lassen, meine Damen und Herren!
Ganz persönlich, als Sohn von Alfred Dregger, habe ich die Auswirkungen von Linksterrorismus und die damit verbundenen Ängste am eigenen Leib in meiner Kindheit erfahren. Die Rote Armee Fraktion setzte die alte Bundesrepublik Deutschland in Angst und Schrecken. Mein Vater stand damals auf einer Todesliste, und es erfüllt mich mit Wut und Trauer, dass es auch heute wieder Todeslisten geben soll.
Die Gefahr kommt diesmal von Rechtsextremisten, die zu Rechtsterroristen geworden sind, wenn wir uns die Taten in Kassel, Halle und Hanau vergegenwärtigen. Und ich versichere Ihnen, dass ich auch aufgrund meiner familiären Erfahrung mit allen fühle, die zum Ziel rechtsextremistischer Angriffe geworden sind, auch in Neukölln.
Unser starker Rechtsstaat muss hier mit der gesamten Kraft seiner Institutionen und mit allen rechtstaatlich zulässigen Mitteln reagieren. Dazu müssen Verfassungsschutz, Polizei und Justiz gestärkt werden mit ausreichenden personellen und materiellen Ressourcen und mit den erforderlichen gesetzlichen Befugnissen, die gerade hier in Berlin noch immer fehlen.
Dafür bedarf es aber vor allem auch des Vertrauens in unsere Polizei, in unserem Verfassungsschutz und in unsere unabhängige Justiz, meine Damen und Herren!
Dieses Vertrauen wird aber von Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren der rot rot-grünen Linkskoalition inzwischen sogar durch einen gesetzlich festgeschriebenen Pauschalverdacht erschüttert. Sie entziehen unserem demokratischen Rechtsstaat damit die Grundlage seiner Durchsetzungsfähigkeit und stärken zugleich Verbrechen und Unsicherheit. Das ist unverantwortlich, meine Damen und Herren.
[Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP – Zuruf von der SPD – Zuruf von Stefanie Remlinger (GRÜNE)]
Es wirkt grotesk, dass dieser Senat und seine Koalition mit dem sogenannten Landesantidiskriminierungsgesetz und mit dem vorgeblichen Vorgehen in der Rigaer Straße gerade nicht einen Beitrag dafür leistet, in dieser gesellschaftlich emotional aufgeladenen Zeit unseren Sicherheitsbehörden den Rücken zu stärken, im Gegenteil: Statt ihnen Vertrauen zu gewähren, legen Sie den Sicherheitsbehörden immer wieder neue Steine in den Weg. Ideologie dominiert den Verstand. Sachpolitik wird durch Populismus abgelöst und führt zu einer einseitigen Sicht der Dinge. Nur Politik mit Maß und Mitte kann hier die drängenden Probleme lösen, meine Damen und Herren!
Der Rechtsstaat kommt auch immer dann ins Wanken, wenn unliebsame Meinungen nicht mehr toleriert werden, wenn unterschiedliche Sichtweisen und Bewertungen nicht transparent und für die Öffentlichkeit nachvollziehbar diskutiert werden. Wir als CDU-Fraktion möchten daher sehr genau wissen, warum die beiden Staatsanwälte umgesetzt wurden.
Herr Kollege Dregger! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schneider zulassen.
denn es geht hier um Gefahren für die Menschen unserer Stadt und für den Bestand unserer demokratischen Grundordnung. Darüber sollte man nicht witzeln!