Protocol of the Session on February 16, 2017

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gräff?

Nein! Ich lasse jetzt keine Zwischenfrage zu. – Sie sprechen Arbeitsplätze an. Wer baut gegenwärtig Arbeitsplätze im Energiesektor ab? Das ist doch nicht das Stadtwerk. Das gefährdet doch keine Arbeitsplätze. Das sind die großen Energieversorgungsunternehmen, weil Sie eine falsche Geschäftsstrategie gehabt und die Energiewende verschlafen haben, weil Sie nicht genug aktiv sind, weil Sie an ihre fossilen Großkraftwerke gebunden sind und dieses Geschäftsmodell viel zu lange aufrechterhalten haben. Deshalb müssen sich heute Beschäftigte bei

(Jörg Stroedter)

Vattenfall und anderen um ihre Arbeitsplätze sorgen. Das ist die Realität. Das wollen wir ändern, indem wir zukunftsfähige Arbeitsplätze schaffen.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Iris Spranger (SPD): Ja!]

Wenn Sie sagen, dass das Stadtwerk Arbeitsplätze im Handwerk gefährdet, sage ich, dass das grober Unsinn ist. Das Stadtwerk wird das Gros seiner Aufträge, was die Berliner Stadtwerke gegenwärtig schon tun, an Berliner Handwerksbetriebe, an Berliner Dienstleister vergeben. Das heißt Wertschöpfung in der Stadt, und der Aufbau von Arbeitsplätzen wird damit vorangetrieben. Das ist auch ein Ziel, das wir mit diesem Stadtwerk verfolgen.

Wenn Sie davon sprechen, dass wir hier einen Subventionsladen aufmachen, frage ich Sie, wie Sie darauf kommen. Wie kommen Sie darauf? Wir machen nichts anderes als das, was ein normaler Investor tun würde. Wir versehen unser Unternehmen mit Eigenkapital. Dann kommt die Antwort: „Ja, Sie wollen Schulden aufnehmen. Das ist ein Schattenhaushalt.“ Herr SchultzeBerndt! Haben Sie schon einmal überlegt, ob es ein Schattenhaushalt ist, wenn die Berliner Stadtreinigung mit einem bestimmten Anteil an Eigenkapital arbeitet und für den Rest ihres betriebsnotwendigen Kapitals Kredite aufnimmt? Haben Sie schon einmal überlegt, ob es ein Schattenhaushalt ist, wenn unsere Wohnungsbaugesellschaften Kredite aufnehmen, um Wohnungen zu bauen? Das ist doch normales unternehmerisches Handeln. Aus welcher betriebswirtschaftlichen Klippschule kommen Sie denn?

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Sebastian Czaja (FDP): Aus der Berliner Schule! Die von der SPD!]

Selbst die immer von Ihrer Seite und der von der FDP sowie von Ihrem Finanzminister so viel zitierte schwäbische Hausfrau baut ihr Häusle auch nicht mit ihrem Spargroschen aus der Sparbüchse, sondern hat einen Bausparvertrag und nimmt darauf einen Kredit auf. Selbst die schwäbische Hausfrau agiert so.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Wenn Sie jetzt mit diesem betrügerischen Geschäftsmodell von Flexstrom und anderen kommen, die explizit betrügerische Geschäftsmodelle waren, sage ich, dass wir das nicht zulassen werden. Das gibt es nicht im Land Berlin. Wir führen gute Unternehmen. Wir haben kontrollierte Unternehmen.

[Marcel Luthe (FDP): So wie die Bankgesellschaft!]

Ein solches Geschäftsmodell wäre nicht zulässig. Das ist doch Schwarzmalerei. Es ist der Versuch, den Leuten Sand in die Augen zu streuen.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Wir wollen ein handlungsfähiges Stadtwerk, das ökologisch produziert, das endlich vorangeht bei dem, was wir gemeinsam mit Ihnen von der CDU in der Enquete-Kommission verabredet haben. Wir wollen die erneuerbaren Energien aufbauen, um Berlin in die Lage zu versetzen, bis spätestens 2050 klimaneutral zu sein. Ein wesentliches Thema dafür ist der Ausbau dezentraler erneuerbarer Energien, insbesondere der Bereich der Photovoltaik. Da sind die Stadtwerke jetzt vorangegangen, trotz aller Begrenzungen, mit den Mieterstrommodellen. Wir schaffen jetzt die Grundlage dafür, dass das in größerem Maß stattfinden kann.

[Christian Gräff (CDU): Das hätten Sie schon vor Jahren tun können!]

Die Vorgabe aus der Machbarkeitsstudie aus der letzten Legislaturperiode ist, dass etwa 25 Prozent der Dachflächen bzw. der Fassaden mit Photovoltaik belegt werden müssen. Da haben wir eine ganze Menge zu tun. Das Stadtwerk hat eine wesentliche Aufgabe. Ich sage noch einmal: Die großen Energieversorgungsunternehmen sind in der Vergangenheit daran gescheitert und haben das Thema nicht vorangebracht.

Wir haben mit dem Stadtwerk den großen Vorteil, dass es eben nicht mit den Altlasten belastet ist wie die anderen, die ihre großen Investitionen in alten, fossilen Kraftwerken gebunden haben. Wir haben hier ein flexibles Instrument, das in der Lage ist, hier auch flexibel zu agieren, dezentrale Energieversorgung voranzutreiben, Energiedienstleistung anzubieten und damit auch die Energiewende voranzutreiben.

Wir schaffen auch die Voraussetzungen dafür, dass dieses Stadtwerk bei der Modernisierung des öffentlichen Sektors, bei der energetischen Modernisierung des öffentlichen Sektors eine wichtige und zentrale Rolle spielen kann, indem die wir die Intracting Modelle ermöglichen und auch die Möglichkeit einer Inhousevergabe schaffen.

Herr Schultze-Berndt! Wenn Sie laufend über Technologieoffenheit reden: Selbstverständlich sind wir technologieoffen und soll dieses Stadtwerk auch technologieoffen sein. Es soll auch Innovationen voranbringen. Es gibt auch die Möglichkeit, innovativ auszuschreiben und eine Innovation zu verlangen und damit von Anbietern zu sagen: „Bietet uns als Stadtwerk neue Technologien an.“ Warum soll das bei diesem Stadtwerk nicht möglich sein?

Die Bremser von Innovationen in der Vergangenheit waren die großen Energieversorgungsunternehmen. Wir haben hier einen Newcomer, der in der Lage ist, wirklich Innovationen im Energiesektor voranzubringen und einen wesentlichen Beitrag zur Energiewende zu leisten.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Ich will Ihnen noch einen letzten Punkt sagen: Machen Sie sich klar, dass wir als Berlin gegenwärtig drei Milliarden pro Jahr für den Import fossiler Energien ausgeben! Auch dazu kann das Stadtwerk einen Beitrag leisten, nicht als alleiniger Akteur, aber mit einem wichtigen Beitrag durch den Aufbau erneuerbarer Energien. Dass wir nicht mehr fossile Energien importieren müssen und damit Wertschöpfung aus der Stadt herausgeht, sondern dass wir Wertschöpfung hier in der Stadt haben, das schafft Arbeitsplätze, das ist ökologisch vernünftig, das ist sozial vernünftig. Dafür treten wir ein.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Schmidt das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Koalition bringt heute die erste Aufgabenerweiterung des Stadtwerks ein. Wir wissen, dass da noch ganz große weitere Dinge geplant sind, aber heute haben wir erst mal die erste Sache auf dem Tisch.

Gerade nach der Anhörung im Ausschuss sagen wir Freien Demokraten ganz klar: Wir sehen bei dieser Stadtwerksidee keinen Nutzen, wir sehen bei dieser Stadtwerksidee erhebliche Risiken für das Land Berlin, und wir halten deshalb die 100 Millionen Euro zum Aufbau eines Geschäfts, das andere jetzt auch schon machen, für rausgeschmissenes Geld.

[Beifall bei der FDP und der AfD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Der Nutzen des Stadtwerks ist ausgesprochen fraglich. Es soll jetzt erst mal zwei Dinge tun, nämlich Stromhandel mit Ökostrom betreiben und Energiedienstleistungen erbringen. – Ja, Herr Taschner, es geht genau um diese Dinge; denn so steht es in Ihrem Gesetzentwurf! – Für den Strombezug gibt es derzeit über 160 Anbieter, darunter auch eine ganze Menge mit reinem Ökostrom und hohen Ansprüchen an ökologische Zertifizierung. Der einzige Unterschied – den ja auch der Geschäftsführer des Stadtwerks in der Abendschau herausgehoben hat – ist, dass man Berliner Strom an Berliner verkaufen will. Das klingt für mich so ein bisschen wie die kleinkarierte lokale Variante von Donald Trumps Protektionismus: Make Berlin great again! – My goodness!

[Beifall bei der FDP – Oh! von der SPD und den GRÜNEN]

Dass man vielleicht auch für regionales Gemüse mehr bezahlt – ich habe den Gemüsevergleich von Herrn Schultze-Berndt amüsiert zur Kenntnis genommen –, das macht ja noch ökologisch Sinn, aber dass ernsthaft Hunderttausende Berliner nur deshalb mehr zahlen wollen,

weil der Strom aus der Region kommt, das glaube ich wahrlich nicht. Sie wetten gegen diese These mit 100 Millionen Euro. Den Einsatz finde ich zu hoch.

Übrigens zum Bezahlen: Natürlich ist der Grundtarif des Basisversorgers teuer, aber selbst der Grundversorger hat Tarife, die wettbewerbsfähig sind. Das als kleiner Verbrauchertipp!

Und zu den Zahlen von den Wasserbetrieben: Die Preissenkung wurde vom Kartellamt erzwungen, das war keine politische Leistung der Regierung. Auch darauf muss man noch mal hinweisen, bevor hier irgendwelche Mythen gepflegt werden.

[Beifall bei der FDP – Steffen Zillich (LINKE): Wer hat denn das Kartellamt angerufen?]

Da Sie den Strom auch noch wegen der extrem starken Schwankungen der erneuerbaren Erzeugung in der Region teilweise von außen zukaufen müssen, wird da ein durchgehendes Angebot gar nicht gewährleistet sein ohne externen Zukauf.

[Zuruf von Torsten Schneider (SPD)]

Auch das macht diesen regionalen Claim wenig glaubwürdig.

Und um dieses Experiment zu starten, um diese Hypothese zu testen, geben Sie jetzt erst mal 100 Millionen Euro aus. Diese sind ausschließlich dazu gedacht, ein nicht existierendes Geschäft aufzubauen, mühsam zu versuchen, dafür Kunden zu finden. Dann ist noch keine Kilowattstunde verkauft, dann ist noch kein Cent verdient.

Dann gibt es noch das Aufgabenspektrum Energiedienstleistungen. Bei den Energiedienstleistungen gibt es eine ganze Menge Akteure, die einen guten Job machen, unter anderem die Berliner Energieagentur, die tatsächlich Mieterstrommodelle, Blockheizkraftwerke erfolgreich und vorbildhaft umsetzt. Auch hier gibt es keinen offenkundigen Bedarf für ein Stadtwerk als weiteren Akteur.

Und Sie haben den Anspruch, einen zentralen Akteur der Energiewende mit dem Stadtwerk zu schaffen. Angesichts der Tatsache, dass das Stadtwerk immer ziemlich klein bleiben wird, klingt das leicht größenwahnsinnig. Es gibt aber noch etwas Weiteres: Moderne, innovative Projekte, fortschrittliche Ideen zur Beförderung der Energiewende entstehen eben nicht durch politisch gesteuerte Staatsunternehmen, die entstehen durch freien, vielfältigen Wettbewerb im Markt, durch die Vielfalt der Akteure in dieser Stadt, nicht durch staatliche Steuerung,

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Lachen von Torsten Schneider (SPD)]

Wie auch bei anderen Themen immer ganz erstaunlich, wie wenig Rot-Rot-Grün der dezentralen Selbstorgani

(Harald Wolf)

sation der Bürgerinnen und Bürger zutraut! Schade, denn darin steckt eine gewaltige Kraft in dieser Stadt.

In der genannten Wettbewerbssituation machen Sie nun mit dem Stadtwerk – auch das wurde schon gesagt – vielen kleinen, innovativen Anbietern Konkurrenz. Ingenieurbüros, Energieberater, innovative Architekten, digitale Start-ups drohen, verdrängt zu werden durch einen staatlichen Akteur, der tiefe Taschen hat, weil er beliebig auf staatliche Finanzmittel zurückgreifen kann.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Frank Scheermesser (AfD) – Zuruf von Daniel Buchholz (SPD)]

Und weil der Kollege Stroedter ja auch im Ausschuss schon sagte, dass das so eine tolle Mittelstandspolitik sei, weil man ja den Kleinen etwas abgebe, sage ich Ihnen das noch mal ganz konkret: Sie wollen ein Staatsunternehmen schaffen, das erst den dezentralen Akteuren Konkurrenz macht und ihnen dann gnädig ein paar Brotkrumen zufallen lässt. Das ist keine Mittelstandspolitik, das ist ein Affront gegen den Mittelstand. Und genau das ist der Unterschied zu uns Freien Demokraten: Wir wollen den kleinen Anbietern Perspektiven eröffnen und sie nicht fernsteuern und kleinhalten.

[Beifall bei der FDP]

Auch im Gesamtzusammenhang der Energiewende ist die Idee nicht plausibel. Es gibt nun mal keine Energiewende nur für Berlin. Die Energiewende ist noch nicht mal im deutschen, sondern nur im europäischen Verbund zu lösen. Die Größenordnung der Herausforderung, die wir derzeit allein auf der Stromseite durch die gigantischen Schwankungen der erneuerbaren Einspeisungen haben, die dramatischen Engpässe bei Transport- und Speichersystemen sind eine ungeheure Aufgabe. Wesentliche technische Fragen sind nicht gelöst. Wie man in der Transformation der Energiesysteme Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit sichern will, steht weiterhin in den Sternen.

Natürlich kann Berlin jetzt Einiges dazu beitragen, die Situation zu verbessern, aber durch Innovation und Forschung, durch Voranbringen der Digitalisierung, durch Vorstöße, um den komplett vermurksten energiepolitischen Rahmen zu verbessern, durch Erleichterung auch bei den Rahmenbedingungen, die der Landesgesetzgeber anfassen kann: Photovoltaik auf Gebäuden, Nutzung von Erdwärme. Dazu können wir in diesem Hause etwas tun, aber doch bitte nicht, indem Sie jetzt den 170. Stromanbieter etablieren und den bisherigen Energiedienstleistern noch zusätzliche Konkurrenz machen!