Protocol of the Session on February 16, 2017

Wir stehen als Law-and-Order-Partei natürlich zu unseren Behörden und hoffen, dass das Landesamt für Verfassungsschutz seine Aufgaben effektiv im Sinne der Berliner bewerkstelligen kann, und deswegen stimmen wir dem Antrag zu, aber die Bedenken, die ich genannt habe, müssen wir immer im Hinterkopf haben. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der AfD]

Das Wort für die Linksfraktion hat der Kollege Schrader.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt keinen Grund für eine ultimative Lobhudelei auf den Verfassungsschutz und für Stolz, so wie es in dem CDUAntrag steht, schon gar nicht, im Gegenteil. Die Geheimdienste des Bundes und der Länder befinden sich in der größten Krise seit Bestehen der Bundesrepublik. Die Enthüllungen von Edward Snowden haben ein unfassbares Ausmaß an Überwachung der Nachrichtendienste weltweit offenbart. Die Terrorserie des NSU haben die Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern trotz unzähliger V-Leute nicht nur nicht aufgedeckt, sondern sie behindern nach wie vor die Aufklärung dieser schrecklichen Morde durch Parlamente und Gerichte.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den Grünen]

Auch beim jüngsten Attentat auf dem Breitscheidplatz muss sich der Verfassungsschutz schon die Frage stellen lassen: Warum konnte dieser Terrorakt nicht verhindert werden? – Wir sind ja noch dabei, diese Vorgänge aufzuarbeiten. Da finde ich es ein bisschen überraschend, dass Sie von der CDU schon alle Antworten haben, denn Sie wollen ja hier mit Ihrer Entschließung ein Loblied auf den Verfassungsschutz singen, fast schon eine märchenhafte Verklärung ohne jegliches kritisches Wort. Da frage ich mich: Haben Sie gar keine Fragen mehr? Stellen Sie sich nicht die Frage: Wozu haben wir diese Einrichtung, und erfüllt sie die Erwartungen, die wir an sie haben? – Das verstehe ich nicht.

Ich kann jedenfalls für meine Fraktion sagen: Wir haben den Anspruch, die Sache weiter aufzuklären. Dabei beleuchten wir natürlich auch kritisch den Verfassungsschutz.

[Holger Krestel (FDP): Wo ist der Untersuchungsausschuss?]

Gründe, das zu tun, gibt es ja bei der Geschichte des Berliner Verfassungsschutzes genug. Ich nenne nur mal

kurz die Schredderaktion nach dem Auffliegen des NSU, die jahrelange rechtswidrige Bespitzelung des Berliner Sozialforums oder – das liegt schon ein bisschen länger zurück, die Älteren oder die, die sich damit beschäftigt haben, werden sich erinnern – den sogenannten Schmücker-Prozess, an dessen Ende das Landgericht Berlin eine Verstrickung des Verfassungsschutzes in einen Mordfall festgestellt hat.

[Holger Krestel (FDP): Das war in den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts!]

Der Prozess dauerte sehr lange, bis Ende der Achtziger.

Es ist kein Geheimnis: Wir Linke halten den Verfassungsschutz für eine nicht demokratisch kontrollierbare Institution, die mehr Schaden anrichtet als Sicherheit bringt.

[Beifall bei der LINKEN]

Daran halten wir auch in der Regierung fest. Aber solange es ihn gibt, und es gibt ihn noch, sind auch wir daran interessiert, dass er so gut und so rechtsstaatlich wie möglich arbeitet, und Schritte in genau diese Richtung sieht der Koalitionsvertrag vor. Darin steht etwas von Verhältnismäßigkeit, besserer Kontrolle und einer Einschränkung des V-Leuteeinsatzes. Das sind Dinge, die verhindern sollen, dass solche Skandale wieder passieren. Das sind Dinge, die die Arbeit des Verfassungsschutzes besser machen und nicht schlechter.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Sie von der CDU können Ihre heilige Kuh gern weiter anbeten, Herr Lenz, aber lieber ohne uns; wir machen Politik. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Krestel das Wort. – Bitte schön!

[Canan Bayram (GRÜNE): Bitte keine heiligen Kühe anbeten!]

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Schrader! Stolz nicht, aber ich erwarte ein gewisses Maß an Solidarität und Grundvertrauen in eine demokratisch legitimierte Behörde in diesem Land. Was Sie hier gerade zum Schluss aufzählten, den Schmücker-Prozess: Da waren wir in den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts. – Ich weiß nicht, ob Sie damals schon geboren waren. Ich war Schüler oder Student, als das passiert ist. Wir sollten hier keine Vergangenheitsbewältigung betreiben. Diese Gesellschaft sieht sich vielfältigen Bedro

(Ronald Gläser)

hungen ausgesetzt. Das ist der rechte, aber auch der linke Extremismus, und das ist nicht zuletzt der sich virulent ausbreitende islamistische Extremismus, der ständig wächst und der – zu unser hoffentlich aller Bedauern – in dieser Stadt eine blutige Ernte gehalten hat, die sich nicht wiederholen darf.

[Beifall bei der FDP]

Selbstverständlich ist es leicht, eine Behörde wie den Verfassungsschutz an bestimmten Einzelbeispielen zu diskreditieren, nur ich kann Ihnen versichern: Das Berliner Sozialforum wurde nicht überwacht, weil die so sozial sind, sondern weil die Akteure dort eine bestimmte Verhaltensweise an den Tag legten, die die Überwachung unter Umständen für die Zukunft höchst relevant gemacht hätte.

[Udo Wolf (LINKE): Das ist falsch!]

Dass Sie das falsch finden, Herr Kollege, ist Ihr gutes Recht. Mein Recht ist es, dies hier zu sagen.

[Beifall bei der FDP – Udo Wolf (LINKE): Das ist sachlich falsch! Ich habe die Akten gelesen!]

Selbstverständlich dürfen Unschuldige nicht überwacht werden.

[Udo Wolf (LINKE): Das ist aber dort passiert!]

Wir Liberale sind gegen die kammartige Überwachung einer ganzen Gesellschaft, die Massenspeicherung von Daten. Sobald jedoch bestimmte Indizien vorliegen, ist es nötig, mögliche Sachverhalte zu klären, weil wir hier keinen Terror wollen, weil wir hier keine Unterwanderung demokratischer Institutionen wollen.

Ich gehe gern noch mal auf die falsche Bemerkung mit dem „falsch“, Herr Wolf, ein: Selbst wenn die Überwachung falsch gewesen wäre, wissen Sie das erst hinterher. Die Behörde Verfassungsschutz ist von ihrem beruflichen Auftrag her gezwungen, mit einer gewissen Unschärfe zu arbeiten. Wenn sie dann feststellen, dass da nichts ist, dann müssen sie die Überwachung beenden, bloß sie können nicht vorher sagen: Da ist nichts –, wenn es hinterher knallt. Deswegen wurde diese Behörde mit einem ganz bestimmten Auftrag geschaffen. Die FDP steht zu dieser Behörde. Die FDP steht zu der demokratischen Institution, die Verfassung und die Grundlage des Zusammenlebens in diesem Land zu schützen. Wir werden deshalb diesem Entschließungsantrag zustimmen. – Danke!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Lux das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Abgeordnetenhaus kann sich zu einer starken Verfassung bekennen, aber sollte auch hinterfragen, ob die Sicherheitsbehörden heute noch ihre Legitimation haben. Das können wir auch ganz abstrakt machen, lieber Kollege Krestel. Sie wissen ja: Der Verfassungsschutz wurde in einer Zeit gegründet, als er an Bestrebungen – so heißt es im Verfassungsschutzgesetz – angeknüpft hat, die extremistisch sind und deshalb die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährden. Das waren im zeithistorischen Sinn Bestrebungen, bei denen man die Vorstellung von einem Massenumsturz hatte: Die Werkbänke werden organisiert, und die Bundesrepublik West wird übernommen von irgendwelchen fremden Kräften; Spionageabwehr etc. – Wir hatten im föderalen Wust drin, dass jedes Land mit dem Verfassungsschutz seines gemacht hat. Im Sinne einer effektiven Gefahrenabwehr ist die Frage, ob man dafür den Verfassungsschutz braucht, durchaus legitim. Ich meinerseits halte sehr viel davon, wenn wir sagen, wir wollen effektiv Sicherheit organisieren, und die Frage, ob man dafür den Verfassungsschutz mittelfristig noch braucht, ist durchaus gestellt.

Ich muss sagen, ich bin ein bisschen überrascht, dass heute die Rede mit den meisten latenten Unwahrheiten von der CDU kam. – Herr Kollege Lenz! Sie haben Seite 6, Zeile 152 des Koalitionsvertrags nicht gelesen und auch nicht zitiert, wo wir ausführlich Stellung zum sozialen Frieden und zur Sicherheit in dieser Stadt nehmen, also an sehr prominenter Stelle. Dort steht auch, dass wir den Wunsch nach öffentlicher Sicherheit ernst nehmen und in mehr Sicherheit investieren werden. Deshalb werden wir die Polizei und die Justiz stärken und spürbar besser ausstatten. Das wird sich die Koalition vornehmen, und wir werden zu mehr kommen als zu Ihrer Regierungszeit.

Ehrlich gesagt, wenn man Ihren Antrag liest, fühlt man sich an die religionspolitischen Debatten erinnert oder ich als ehemaliger Messdiener an die Osternacht, in der das Taufbekenntnis erneuert wurde: Bekennst du dich zum Verfassungsschutz? Schwörst du jeglichem Extremismus ab? –, und Sie halten in Ihrem Duktus an einer Behörde fest, die unter Druck steht, die auch reformbereit ist und die natürlich mit anderen Sicherheitsbehörden besser zusammenarbeiten muss.

Die Spitze Ihres verleumderischen Auftritts war, dass Sie völlig ignoriert haben, wer denn eigentlich sehr prominent Anfang Januar die Abschaffung der Verfassungsschutzämter bzw. der Abteilung für Verfassungsschutz gefordert hat: Innenminister Thomas de Maizière, CDU. – Er war es, der gesagt hat: Die Landesämter für Verfassungsschutz gehören abgeschafft. – Darum haben Sie sich in Ihrem Antrag, in Ihrer Rede, herumgedrückt. Das war

(Holger Krestel)

ein Maß an Feigheit, Herr Kollege Lenz, das hätte ich nicht erwartet.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Wenn Sie sich trauen, Herr Lenz, dann kommen Sie doch noch mal her. Das ist der erste Antrag auf Annahme einer Entschließung, der eine konkrete Behörde in den Blick fasst, und auch da muss man Maß und Mitte bewahren. Ich kann Sie hier fragen: Bekennen Sie sich zu einem starken Landeskriminalamt, einer Abteilung für polizeilichen Staatsschutz? – Kein Wort steht hier drin. Bekennen Sie sich zu einer starken Justiz und Justizvollzugsanstalten, in denen Resozialisierung läuft, weswegen die Gesellschaft sicherer wird? Bekennen Sie sich zu einer starken Wohnraumversorgung, zu einer Armutsbekämpfung, die den sozialen Frieden in dieser Stadt bewahrt? Wo sind denn Ihre Bekenntnisse zu den anderen Behörden, wo tagtäglich Tausende von Leuten einen sehr guten Job machen, obwohl sie von Leuten wie Ihnen kritisiert werden?

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Wo ist denn Ihr Bekenntnis, Kollege Lenz?

[Zuruf von der CDU: Jeden Tag!]

Nichts dergleichen! Wenn Sie einen Ansatz von Fairness haben, dann teilen Sie gegen den Bundesinnenminister noch einmal so aus, wie Sie hier gegen Linke, Grüne und Teile der SPD ausgeteilt haben. Das hätte wenigstens Anstand. Ansonsten bleibt Ihr Antrag nichts anderes als der Hexenhammer in heutiger CDU-Form bezogen auf den Verfassungsschutz – ältlich und ärmlich. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der LINKEN]

Vielen Dank! – Für eine Zwischenbemerkung hat der Kollege Lenz das Wort.

[Steffen Zillich (LINKE): Jetzt kommen wir zu der Seitenzahl! – Canan Bayram (GRÜNE): Bitte keine weiteren Bibelzitate!]

Das ist jetzt alles relativ harter Tobak. Ich habe mir mal aufgeschrieben, was hier an meine Person gerichtet wurde: Ich sei verleumderisch gewesen. Ich sei feige gewesen. Ich hätte keinen Anstand. Ich sei gesunken. Das alles, weil ich ein Bekenntnis zum Verfassungsschutz einfordere. Dann hat der Kollege Lux eben noch gesagt, das sei absurd, dann müsste ich mich auch zu allen möglichen anderen Dingen bekennen.

Herr Lux! Das ist wirklich unter Ihrem Level!