Protocol of the Session on May 14, 2020

[Zuruf von Christian Buchholz (AfD)]

Ich glaube, die Betreffenden sehen das selber so; die Bundeskanzlerin hat meines Wissens ihrerseits von der Coronakrise als „demokratische Zumutung“ gesprochen.

Nun gibt es bekanntlich Menschen, die hinter alldem eine große Verschwörung wittern – Bill Gates, George Soros, die Illuminaten oder eben die Bundesregierung und der rot-rot-grüne Senat, die das Coronavirus nur erfunden haben, um unter dem Vorwand einer Pandemie eine Diktatur mit Angela Merkel als Kaiserin von Europa zu errichten oder so ähnlich. Diese Menschen irren, oder sie wollen irren. Das Grundgesetz und die Länderverfassungen sind in Kraft, Gleiches gilt für die Bundes- und Landesgesetze oder eben einzelne Rechtsverordnungen. Diese Gesetze sind sogar die Grundlagen der gegenwärtigen Infektionsschutzmaßnahmen und Kontaktbeschränkungen – auch wenn die meisten Bundesbürgerinnen und -bürger vor einigen Wochen wohl zum allerersten Mal von der Existenz eines Infektionsschutzgesetzes im Bund gehört haben.

Wenn sich punktuell zeigt, dass politische Entscheidungen in diesem Zusammenhang nicht durch das Grundgesetz oder andere Gesetze gedeckt sind, dann gibt es unabhängige Gerichte und eine Judikative als dritte Gewalt, die genau das korrigiert – wie in dem einen oder anderen Fall auch in den letzten Wochen geschehen.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Richtig!]

Vor diesem Hintergrund ist es umso ärgerlicher, wenn wir heute im Parlament darüber reden und als Fraktionen daran erinnern müssen, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte: nämlich dass der Berliner Senat Rechtsverordnungen zwar beschließen kann, diese aber dem Abgeordnetenhaus vorlegen muss.

Denn nein, das ist keine formale oder politische Lappalie, sondern schlicht und ergreifend Verfassungslage und berührt elementare parlamentarische Rechte. Das zeigt

(Marc Vallendar)

sich in diesem Fall auch ganz konkret. Denn was passiert eigentlich, wenn der Senat seine Covid-19-Eindämmungsverordnung, deren Auswirkungen auf das tägliche Leben der Einzelnen und der Stadtgesellschaft insgesamt gar nicht weitreichender und drastischer sein könnten, dem Abgeordnetenhaus immer erst dann vorlegt, wenn ihre jeweilige Gültigkeit bereits abgelaufen beziehungsweise schon eine neue Rechtsverordnung in Kraft getreten ist? – Dann werden die parlamentarischen Verfassungs- und Kontrollrechte mitten in der Coronakrise quasi per Poststempel ausgeknockt. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist doch der feuchte Traum von jedem Corona-Verschwörungstheoretiker.

Es ist deshalb nicht nur eine Frage des Respekts der Exekutive gegenüber der Legislative und der Verfassung, dass der Senat seinen Verpflichtungen nachkommt, sondern es ist auch eine Frage des Vertrauens einer Gesellschaft in die Politik und ihre Vertreterinnen insgesamt, gerade in einer Krise wie dieser. Deswegen zitiere ich mit Blick auf die Bänke links und rechts von diesem Pult zum ersten und wahrscheinlich letzten Mal in meinem Leben den Kollegen Kurt Wansner:

[Allgemeine Heiterkeit]

„Bessern Sie sich!“

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD der CDU und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Für die Fraktion der FDP hat das Wort der Abgeordnete Herr Fresdorf. – Bitte schön!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich erinnere einmal an unsere Plenarsitzung vor zwei Wochen. Diese startete mit etwas Verzögerung; wir haben im Vorfeld eine Ältestenratssitzung abhalten müssen, weil wir uns über den Umgang mit den Rechtsverordnungen verständigen wollten. In dieser Sitzung, Herr Regierender Bürgermeister, haben Sie sich für das Verhalten des Senats entschuldigt. Das klang aufrichtig, und ich habe mich sehr darüber gefreut, dass eine Einsicht ob des Fehlverhaltens seitens des Senats wohl vorhanden war.

Nun hätten Sie, Herr Regierender Bürgermeister, aber auch Taten folgen lassen müssen. – Das ist leider nicht passiert. Auch die Sechste und Siebte Änderung der Rechtsverordnung wurden dem Haus wieder sehr kurzfristig zugeleitet und nicht in einem vereinbarten Verfahren rechtzeitig.

Was hier passiert – das muss einfach einmal ausgesprochen werden – ist eine eklatante Missachtung dieses Parlaments.

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD – Beifall von Sebastian Schlüsselburg (LINKE)]

Und es ist noch viel mehr: Es ist ein fortwährender Verfassungsbruch. Ein Bruch der Verfassung, auf die Sie, Herr Regierender Bürgermeister, und Ihre Senatorinnen und Senatoren einen Eid geschworen haben. Sie brechen jeden Tag die Verfassung, an dem Sie sich nicht daran halten, und das hätte eigentlich andere Folgen. Das können wir uns auf Dauer nicht gefallen lassen.

Ich fordere Sie zum letzten Mal auf, ein Verfahren herzustellen, in dem Sie die Verfassung von Berlin einhalten, ein Verfahren, in dem Sie uns zum einen nach Artikel 63 der Verfassung von Berlin die Verordnungen rechtzeitig vorlegen, in dem Sie uns zum anderen nach Artikel 50 im Vorfeld umfänglich über Vorhaben grundsätzlicher Bedeutung unterrichten. Im Vorfeld heißt, dass wir nicht post mortem irgendwelche abgelaufenen Rechtsverordnungen zugeworfen bekommen, sondern das Sie uns, bevor Sie eine Rechtsverordnung erlassen, über die Grundzüge dieser Rechtsverordnung informieren. Das ist die Verfassungslage, und ich fordere Sie auf, die Verfassung einzuhalten.

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN – Beifall von Katrin Schmidberger (GRÜNE) und von Torsten Schneider (SPD)]

Artikel 80 Abs. 4 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland sieht vor, dass Sie durch Gesetze ermächtigt werden können, solche Rechtsverordnungen zu erlassen, aber wir als Landesparlament auch das Recht haben, Gesetze zu erlassen, die diese Rechtsverordnungen ersetzen oder verändern. Dieses Recht nehmen Sie uns jedes Mal, Herr Regierender Bürgermeister, wenn Sie uns nicht rechtzeitig und im Vorfeld informieren und uns die Sachen vorlegen. Das ist ein Zustand, der nicht hinnehmbar ist, und ich fordere Sie auch auf, ein Verfahren vorzulegen, wie eine solche rechtzeitige Information funktionieren kann – umfänglich, frühzeitig und rechtzeitig.

[Beifall bei der FDP und der CDU – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und der AfD]

Es kann nicht sein, dass wir vom Senat aufgefordert werden, uns so ein Verfahren auszudenken. Es ist Ihre Pflicht – ich wiederhole es noch einmal –, die Verfassung, auf die Sie Ihren Diensteid geschworen haben, einzuhalten und die Umsetzung dieser Verfassung zu gewährleisten. Deshalb ist es auch die Aufgabe Ihrer Verwaltung, Herr Regierender Bürgermeister, nachdem diese Verordnung erlassen ist, sofort eine Begründung zu schreiben und sofort die Verordnung vorzulegen, nachdem wir zuvor umfänglich informiert wurden, was Sie vorhaben. Sie müssen ein Verfahren hinbekommen, mit dem das auch kurzfristig funktioniert. Natürlich wissen wir, dass es

(Daniel Wesener)

Zeitdruck gibt, dass das in der Krise nicht immer mit einem Vorlauf gehen kann. Es gibt eine Verabredung, wo man eine Sechs-Wochen-Frist hat – oder, wenn man es verkürzt, eine Drei-Wochen-Frist –, um etwas vorzulegen. Das ist natürlich in diesen Zeiten überhaupt nicht angemessen. Wir verstehen das.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schlüsselburg?

Ja, gerne!

Sie haben das Wort, Herr Schlüsselburg. – Bitte!

Vielen Dank, Herr Kollege! Stimmen Sie mit mir überein, dass es jedenfalls für den Komplex der unverzüglichen Zusendung der Rechtsverordnungen – nach der herrschenden Meinung der Grundgesetzkommentare – gar nicht darauf ankommt, dass der Rechtsverordnungsnormtext eine Begründung enthält, sondern dass es allein darauf ankommt, uns den Verordnungstext zuzuleiten und dass das wohl ohne Probleme innerhalb eines angemessenen Zeitraums, also ohne schuldhaftes Zögern, möglich wäre?

Ich stimme Ihnen da vollkommen zu, aber ich gehe noch weiter. Ich denke schon, dass eine Verwaltung in der Lage sein muss, auch eine Begründung zu einem solchen Vorhaben zu schreiben und nicht erst drei, vier Tage später. Das muss am gleichen Tag funktionieren. Und wer das nicht hinbekommen, der hat sein Haus nicht im Griff.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Das muss man auch einmal feststellen. Dieses Verfahren müssen wir herstellen.

Wir verstehen den Zeitdruck, den Sie haben. Wir haben Sie zu Beginn der Krise konstruktiv begleitet und werden das auch weiterhin tun. Es geht uns gar nicht darum, irgendwelche Parteipositionen in den Vordergrund zu stellen. Es geht uns darum, die Verfassung dieses Landes einzuhalten, die parlamentarische Kontrolle zu gewährleisten und die Möglichkeit zu haben, am Gestaltungsprozess teilzuhaben. Das ist unsere Aufgabe, und Sie behindern uns dabei mit Ihrem Senat, Ihrer Verwaltung, Herr Regierender Bürgermeister. Daher noch einmal die Aufforderung: Stellen Sie dieses Verhalten ab! Finden

Sie einen Weg, uns rechtzeitig zu informieren! Wir werden Sie weiterhin konstruktiv begleiten. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP, der CDU, der LINKEN, den GRÜNEN und der AfD – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Zu diesem Tagesordnungspunkt hat der fraktionslose Abgeordnete Wild gemäß § 64 Abs. 2 der Geschäftsordnung einen Redebeitrag angemeldet. – Ihre Redezeit, Herr Wild, beträgt weniger als drei Minuten. Sie haben das Wort. – Bitte schön!

Danke schön, Frau Präsidentin! – Sehr geehrte Damen und Herren! Vor zwei Monaten hat der Senat die Ermächtigungsverordnung, Entschuldigung die Eindämmungsverordnung erlassen. Seither wurden sieben Änderungen allein an dieser Verordnung, die nicht die einzige coronabezogene Verordnung ist, vorgenommen. Dass Sie Ihre eigene Politik im Wochentakt korrigieren müssen, Frau Kalayci, spricht nicht gerade für Kompetenz und überlegtes Handeln.

[Zuruf von Joschka Langenbrinck (SPD)]

Vielleicht wären Sie an anderer Stelle der Volkswirtschaft besser aufgehoben als an der Spitze der Senatsverwaltung für Gesundheit. Ihre Verordnungen sind zwar zunächst gültig, aber sie können immer noch verfassungswidrig sein. Was meinen Sie: Wie ist die Stimmung unter den Richtern bundesweit? – Ein Richter am Bayerischen Verfassungsgerichtshof z. B. sieht zwar im Rahmen der Popularklage des Musikproduzenten und Juristen Marco Delgardo die Verfassungswidrigkeit der Mehrheit der sogenannten Eindämmungsmaßnahmen, möchte aber Söders Lockerungsübungen nicht vorgreifen. Dazu dichtete der bayerische Rapper Manuelmeint folgende Zeile – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –: In Bayern weiß nur Söder g’wiss, wann’s Bier aus is.

[Sebastian Schlüsselburg (LINKE): Wir sind hier nicht in Bayern!]

Kürzlich hat der Senat auch die Beflaggungsverordnung geändert. Das wirkt zwar unscheinbar und ist schnell zu überlesen, aber es lässt tief blicken. Nachdem der 8. Mai durch die Antifa-Koalition zunächst einmal zum Feiertag erklärt wurde, soll nun immer am Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus und der Beendigung des Zweiten Weltkriegs in Europa geflaggt werden.

[Sebastian Schlüsselburg (LINKE): Zu Recht!]

Können wir in Deutschland vom Tag der Befreiung sprechen, wenn danach Millionen Deutsche vertrieben wurden, ein Drittel des Reichsgebiets verloren ging und es zu unzähligen Vergewaltigungen deutscher Frauen durch Angehörige der Armeen der Siegermächte kam?

(Paul Fresdorf)

[Torsten Schneider (SPD): Ist das ekelhaft! – Sebastian Schlüsselburg (LINKE): Das ist so beschämend!]

Würden Sie bitte zur Sache sprechen, Herr Abgeordneter Wild!

Ja! – Otto Normalbürger und die Eliten sind gleichermaßen auf die bindenden und einenden Elemente von Nation, Familie und Tradition angewiesen. Dieser Senat unterstützt das Gegenteil, indem er die Regenbogenbeflaggung an allen staatlichen Gebäuden am Christopher Street Day explizit erlaubt.

[Torsten Schneider (SPD): Das steht überhaupt nicht auf der Tagesordnung]

Nichts gegen Schwule, es möge jeder nach seiner Fasson selig werden, aber wie können Sie es wagen, an dem zum Markenzeichen westlicher Dekadenz gewordenen Schwulenhochfest Flagge zu zeigen, am Muttertag aber nicht?

[Zuruf von der SPD: Sie reden nicht zur Sache!]