Protocol of the Session on April 30, 2020

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die AfD-Fraktion hat Frau Dr. Brinker das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit März 2020 ist nichts mehr, wie es war. Corona regiert Berlin, Deutschland und die Welt. Niemand bleibt verschont. In Berlin werden wichtige Entscheidungen zur Aufhebung von Kontaktverboten und Öffnungen von Gastronomie und Dienstleistungsbetrieben leider Woche für Woche aufgeschoben, obwohl die

Ansteckungsrate laut offizieller Statistik seit 21. März – also zwei Tage vor Ausrufung des Lockdowns – unter 1 liegt. Hätte sich der Senat einem Wettbewerb kritischer Intelligenz geöffnet und sich von einem interdisziplinären Expertengremium beraten lassen, wäre den politischen Entscheidern dieser höchst kritische Umstand vermutlich früher aufgefallen. Leider fehlt es uns nach wie vor an der nötigen Transparenz, Verhältnismäßigkeit und Weitsicht.

[Beifall bei der AfD]

Wozu führt das? – Wir steuern geradewegs in eine Wirtschafts- und Finanzkrise, deren Ausmaß sich heute noch gar nicht abschätzen lässt. Eines ist aber jetzt schon sicher: Viele Betriebe und Unternehmen stehen branchenweit vor dem Aus. „Bild“-Chef Julian Reichelt konstatiert dazu in einem Kommentar – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –:

Unsere Wirtschaft ist schon jetzt so massiv und teilweise irreparabel geschädigt, dass unsere Regierung sich kaum noch erlauben kann, zuzugeben, in ihrer Schärfe überzogen zu haben. Die Experten müssen Recht behalten, weil sie nicht falsch liegen dürfen. … Deswegen erleben wir zunehmend Sturheit, Starrsinn und Rechthaberei

Zitat Ende.

[Beifall bei der AfD]

Dieser Kommentar drückt das ganze Dilemma der politischen Entscheidungsträger aus. Je länger der Shutdown anhält, umso gravierender werden die wirtschaftlichen und finanziellen Folgen sein, umso entscheidender ist aber auch ein sorgsamer Umgang mit Steuergeldern.

Ins nicht mehr Tragfähige ausufern würden die Schuldenlasten, folgten wir zum Beispiel der Forderung der Senatsmitglieder Dr. Lederer und Dr. Kollatz, die die Einführung von Eurobonds propagieren. – Mit Verlaub: Wer sich für eine europäische Transfer-, Haftungs-, und Schuldenunion einsetzt, setzt sich gegen ein stabiles Geldsystem und gegen die Achtung der Souveränität der EU-Mitgliedsstaaten ein. Er fordert letztlich die Missachtung des Prinzips der Eigenverantwortlichkeit und der Subsidiarität. Deutschland ist jetzt schon größter Nettozahler der EU – reicht das nicht schon?

[Beifall bei der AfD – Zuruf von Joschka Langenbrinck (SPD)]

Wir erleben gerade eine beispiellose Einschränkung unserer Freiheitsrechte. Seriöse Wissenschaftler und freiheitsorientierte Politiker, die aktuelle Zahlen hinterfragen oder sich erlauben, an den politischen Coronamaßnahmen Kritik zu äußern, werden als „enthemmt“ diffamiert. Enthemmt sind aber diejenigen, die unter dem Deckmantel der Coronakrise die Umsetzung ihrer sozialistischen Utopien vorantreiben und die jeden, der noch den Mut zur Wahrheit hat, als Nazi oder Verschwörungstheoretiker verunglimpfen.

(Steffen Zillich)

Unsere freiheitlich demokratische Grundordnung ist nicht verhandelbar. Dazu gehören auch eine stabile Geldordnung sowie nachhaltig tragfähige Staatshaushalte.

[Beifall bei der AfD – Franz Kerker (AfD): Bravo!]

Nicht der Steuerzahler, dem der wirtschaftliche Ruin droht und der anfängt, kritische Fragen zu stellen, hat sich zu rechtfertigen, sondern der Staat, die Politik hat eine Bringschuld zur Rechtfertigung aktueller Entscheidungen.

All das spiegelt sich auch im vorliegenden Nachtragshaushalt wider. Wir möchten eine Transparenztabelle vom Senat vorgelegt bekommen, aus der klare Zahlen, Daten und Fakten herauszulesen sind. Wir hoffen, diese in der nächsten Hauptausschusssitzung vorliegen zu haben. Im vorliegenden ersten Nachtragshaushalt sind im Wesentlichen die bereits im März beschlossenen Kosten für medizinische Beschaffungen, das 1000-BettenCoronabehandlungszentrum und die ökonomischen Sofortmaßnahmen zur Abfederung des Shutdowns abgebildet.

Diesen Maßnahmen hatten wir im Vorfeld im Grundsatz zugestimmt mit der Maßgabe, jede einzelne Maßnahme regelmäßig zu überprüfen und zeitlich zu begrenzen. Wir waren uns in der Tat parteiübergreifend einig: Soforthilfen mussten schnellstmöglich auf den Weg gebracht und die vom Senat prognostizierten Versorgungsengpässe bei medizinisch-technischem Equipment mussten beseitigt werden. Es bleibt aber zu klären, warum überhaupt so wenige Materialien vorrätig waren und wie sich die Vorratshaltung in Zukunft gestalten sollte.

[Beifall bei der AfD]

Nun zu den Details des Nachtragshaushalts. Erstens: Aus den ursprünglich 700 Millionen Euro für Soforthilfe II sind mittlerweile laut Antwort auf meine schriftliche Anfrage 1,7 Milliarden Euro geworden; der Finanzsenator hat sie mir auch noch mal erläutert. Insgesamt wurden 210 000 Anträge gestellt, davon 200 000 bewilligt. Durchschnittlich bekam jeder Antragsteller 8 560 Euro.

Mittlerweile mehren sich leider die Informationen zu erheblichem Missbrauch. Laut „Tagesspiegel“ sollen mindestens 250 Anträge zu einschlägig bekannten Clanadressen geführt haben. Die Wahrscheinlichkeit ist mehr als groß, dass diese unberechtigt Soforthilfe kassiert haben.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Isenberg?

Danke, ich möchte lieber ausführen. – Es ist davon auszugehen, dass die bisher bekannten Fälle nur die Spitze

des Eisbergs sind. Wie wir alle wissen, fanden leider keinerlei Plausibilitätsprüfungen statt, nicht einmal stichprobenhaft. Das ist purer Leichtsinn – Leichtsinn im Umgang mit Steuergeldern.

Zweitens: Für die Beschaffung von medizinischem Material sind bereits über 50 Millionen Euro bewilligt. Beim Einkauf – das hat der Kollege Goiny auch schon feststellen müssen – kam es offenbar zu erheblichen Problemen im Umgang mit „seriösen“ Anbietern und Lieferanten. Von zuständigen Senatsstellen wurde an den Bund verwiesen, der Bund wiederum verwies an den Senat. Hier scheint die rechte Hand nicht zu wissen, was die linke tut und umgekehrt – auch leider keine Ruhmesblatt für den Senat.

Drittens: Schon jetzt ist zweifelhaft, ob das 100 Millionen Euro teure Coronabehandlungszentrum in der Jafféstraße tatsächlich gebraucht wird. Offenbar ist nur ein Bruchteil der Intensivstationsbetten in Berlin mit Covid-19Patienten belegt. Es stehen jede Menge Krankenhauskapazitäten zur Verfügung, Krankenhausmitarbeitern droht mittlerweile sogar Kurzarbeit. Ein völlig unverständlicher Vorgang.

[Karsten Woldeit (AfD): Hört, hört!]

Viertens dürfte das Geld zur Sicherung der Liquidität der landeseigenen Unternehmen bei Weitem nicht reichen. Alleine die Flughafengesellschaft wurde gestern mit einem Fehlbetrag von bis zu 1,8 Milliarden Euro zum akuten Sanierungsfall erklärt. Charité und Vivantes haben mit erheblichen Umsatzeinbußen zu kämpfen, ebenfalls die Bäder-Betriebe, die Kultureinrichtungen und so weiter.

Schlussendlich – fünftens – fordert der Senat quasi einen Blankoscheck über 100 Millionen Euro für die Coronapandemiebekämpfung ohne nähere Spezifizierung. Auch das sehen wir extrem kritisch.

[Beifall bei der AfD]

Die Gegenfinanzierung kommt in der Tat vom Bund mit 2,6 Milliarden Euro, aber das dicke Ende kommt noch. Wie erwartet prognostizierte die Bundesregierung gestern einen katastrophalen Wirtschaftseinbruch von über 6 Prozent für dieses Jahr. Um die erheblichen Steuereinnahmeausfälle und Ausgabensteigerungen ausgleichen zu können, dürfte der Senat den Notfallmodus der Berliner Schuldenbremse auslösen und die zukünftigen Haushaltsdefizite durch neue Schulden finanzieren. Der Berliner Haushalt steht damit zukünftig, wie befürchtet, auf extrem wackligen Füßen. Früher als gedacht bricht damit die rot-rot-grüne Mogelpackung in sich zusammen. – Hätten Sie bei den Haushaltsberatungen der letzten Jahre auf die AfD gehört und in guten Zeiten mehr Gelder zurückgelegt und die strukturellen Ausgaben nicht für teure Wahlgeschenke um Milliarden aufgebläht, stünde Berlin jetzt besser da.

[Beifall bei der AfD – Zuruf von der AfD: So ist es!]

Es ist richtig, dass die mittelständischen Unternehmen Hilfe brauchen. Die beste Hilfe ist die Hilfe zur Eigenverantwortung. Lassen Sie den Handel, die Dienstleistungsbetriebe, die verantwortlichen Unternehmer ihre Geschäfte öffnen. Diese Unternehmer sind in der Lage, selber einzuschätzen, wie sie mit der Coronakrise und dem Schutz ihrer Kunden und Gäste umgehen können. – Vielen Dank!

[Beifall bei der AfD]

Vielen Dank! Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Wesener das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Finanzsenator! Mit guter Haushalts- und Finanzpolitik ist es mitunter wie mit gesellschaftlicher Solidarität oder zwischenmenschlichen Beziehungen – ihre Qualität erweist sich weniger in guten als in schlechten Zeiten und vor allem in der Krise.

Für die gesellschaftlichen, ökonomischen und haushalterischen Folgen der Coronakrise sind schon viele Superlative – einschließlich der Dreißigerjahre des letzten Jahrhunderts – bemüht worden.

Bleiben wir seriös, und gehen wir vom aktuellen Stand des Allgemeinwissens aus, und der ist bedrückend genug: Die Frühjahrsprognose der Bundesregierung geht für 2020 von einem 6,3-prozentigen Rückgang des realen Bruttoinlandsprodukts aus. Wer die spezifische Wirtschafts- und Erwerbsarbeitsstruktur Berlins nur ein wenig kennt, der muss zu Recht befürchten, dass es unsere Stadt vermutlich noch härter treffen wird. Damit wird auch klar, warum dieses Virus gleich doppelt Angst macht: Angst vor Krankheit, aber auch große Sorgen um die eigene wirtschaftliche Existenz und die soziale Sicherheit. Auch die beste Haushalts- und Finanzpolitik kann den Menschen diese Ängste und Sorgen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht vollständig nehmen. Genauso wie der Politik insgesamt bleibt uns Haushälterinnen und Haushältern wenig anderes übrig, als in der Coronakrise auf Sicht zu fahren. Gleichzeitig müssen das Ziel und die Strategie klar sein.

Das haushaltspolitische Ziel der rot-rot-grünen Koalitionsfraktionen ist klar: Wir wollen die Krise solidarisch bewältigen und dabei nicht nur die Gesundheit schützen, sondern auch die Einkommen und Jobs der Menschen, die Selbstständigen, Berlins Betriebe und Unternehmen genauso wie die öffentliche Grundversorgung und wichtige Zukunftsinvestitionen. Es war deshalb politisch wie

strategisch richtig, dass Berlin so schnell und unbürokratisch wie kein anderes Bundesland gehandelt und Soforthilfen für die von der Coronakrise wirtschaftlich Betroffenen aufgelegt hat.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Schnelles und unbürokratisches Handeln und Umsetzen – das gilt ja landläufig nicht gerade als Berliner Kernkompetenz. Aber auch in diesem Fall zeigt sich wieder einmal, dass das generelle Verwaltungsbashing in dieser Stadt mehr Folklore als Realitätsbeschreibung ist. Im Namen meiner Fraktion bedanke ich mich jedenfalls bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Berliner Verwaltung und Unternehmen für das, was sie in den letzten Wochen geleistet haben.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Und ja, ich will – wie manche Kollegen heute auch schon – die Berliner Soforthilfe II ausdrücklich vor jenen in Schutz nehmen, die – wie einige in der CDU – jetzt „Skandal!“ schreien, weil bis Ende März 900 Millionen Euro in nur wenigen Wochen ausgereicht wurden. Hätte das Land den mehr als 100 000 Berliner Beschäftigten, Freiberuflern und Selbstständigen etwa sagen sollen: Wartet auf die Hilfe vom Bund? – Dann hätten einige dieser Betroffenen schon ihre Aprilmiete nicht mehr bezahlen können. Und wer jetzt Lug und Betrug in gigantischem Umfang wittert, der hat offensichtlich die Berliner Finanzämter nicht auf dem Schirm. Die gehören im letzten bundesweiten Vergleich übrigens wieder einmal zu den schnellsten der Republik.

Apropos meckern und moppern: Herr Dregger, der jetzt gerade draußen ist, ja, Krisenzeiten sind immer schwierige Zeiten für die Opposition. Meine Parteifreundinnen und -freunde im Bund können davon ein Lied singen. Ich will mich ausdrücklich auch bei all denjenigen in den Oppositionsfraktionen bedanken, die in den letzten Wochen Verantwortung übernommen, konstruktiv an Entscheidungen mitgewirkt haben und dabei auch hinsichtlich einiger ihrer parlamentarischen Rechte zurückgesteckt haben. Aber dann, liebe CDU, lassen Sie doch endlich dieses kleingeistige Herumnörgeln an den Details der Hilfe und Maßnahmen sein! Was soll, Herr Dregger, dieser ständige politische Zickzackkurs, bei dem Sie sich mal als Mini-Söder und mal als Locker-Laschet präsentieren?

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Sie, Herr Dregger, und Ihre Fraktion könnten doch tatsächlich etwas zur Bewältigung der Krise im Sinne der Menschen in dieser Stadt beitragen. Sprechen Sie mit Ihrer Unionsfraktion und Regierung im Bund! Reden Sie denen zu, wenn dort über Bundeshilfen für Gastronomen und Kulturschaffende diskutiert wird! Überzeugen Sie die Bundeskanzlerin, den Bundeswirtschaftsminister und Ihre

(Dr. Kristin Brinker)

ehemalige Landesvorsitzende, Frau Grütters, dass es endlich eine Öffnung der Bundeshilfen auch für Soloselbständige ohne Betriebskosten geben muss!

[Beifall bei den GRÜNEN]