Darüber hinaus reden wir von so breiten und tiefen Eingriffen in die Grundrechte der einzelnen Berlinerinnen und Berliner, die es in der Zeit unserer Demokratie so noch nicht gegeben hat. Das Grundrecht auf die Ausübung der beruflichen Tätigkeit wird extrem eingeschränkt: Ich kann meinen Laden nicht mehr öffnen, meine Kneipe nicht mehr aufmachen, meine Außengastronomie nicht mehr betreiben. Das sind tiefe Eingriffe, die aus unserer Sicht, nicht ohne Beteiligung des Parlaments so stattfinden können, denn Artikel 50 unserer Verfassung sieht im Abs. 1 Satz 1 vor, dass wir bei „Vorhaben grundsätzlicher Bedeutung“ „frühzeitig und vollständig“ im Vorfeld zu unterrichten sind, „frühzeitig und vollständig“!
Dass es in dieser Situation, in der wir uns befinden, natürlich nicht sechs Wochen im Voraus sein können, weil wir teilweise von Tag zu Tag leben, das ist uns auch klar. Aber dass wir ein geregeltes Verfahren unter Einbindung der Parlamente haben müssen, ist uns wichtig, gerade vor dem Hintergrund, dass die Berlinerinnen und Berliner in ihren Freiheitsrechten so eingeschränkt sind wie nie zuvor.
Spielplätze sind geschlossen, Schulen sind zu, die Kinder können nicht in die Kitas, Familien sind überlastet: Homeoffice und Kinderbetreuung zu einen, das ist für viele kaum nachvollziehbar.
Wir wollen in der parlamentarischen Debatte Transparenz schaffen. Deshalb ist es uns wichtig, gerade bei diesem Thema, als Parlament beteiligt zu werden. Wir laden Sie ein, mit uns diesem Antrag zuzustimmen, heute in ein
[Beifall bei der FDP und der CDU – Vereinzelter Beifall bei der AfD – Beifall von Kay Nerstheimer (fraktionslos) – und Andreas Wild (fraktionslos)]
Wünscht jemand, dem Antrag zu widersprechen? – Das ist nicht der Fall. Dann lasse ich darüber abstimmen.
Sie haben gefragt, Herr Präsident, ob jemand zu widersprechen wünscht. Ich wünsche zu begründen. Das Widersprechen stellen wir danach fest.
Es ist bemerkenswert, Herr Kollege Fresdorf, dass Sie hier etwas sagen, zu dem dieses Haus, mit Ausnahme der AfD, die sich dazu bisher in keiner Ältestenratssitzung zu Wort gemeldet hat, einen breiten Konsens erzielt hat.
Der besteht darin, dass wir bekräftigen, als ein Parlament von 17 in dieser Bundesrepublik, an der Staatsraison festzuhalten, dass wir aus drei Gewalten, die sich gegenseitig beschränken und ergänzen, bestehen. Wir bestehen aus der Legislative, der Exekutive und der Judikative. Wir sehen, das kommt auch nicht von ungefähr, denn so wird bundesweit mit Hunderten Rechtsverordnungen, Allgemeinverfügungen und sonstigen Veröffentlichungen gesteuert, weil es geboten war. Es kommt also nicht von ungefähr, dass wir diese Debatte heute führen. Sie ist zum Glück nicht zu spät.
Die Debatte besteht darin, dass bei so grundsätzlichen Einschränkungen, wie es sie in der Geschichte des Grundgesetzes und in der Bundesrepublik Deutschland in der Eingriffstiefe und hinsichtlich der Eingriffsdauer noch nie gegeben hat, die Parlamente legitimiert und berufen sind – als die einzigen Institutionen, die vom Souverän unmittelbar abgeleitet die Kompetenz haben –, solche weitreichenden Entscheidungen dauerhaft zu treffen. Das kommt nicht von ungefähr. Sie stellen das allerdings so dar, Herr Kollege Fresdorf, als sei es eine Erfindung der FDP.
Dann hätten Sie aber mindestens davon Abstand nehmen sollen, mich selbst mit fast der Hälfte Ihres Wortbeitrags zu zitieren.
Fazit: Die Parlamente sind aufgerufen, sich mit diesen Grundrechtseingriffen zu befassen. Es geht nicht nur um die Verfassungslage, sondern es geht um die Herstellung von Transparenz. Das ist das, was uns wichtig ist. Wir müssen nach unserer Einschätzung den Bürgerinnen und Bürgern nachvollziehbar machen, in öffentlichen Sitzungen das Für und Wider wägen. Übrigens werden wir uns da auch nicht schneller und besser einig als die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten.
Dazu hat sich der Senat heute erklärt. Alle Fraktionen, außer der AfD haben sich dazu zu Wort gemeldet. Ich hatte im Ältestenrat empfohlen, dass wir heute diese Debatte nicht führen. Das ist ein bisschen schade. Das Haus ist sich im Wesentlichen einig, und die Koalition ist verabredet, Ihrem Antrag zuzustimmen. Allerdings haben wir uns noch nicht hinsichtlich der Ausschussüberweisungen entschieden. Dazu werden wir uns im Laufe dieser Plenarsitzung verhalten. – Vielen Dank!
Ich will und kann deshalb auch feststellen, dass weitere Ausschussüberweisungen, sofern sie von Fraktionen gewünscht werden, natürlich auch erfolgen. Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht.
Wer diesem dringlichen Antrag der FDP-Fraktion zur Aufnahme dieses Tagesordnungspunkts Rechtsverordnung des Senats unter Tagesordnungspunkt 11 A seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind alle Fraktionen und die beiden fraktionslosen Abgeordneten. Gibt es Gegenstimmen? – Das ist nicht der Fall. Enthaltungen gibt es auch nicht. Dann kommt das so auf die Tagesordnung.
Auf die Ihnen zur Verfügung gestellten Konsensliste darf ich ebenfalls hinweisen und stelle dazu fest, dass dazu kein Widerspruch erfolgt. Auch die Konsensliste ist damit so angenommen.
Ich komme zu den Entschuldigungen des Senats. Der Regierende Bürgermeister wird die Sitzung wegen der Videokonferenz der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder mit der Bundeskanzlerin gegen 12.00 Uhr verlassen müssen. Frau Senatorin Lompscher wird das Plenum gegen 16.00 Uhr verlassen müssen, um an der Sitzung der Bundesbaukommission teilnehmen zu können. Frau Senatorin Pop musste sich kurzfristig aus gesundheitlichen Gründen für die heutige Plenarsitzung entschuldigen.
Wie wir die Coronakrise meistern: Existenzängste und Gesundheitsschutz ernst nehmen, verantwortungsvoll handeln
Für die gemeinsame Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung. In der Runde der Fraktionen beginnt die CDU, und zwar mit Herrn Kollegen Dregger. – Bitte schön!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In den zurückliegenden Wochen ist es gelungen, die Ausbreitung des Coronavirus in Deutschland und in Berlin zu begrenzen. Wir konnten Verhältnisse wie in den Krankenhäusern Norditaliens verhindern, alle Coronaerkrankten erhalten die bestmögliche medizinische Betreuung. Deutschland hilft anderen Ländern, in denen es sehr viel schlechter steht. Das alles ist keine Selbstverständlichkeit, sondern ein großer Erfolg.
Dies ist zum einen auf verantwortungsvolles und entschlossenes Handeln im Bund und in den Ländern zurückzuführen. Es liegt aber ebenso an der Mithilfe der Menschen. Ich bin wirklich beeindruckt, dass freiheitsliebende Menschen, wie sie gerade hier in Berlin leben, zeigen, dass sie, wenn es darauf ankommt, zu gemeinsamem Handeln und gemeinsamem Verzicht bereit sind. Sie haben damit Leben gerettet, und das verdient unser aller Dank.
Weitere Erfolgsvoraussetzung ist – das kann man nicht oft genug wiederholen – der Einsatz der vielen stillen Helfer in der Krise, die als medizinisches Fachpersonal, Pflegekräfte, als Angehörige der Hilfsorganisationen, der Polizei, der Feuerwehr, der Bundeswehr, im Einzelhandel, bei BSR, BVG und S-Bahn, als Erzieher, auch als Ehrenamtliche ihren Job machen – trotz erhöhter Einsatzbelastung, trotz erhöhtem Infektionsrisiko und häufig mit unzureichender Schutzausstattung. Wir sollten ihnen danken, am besten mit dem von uns vorgeschlagenen City-Gutschein, der bei heimischen Unternehmen eingelöst werden kann und diese zugleich unterstützt.
Der Infektionsschutz bleibt wichtig, die Pandemiegefahr ist nicht gebannt. Die Bundeskanzlerin spricht nicht ohne Grund davon, dass wir uns bei allen wünschenswerten Lockerungen auf dünnem Eis bewegen. Mich erreichen viele besorgte Nachfragen, ob die bereits beschlossenen Lockerungen verantwortbar sind. – Bis der Impfstoff
verfügbar ist, müssen wir lernen, mit dem Virus zu leben. Daher müssen die wichtigsten Hygieneregeln weiter eingehalten werden, ein Wiederanstieg der Fallzahlen muss verhindert werden. Dazu brauchen wir mehr Infektionstests und die Rückverfolgung der Infektionsketten, den besonderen Schutz der Risikogruppen, die Einhaltung der Abstandsgebote und Hygieneregeln, auch das vom Senat relativ spät beschlossene Tragen von Mund- und Nasenmasken.
Mich erreichen viele Notrufe von Menschen in Sorge vor ihrem wirtschaftlichen Aus wie von diesem Gastwirt aus meinem Kiez, der ein kleines Restaurant als Familienbetrieb führt. Er schreibt mir – ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten –: Lieber Herr Dregger, seit Wochen muss unser kleines Restaurant geschlossen bleiben. Die Unterstützung aus den Hilfsprogrammen hält uns noch über Wasser. Wir gehen sparsam damit um, aber die Kosten laufen weiter. Mit dem Außerhausverkauf können wir nur einen Bruchteil unserer Kosten decken. Bitte sagen Sie mir, wie es weitergehen soll. Von dem Restaurant lebt meine ganze Familie – das sind meine Frau, ich und unsere drei Kinder –, und wir haben zwei Angestellte. Wir können nicht mehr lange durchhalten. Wann können wir wieder aufmachen? – Zitat Ende.
In Berlin gibt es über 19 000 Gastronomiebetriebe, sie bilden über 3 000 Auszubildende aus. 90 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte hängen von dem völlig darniederliegenden Bereich des Tourismus ab. Hier geht es um wirtschaftliche Existenzen. Da hängen ganze Familien dran, und die brauchen jetzt eine verlässliche Perspektive.
Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister! Gastronomie, Tourismus, Messe- und Kongressgeschäft sind Bereiche, die völlig darniederliegenden, von denen aber in Berlin sehr viel mehr Arbeitsplätze abhängen als in den anderen Bundesländern. Sie werden heute – das wurde gerade erwähnt – wieder an der Runde der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin teilnehmen, um ein einheitliches Vorgehen anzustreben. Ihre Aufgabe wird es sein, die Interessen Berlins, die Interessen der vielen Berliner Betriebe und Arbeitsplätze zu vertreten, die für so viele fleißige Menschen in Berlin von existenzieller Bedeutung sind.
Sehr geehrte Frau Kollegin! Ich darf Ihnen sagen, dass ich auch die Interessen Berlins vertrete, denn die sind mir am nächsten.
Das ist unser Auftrag, dafür sind wir gewählt worden. – Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister! Hat Ihr
Senat denn inzwischen unter Einbeziehung der Gesundheitsämter und der weltweit anerkannten Wissenschaftler Berlins einen Infektionsschutzplan für Gastronomie und Hotellerie erarbeiten lassen? Sind Sie darauf vorbereitet, diesen Infektionsschutzplan in der heutigen Runde der Ministerpräsidenten zur Grundlage für eine Lockerung des Betriebsverbotes in Gastronomie und Hotellerie zu machen? Sind Sie bereit, für einen verantwortungsvollen Fahrplan für die Wiedereröffnung der Betriebe einzutreten? – Sehr geehrter Herr Bürgermeister, ich unterstütze Sie dabei, diese spezifischen Interessen Berlins zu vertreten,