Führt das zu mehr Betriebsfrieden? – Auch nicht! Führt das zu weniger Administration! – Auch nicht! Führt es dazu, dass dieses Unternehmen sich an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen wird? – Natürlich nicht. Aus Sicht des Unternehmens steigen die interne Komplexität und der Administrationsaufwand. Dieser Mindestlohn gilt im Übrigen nur für öffentliche Aufträge des Landes Berlin – in Berlin. Eine öffentliche Ausschreibung der EU oder der Bundesregierung oder der Bundeswehr hat natürlich anderen Mindestlohn zur Folge, ist ja klar. Da gilt der bundesweite Mindestlohn. Also für uns als CDU ist klar: Dieses Gesetz macht die öffentlichen Aufträge zusätzlich unattraktiv. Die IHK schätzt, dass drei von vier Berliner Unternehmen bei öffentlichen Vergaben erst gar nicht mitbieten wollen. Und das hat mit Blick auf den öffentlichen Sanierungsstau und Facharbeitermangel, der ja dadurch nicht weg ist, dass die Coronakrise da ist, verheerende Auswirkungen.
Aber es gibt hinsichtlich der Intention dieses Gesetzes eigentlich nur zwei Interpretationsansätze. Erstens: Dieses Gesetz ist eine sozialpolitische Sensation und beseitigt die Probleme der Armut unserer Gesellschaft. Dann ist es ein Skandal, dass Sie 35 Monate brauchen, um diesen sensationellen Erfolg durchzukriegen. Oder, zweitens, Sie wissen, dass diese Umsetzung des Gesetzes für eine Vielzahl von Klein- und mittelständischen Unternehmen echte Schwierigkeiten hervorruft und es möglicherweise noch unattraktiver ist, sich künftig an öffentlichen Ausschreibungen zu beteiligen. Dann ist das ein Skandal, dass Sie jetzt, zu diesen Zeiten der Coronakrise, wo wir auf die Konjunktur setzen müssen, dieses Gesetz zur Sabotage der öffentlichen Auftragsvergabe einbringen.
Das ist ein Skandal. Die Option ist: Entweder Sie wissen, Sie machen Chaos. Oder Sie wissen, es ist eine Sensation. Aber das, was Sie hier machen, ist ein Skandal.
Und was ist der eigentliche Skandal? Die Personen, über die wir hier reden, sind alles Personen, die Helfertätigkeiten haben. Ungelernte Tätigkeiten sind üblicherweise die Folge von nicht erfolgreichem Schulabschluss, von keiner Berufsausbildung. Dieses Land Berlin leistet sich 13 Prozent Jugendliche ohne Schulabschluss. Die kriegen auch keine Ausbildung. Die sind diejenigen in der prekären Beschäftigung. Das sind die mit den Minijobs. Das sind die, die hinterher keine Rentenpunkte haben, die für das Sozialamt und für die Langzeitarbeitslosigkeit das Dauerabo haben. Dieses verursachen Sie mit Ihrem Chaos in der Schule. Sorgen Sie für eine ordentliche Schulpolitik, sorgen Sie dafür, dass die Leute eine Ausbildung haben, dass sie einen Schulabschluss haben, dass sie eine Chance haben in dieser Stadt Berlin. Dann können wir
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin immer wieder fasziniert, wie Herr Schultze-Berndt immer wieder auf das gleiche Thema kommen kann, egal, von wo wir anfangen. Aber das ist Ihr Markenzeichen, und es ist auch in Ordnung. Natürlich müssen wir alles dafür tun, um weniger Schulabbrecher zu bekommen, aber das hat nichts mit dem Mindestlohn zu tun. Und das ist auch nicht der Grund, warum wir hier den Landesmindestlohn erhöhen.
Menschen sollen von ihrer Arbeit leben können, und das geht eben nicht mehr von 8,50 Euro die Stunde, und das geht auch nicht von 9,35 Euro. Und da wäre ich dann ganz froh gewesen, wenn Sie mal vernünftige Beispiele genommen hätten. Die Schulreinigung wird in der Regel nach Tarif bezahlt; wenn nicht, ist es ein Skandal. Die Tariflöhne im Reinigungsgewerbe liegen noch mal deutlich höher als der von uns vorgeschlagene Landesmindestlohn. Also haben Sie ein Problem mit der Zahlung von Tariflöhnen? – Ein Problem ist, wenn in der Schulreinigung Minijobs angeboten werden. Das ist ein Problem. Auch davon müssen wir weg. Deswegen arbeiten und diskutieren wir sehr ernsthaft über Möglichkeiten der Rekommunalisierung und der guten Arbeit auch im Bereich der Schulreinigung.
Und wenn es so ist, dass 9,35 Euro, was jetzt der Bundesmindestlohn ist, nicht ausreichen, um die Existenz zu sichern, und weit davon entfernt ist, um vor Armut im Alter zu schützen, dann ist es zwingend geboten, den Landesmindestlohn jetzt deutlich anzuheben, und zwar synchron mit dem Vergabemindestlohn. Dieser Notwendigkeit kommen wir jetzt nach. Und das so was auch mal ein bisschen dauert, das hat etwas damit zu tun, dass wir es synchron mit dem Vergabemindestlohn machen wollen und dass das Vergabegesetz ein kompliziertes Gesetz ist, wo es einen breiten Beteiligungsprozess im Vorfeld der Phase gab, bevor es ins Abgeordnetenhaus gekommen ist. Zum Vergabegesetz kommen wir nachher noch, deswegen lasse ich das jetzt mal weg. Aber das erklärt so ein bisschen die Zeitabläufe. Ich nehme mal an, dass auch Sie in der CDU-Fraktion ein hohes Interesse daran hatten, dass es diesen Beteiligungsprozess der Senatsverwal
tungen mit den Unternehmensverbänden, mit den Gewerkschaften gegeben hat. Insofern dauert das halt mal ein bisschen länger.
Doch, es ist sogar wesentlich besser geworden, das Landesmindestlohngesetz, weil wir jetzt zumindest in die Nähe der Existenzsicherung kommen und in die Nähe der Sicherung vor Armut im Alter. Der Mindestlohn ist auch kein Angriff auf die Tarifautonomie; Frau Radziwill hat es gesagt. Er orientiert sich an der untersten Lohnstufe des TV-L, und damit ist er eine Sicherung gegen Armut oder soll es werden. Die Ausweitung des Niedriglohnsektors, die Ausweitung von prekären Arbeitsverhältnissen wie Minijobs, wie Leiharbeit, wie erzwungene Teilzeitarbeit, die hat immer mehr Beschäftigte in existenziell bedrohliche Situationen gebracht, und zwar auch schon vor der Coronakrise. Und jetzt, in der Coronakrise, sieht man einmal mehr, wie zentral wichtig es ist, dass gute Arbeit auch gut entlohnt werden kann und dass Menschen von ihrer Arbeit leben können.
Dass Niedriglöhne und Prekarität auch ein Angriff auf die Menschen sind, die unter solchen Bedingungen arbeiten müssen, das erleben wir gerade jetzt noch mal besonders heftig. Wir haben vorhin von denen gesprochen, die in Kurzarbeit gehen. Minijobber kriegen das alles gar nicht. Und viele müssen jetzt zum Jobcenter gehen.
Nein! – Deswegen ist für uns der Einsatz für einen existenzsichernden Mindestlohn auch ein Einsatz für die Anerkennung und Wertschätzung der geleisteten Arbeit, der Einsatz für Armutsvermeidung gerade im Alter, der Einsatz für ein gutes Leben. Und was gar nicht geht, ist, dass jetzt schon wieder Unternehmen nach der Aussetzung des Mindestlohns rufen. Wir können und dürfen die Coronakrise nicht auf dem Rücken von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern austragen. Wer hält denn gerade das Land aufrecht? – Klar, es ist der Gesundheitsbereich.
Es sind die Pflegerinnen und Pfleger. Die bekommen mehr als den Mindestlohn, aber viel zu wenig. Aber diejenigen, die in den Krankenhäusern putzen, die die Sterilisierungen vornehmen, bei der CFM beispielsweise, kriegen unter 12 Euro. Das heißt, mit dem Landesmindestlohn werden auch sie schnell deutlich besser bezahlt, und das ist, glaube ich, das Gebot der Stunde.
Bei allen Problemen, die wir jetzt haben, darf es nicht sein, dass die Menschen mit der niedrigsten Bezahlung die Krise wegtragen. Wir werden diese Krise nur dann bewältigen, wenn das Gebot der Solidarität für alle gilt, und das gilt auch für diejenigen, die wenig verdienen. – Danke!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete! Liebe Berliner! Lieber Herr SchultzeBerndt! Es ist ein Skandal, dass dieser Antrag jetzt vorliegt. Während wir hier im Plenarsaal debattieren, erleben wir den größten Wirtschaftseinbruch weltweit seit 2008. Über 400 000 Unternehmen haben in Deutschland Kurzarbeit angemeldet. Unsere Arbeitslosenzahlen für März und April werden eine einzige Katastrophe sein. Ich empfehle Ihnen einmal einen Blick nach Österreich, das uns bei vielen Indikatoren weggelaufen war. Österreich hat jetzt die höchste Arbeitslosigkeit seit 1946. Weit über 130 000 Unternehmen haben allein in Berlin Soforthilfe beantragt. Und in dieser Zeit – mit Datum vom 25. März 2020 – erfolgt die dringliche Beschlussempfehlung des Hauptausschusses zur Erhöhung des Mindestlohns im Mindestlohngesetz des Landes Berlins von 8,50 Euro auf 12,50 Euro. Das entspricht einer Erhöhung um 47 Prozent. In einer Zeit, in der die Wirtschaft nicht mehr wächst – und das weltweit –, in einer Zeit, in der Berlin den Status als wachsende Stadt zumindest in der Wirtschaft verliert, wollen Sie den gesetzlichen Mindestlohn um 47 Prozent erhöhen. In einer Zeit, in der viele Unternehmen um ihr Überleben kämpfen, in der wir uns auf eine Massenarbeitslosigkeit einstellen müssen, in der wir mit deutlich reduzierten Steuereinnahmen rechnen müssen,
wollen Sie die Löhne von Mitarbeitern und Beschäftigten des Landes Berlin mehr als 1,20 Euro über geltende Tarife hinausheben. Das können Sie nicht mal Ihren Gewerkschaften erklären, jedenfalls nicht den Gewerkschaften, die an den Verhandlungen zu dem immer noch gültigen, allgemeinverbindlichen Tarifvertrag mit einem Lohn von 11,30 Euro beteiligt waren.
Viele Menschen werden wahrscheinlich ihren Arbeitsplatz verlieren. Und die, die dann noch eine Beschäftigung haben, werden nach der Krise sicherlich nicht mehr verdienen als vorher, sondern eher weniger. Das betrifft Friseurinnen, Lieferanten, Bäckereiverkäuferinnen,
Handwerker, Gastronomen usw. Die alle kämpfen ums Überleben. All diese Menschen haben nicht die Sicherheit eines Arbeitsplatzes im öffentlichen Dienst. Es sind genau diese Menschen, die mit ihrer Arbeitsleistung in ein volles Risiko gehen und genau die Steuern zahlen, die Sie so ungeniert verteilen wollen.
Das ist kein Verständnis von Solidarität. Sie treiben damit einen Keil zwischen Menschen, die beim Staat arbeiten, und Menschen, die in der freien Wirtschaft die Steuern für diesen Staat erwirtschaften. Preisfestsetzungen, Preise und auch Löhne ins Gesetz zu schreiben, ist ein direkter Weg in den Sozialismus. Wir dagegen setzen uns für eine soziale Marktwirtschaft ein. Das ist das genaue Gegenteil von Ihrem Sozialismus.
Kernelemente der sozialen Marktwirtschaft sind gerade Mitbestimmung, Tarifverträge und Tarifautonomie. Das ist etwas anderes, als Löhne und Preise ins Gesetz zu schreiben. So, wie Sie vorgehen, zerstören Sie die soziale Marktwirtschaft mit einem Federstrich.
In Zeiten wie diesen sollte sich der Staat zurücknehmen und mit den Geldern, die die Bürger im Schweiße ihres Angesichts – –
In Zeiten wie diesen sollte sich der Staat zurücknehmen und mit den Geldern, die die Bürger im Schweiße ihres Angesichts und mit Zukunftsangst erwirtschaftet haben, sehr sorgsam umgehen.
Rein wirtschaftlich sind Mindestlöhne schon problematisch genug, und sie funktionieren auch nicht, wenn sie ins Gesetz geschrieben sind, was Sie am Ausmaß der notwendigen Erhöhung von 8,50 Euro auf 12,50 Euro erkennen können. Wenn schon Mindestlöhne, dann sollten Sie an die Tarife und Ergebnisse von Tarifverhandlungen für die unteren Lohngruppen gekoppelt sein, ohne dass sie im Gesetz festgeschrieben sind.
Im Interesse eines eng zusammenstehenden Volkes, in dem weder Neid noch Missgunst geschürt werden sollten, lehnen wir Löhne, die per Gesetz festgelegt sind, selbstverständlich ab – so, wie auch Ihren Antrag. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
[Beifall bei der AfD – Zuruf Torsten Schneider (SPD) – Frank-Christian Hansel (AfD): Getroffene Hunde bellen! – Torsten Schneider (SPD): Ich bin sehr froh, dass ich Ihren Erwartungen nicht entspreche!]
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer an den Bildschirmen und Handydisplays! Ich empfehle Ihnen, die Redebeiträge der letzten Rederunden und dieser im Zusammenhang zu betrachten, denn dann kann man vielleicht auch einmal deutlich machen, ob man immer dasselbe erzählt oder in der Krise Leuten irgendwie hinterherrennt, aber dann systematisch doch nicht das meint, was man in der einen Rederunde sagt.