Protocol of the Session on January 16, 2020

Wenn man so entscheidet, dann bedeutet das natürlich nicht, dass solche Entscheidungen nicht diskutierbar sind oder dass man sie nicht hinterfragen darf. Es ist angesichts der Entscheidungen an den US-Opern ganz klar, dass man solch eine Abwägung auch anders treffen kann.

[Georg Pazderski (AfD): Er liest alles ab!]

Man könnte bis zur Klärung der Vorwürfe vorläufig auf solche Auftritte verzichten, am besten sogar im gegenseitigen Einvernehmen. Ich will auch ganz klar sagen, das wäre für mich keine Vorverurteilung. Es ist auch keine Frage der Missachtung der Unschuldsvermutung, die steht gar nicht zur Debatte, sondern es geht dabei um eine andere Perspektive, und zwar um eine Haltungsfrage. Es wäre ganz klar das Signal, dass solche Vorwürfe nicht übergangen oder weggewischt werden.

Auch die Unschuldsvermutung bleibt auf einer Metaebene erst einmal eine Vermutung. Man geht also das Risiko ein, dass sich solche Vorwürfe im Nachhinein auch als wahr erweisen können.

[Zuruf von Marc Vallendar (AfD)]

Es gibt keine absolute Sicherheit. Man muss deswegen immer eine Abwägung treffen. Die Vorwürfe stehen nun im Raum. Eine abschließende Beurteilung liegt nicht vor, wir können die nicht selbst vornehmen, die Staatsoper und die Intendanz können sie auch nicht vornehmen. Andererseits, finde ich, sollte sich auch keines unserer Häuser vorwerfen lassen müssen, über solche nicht zu bagatellisierenden Vorwürfe einfach hinwegzugehen.

Da könnte man jetzt auch sagen: In dieser Abwägung wollen wir das Risiko komplett ausschließen, dass dort jemand auftritt, der massiv Grenzen überschritten hat, was nicht akzeptabel und entschuldbar ist. Wenn man das Risiko gänzlich ausschließen will, muss man auf solche Auftritte verzichten, bis die Dinge abschließend geklärt sind. Diese Klärung kann dann ergeben, dass die Vorwürfe zutreffen oder dass an ihnen überhaupt nichts dran ist. Wenn nichts dran ist, dann sagt man: Wir freuen uns jetzt auf das nächste Konzert.

[Unruhe]

Das wäre ein Zeichen von Zurückhaltung im Interesse aller, das wäre der Respekt vor der Klärung der Vorwürfe, das wäre zumindest ein Signal, das deutlich macht, dass Machtmissbrauch an den Bühnen keinesfalls akzeptabel ist, und es ist ja nun auch nicht wirklich unwichtig, dass man offensiv kommuniziert, wie man mit solchen Situationen umgeht, wenn solche Vorwürfe im Raum stehen. Der Gewinn wäre, das Haus macht nach außen deutlich, was auch intern die Maxime sein muss: keine Akzeptanz von Machtmissbrauch. Zweitens wäre es auch ein Signal an diejenigen, die solch ein Verhalten nicht hinnehmen, dass man sie ernst nimmt.

[Unruhe]

Es ist also die Frage, welche Maßstäbe gelten sollen, welche Kriterien, das Leitbild, der eigene Anspruch, die Praxis. Das ist nicht ganz banal, das ist, glaube ich, deutlich geworden.

[Mario Czaja (CDU): Die Fragen sind frei zu beantworten!]

Die Fragen, was hat systematisch dazu beigetragen, welche strukturellen Verhältnisse haben es ermöglicht, dass in diesem Umfang Machtmissbrauch betrieben oder beschwiegen wurde, akzeptiert oder zumindest gerechtfertigt worden ist, die sind jetzt eben alle Thema.

Es ist aus meiner Sicht ganz klar, dass wir uns ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen müssen, dass sich die Einrichtungen selbst noch intensiver mit den Fragen auseinandersetzen müssen. Für mich wird an diesem Fall wieder nur erneut deutlich, dass wir uns nicht mit den bislang gezogenen Konsequenzen und angeschobenen – –

[Georg Pazderski (AfD): Das ist eine Fragestunde, keine Vortragsstunde! – Stefan Förster (FDP): Das ist doch keine spontane Beantwortung!]

Ich verstehe Ihre Nervosität nicht.

Meine Damen und Herrn! Herr Senator Lederer hat das Wort!

Bleiben Sie doch einmal ein bisschen locker, meine Herren hier rechts!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Für mich wird an dem Fall erneut deutlich, dass wir uns nicht mit den bislang gezogenen Konsequenzen und angeschobenen Veränderungsprozessen zufriedengeben

dürfen. Wir haben da den Kodex des Bühnenvereins, wir haben das Monitoring von Antidiskriminierungsstandards, aber das reicht nicht, sondern wir müssen weiter daran arbeiten. Ich denke, dass dieser Prozess zwar schon in Gang gesetzt ist,

[Mario Czaja (CDU): Ist das im Senat immer so, Herr Müller?]

aber dass er noch lange nicht für angst- und diskriminierungsfreie Situationen am Theater gesorgt hat. Ich glaube, dass inzwischen überall ein Problembewusstsein existiert, aber dass wir noch intensiver darüber diskutieren müssen, wie wir unseren Anspruch einlösen, miteinander lernen, aus Kodizes und Selbstverpflichtungen tatsächlich eine gelebte Praxis zu machen. Dazu werde ich die Intendantinnen und Intendanten jetzt kurzfristig einladen und mit ihnen in einen Austausch treten.

(Bürgermeister Dr. Klaus Lederer)

[Unruhe]

Vielen Dank! – Dann hat die Kollegin Bangert die erste Nachfrage, bitte schön!

[Frank-Christian Hansel (AfD): Ist noch etwas offen geblieben?]

Vielen Dank, Herr Kultursenator Lederer, für die ausführliche Antwort. Ich frage Sie vor dem Hintergrund, dass die Staatsoper unlängst nicht wegen sexueller Belästigung, aber wegen Machtmissbrauchs in den Schlagzeilen gewesen ist: Welche Maßnahmen halten Sie für dringend erforderlich, damit kein Signal von einer Berliner Kultureinrichtung ausgeht, Weltstars, die sexuell belästigen, liefen unter der Rubrik „Kavaliersdelikt“, sondern dass wir wirklich für einen diskriminierungsfreien Umgang an den Berliner Bühnen stehen?

[Carsten Ubbelohde (AfD): Ihr diskriminiert doch selber!]

Herr Senator!

Ich glaube zum einen, dass man rechtzeitig und proaktiv kommunizieren muss, wenn man im Haus selbst über die Frage diskutiert und zu dem Ergebnis kommt, zu dem die Staatsoper jetzt gerade gekommen ist. Das kann ja ein Ergebnis sein. Ich habe gesagt, ich kann mir auch ein anderes vorstellen. Ich hätte das sozusagen vom Signal, von der Haltung her einfacher, vermittelbarer und plausibler gefunden.

Aber wenn die Staatsoper jetzt schon einen internen Diskussionsprozess führt, wenn die Kolleginnen und Kollegen am Haus über die Frage diskutieren: Wie gehen wir damit um? –, dann finde ich, sollte man nicht auf einen Brief warten, auf den man dann reagiert, sondern hätte schon nach Bekanntwerden der Vorwürfe einmal öffentlich kommunizieren müssen, warum man so entschieden hat und was in die Abwägung eingeflossen ist. Sie haben völlig recht, es darf nach außen nicht der Eindruck entstehen, dass das, was bei Pförtnerinnen und Pförtnern gilt, bei den Stars nicht gilt, weil die einen Promibonus oder einen Starbonus haben. Oder dass man sagt – das gibt es oft –, es gibt die klassischen Argumente gegen „Me Too“ –, vor 30 Jahren hätten andere Maßstäbe gegolten, wozu ich nur sagen kann: Nein! Vor 30 Jahren waren sexuelle Belästigung und Stalking auch schon inakzeptabel. Das ist nicht neu. Neu ist nur, dass jetzt seit

zwei Jahren intensiver öffentlich über solche Fragen diskutiert wird.

[Zuruf von Mario Czaja (CDU) und Andreas Wild (fraktionslos)]

Da finde ich, müssen die Häuser Haltung entwickeln, müssen nach außen eine Haltung vertreten. Diese Haltung muss klar und eindeutig sein: Wir sind nicht bereit, Machmissbrauch und sexuelle Belästigung

[Unruhe]

innerhalb der Häuser zu akzeptieren. Das ist das, was wir mit all unseren Intendanzen diskutieren müssen. Es reicht eben nicht einfach nur zu sagen, wir bekennen uns zu einem diskriminierungsfreien Klima im Haus, sondern man muss strukturell dafür sorgen, dass das am Ende auch gelebt wird,

[Georg Pazderski (AfD): Holen Sie doch mal Luft!]

Man muss in einem Lernprozess gemeinsam auch Umgangsformen mit solchen nicht ganz einfachen Abwägungen entwickeln. Das, glaube ich, ist das Zentrale, und daran werden wir weiter arbeiten.

[Unruhe]

Ich bin wirklich überrascht, dass sich hier vor allem übrigens mal wieder Herren, bei einem Thema wie Machtmissbrauch und sexueller Diskriminierung die ganze Zeit belustigen und einen Haufen Spaß haben. Sagen Sie, finden Sie das normal?

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Stefan Förster (FDP): Sie sprengen die ganze Fragestunde! – Holger Krestel (FDP): Sie missbrauchen die Fragestunde!]

Die zweite Nachfrage geht an den Kollegen Buchholz von der SPD-Fraktion. – Bitte schön!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Herr Kultursenator! Bei allem Verständnis für die Kritik, die Sie klar geäußert haben, was sexuellen Machtmissbrauch und entsprechende, wie Sie sagen, tradierte Vorgehensweisen angeht, aber sehen Sie hier nicht auch, dass sich die Kulturinstitution ernsthaft mit dem Thema beschäftigt hat? Das ist die eine Kontrollinstitution, und die zweite sind die Kulturinteressierten, die doch auch entscheiden können, ob sie zu so einem Konzert gehen – ja oder nein? Inwieweit berücksichtigen Sie das bei den zukünftigen Runden-TischGesprächen zum Beispiel?

Herr Senator!

Der Ausgangspunkt ist der, dass die Einrichtungen selbst die künstlerische Entscheidungsfreiheit haben, das zu diskutieren und am Ende auch zu entscheiden, und das werde ich auch immer verteidigen. Da werden wahrscheinlich unterschiedliche Argumente einfließen. Hier in dem konkreten Fall ist die Situation zum Beispiel auch die, dass der Vertrag schon existierte. Es ist ja noch mal ein Unterschied, ob man den Vertrag bricht und so ein Engagement absagt oder ob man unter den heutigen Bedingungen sagt: Wir laden ein. – Auch da gibt es noch mal eine Differenz. Das hat ja auch möglicherweise rechtliche Folgen. Also da gibt es einen Haufen Dinge abzuwägen, und das wird in jedem Einzelfall nicht ganz einfach sein.

Herr Abgeordneter Buchholz! Worum es mir geht: Ich möchte eigentlich, dass die Einrichtungen in einem regelmäßigen Austausch auch eine Professionalität im Umgang mit solchen Themen entwickeln. Es ist ja jetzt tatsächlich so, dass solche Fragen von Machtungleichgewichten und Herrschaftsausnutzung am Theater inzwischen anders diskutiert werden – zum Glück!

[Zuruf von Marc Vallendar (AfD)]

Ich finde auch, man muss denjenigen, die sich getraut haben, aus dem Dunkel in die Öffentlichkeit zu treten, Mut machen. Andererseits sind die Einrichtungen auch gefordert, jetzt Erfahrungen anzusammeln und zu reflektieren. Da wird nicht immer alles sofort fehlerfrei laufen, sondern das ist auch ein Lernprozess, und es ist auch nicht jeder Fall mit dem anderen vergleichbar. Es gibt Fälle, da geht es um strafbares Handeln. Es gibt Fälle, da liegt strafbares Handeln vielleicht lange zurück und ist schon ewig verjährt. Es gibt die Frage von mangelnder Führungskultur oder von Belästigungen unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit. Jeder dieser Fälle ist dann im Konkreten auch anders zu würdigen und anders zu bewerten. Deswegen, glaube ich, ist dieser Austauschprozess so wichtig, sodass man in diesem gemeinsamen Miteinander die Maßstäbe auch weiterentwickelt und sich nach denen dann verhält. Darum muss es jetzt gehen.

Vielen Dank!

Dann hat für die AfD-Fraktion der Abgeordnete Bachmann die nächste Frage.