Protocol of the Session on December 12, 2019

Deshalb möchte ich mit Erlaubnis des Präsidenten einen renommierten Planungs- und Architektursoziologen zitieren. Harald Bodenschatz hat in einem Interview, anlässlich der Feierlichkeiten im nächsten Jahr zu „100 Jahre Groß-Berlin“ zwei entscheidende Sachen gesagt: Wir sollten 100 Jahre Groß-Berlin zum Anlass nehmen, über Dinge offen zu sprechen.

[Zuruf von Steffen Zillich (LINKE)]

Die Politik sei im Moment eher getrieben, und diesen Eindruck habe ich auch, dass diese Politik in dieser Stadt eher getrieben sei und getrieben ist. Und es ist umso wichtiger, wenn man über 100 Jahre Groß-Berlin im nächsten Jahr spricht, eine Politik zu machen, die mutig,

verantwortungsvoll und visionär ist und sich nicht treiben lässt durch das eigene Versäumnis innerhalb der eigenen Reihen.

[Beifall bei der FDP]

Eine Regierung, die allein um des Überlebens willen in den letzten drei Jahren um jedes kleinste Komma und jedes Detail gerungen hat, wird dem nicht gerecht; vielleicht dem Koalitionsfrieden, aber nicht dem Anspruch, den Berlin eigentlich bräuchte.

[Beifall bei der FDP – Zuruf von Carsten Schatz (LINKE)]

Eine Regierung, die das Miteinandersprechen fast verlernt hat, hat auch eine politische Kultur, die am Ende dieser Stadt nicht dienen wird. Wenn man glaubt, es geht gar nicht schlimmer, dann schaut man sich in diesen Regierungsreihen um, und dann findet man zwei Plätze neben dem Regierenden Bürgermeister – ja, Herr Lederer, Sie gucken zu mir – in dieser Regierung jemanden, der sich in dieser Stadt hinstellt und sagt: Das ist erst der Beginn vom Klassenkampf. – 30 Jahre nach dem Mauerfall. Das passt zu Ihnen, das passt aber nicht zur Stadt. Machen Sie damit Schluss!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD]

Das kann auch nicht die Regierung unserer Zukunft sein.

[Kurt Wansner (CDU): Ist sie ja auch nicht!]

Deshalb ist dieser Doppelhaushalt in vielerlei Hinsicht mehr als nur ein Haushalt für Rot-Rot-Grün, sondern es ist ein Haushalt, der auch die Zeit nach Rot-Rot-Grün bestimmen wird, nämlich das Jahr 2021.

[Vereinzelter Beifall bei der FDP – Harald Wolf (LINKE): Dann hören Sie doch mal auf mit dem Klassenkampf, Herr Czaja!]

Wieder einmal wird ein Haushalt den tatsächlichen Bedürfnissen und Notwendigkeiten in Berlin nicht annähernd gerecht.

[Zuruf von Regina Kittler (LINKE)]

Dabei ging es Berlin wirtschaftlich noch nie so gut wie heute. Dank steigender Steuereinnahmen, geringer Zinsen und der guten Konjunktur steht unsere Stadt in diesem Jahr voraussichtlich vor einem Haushaltsüberschuss von 1,3 Milliarden Euro und hat ihn real zur Verfügung. Der vierte Haushalt, in Folge im Übrigen, mit einem Milliardenüberschuss, sogar der achte in Folge ohne neue Schulden. Doch Sie haben es erlebt. Die Realität holt Sie manchmal schneller in dieser Stadt ein, als Florian Schmidt das Vorkaufsrecht ziehen kann.

[Beifall bei der FDP]

So mussten Sie zur Kenntnis nehmen, dass fast 250 Millionen Euro weniger zur Verfügung stehen, als ursprünglich im Senatsentwurf eigentlich angedacht. Bereits in den nächsten beiden Jahren wird also Rot-Rot

Grün deutlich weniger Steuergelder zur Verfügung haben. Herr Regierender Bürgermeister! Sie führen ja jetzt schon die Gespräche mit den Kollegen und sagen: Darauf muss man sich einstellen, dass diese guten Zeiten in der Stadt vorbei sind. Ja, Sie haben aber diese guten Zeiten nicht hinreichend genutzt, um diese Stadt für die Zukunft fit zu machen.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Burkard Dregger (CDU)]

Wer das Wesen und die politischen Kurslinien dieses Senats verstehen will, der sollte sich noch einmal anschauen: Was hat dieser Senat eigentlich vor zwei Jahren im Haushalt hier verabredet? Was hat er versprochen? Welche ambitionierten Ziele hatte man sich gesteckt? Wie viele Wohnungen sollten gebaut werden? Wie viele Kilometer Radwege wollte man auf dem Weg zur Mobilitätswende schaffen? Wie wollte man die Kita- und Lehrerkrise endlich meistern? Wie wollte man die Bürgerinnen und Bürger vom Verwaltungschaos entlasten? Wie wollte man das alles machen? – Vor zwei Jahren haben Sie das alles für diese Stadt angekündigt. Zwei Jahre später kann ich Ihnen von dieser Stelle aus nur eines zurufen und festhalten: Die Stärke dieser Landesregierung liegt allein im Scheitern.

[Beifall bei der FDP]

Wer sich die großen Defizitrechnungen in diesem Haushalt einmal anschauen will, der muss sich zuerst mit der Frage der Stadtentwicklung auseinandersetzen. Herr Regierender Bürgermeister! Es ist zwei Wochen her, da haben Sie an diesem Rednerpult gestanden, und ich fühlte mich an Wurst-Achim erinnert, der in Marktschreiermanier hier groß tönte: Ich kaufe alles, was nicht niet- und nagelfest ist, egal, ob es das heruntergewirtschaftete Kosmos-Viertel oder 6 000 Asbestwohnungen in der Stadt sind. Bei dem Mann, bei Ihnen kommt wirklich alles in die Tüte, nur leider Neubau nicht, und das wäre das Richtige, was jetzt angesagt wäre.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Das beschreibt das politische Verständnis eines Regierungschefs, der im Übrigen selbst drei Jahre Senator im Bereich Stadtentwicklung war. Sie haben das drei Jahre verantwortet.

Damit die Mittel nicht ausgehen, müssen sogar die SIWANA-Mittel herhalten, so heißt es in einer Erklärung. Angesichts der stark gestiegenen Grundstückspreise geht es für die Wohnungsbaugesellschaften und Wohnungsbaugenossenschaften – ich betone das noch einmal – darum, handlungsfähig zu bleiben, insbesondere in Innenstadtlagen. Bis auf die DIESE eG kann da wohl niemand gemeint sein, denn mit anderen Genossenschaften, Frau Lompscher, reden Sie ja gar nicht. Das durften wir nunmehr zur Kenntnis nehmen.

[Beifall bei der FDP]

Deshalb haben wir auch im Rahmen der Haushaltsberatung hier 10 Millionen Euro mehr eingeplant und beantragt, natürlich abgelehnt von Ihnen, um die Genossenschaften und genossenschaftliches Wohnen in dieser Stadt zu stärken.

[Steffen Zillich (LINKE): 10 Millionen, ganze 10 Milliönchen!]

10 Millionen Euro mehr, Herr Zillich, das ist mehr zu dem, was Sie nicht tun, wenn es um unsere genossenschaftlichen Wohnungen in dieser Stadt geht.

[Steffen Zillich (LINKE): Haben Sie sich aber echt überanstrengt! Och, wir haben mehr beantragt und beschlossen!]

Ich darf Sie noch mal daran erinnern: 1 000 Wohnungen der Genossenschaften haben Sie nicht gebaut am Westkreuz, haben Sie verhindert. Sie haben dafür gesorgt, dass diejenigen, die bezahlbaren Wohnraum in dieser Stadt brauchen und bitter nötig haben, ihn nicht bekommen. Sie haben es verhindert.

[Beifall bei der FDP – Zuruf von Steffen Zillich (LINKE)]

Deshalb fordere ich Sie an dieser Stelle noch einmal auf,

[Harald Wolf (LINKE): Auch Sie haben falsche Zahlen!]

tatsächlich über einen echten Wohnungsnotstand zu reden und damit auch zwangsläufig all diesen Fragen, den Wohnungsnotstand zu akzeptieren und dem alle Notwendigkeiten unterzuordnen. Es fehlen 194 000 Wohnungen in den nächsten elf Jahren in dieser Stadt, die dringend gebaut werden müssen, damit wir in dieser Stadt wieder Wohnraum anbieten können, vor allen Dingen bezahlbaren Wohnraum für all jene, die eine Wohnung suchen, umziehen wollen, deren Familien wachsen. All jene brauchen Wohnraum in dieser Stadt. Das verhindern Sie. Ihre Bilanz nach drei Jahren Rot-Rot-Grün: 15 000 Wohnungen im mittleren und unteren Mietbereich, und da reden wir von 8,50 Euro, nicht gebaut. Das ist die Bilanz Ihrer Regierung. Das ist vielmehr die Bilanz von Frau Lompscher, und dafür sollten Sie sich massiv schämen.

[Beifall bei der FDP]

Diejenigen, die da oben sitzen, die Mieterinnen und Mieter von morgen, die Polizeibeamtinnen und -beamte, brauchen Wohnraum. Genauso wie wir in der Stadt bezahlbaren Wohnraum benötigen, alle ihn benötigen und Sie verknappen diesen Markt künstlich.

[Regina Kittler (LINKE): Und Sie sorgen für Mieter?]

Sie sorgen dafür, dass ausschließlich Ihre politische Zukunft gesichert ist, aber nicht die Zukunft derer, die die Stadt am Laufen halten, und das ist beschämend.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Das hätten Sie im Übrigen alles tun können. Wir haben den Antrag in den Haushaltsberatungen vorgelegt, sofort die Grundsteuer in dieser Stadt zu halbieren.

400 Millionen Euro haben wir gegengerechnet und haben gesagt:

[Lachen bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Achtung! Hören Sie zu!

[Steffen Zillich (LINKE): Deswegen haben Sie auch nur 10 Millionen Euro für die Genossenschaften! – Zuruf von Katalin Gennburg (LINKE)]

Rechtssicher haben wir Ihnen vorgeschlagen:

400 Millionen Euro, Halbierung der Grundsteuer im Haushalt, gegenfinanziert für eine echte Entlastung der Mieterinnen und Mieter in der Stadt. Rechtssicher am Jahresende für jeden, der in dieser Stadt wohnt.

[Beifall bei der FDP]

Was haben Sie gemacht? – Abgelehnt haben Sie es, weil Sie kein Interesse daran haben. Sie haben auch kein Interesse daran, Bauen in dieser Stadt neu zu denken, um niedrige Baukosten zu ringen. Preiswertes, nachhaltiges Wohnen ermöglichen Sie auch damit. Mit dieser Frage wollen Sie sich zu keinem Zeitpunkt auseinandersetzen, genauso wenig wie Sie sich damit auseinandersetzen wollen, dass die zukünftigen Mieter in dieser Stadt Tesla, Google oder Amazon sind, was auch zu einer wachsenden Stadt wie Berlin dazugehört.

[Beifall bei der FDP – Steffen Zillich (LINKE): Nee!]