Protocol of the Session on November 14, 2019

wie dem Missachten eines gültigen Volksentscheids, wie Ihrer verfehlten Verkehrspolitik,

[Oliver Friederici (CDU): Jawohl!]

Ihrer gescheiterten Bildungspolitik und Ihrem komplett – na ja, „bescheuert“ wäre jetzt unparlamentarisch – schlechten Mietendeckel, haben Sie jetzt einen Antrag eingebracht, der wirklich Sinn macht und der unsere Stadt auch nach vorn bringen kann.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Wir denken, dass es sehr sinnvoll ist, gerade bei der Förderung von Familien verbindliche Fachstandards zu setzen. Sie haben einen guten Antrag eingebracht, der die Leitplanken für dieses Gesetz vorgibt. Ich weiß, dass es sicherlich nicht einfach war in Ihrer Koalition, da sie den Antrag ja erst in diesem Jahr und in diesem Monat einbringen. Das muss unheimlich viel Kraft gekostet haben. Umso mehr danke ich Ihnen dafür, dass Sie einmal das, was Sie versprochen haben, einhalten, nämlich Ihren Koalitionsvertrag, und daran arbeiten werden, Familien in Berlin zu fördern.

Schöner wäre es natürlich, wenn einige Ursachen bereits abgestellt wären, denn viel Scheitern in Familien hat auch mit Ihrer verfehlten Bildungspolitik zu tun, mit hohen Abbrecherquoten in den Schulen. Die Fälle, in denen wir zu Hilfen zur Erziehung greifen müssen, hätten sicherlich durch eine bessere Familienpolitik im Vorfeld, aber auch durch eine wesentlich bessere Bildungspolitik vermieden werden können. Wir können nicht nur hoffen, dass das Familienfördergesetz ein gutes wird, sondern müssen auch die anderen Politikfelder weiter beachten, um unsere Familien in Berlin stark zu machen, um sie fit zu machen für die Herausforderungen der Zukunft. Ich denke aber, dass ein Familienfördergesetz sicherlich ein Baustein dafür sein kann. Wir werden Sie dabei unterstützen, wir

werden Sie kritisch beim Gesetzentwurf begleiten. Ich möchte Ihnen noch eines in Ihr Muttiheft schreiben: Achten Sie darauf, Ideologie außen vor zu lassen! Nähern Sie sich der Thematik fachlich! Wenn Sie das tun, haben Sie uns an Ihrer Seite, wir werden Sie dabei konstruktiv begleiten. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Vielen Dank! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Es wird die Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie sowie an den Hauptausschuss empfohlen. – Widerspruch höre ich nicht. Dann verfahren wir so.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4.2:

Priorität der AfD-Fraktion

Tagesordnungspunkt 22

Zwangsverheiratung bekämpfen – über eine bessere Datenlage zu effizienteren Lösungen kommen!

Antrag der AfD-Fraktion Drucksache 18/2237

In der Beratung beginnt die AfD-Fraktion. Das Wort hat Frau Abgeordnete Auricht. – Bitte schön!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine Damen und Herren! Stellen Sie sich Folgendes vor: ein junges Mädchen, gerade 15 Jahre alt, in Berlin geboren und hier aufgewachsen! Sie geht hier zur Schule und hat schon Pläne für ihre Ausbildung, für ihre Zukunft. Sie sieht, wie ihre Mitschüler frei und selbstbestimmt leben. Das stellt sie sich für ihr Leben natürlich auch vor, und diesem Wunsch stand bisher auch nichts im Wege. Doch plötzlich ist alles anders. Plötzlich erklärt ihr die Familie, dass sie diese Pläne vergessen könne, denn in den Sommerferien soll sie ihren Cousin heiraten, einen Mann, den sie vorher nie gesehen hat, nie kennengelernt hat. So hat es ihre Familie nach alter Tradition vor Jahren mit den Verwandten schon ausgehandelt. Kurz vor den Sommerferien, denn dann soll das große Ereignis stattfinden, ist sie von zu Hause abgehauen. Sie ist zutiefst verzweifelt, hat sogar Todesangst und weiß nicht, wohin, denn von ihrer Familie und von ihren Freunden wird sie keine Hilfe erwarten können. Sie versteckt sich vor ihren eigenen Eltern, vor ihren eigenen Großeltern, vor den Geschwistern, vor der gesamten Familie. Man hat ihr Gewalt angedroht, und sie muss mit dem Schlimmsten rechnen. Selbst ihr Zimmer in einem Zufluchtshaus ist eine Art Gefängnis geworden, aus dem sie sich nur noch selten her

(Katrin Seidel)

austraut, denn die Täter, die kaum Konsequenzen fürchten müssen, warten schon darauf, ihrer habhaft zu werden.

Leider ist dies kein bedauerlicher Einzelfall. So sieht für viele Mädchen und junge Frauen hier in unserer Stadt der Alltag aus. Obwohl Zwangsehen längst verboten sind, werden hierzulande noch immer Mädchen und junge Frauen gegen ihren Willen verheiratet. Jedes Jahr werden laut Bundeskriminalamt in Deutschland sogar zwölf Mädchen getötet, weil sie angeblich die Ehre der Familie verletzt haben. Im Jahr 2017 sind 570 Fälle von versuchter oder erfolgter Zwangsverheiratung in Berlin bekannt geworden. Das ist ein Anstieg um 19 Prozent seit der letzten Befragung im Jahr 2013. Das sind 570 Fälle zerstörter Zukunftspläne, 570 Fälle von Verletzung des Rechts auf Selbstbestimmung und definitiv 570 Fälle zu viel.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Wir haben diese Zahlen vom Berliner Arbeitskreis gegen Zwangsverheiratung. Die Frage ist nur, wie nah an der Wirklichkeit diese Zahlen liegen. Mitarbeiter der anonymen Kriseneinrichtung Papatya gehen von zehnmal so vielen Fällen aus. Genaue Zahlen hat leider niemand. Sollte die Zahl von fast 6 000 Mädchen und Frauen stimmen, die in unserer Stadt mitten unter uns zwangsverheiratet werden, entspräche das 500 Fällen im Monat. Das sind Dimensionen einer gesellschaftlichen Katastrophe.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Terre des Femmes, Papatya, der Arbeitskreis gegen Zwangsverheiratung und alle anderen Beteiligten, die sich dem Kampf gegen Zwangsehe verpflichtet fühlen und sich damit elementarsten Frauenrechten widmen, verlangen nach verlässlichem Datenmaterial. Nur eine repräsentative wissenschaftliche Erhebung kann diese Zahlen liefern und das Stochern im Ungewissen endlich beenden. Wir sind zuversichtlich, dass aus einer solchen regelmäßigen Datenerhebung Nutzen für eine effizientere Bekämpfung von Zwangsehen gezogen werden kann. Aus dieser Studie wird die Politik Handlungsempfehlungen ableiten können, die für eine bessere und gezieltere Prävention dringend nötig sind.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Unsere europäischen Nachbarn sind schon entschieden weiter. In Großbritannien gibt es einheitliche Leitlinien für Polizei, Schulen und Sozialämter im Umgang mit Zwangsehen. In Österreich gibt es bereits seit 2006 eine Mediendatenbank. Auch in Schweden werden alle staatlichen Schulen mit pädagogischem Material gegen Gewalt und Zwangsehe versorgt. In Deutschland hängt es immer noch von Einzelinitiativen ab, ob Schüler und Lehrer zu diesem Thema informiert werden. Alles, was wir heute

fordern, ist die Beauftragung einer repräsentativen wissenschaftlichen Erhebung zum Thema Zwangsehe in unserer Stadt. Weder ein hoher Aufwand noch hohe Kosten dürfen uns als Entschuldigung dienen, diese Studie jetzt nicht anzugehen. Über die richtigen Maßnahmen zur Bekämpfung von Zwangsverheiratung können wir nach Auswertung der Studie später gern im Ausschuss diskutieren. Machen wir heute den ersten Schritt für eine gezielte Bekämpfung und Prävention von Zwangsehen, und lassen wir diese hilflosen Mädchen, die auch von ihren Familien im Stich gelassen werden, nicht allein, und stimmen Sie diesem Antrag bitte zu! – Vielen Dank!

[Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Für die Fraktion der SPD hat jetzt das Wort Frau Abgeordnete Çağlar.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die AfD-Fraktion hat das Thema „Zwangsverheiratung bekämpfen“ heute auf die Tagesordnung gesetzt und dazu einen Antrag eingebracht. Zunächst – und ich denke, da sind wir uns alle hier im Hause einig –: Zwangsverheiratung darf es nicht geben. Zwangsverheiratungen sind menschenverachtend.

[Beifall bei der SPD, der CDU, der LINKEN, den GRÜNEN und der AfD – Beifall von Dr. Maren Jasper-Winter (FDP)]

Wir müssen alles tun, damit kein Mensch gegen seinen Willen in eine Ehe gezwungen wird, egal in welchem Alter, egal welcher Herkunft, egal welchen Geschlechts. Wir müssen alles dafür tun, dass es nicht so weit kommt. Gleichzeitig müssen wir den Opfern helfen, wenn es leider schon geschehen ist. Genau darauf liegt mein Fokus als Sprecherin für Gleichstellung, auf dem Schutz, auf der Prävention und auf der Hilfe. Mir geht es um die betroffenen Menschen, um die Unterstützung für diese Menschen. Leider gibt es zu viele Betroffene. Jede und jeder einzelne Betroffene ist einer zu viel. Und jeder und jedem muss geholfen werden, möglichst schnell, möglichst individuell und angepasst an die jeweilige Lebenssituation. Solche Unterstützungsangebote gibt es glücklicherweise in Berlin. Mein politischer Fokus liegt darauf, diese Hilfs- und Präventionsangebote zu stärken, diese zu sichern und, soweit es politisch möglich ist, ihre Arbeit zu unterstützen, damit den Menschen geholfen werden kann.

Der AfD-Antrag möchte Daten. Gegen genauere Daten habe ich erst mal nichts. Um konkrete Maßnahmen oder Problemlösungen geht es im Antrag aber nicht. Als Koalition beschäftigen wir uns aber schon längst mit der

(Jeannette Auricht)

Problemlösung. Ich sage es noch mal: Viel wichtiger als die Zahlen sind die Menschen. Die kommen in Ihrem Antrag deutlich zu kurz. Denn wir haben bereits Zahlen. Ein Beispiel haben Sie sogar in Ihrer Begründung erwähnt: die Informationen des Berliner Arbeitskreises gegen Zwangsverheiratung aus dem letzten Jahr. Die Zahlen, die ich habe, sind wichtig, aber mindestens genauso wichtig sind Gespräche mit den Menschen, mit Betroffenen und den engagierten Helferinnen und Helfern in den Projekten. An dieser Stelle ein riesiges Dankeschön an die Teams von Papatya e.V., vom Treff- und Informationsort – TIO – e. V., von Elişi Evi, vom Türkischen Frauenverein und von Beraberce e. V. und an all die vielen anderen hauptamtlichen und ehrenamtlichen Engagierten!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der FDP – Beifall von Martin Trefzer (AfD)]

Danke an alle, die sich gegen Zwangsverheiratung starkmachen! Danke, dass ihr Menschen helft!

Die Zahlen, die ich habe, zusammen mit den zahlreichen Gesprächen, die ich regelmäßig führe, sind für mich eine ausreichende Grundlage, um gegen Zwangsverheiratung politisch vorzugehen. Das sind keine leichten Gespräche, das sind schwierige Gespräche, harte Schicksale und oft leider verzweifelte Menschen. Deswegen noch mal: Mein Fokus in diesem Bereich liegt auf den Maßnahmen und Hilfen, also auf den Menschen und nicht auf den Statistiken. Die Haushaltsmittel, die wir zur Verfügung haben, investieren wir an dieser Stelle lieber in Hilfe statt in Statistik. Deswegen lehne ich Ihren Antrag ab.

Diese Maßgabe, eine Politik zu machen, die den Menschen direkt und schnell hilft, zieht sich übrigens wie ein roter Faden durch die Gleichstellungspolitik der Koalition. Das ist Ihnen ja auch bekannt. Nicht zuletzt in den Ausschussberatungen zum Haushalt in den letzten Wochen wurde dies ja auch deutlich. Im Haushalt setzen wir uns ganz besonders für genau die Menschen ein, die von Zwangsverheiratung betroffen oder bedroht sind. Konkret gaben die verschiedenen Senatsverwaltungen in diesem Jahr über 1 Million Euro für präventive und helfende Maßnahmen gegen Zwangsverheiratung aus, darunter zum Beispiel auch das Onlineberatungsprojekt Sibel, das wir bewusst weiterhin fördern, ein Projekt, das weit über Berlin hinaus wirkt.

Ich komme nun zum Schluss: Wir haben keinen Erkenntnismangel, sondern einen klaren Auftrag zu helfen und zu schützen. Genau dafür geben wir unser Geld aus, und das bleibt unser Ziel. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Für die Fraktion der CDU hat das Wort Frau Abgeordnete Vogel. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zwangsverheiratung ist ein Verbrechen, mit genau diesem Satz habe ich 2011 meine allererste Rede vor diesem Hohen Hause begonnen. Acht Jahre sind seitdem vergangen, aber leider hat das Thema bis heute nicht an Aktualität verloren, ganz im Gegenteil. 2011 wurde durch die CDU-Bundesfamilienministerin Schröder das Gesetz zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat auf den Weg gebracht. Zwangsheirat wurde als neuer Straftatbestand ins Strafgesetzbuch aufgenommen. Das war ein wichtiger und grundlegender Schritt, um besser gegen Zwangsverheiratungen vorgehen zu können.

[Beifall bei der CDU]

2011 wurde ebenfalls eine von Ministerin Schröder in Auftrag gegebene bundesweite Studie vorgestellt. Diese Studie war die erste dieser Art, die deutlich machte, wie viele Menschen eigentlich von Zwangsverheiratung betroffen sind, aus welchen Herkunftsländern sie kommen, und es wurde deutlich, dass auch junge Männer betroffen sind. Was ist seitdem passiert? – Kurz gesagt: Nicht viel! Das Bundesfamilienministerium ist seit 2013 in SPDHand. Eine notwendige Evaluation des Gesetzes von 2011 ist bisher nicht erfolgt. Die Studie zum Ausmaß von Zwangsverheiratung von 2011 war somit die erste und bislang auch die letzte ihrer Art.

Wie sieht es in Berlin aus? – Wir haben das Thema im Gesundheitsausschuss mehrfach auf der Tagesordnung gehabt. Erst vor Kurzem gab es eine Anhörung dazu. Dabei wurde deutlich, dass Terre des Femmes das Beratungsangebot zu Zwangsehen Mitte 2019 einstellen musste, weil die finanziellen Mittel dazu nicht mehr ausreichten.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Hört, hört!]

Bei Papatya, einer Kriseneinrichtung für Mädchen und junge Frauen mit Migrationshintergrund, die eine niedrigschwellige Onlineberatung durchführt, stand die Einstellung des Projektes ebenfalls kurz bevor. Hätte Papatya nicht im Vorfeld der Haushalsberatungen massive Presse- und Überzeugungsarbeit geleistet, wäre auch dieses Projekt eingestellt worden.

Das eigentliche Ausmaß der Untätigkeit des Senats bei der Verhinderung von Zwangsehen spiegelt sich noch deutlicher in der Antwort auf die Schriftliche Anfrage meiner geschätzten Kollegen Frau Dr. Jasper-Winter wider. Der Senat hat keinerlei Überblick, wie viele Fälle von Zwangsehen es in Berlin gibt. Er hat keinerlei Überblick, wie viele Fälle von Kinderehen es in Berlin gibt.

(Derya Çağlar)