Protocol of the Session on September 12, 2019

die in den letzten zehn Jahren um 300 000 Menschen gewachsen ist und weiter wächst.

Es war diese Analyse und Motivation, die den Ausgangspunkt der Überlegungen der fünf Fraktionen dargestellt hat, deren Ergebnis die heutigen Anträge sind, nicht, wie die AfD gerade suggeriert hat, die Frage nach der effektivsten Beutegemeinschaft. Es sind ganz grundlegende Schlüsse, die wir daraus ziehen und die das Selbstverständnis und die Arbeitsweise des Berliner Abgeordnetenhauses auch grundlegend verändern werden. Mit der Übernahme der sogenannten Mittelpunktregelung des Bundestags stellen wir ein für alle Mal klar, dass die Ausübung des Mandats im Mittelpunkt der Tätigkeit derjenigen stehen muss, die diesem Haus angehören. Wir fixieren diesen Anspruch zugleich durch die Ausweitung der parlamentarischen Arbeitszeiten, sowohl des Plenums als auch der Ausschüsse. Wer als Abgeordneter oder Abgeordnete künftig einer Nebenbeschäftigung nachgehen will, muss sich nach den Modalitäten des Parlamentsbetriebs richten und nicht länger umgekehrt.

Wir Grünen hatten noch eine zweite zentrale Anforderung an eine Berliner Parlamentsreform, und zwar die Forderung nach mehr Transparenz und einer Offenlegung von ebensolchen Nebeneinkünften. Auch hier schlägt der gemeinsame Antrag eine ebenso grundlegende wie weitreichende Veränderung der Berliner Praxis vor. Auch hier orientieren wir uns an den Maßgaben des Deutschen Bundestages für seine Mitglieder, indem wir die Abgeordneten verpflichten, die Höhe ihrer Nebeneinkünfte mittels eines Stufenmodells offenzulegen, von der bezahlten Vortragstätigkeit über freiberufliche Einkünfte bis zur Entlohnung in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis, und das für jede Art von Nebenverdiensten im Einzelnen.

Was, Herr Hansel, ist daran eigentlich falsch? Ich habe mir mal auf der Internetseite des Abgeordnetenhauses angeguckt, welche Angaben die Mitglieder der AfDFraktion zu den bereits heute veröffentlichungspflichtigen Informationen gemäß § 5a des Landesabgeordnetengesetzes machen. In Ihrer Fraktion geben, wenn ich richtig gerechnet habe, 16 von 22 Mitgliedern an, dass sie einer oder mehreren beruflichen Nebentätigkeiten nachgehen. Das ist ihr gutes Recht, Herr Hansel, zeigt allerdings auch Ihr parlamentarisches Selbstverständnis und das Arbeitsethos.

[Franz Kerker (AfD): Blödsinn!]

Aber, Herr Hansel, warum haben Sie ein Problem damit, wenn zukünftig nicht nur die Art der Tätigkeit, sondern auch die Einkünfte, die daraus bezogen werden, transparent gemacht werden?

[Frank-Christian Hansel (AfD): Haben wir doch gar nicht! Wir wollten es nur in einem anderen Verfahren bestimmen!]

Könnte es sein, dass nicht wir, die von Ihnen gerne als „Machtkartell“ und „Altparteien“ diffamiert werden, uns an die herkömmlichen Privilegien von Berufspolitik klammern, sondern Sie als AfD-Fraktion? Könnte das sein, Herr Hansel?

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP – Frank-Christian Hansel (AfD): Eben nicht!]

Wir Grüne begrüßen es auf jeden Fall, wenn sich das Berliner Abgeordnetenhaus im Zuge dieser Reform die bundesweit schärfsten Transparenzregeln aller Länderparlamente verordnet.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Haben wir doch gar nichts dagegen!]

Auch in einer anderen Sache liegen Sie falsch, Herr Hansel, faktisch falsch. Ja, die langjährige Debatte um eine große Berliner Parlamentsreform war immer auch eine Debatte über die Größe des Abgeordnetenhauses. Und ja, es gab und gibt Menschen auch in meiner Fraktion und Partei, einschließlich mir, die eine Absenkung der Zahl der Abgeordneten zumindest auf die gesetzliche Größe von 130 für richtig halten oder zumindest offen gegenüberstehen.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Ist ja gut!]

Aber einmal abgesehen davon, dass diese Frage traditionell politisch strittig ist und Änderungen am Berliner Wahlrecht nach sich ziehen würde, ist eines Ihrer Argumente schlicht falsch, und das ist die Behauptung, das Berliner Parlament sei überproportional groß.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Mit 160 ist es das auch!]

Hinsichtlich der Relation von Abgeordnetenzahl und der Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner, die sie repräsentieren sollen, hat Berlin das siebt- bzw. achtgrößte von 16 Länderparlamenten, liegt also auch hier im Bundesländerdurchschnitt. Rechnen hilft mitunter, Herr Hansel!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der LINKEN und der FDP]

Wer die Modalitäten der parlamentarischen Arbeit so stark verändert und damit auch die Arbeitszeiten und Belastungen, der muss dem auch bei der Ausstattung der Abgeordneten Rechnung tragen. Es war in der Berliner Debatte immer klar, dass mehr Vollzeitparlament mehr Arbeit und damit auch mehr Grundentschädigung für die Abgeordneten mit sich bringen würde.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Das ist ja keine Frage, aber wir wollten ein anderes Verfahren, Herr Wesener!]

Keine Zwischenfragen! – Genauso klar ist, dass vermutlich noch kein Parlament in der Welt dafür Beifall bekommen hat, dass es sich und seinen Mitgliedern mehr Geld zuspricht. Das wird auch in diesem Hause bei dieser Reform mit Sicherheit nicht anders sein. Für uns Grüne

war in diesem Zusammenhang schon immer handlungsleitend, dass eine bessere Ausstattung und Entschädigung der Abgeordneten zwingend einen Mehrwert für die parlamentarische Arbeit haben muss und umgekehrt.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Für uns auch!]

Insofern finden wir es gerechtfertigt, dass eine Ausweitung der Plenarsitzung um nahezu die Hälfte und die der Ausschusssitzungen um ein Drittel auch eine materielle Entsprechung bei der Entlohnung derjenigen findet, die davon betroffen sind. Keine Frage: Die mit dieser Reform vorgeschlagene Erhöhung der Grunddiät ist eine erhebliche, egal, ob man dabei den absoluten oder prozentualen Aufwuchs zugrunde legt. Aber auch hier gleichen wir die Berliner Praxis letztlich nur an die parlamentarischen Realitäten in der Bundesrepublik an, wobei wir peinlich genau darauf geachtet haben, dass wir bei der Höhe der Diät auch nach der Reform deutlich unterhalb des Länderdurchschnitts bleiben. Gleiches gilt für die Auswirkungen auf die späteren Versorgungsansprüche, Herr Trefzer. Auch Ihnen kann ich nur sagen: Rechnen hilft!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der FDP – Beifall von Christian Goiny (CDU) – Frank-Christian Hansel (AfD): Das wäre ja noch unverschämter, wenn es anders wäre!]

Diese Parlamentsreform ist nicht die erste und wird bestimmt auch nicht die letzte in der Geschichte des Berliner Abgeordnetenhauses gewesen sein, aber in den wenigsten Fällen konnten dabei so viele und so grundlegende Veränderungen bewirkt werden, Veränderungen, die zum Teil überfällig sind, Veränderungen, die bei allen Kompromissen, die ihnen zugrunde liegen, gut sind für dieses Haus und damit auch gut für den Berliner Parlamentarismus als demokratische Vertretung aller Berlinerinnen und Berliner. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP]

Vielen Dank! – Dann hat zu einer weiteren Zwischenbemerkung der Abgeordnete Trefzer das Wort. – Bitte schön!

[Stefan Förster (FDP): Die ist auch schon schriftlich ausgearbeitet! Sehr spontan! – Heiterkeit bei der FDP]

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist nur die Vorlage des Entwurfs, lieber Herr Förster. Weil Sie mich angesprochen haben, Herr Wesener: „Rechnen hilft“! Da will ich Ihnen mal was sagen: Der entschei

(Daniel Wesener)

dende und aus meiner Sicht anstößigste Satz in Ihrer Vorlage ist der letzte Satz auf Seite 48. Ich möchte ihn einmal wörtlich zitieren – es geht um die Altersversorgung, die Sie nicht angesprochen haben, und Sie haben ja gesagt: Rechnen hilft –:

Bei einer Mitgliedschaft im Abgeordnetenhaus zur Zeit der Beschlussfassung dieses Gesetzes findet hinsichtlich aller Anwartschaften und Ansprüche auf Versorgung seit Beginn der jeweiligen Mitgliedschaft der § 12 in Verbindung mit § 6 Absatz 1 dieses Gesetzes Anwendung.

Warum macht man das nicht anteilig? Jemand, der 20 Jahre diesem Haus angehört hat und 2021 ausscheidet, warum macht man da nicht 18 Jahre die alte Grundlage und zwei Jahre die neue? Das ist der Skandal, auf den ich hingewiesen habe.

[Beifall bei der AfD]

Ich nehme einfach mal – Rechnen hilft, Herr Wesener! –, ich habe das beispielsweise einmal ausgerechnet am Beispiel Ihrer Fraktionskollegin Frau Schillhaneck – das kann jeder selber nachrechnen –, die nach 13 Jahren jetzt im Sommer ausgeschieden ist.

[Antje Kapek (GRÜNE): Die betrifft das gar nicht!]

Sie hat ab dem 61. Lebensjahr einen Altersversorgungsanspruch von ungefähr 2 000 Euro. Wäre Frau Schillhaneck ein halbes Jahr länger in diesem Parlament geblieben, hätte sie einen Anspruch von weit über 3 000 Euro. Leute, das ist nicht rational. Das kann man nicht rechtfertigen. Ich könnte das Gleiche jetzt für den Präsidenten durchrechnen. Sollte er 2021 ausscheiden, bekäme er eine Altersversorgung von 6 094 Euro statt von 3 845 Euro.

[Zuruf von Stefan Ziller (GRÜNE) – Antje Kapek (GRÜNE): Aber sie hat keinen Anspruch!]

Das ist nicht anständig. Das könnt Ihr nicht machen!

Liebe Kollegen von den Koalitionsfraktionen und anderen Fraktionen, die diese Regelung für richtig halten: Ich appelliere noch einmal ganz dringend an Sie: Versuchen Sie einmal, sich in die Lage eines normalen Arbeitnehmers zu versetzen, der nicht mit 200 Stunden mehr Arbeit einfach 2 000 Euro mehr Altersversorgung bekommt. Machen Sie das anteilig an der Stelle. Das wäre mein Appell an Sie.

[Regina Kittler (LINKE): Wie viele Stunde arbeiten Sie denn am Tag für dieses Parlament? Das würde mich jetzt mal interessieren!]

Dann würde noch ein bisschen Vernunft in diese Vorlage kommen. Anderenfalls muss man den Vorwurf der Selbstbedienung aufrechterhalten, Selbstbedienung der schlimmsten Art, denn all die Kollegen, die jetzt vielleicht schon wissend und ahnend, dass sie 2021 in Ruhestand gehen und sich selber eine solche Altersversorgungsregelung zubilligen, das finde ich unerträglich, und das ist einmalig. Das geht so eigentlich gar nicht! Das

widerspricht jeder parlamentarischen Kultur, und Sie zerstören die politische Kultur dieses Hauses mit dieser Altersversorgungsregelung.

[Beifall bei der AfD – Antje Kapek (GRÜNE): Das sagen Sie jetzt seit zwei Stunden, immer nur Selbstbedienung!]

Es geht doch gar nicht so sehr um die Diäten, es geht um diesen goldenen Handschlag. Darauf habe ich ganz konkret hingewiesen. Schauen Sie sich den letzten Satz noch einmal an in dieser 48-seitigen Vorlage. Wenn Sie den nicht ändern, versündigen Sie sich an der politischen Kultur dieses Hauses.

[Beifall bei der AfD – Georg Pazderski (AfD): Bravo!]

Zur Erwiderung hat der Kollege Wesener das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Herr Trefzer! Es ist schlimmer als ich dachte. Sie können nicht nur nicht rechnen, sondern Sie verstehen das Landesabgeordnetengesetz nicht.

[Beifall von Stefan Förster (FDP) – Sebastian Schlüsselburg (LINKE): Ja! – Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Sondern auch nicht lesen!]

Ja, wir haben unseren Antrag gelesen. Lesen Sie vielleicht mal das Landesabgeordnetengesetz, denn wir verändern nichts an der Systematik bei der Altersversorgung. Wir haben das diskutiert.